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"Platz deutlich links von SPD einnehmen"

Remme: Herr Brie, die Partei steht vor Weichenstellungen, hat Lothar Bisky gesagt. Vor welchen Alternativen steht die PDS?

    Brie: Sie kann natürlich wirklich nostalgisch werden und zurückfallen und sich aus der realen Politik dieses Landes verabschieden, von den Menschen, wie sie wirklich denken. Sie kann aber auch, was ich für dringend notwendig und nach wie vor für nötig halte, den Platz deutlich links von der SPD einnehmen, eine moderne sozialistische Partei, die dieses Land dringend braucht. Die Chancen dafür sind nach wie vor groß, die Notwendigkeit auf jeden Fall.

    Remme: Sie halten aber beide Möglichkeiten für realistisch?

    Brie: Ich sehe zum erstenmal eigentlich seit 1990, dass diejenigen, die uns zurückzerren wollen, wirklich wieder stärker geworden sind.

    Remme: Woran liegt das?

    Brie: Das hat zum einen damit zu tun, dass viele in der PDS über die Entwicklung dieser Gesellschaft tief enttäuscht sind, meiner Meinung nach auch mit Recht. Die Auswege wieder in der Vergangenheit zu finden führt absolut in die Irre. Es hat zweitens damit zu tun, dass wir viele Klärungsprozesse in der PDS nicht vorangetrieben haben. Gysi hat völlig Recht: wir brauchen tiefgreifende Reformen. Das ist nicht eine Abkehr, wie viele argwöhnen. Ich finde überhaupt, dass eines der Dilemmata der PDS ist, dass es so viel Misstrauen gibt, dass wir uns anpassen wollten. Diese Parteireform oder Veränderung der PDS besteht vielmehr in einer doppelten Aufgabe: erstens ein wirklich modernes und demokratisches, sozialistisches Profil auszuprägen. Auch das ist ja in der PDS nicht geschehen. Zweitens muss sich die PDS konsequent zur Politik hier und heute und zu den Menschen, wie sie heute sind mit ihren realen Nöten, hinwenden.

    Remme: Diese Gruppen, die Sie als Bremser bezeichnen, wer sind die?

    Brie: Ich bin inzwischen wirklich darüber frustriert, wie die kommunistische Plattform und ähnliche Gruppen den Gründungskonsens der PDS aufkündigen, der antistalinistisch, konsequent demokratisch war, der sich hingewendet hat zu einer Gesellschaftsvorstellung, die auch anerkennen kann was Freiheitsrechte, pluralistische Demokratie und so weiter bedeuten müssen. Wir haben darüber hinaus das Problem, dass wir durch das Ausbleiben von Entscheidungen in der PDS insgesamt eine diffuse, aber nicht organisatorisch erfassbare Stimmung haben, die diesen Leuten in der kommunistischen Plattform, im marxistischen Forum zugute kommt.

    Remme: Da Sie diese Gruppe konkret nennen, sollte sich die PDS von der kommunistischen Plattform trennen?

    Brie: Nein, das halte ich für absolut abwegig. Wir müssen die Auseinandersetzungen inhaltlich führen. Mit administrativen Maßnahmen ist überhaupt nichts getan. Das wäre im übrigen SED-Politik.

    Remme: Die Beteiligung an friedenssichernden Einsätzen der UNO, das ist eine Forderung, an der sich offenbar die Positionen reiben, die nicht nur auf Zustimmung stößt. Was ist Ihre Meinung in dieser Frage?

    Brie: Ehrlich gesagt, ich finde die ganze Diskussion abwegig. Wir haben eine Entwicklung innerhalb der Europäischen Union, wo die WEU aufgenommen werden soll, wo 50- bis 60.000 Mann Eingreiftruppe aufgestellt werden sollen. Ich bezeichne das als eine Militarisierung der Europäischen Union. Wir haben die Selbstmandatierung der NATO. Es gibt völlig andere Probleme, wo wir eigentlich streiten müssten, wo wir in dieser Gesellschaft agieren müssten. Statt dessen diskutieren wir über völlig fiktive Einsätze, Entscheidungen der UNO, wo wir gar nicht wissen, welche das sind. Das ist eben das, was ich als mangelnde Politikfähigkeit der PDS bezeichne. Statt dort zu sein, wo diese Gesellschaft sich real bewegt, wo reale Entscheidungen notwendig sind, diskutieren wir über spekulative Dinge.

    Remme: Nun ist diese Thema ja auf dem Parteitag präsent. Wie sollte der Parteitag entscheiden?

    Brie: Ich denke, dass die Positionen, die Gysi und Bisky vorgetragen haben, dass man in Einzelfällen eine eigene konkrete Meinung fällen muss, unausweichlich ist. Wie soll denn Politik anders funktionieren.

    Remme: Münster ist sicher kein Zufall. Der Sprung in die alten Bundesländer wurde bisher von der PDS verfehlt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

    Brie: Wir haben in Westdeutschland eine hohe Barriere gegen die PDS. Dieses Land ist kulturell, sozial, auch psychologisch immer noch in zwei Teilgesellschaften gespalten. Die PDS ist für viele in Westdeutschland eine fremde Partei. Das hat mit Geschichte zu tun, vor allen Dingen natürlich auch mit der Geschichte der PDS selbst, mit dem Zustand dieser Gesellschaft. Wir haben, was uns betrifft, ohnehin keine Möglichkeiten zu genialen Rezepten. Wir hätten nur die Möglichkeit, mit kontinuierlicher Alltagsarbeit schrittweise und langsam Veränderungen vorzunehmen. Ich finde es gut, dass wir im Westen tagen. Wir haben ja in Münster immerhin auch einen PDS-Ratsherren. So schwarz ist es denn doch nicht. Was aber wirklich erforderlich wäre, wäre eine kontinuierliche, vor allen Dingen geistige, kulturelle Arbeit der PDS in den alten Bundesländern.

    Remme: Herr Brie, ist denn die Partei als Regionalorganisation im Osten der Republik auf Dauer lebensfähig?

    Brie: Auf Dauer lebensfähig, wenn sie ihre Hausaufgaben macht, wenn die Veränderungen gemacht werden, auf jeden Fall. Sie ist im Osten sehr, sehr stark, aber sie kann auf Dauer nicht leben mit einem so sehr gespaltenen Parteicharakter im. Im Osten ist sie eine der drei großen Parteien, in Regierungen beteiligt, zum Teil kann sie mit SPD und CDU um Platz eins im Osten konkurrieren. Im Westen ist sie hingegen isoliert und was die Gesamtpartei betrifft bisher wenig bereit, ernsthaft sich dieser großen und nun mal dominierenden Teilgesellschaft in Deutschland zuzuwenden.

    Remme: Lothar Bisky, Herr Brie, Ihr Parteichef, hat nach Meinung vieler in den vergangenen Wochen keine allzu glückliche Figur abgegeben. Alles rätselt: ist er nun amtsmüde oder ist er es nicht. Bleibt das Statut so wie es ist, muss er den Vorsitz in einem Jahr abgeben. Braucht die PDS einen neuen Vorsitzenden?

    Brie: Wenn er das Mandat abgibt oder abgeben muss, brauchen wir natürlich einen. Das Problem, das ich sehe, ist aber nicht, ob Bisky oder jemand anders, sondern dass wir alle - das betrifft den Parteivorstand, das betrifft viele Politikerinnen und Politiker - darüber hinaus bereit sein müssen zu den notwendigen Entscheidungen innerhalb der PDS. Das ist nicht Verantwortung nur des Parteivorsitzenden. Wir haben keine so hierarchischen Strukturen. Diese Verantwortung fällt auf alle zurück, und das muss endlich angeschoben werden.

    Remme: Aber die Kritik an Lothar Bisky in Bezug auf das Herumlavieren um Entscheidungen, die eigentlich anstehen, die ist berechtigt?

    Brie: Wissen Sie, wenn ich mich in der PDS unbeliebt machen soll, dann würde ich sagen, die Kritik ist berechtigt in Bezug auf den Vorstand, nicht in Bezug auf einzelne Leute dort. Lothar Bisky hat in den letzten acht Jahren wie kaum ein anderer dazu beigetragen, dass diese Partei sich entfernt hat von der SED, und er hat dazu beigetragen, dass diese sehr schwierige Partei zusammengehalten worden ist. Das sind zwei Verdienste, die für mich über allem anderen stehen.

    Remme: Heute beginnt in Münster der Bundesparteitag der PDS. Darüber haben wir gesprochen mit dem PDS-Strategen André Brie. - Ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio