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Platzeck

DLF: Zunächst Mitglied von Bündnis 90, dann Parteiloser - jetzt Landes-vorsitzender, und der Bundeskanzler begleitet selber die Wahl zum SPD-Landesvorsitzenden. Macht das einem nicht Angst, der sagt, er wolle erst einmal alles auf sich zukommen lassen?

Karl-Heinz Smuda |
    Platzeck: Nein, also ich bin kein Mensch, der übermäßig Angst hat, gerade nicht vor solchen Prozessen. Das ist ja alles nicht in einem Jahr gelaufen, was Sie hier aufgezählt haben, sondern in einem Jahrzehnt, wahrscheinlich in dem politisch turbulentesten Jahrzehnt, was die Bundesrepublik so seit den 50er Jahren erlebt hat - so dass so eine Biographie auch nicht so ungewöhnlich ist. Das muss man auch mal sagen, wenn man sich beispielsweise anschaut, wo die Bündnis 90 - Fraktion, die damals 1990 im Brandenburger Landtag begonnen hat, heute so gelandet ist: Günter Nooke bei der CDU, Marianne Birthler bei den Grünen, ich bei der SPD. Da zeigt sich doch, dass das Bündnis 90 sich seinerzeit gegen etwas formiert hat, nämlich gegen die herrschende Staatsordnung in der DDR. Aber die Definition - wofür sind wir eigentlich politisch, welche Richtung vertreten wir da -, das hat sich erst später ausdifferenziert. Es ist übrigens in Polen und in Tschechien beispielsweise nicht anders gelaufen. Von daher halte ich das nicht für eine ungewöhnliche Biographie, Angst macht's mir auch nicht. Es ist mit der Wahl zum Landesvorsitzenden ein ganz schönes Päckchen Verantwortung dazugekommen; ich hoffe, dass ich der gerecht werde. Und wenn wir es schaffen, das als Teamarbeit hier in Brandenburg aufzufassen und zu begreifen, dann bin ich da eigentlich guter Dinge.

    DLF: Die Sozialdemokraten haben in Brandenburg 7.400 Mitglieder. Für viele von ihnen ist das SPD-Urthema, nämlich die soziale Gerechtigkeit, zum Defensivthema geworden. Oskar Lafontaine ist gegangen, der Gesundheitsexperte Rudolf Dressler geht. Wo schlägt denn eigentlich aus Ihrer Sicht - des neugewählten SPD-Landesvorsitzenden in Brandenburg - das Herz der SPD?

    Platzeck: Also, ganz klar bei unseren drei Grundwerten - und das ist ja nicht erst heute so, sondern schon seit über einem Jahrhundert. Das ist die Freiheit, und das will ich ganz dick unterstreichen. Sie spielt für die ostdeutsche SPD vielleicht noch eine ganz besondere Rolle, weil wir uns natürlich in dem Streben nach Freiheit Ende der 80er Jahre zusammengefunden haben. Aber da steht gleichberechtigt Solidarität und Gerechtigkeit. Das sind die drei zentralen Werte, die sich auch bei dem Schreiben des neuen Grundsatzprogrammes beweisen werden als die festen Bogen, um die herum sich die SPD definieren muss. Und ich halte eigentlich überhaupt nichts davon, wenn man hin und wieder hört, dass das sozialdemokratische Jahrhundert oder Zeitalter vorbei wäre, sondern ganz im Gegenteil: Ich gehe fest davon aus, dass der Weg in die Wissens- und Informationsgesellschaft, der Weg in die immer schnelleren Entwicklungen - das nehmen wir ja deutlich wahr - sehr klar auch von Antworten begleitet werden muss, wie Solidarität und Gerechtigkeit neu organisiert werden können. Und ich will mich da auch niemandem ergeben, und das sollte man als Sozialdemokraten auch nicht tun, auch wenn man immer mit der großen Keule 'Globalisierung' behandelt wird nach dem Motto: Was soll denn Dein Land noch dagegen machen, wenn die Märkte nun mal sind wie sie sind, und die Konkurrenz - 'jeder gegen jeden' - das Leben bestimmt. Dann sage ich mal: Dann müssen wir eine klare Antwort dagegen setzen - mindestens europaweit, später weltweit, und Solidarität neu organisieren. Als Antrieb ist für mich da immer noch - außer dass es menschliche Dinge gibt in Fragen der Humanität -, als Antrieb ist auch, dass eine solidarisch durchlebte und organisierte Gesellschaft für mich auch immer - und das hat die Geschichte gezeigt - die wirtschaftlich vernünftigere ist . . .

    DLF: . . . also Solidarität als linkes Gedankengut. Also könnte man auch gleich fragen: Gibt es denn auch einen Platz für Oskar Lafontaine - Stichwort 'Das Herz schlägt links' - innerhalb der SPD?

    Platzeck: Also, ich glaube, diese Fragestellung, die Sie eben aufgeworfen haben und die ja wahrlich eine globale ist und die für die SPD auch die wichtigste Zukunftsfrage mit ist, hat nichts direkt mit Oskar Lafontaine zu tun. Ich habe seinen Abgang damals sehr bedauert; er hat der Partei damit auch einen 'Bärendienst' erwiesen. Ansonsten muss man sagen: Er ist Privatmann und hat mit der gegenwärtigen Debatte - glaube ich - zumindestens nichts Wesentliches zu schaffen. Ich wollte vorhin nur noch zu Ende sagen, dass diese Fragestellung, wenn wir diese mutig nicht nur stellen, sondern auch Antwortversuche finden - und ich erinnere an die Versammlung der linken Regierungschefs Europas, die sich ja gerade zu diesen Themen jetzt zusammengesetzt haben -, dann ist sozialdemokratische Zeitalter nicht zu Ende, sondern - wie Wolfgang Thierse neulich in der FRANKFURTER RUNDSCHAU so schön geschrieben hat -, dann fängt's gerade mal wieder an. Und dieser Überzeugung hänge ich auch nach.

    DLF: Sind denn Abgrenzungen notwendig oder möglich, oder wie finden Sie es, wenn die soziale Gerechtigkeit plötzlich von der CDU scheinbar okkupiert wird - Stichwort 'Rentenreform', Stichwort 'Steuergerechtigkeit'? Ist das Populismus oder politische Überzeugung?

    Platzeck: Also, beim Stichwort 'Steuergerechtigkeit' zum Beispiel, da kann ich im Moment die Haltung der CDU mir überhaupt nicht erklären, es sei denn, ich erkläre es mir ausschließlich aus parteitaktischen Erwägungen - wo ich sagen muss: Dazu ist diese Frage dann allerdings eine zu fundamentale, eine zu wichtige Frage. Die SPD war hier kompromissbereit, ist der CDU entgegengekommen, weil es hier zum Beispiel, und das sagen ja Wirtschaftsinstitute und Wirtschaftsverbände und nicht nur die Sozialdemokraten: Wenn am Freitag im Bundesrat die Steuerreform scheitert, dann muss man als Folge auch damit rechnen, dass dann ein halbes Prozent weniger Wirtschaftswachstum kommt - das hat zur Folge 150.000 weniger Arbeitsplätze, so dass ich mich frage: Wen vertritt eigentlich die CDU mit ihrer Verweigerung noch?

    DLF: Die Länder sind zwar parlamentarisch bei der Rentenreform nicht unmittelbar eingebunden. Aber vielleicht - ich sage es mal salopp- : der gebeutelte Osten könnte empfinden, dass die Rentenreform eine zusätzliche Belastung ist. Gibt es eine andere Wahrnehmung hier im Osten als im Westen, was zum Beispiel die Rentenreform angeht?

    Platzeck: Also, wir haben das ja im Bundesvorstand der SPD sehr heftig und ausführlich diskutiert; das Abstimmungsergebnis ist ja auch bekannt. Es war ein klarer Vertrauensbeweis - natürlich auch mit Gegenstimmen aus verschiedenen Richtungen - für dieses Konzept, für dieses Vorgehen. Wir müssen mal vielleicht nur ein paar Monate zurückgehen: Es ist ja höchste Zeit, dass wir endlich ehrlich hier miteinander umgehen, dass wir uns mal die Frage so stellen, wie sie im Leben nun mal steht, nämlich dass sich jeder an zwei Fingern abzählen kann, dass, wenn immer weniger Kinder auf die Welt kommen, während wir andererseits - und das ist ja unheimlich schön - immer älter werden durch Fortschritte in der Medizin, in der Lebensführung und so, dass wir dann ein Problem auf dem Tisch haben. Das hat sich ja Jahre oder Jahrzehnte niemand getraut, auszusprechen. Wir haben dieses Problem, und nun müssen wir Antworten finden, die darauf ganz klar eingehen. Und das heißt: Auf der einen Seite kann man natürlich den Standpunkt vertreten: Wir lassen die Rentenbeiträge, um die Umlagefinanzierung als allein seligmachendes Mittel zu erhalten, einfach weiter steigen. Dann müssten wir bald über 26, 28 oder 30 Prozent vom Brutto reden. Oder wir sagen auf der anderen Seite: Wir wollen hier ein Verbundmodell und bringen mehrere Säulen zum Tragen, was auch immer - da kann man ja in jede Theorie reingucken - immer mehr Stabilität bringt, wenn man sich nicht nur an eine Säule dabei bindet. Und die SPD hat sich hier klar bekannt dazu, das auf mehrere Säulen zu verteilen - dazu auch bis hin zur privaten Vorsorge, die dann langsam eintreten soll und wachsen soll. Und das finde ich als einen Schritt in genau die richtige Richtung. Ich meine, wie die Welt 2040 aussieht, wissen wir alle nicht. Aber wir müssen wenigstens für den Zeitraum, den wir überschauen können, die Weichen so stellen, dass wir mit heutigem Wissen sicher sein können, dass die, die heute einzahlen, auch noch die Chance haben, dann davon was zu bekommen. Das hat letztlich auch viel mit der Möglichkeit zu tun, weiter demokratische Politik zu machen. Hier muss man ehrlich sein. Man muss aber auch einen gewissen Mut haben und man muss auch mal, was nicht auf Anhieb populär ist, versuchen umzusetzen. Und da sind wir - glaube ich - als SPD im Moment in der Lage, wo man uns keinen großen Vorwurf machen muss.

    DLF: Aber das sind zwei gewaltige Happen, die da kurz vor der Sommerpause durchgezogen werden müssen - die Rentenreform und die Steuerreform. Hätte man wegen der psychologischen Aspekte, die eine Rolle spielen, nicht die Frage ein bisschen entzerren sollen - erst jetzt das eine, und später - im Laufe des Jahres sicherlich - das andere?

    Platzeck: Wissen Sie, ich habe eine andere Wahrnehmung da. Ich bin ja nun als Bürgermeister einer Stadt hier im Osten sehr viel mit Menschen zu Gange. Kommunalpolitik ist ja nun der direkteste Kontakt zum Bürger, und zum Wähler damit auch. Und meine Wahrnehmung ist eigentlich so, dass viele, viele sagen: Es wird Zeit, dass endlich was passiert. Letztlich ist doch die Abwahl von der Kohl-Regierung unter anderem auch aus dem Gefühl - auch wenn sich es jeder nicht intellektuell erklären konnte - aber wenigstens im Bauch war dieses Gefühl da, dass man wusste: Hier ändert sich so vieles in Deutschland und in der Welt - und wir reagieren politisch überhaupt nicht drauf, eben gerade auch bei Steuern und Renten, und wir verharren - 'Reformstau' ist ja das schöne Kürzel dafür - wir verharren in einem Zustand, der Deutschland langsam die Luft nimmt zum wirtschaftlichen und sonstigen Atmen. Und von daher ist die Bereitschaft, die ich zumindestens in Gesprächen wahrnehmen kann, bei ganz vielen Menschen da, zu sagen: 'Endlich passiert was, endlich drehen sich wieder die Räder'. Dann kann man sich immer noch darüber streiten, ob da jeder Schritt von jedem goutiert wird. Dazu ist ja auch eine demokratische Debatte auch da. Aber die Wahrnehmung, dass hier endlich Leute die Probleme auf den Tisch legen und sagen: 'Jetzt müssen wir sie angehen, wir können nicht fünf Jahre noch mal so tun' - nur schon wieder mit Blick auf die nächste Wahl - 'und wir lassen alles stillstehen', irgendwann ist das Rad dann gar nicht mehr zurückzudrehen, und darunter würden wir alle in Deutschland leiden. Von daher würde ich das überhaupt nicht so skeptisch sehen, sondern ich finde es richtig, und ich finde es auch richtig, dass wir das jetzt nicht über die Sommerpause zerreden lassen. Ich hoffe sehr, dass wenigstens große Teile der CDU noch zu der Einsicht kommen bis zum Freitag, dass es hier sehr wohl eine Schicksalsfrage ist.

    DLF: Aber der Erfolg der Steuerreform hängt auch von der Zustimmung im Bundesrat ab. In dem Fall werden vielleicht die Länder das 'Zünglein an der Wage' sein, die von großen Koalitionen regiert werden. Brandenburg ist da in einer sehr schwierigen Lage. Sie müssen den Koalitionspartner CDU in großen ostdeutschen Flächen im Auge behalten und dennoch die sozialdemokratische Reform oder die bündnisgrüne und rote Reform vorantreiben. Ist das nicht ziemlich schwierig für den SPD-Landesvorsitzenden?

    Platzeck: Also, Koalitionen sind ja per se nie ganz einfach. Das wussten wir aber vorher - egal, mit wem man sie jeweils macht. Da gibt es immer unterschiedliche Interessenslagen. Hier - glaube ich - wächst ein Problem heran, was von fundamentaler Natur ist, dass - ich kann mich da nur wiederholen - ich sehr hoffe, dass auch der CDU-Vorsitzende in Brandenburg, Jörg Schönbohm, mit klarem Blick einsieht, dass hier eine Zustimmung wirklich fällig ist, weil ansonsten gegen die Interessen des Landes Brandenburg und seiner Bürger gehandelt werden würde. Und ob sich das die CDU zumuten möchte - ich glaube es nicht. Und wenn, dann wäre das eine sehr, sehr schwierige Situation für die Regierung.

    DLF: Aber Sie sind zum Schweigen verurteilt. Das heißt, im Koalitionsvertrag steht: Wenn sich beide nicht einigen können, dann wollen sie sich enthalten im Bundesrat. Was tun, Herr Platzeck?

    Platzeck: Also, mein Position habe ich auf dem Parteitag am Wochenende ja klar zum Ausdruck gebracht. Hier ist nur eine sinnvolle Handlung möglich, nämlich die Zustimmung des Landes Brandenburg am Freitag im Bundesrat zu dieser Steuerreform, weil das wirtschaftlicher Aufschwung heißt, weil das mehr Arbeitsplätze heißt, und das heißt: Endlich Bewegung in diesem verkrusteten System, und zwar Bewegung in die richtige Richtung. Und ich bin da auch als Optimist per se der Überzeugung immer noch, dass die Koalitionsgespräche in den kommenden Tagen auch ergeben werden, dass es zu dieser Zustimmung kommt.

    DLF: Viele fragen sicherlich: Wann werden die Ostlöhne den Westlöhnen angeglichen? Die brandenburgische SPD hat gesagt, bis zum Jahre 2004 solle man sich festlegen. Manfred Stolpe ist da eher zögerlich, und der Koalitionspartner CDU will die Frage einstweilen offen lassen. Er meint sogar, der Verzicht des Westens ist der Gewinn des Ostens. Aber man muss Hoffnung machen. Was glauben Sie: Wann kann man denn die Lohnangleichung erreicht haben?

    Platzeck: Also, ich will da jetzt nicht im Kaffeesatz lesen, weil - Sie haben es selber gesagt - das eines der heute noch ungelösten Probleme der Vereinigung ist, und wir müssen auch mal dazu stehen, dass wir für dieses oder jenes Thema kein Patentrezept haben. Die Vereinigung hat stattgefunden ohne Modell und ohne Netz und doppeltem Boden, und einige Dinge sind halt nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Ich verstehe jeden, jeden einzelnen Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin, die sagen: 'Jetzt mal halblang. Ich mache hier eine Arbeit, die mindestens so qualitativ gut ist oder genau so schwer ist oder was auch immer, wie die Kollegen in Westdeutschland und will dafür jetzt auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit' - eine ur-sozialdemokratische Forderung. Und trotzdem muss ich sagen: Ich kann hier keine zeitliche Vorhersage treffen und kann nicht sagen, das wird im Jahre 2004 oder 2006 der Fall sein. Ich habe mir schon mal da gewaltig - sage ich mal - den Mund verbrannt, weil ich vermutet habe und nach allen Berechnungen, die mir da so zugänglich sind, dass aller Voraussicht nach diese Angleichung kurz vor dem Jahr 2009 nicht zu erreichen sein wird.

    DLF: Karriere des SPD-Newcomers Matthias Platzeck schafft ja offenbar nicht nur Freunde. Jeder, der Sie jetzt als 'Stolpe-Kronprinz' nennt und sogar von dem Planspiel spricht, Sie würden den Ministerpräsidenten gewissermaßen beerben - vielleicht sogar im Jahre 2003, also ein Jahr vor der neuen Landtagswahl -, will ja nicht unbedingt Ihr Bestes. Das kann man ja auch parteistrategisch sehen. Wie verhält man sich denn da eigentlich in der brandenburgischen SPD?

    Platzeck: Ja, ich sage also jedem, der mich da fragt - und Sie haben es ja gerade angedeutet -, die Frage kommt immer wieder und gehört so zu den Standard- und Lieblingsfragen - dass ich das nicht als das Thema sehe, was heute auf der Tagesordnung steht. Auf der Tagesordnung steht, dass ich im Hauptberuf Oberbürgermeister der Landeshauptstadt bin und im Ehrenamt Parteivorsitzender der Sozialdemokratie hier in Brandenburg. Das beides füllt den Tag nun wirklich mehr als nur gut aus. Ich habe in Potsdam noch eine ganze Menge vor. Wir haben beispielsweise im Jahre 2001 die Bundesgartenschau - im 50. Jahr dieser Bundesgartenschau - zu absolvieren. Wir erwarten über zwei Millionen Gäste zu diesem Anlass. Es wir die größte Veranstaltung sein, die Potsdam jemals realisiert hat. Sie wird die ganze Stadt mit einbeziehen und geht über ein halbes Jahr. Und das soll nur ein Beispiel dafür sein, dass wir da noch viel vorhaben. Und ich habe mich nicht dort als Oberbürgermeister wählen lassen, um nach zwei Jahren wieder abzuhauen.

    DLF: Sie werden alles auf sich zukommen lassen. Ich will dennoch einmal nachfragen: Käme jemand von den Parteistrategen und fragte Sie: 'Wollen Sie im Jahr 2004 das Land führen?' - Wie wäre Ihre innere Haltung? Wäre sie zumindest offen, oder wäre sie schon bald bereitwillig?

    Platzeck: Ich habe immer gesagt, dass meine politische Heimat - und das sage ich seit 10 Jahren - Potsdam und Brandenburg sind. Und meiner Voraussicht nach wird das auch so bleiben. Aber so ein Zeitraum - 2004 - ist gerade in der Politik einfach viel zu weit. Das sind noch über vier Jahre, und Sie wissen alle, was in solch einem Zeitraum passieren kann. Ich weiß, was in der Stadt, für die ich verantwortlich bin, passieren muss und was da auch noch an Arbeit drin steckt. Und lassen Sie mich noch etwas sagen: Das Thema 'Lebensplanung' ist ja auch so ein gerne zitiertes. Ich gehöre nun mal zu denen, die die nicht machen. Ich bin dabei übrigens nicht unglücklich und kenne andere Kollegen, die da sehr intensiv Planung betreiben und da immer ganz traurig sind, wenn es nicht funktioniert. Das kann auch zu innerem Verdruss führen. Dem will ich mich gar nicht aussetzen. Und als lebenspraktisches Beispiel kann ich immer sagen: Ich wusste ein halbes Jahr, bevor ich Oberbürgermeister in Potsdam wurde, noch nicht, dass ich es werde. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass es zu diesen Verhältnissen kommt. Und ich wusste auch vor einem halben Jahr nicht, dass ich jetzt an diesem Wochenende Landesvorsitzender der SPD werden sollte und nunmehr geworden bin. Also, was hätten alle Planungen und Vornahmen für einen Sinn? Es kommt dann am Ende so, wie es kommen soll.

    DLF: Aber Sie haben sich diesen Job zugetraut, nämlich den des SPD-Landesvorsitzenden. Sie kennen sich seit 46 Jahren - so alt sind Sie jetzt. Trauen Sie sich den Job des Ministerpräsidenten zu?

    Platzeck: Das wird dann die Zeit zeigen. Da muss man gucken, wie sich die nächsten Jahre entwickeln und wie sich das Geschehen hier im Landesvorsitz entwickelt. Ich bin immer der Meinung, dass jemand sich selber - aber auch von anderen sollte er das fordern - neuen Dingen erst dann und überhaupt nur dann zuwenden sollte, wenn er die, die er macht, einigermaßen gut macht. Und da werde ich jetzt erst mal gucken.

    DLF: Manfred Stolpe hat an dieser Stelle im Deutschlandfunk gesagt, er wolle sich im Jahre 2004 zwar wieder gerne zur Verfügung stellen, er glaube aber selber nicht, dass die Parteibasis ihn auffordern wird, dieses Amt noch einmal anzutreten. Woran liegt das eigentlich?

    Platzeck: Das weiß ich nicht; das müssen Sie Manfred Stolpe fragen. Ich kann nur sagen, dass wir in ihm einen Ministerpräsidenten haben, der unumstritten ist - innerhalb der Partei und auch in der Wählerschaft. Die Umfragen in Brandenburg zeigen das ganz deutlich. Die letzte sah Manfred Stolpe so bei 60 Prozent. Sein Stellvertreter von der CDU lag unter 20 Prozent. Also, da liegen Welten dazwischen. Das heißt, die Brandenburger wollen diesen Ministerpräsidenten haben. Ich bin froh, dass wir ihn haben. Und mehr steht im Moment nicht zur Debatte.

    DLF: Auch nicht die Frage, ob er gefragt werden könnte, und ob Sie vielleicht auch Seilschaften mobilisieren könnten. Sie als Landesvorsitzender müssen natürlich auch die Basis so vorbereiten, dass sie den richtigen Kandidaten wählen kann.

    Platzeck: Wissen Sie, wir stehen am Anfang dieser Legislaturperiode. Die Wahl ist noch nicht einmal ein Jahr her, und wir haben eine fünfjährige Legislatur. Das heißt, da läuft noch so viel Wasser die Havel runter und da ist noch so viel Politik zu machen; da ist das Land zu gestalten - und deshalb sollten wir uns jetzt die Zeit nicht damit verplempern, zu überlegen: Wer könnte mal in fünf Jahren vielleicht Ministerpräsident werden? Ich habe alles gesagt, was ich dazu sagen kann.

    DLF: Das verstehe ich. Berlin steht in der Landespolitik still, und es ist nicht neu, dass Fremde zur Hilfe gerufen werden. Das gilt ja neuerdings auch für Sie, aber das galt auch für Richard von Weizsäcker und Hans-Joachim Vogel. Wenn man den 'Kronprinzen', so nennt man Sie, und den 'Deichgrafen', aus Brandenburg in die Hauptstadt holen will, dann muss etwas nicht stimmen in der Hauptstadt. Sie selbst haben ja vor 'Berliner Verhältnissen' gewarnt in Ihrer Antrittsrede. Was ist denn da los in Berlin?

    Platzeck: Also, das kann ich von hier aus nicht so einschätzen, was da im Detail los ist. Die Situation bei unseren Freunden in Berlin ist mit Sicherheit keine übermäßig glückliche. Das kann man wahrnehmen. Wir - und das habe ich auch auf dem Parteitag gemeint in Oranienburg - müssen darauf achten, dass uns nicht ähnliches in dieser großen Koalition passiert. Die Bürger im Lande wollen, dass die Regierung regiert, dass etwas vorwärts geht, dass solide Politik gemacht wird, dass auch Innovationen Raum finden. Und dafür haben wir uns als Sozialdemokraten einzusetzen. Und in einer solchen großen Koalition - was immer eine schwierige Konstellation ist - wird man dann Punkte machen und beim Wähler bemerkbar sein, wenn man sich an die Spitze der Bewegung setzt und wenn man durch diese gute Politik auch deutlich machen kann, dass das auf Intensionen, auf Arbeit der Sozialdemokraten in dieser Regierung zurückgeht. Das haben vielleicht die Berliner Freunde in den letzten Jahren nicht so vermocht.

    DLF: Sie sprechen von Berliner Verhältnissen, die vermieden werden müssen.

    Platzeck: Ja, das meine ich damit, dass man sich hier auf eine Art und Weise unterbuttern lässt, dass man kaum noch wahrgenommen wird in der Stadt und nur der andere Partner wahrgenommen wird. Und so ging es doch eine Zeitlang unseren sozialdemokratischen Genossen in Berlin. Für mich ist auch eine innerparteiliche Voraussetzung, dafür zu schaffen, dass es so nicht wird, bzw. zu erhalten. Man wird nicht in die Situation kommen - oder zumindest ist die Gefahr geringer -, wenn man für innerparteiliche Offenheit sorgt und wenn man für klare und zielführende Seite 13 Debatten in der Partei sorgt, so dass jeder sich auch berücksichtigt fühlt und angenommen, aber - und das gehört genau so dazu wie beim Zwillingspärchen -: Wir müssen nach draußen dafür sorgen, dass wir geschlossen und zuverlässig erscheinen. Also, was Wähler und was Bürger überhaupt nicht mögen, ist, wenn man wie ein Hühnerhaufen durch das Land geht, sondern die wollen - ich sage es noch mal - ordentliche Politik für das Land gemacht haben. Und diesen Doppelpack - sage ich mal -, Offenheit nach innen, klare Diskussionen und auch gute Diskussionen und andererseits Zuverlässigkeit und Geschlossenheit nach draußen, das ist das politische Erfolgsrezept. Wenn wir das verlassen, dann wird es schwer.

    DLF: Und Sie meinen, Berlin hat es verlassen und das mag eine Warnung für Sie sein . . .

    Platzeck: . . . ich hatte den Eindruck, dass das eine Weile nicht mehr so beherzigt wurde, wie es hätte sein müssen.

    DLF: Was hat sich Brandenburg denn noch angetan bei Ihrer Fusionsdiskussion? Es hat ja gestern auf dem Landesparteitag geheißen, die Fusionsdiskussion habe auch dazu beigetragen, dass der Blick nach vorne eher beschränkt gewesen ist; man hat immer an dieses gemeinsame Land Berlin-Brandenburg gedacht.

    Platzeck: Also, dieses Projekt Berlin-Brandenburg ist ja ein Projekt, was Sinn macht und was gut ist. Aber wie das im Leben so ist: Noch wichtiger ist, dass die Bürger beider Länder davon begeistert sind. Nämlich dann wird es nur ein Erfolg. Wir müssen die Menschen - speziell in unserem Lande Brandenburg - dahinter bringen. Ich halte das auch deshalb für zwingend nötig, weil die Brandenburgerinnen und Brandenburger natürlich in einer Volksabstimmung gefragt werden - auch bei einem neuen Anlauf wieder gefragt werden -, ob sie dieses Projekt mögen. Wenn Sie mich da etwas hoffnungsvoll sehen, dann deshalb, weil ich so in den letzten ein/zwei Jahren doch wahrnehme, dass die Stimmung sich stückchenweise und sehr vorsichtig zugunsten dieses Projektes entwickelt. Das hat verschiedene Ursachen, wie die Ablehnung damals auch verschiedene Ursachen hatte - 1996. Zum einen denke ich, dass die positive Ausstrahlung von Berlin, die die Bundesregierung verursacht, ihr Scherflein dazu beiträgt. Aber es gibt auch eine zunehmende Vernetzung zwischen Berlin und Brandenburg. Das hängt mit vielen Umzügen zusammen, das hängt mit der Vernetzung des Arbeitsmarktes zusammen, unzählige Pendlerbeziehung zu Schulen, zu kulturellen Einrichtungen, wie auch immer. Und wenn wir das alles koppeln können mit einer vernünftigen Zusammenarbeit zwischen den beiden Bundesländern und mit einem wirtschaftlichen Aufschwung für beide Bundesländern in den nächsten Jahren, dann - glaube ich - kann daraus die Stimmung wachsen, dass man sagt: 'Und jetzt geben wir dem ganzen Geschehen noch den Drive, den eine Fusion noch dareinbringen könnte'.

    DLF: Können Sie da einen Zeitpunkt festlegen? 2004? 2009?

    Platzeck: Ich finde das kontraproduktiv, weil bei vielen Menschen wieder das Gefühl aufkommt: 'Die wollen uns da was überstülpen'. Ich glaube, das muss entstehen. Man muss den richtigen Zeitpunkt finden, indem man ihn dann aus den Stimmungen praktisch herausliest. Die sind natürlich fordernd und fördernd. Aber wenn man jetzt irgend etwas festzurrt, erzeugt man eher eine Abwehrhaltung nach dem Motto: 'Denen werden wir die Suppe schon versalzen da oben'.

    DLF: Die PDS verliert allmählich den 'Schmuddelkindcharakter'. Es gibt die SPD/PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. In Sachsen-Anhalt müssen sich die Sozialdemokraten auf die Duldung durch die PDS verlassen können. Selbst in Berlin referiert der CDU-Finanzsenator auf PDS-Veranstaltungen. Ist die Zeit gekommen, dass sich die SPD im Osten einen Ruck geben muss, was die PDS angeht?

    Platzeck: Wir werden uns auch immer wieder die Frage zu stellen haben - auf verschiedensten Ebenen, ob Kreis, ob Stadt, ob Land - mit wem Koalitionen, wo sie nötig sind, denn ausgeübt werden. Für mich ist da keine Bremse irgendwo gegeben. Man muss allerdings sich die Frage stellen, wo und mit wem können wir mehr umsetzen und mehr durchsetzen. Diese Frage ist ganz nüchtern jeweils zu beantworten. Für die Koalition hier in Brandenburg haben wir sie im letzten Jahr beantwortet. Das ging zugunsten der CDU aus. 2004 wollen wir die absolute Mehrheit wieder haben. Und wenn wir sie nicht erreichen sollten, wird wieder die Frage entstehen, mit wem wir koalieren. Und da sind wir - glaube ich - völlig offen.

    DLF: Die Frage stellt sich nicht, welche Option die SPD hat, ob sie mit der CDU verkümmern soll oder ob sie vielleicht einen ganz neuen Weg einschlägt und der PDS doch noch ein Angebot machen kann?

    Platzeck: Also, ich habe nicht den Eindruck, dass wir im Moment am Verkümmern sind, ganz im Gegenteil. Und deshalb steht die Frage so nicht. Aber ich sage noch einmal: Parteien, die zum demokratischen Spektrum zählen - und da zähle ich die PDS dazu -, die haben alle Chancen, Partner zu sein.

    DLF: Wäre die Bisky-PDS von heute denn schon jetzt ein potentieller Partner für Sie?

    Platzeck: Also, da ist ja bekannt, dass ich an verschiedenen Punkten da meine Kritiken habe. Die PDS hat auch Kritiken an uns. Aber ich denke, dass insbesondere das wichtige - auch sozial - bestimmte Thema 'Haushaltskonsolidierung', denn wer einen Sozialstaat haben will, muss ihn auf sichere Füße stellen, dieses Thema schien mir und scheint mir derzeit mit der PDS noch nicht so verhandelbar, dass es auch zu einer soliden Ausfinanzierung führen könnte. Das ist nun einmal die Basis allen vernünftigen Handelns.

    DLF: Wie modern, transparent und vom 'Kungelmief' befreit muss die SPD eigentlich werden?

    Platzeck: Also, einen Querkopf darein holen, finde ich völlig in Ordnung - jemand von außen - Quereinstiger, Querdenker - der dann auch uns nahesteht, aber aus verschiedenen Gründen warum auch immer sagt, er will da nicht Parteimitglied sein. Aber als Regelfall kann ich mir das nicht denken. Es muss schon so sein, dass jemand, der politisch aktiv werden will, der auch Lust hat, richtig seine Abende da ans Bein sich zu binden und zu sagen: 'Ich ziehe mit Euch durch die Stadt', der muss auch die Chance haben, da mal politisch Verantwortung zu tragen.