Platzeck: Nun, das habe ich ja nicht am 2. Dezember 2001 erfahren, sondern das war von Manfred Stolpe schon sehr lange ins Kalkül gezogen, und darüber hat er auch schon vor Jahren mit mir gesprochen. Also, am 2. Dezember ging es nicht um den Fakt an sich – dieses, sage ich mal, sogenannten Stabwechsels –, sondern es ging um die Terminierung. Denn er hat immer gesagt: "Zur Hälfte der Legislaturperiode ist der beste Termin." Für viele Fragen ist nun mal auch der Zeitpunkt entscheidend, und für Manfred Stolpe stand immer fest, nicht am Ende einer Legislaturperiode diesen Stabwechsel einzuleiten, sondern in der Mitte einer Legislaturperiode. Und dafür gibt es ja auch eine Menge guter Gründe.
Smuda: Ihr Innenminister und CDU-Koalitionspartner Jörg Schönbohm sagte zum Abschied von Manfred Stolpe: Zwischen dem 65-jährigen Christdemokraten und dem knapp 16 Monate älteren Ministerpräsidenten, dem Sozialdemokraten Manfred Stolpe, habe es eine große Schnittmenge gegeben, eine gemeinsame Schnittmenge. Gibt es die, nicht nur politisch, auch zwischen Ihnen und dem wesentlich älteren Jörg Schönbohm?
Platzeck: Also, man muss ja mal vorausschicken, dass eine Koalition im politischen Raum selten etwas, sage ich mal, mit übermäßiger Zuneigung zu tun haben muss; die kann im Ausnahmefall sich noch einstellen – sondern das sind meistens Sachbeziehungen. Man will gemeinsam ein politisches Projekt auf den Weg bringen und man hat sich vorgenommen, dieses Land gut zu regieren ...
Smuda: ... gilt das denn auch für Ihr gutes Verhältnis zum Bundeskanzler, das Ihnen nachgesagt wird?
Platzeck: Was mein Verhältnis zu Gerhard Schröder angeht, das ist natürlich anders basiert, sowohl persönlich als auch politisch. Aber das heißt gar nicht, dass ich mit Jörg Schönbohm nicht sehr vernünftig zusammenarbeiten werde. Und wir haben uns da – um es etwas salopp zu sagen – auch gut zusammengerauft und kommen gut miteinander aus.
Smuda: "Man sollte nicht darüber reden, sondern, wenn es so weit ist, sollte man es tun" – das klingt fast wie eine Drohung, Herr Ministerpräsident Matthias Platzeck, zumal Sie ja sagten, im Kabinett werde sich einstweilen nichts ändern. Sind solche Drohgebärden notwendig? Liege ich da falsch, wenn ich sage, das klingt wie eine Drohung?
Platzeck: Das hat mit Drohung gar nichts zu tun, sondern ich wollte ein für alle mal einen Strich unter die Flut von Journalistenanfragen ziehen. Diese Anfragenflut ging nicht so sehr dahin, welche politische Richtung, welche politischen Projekte, welche schwierigen Fragen sind zu klären, sondern die ganzen ersten Tage meiner Amtszeit waren davon überlagert: Wen werden Sie wann auswechseln und aus welchem Grunde? Und deshalb habe ich, um ein für alle mal hier wirklich diesen Strich ziehen zu können, gesagt: Über so etwas redet man nicht – das gilt nicht nur für mich, deshalb ist es auch keine Drohung, sondern es gilt für alle, die im politischen Raum sind, zumindestens denke ich, wenn sie es einigermaßen gut machen: Über Personalien redet man nicht, sondern wenn Personalien anstehen, sind sie zu entscheiden. Und damit möchte ich diese Fragen in Summa beantwortet haben.
Smuda: Bei aller Loyalität zu Ihrem Vorgänger Manfred Stolpe: Würden Sie sagen, dass Sie jetzt im Jahre 12 des Landes Brandenburg ein schweres Erbe antreten?
Platzeck: Ja, das hat mit Manfred Stolpe eigentlich gar nichts zu tun. Manfred Stolpe hat gemeinsam mit Regine Hildebrandt und vielen anderen in diesem Land in der Aufbauphase sehr gute und tragfähige Fundamente gelegt – in schwierigsten Zeiten. Denn an eines muss man immer wieder erinnern: Das, was hier an Umbruch stattgefunden hat und weiter stattfinden wird in diesem Land, ist ohne Beispiel. Dafür gibt’s weder ein Drehbuch noch ein richtiges Rezept. Wenn wir alleine so eine Kennzahl nehmen, die für andere Bereiche auch gilt: Wir hatten vor 12 Jahren noch über 200.000 Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt in Brandenburg, heute sind es 30.000. Das zeigt in etwa die Tiefe des Umbruchs. Also, das schwere Erbe hat nichts mit dem Vorgänger zu tun, sondern einfach mit der Situation. Und Manfred Stolpe hat selber gesagt: "Ein schwieriger Weg liegt hinter uns, und ein genau so schwieriger Weg wird noch in etwa vor uns liegen."
Smuda: Sprechen wir von Visionen – "ein schwieriger Weg liegt noch vor uns": Wie sollte das Land in der Vision von Matthias Platzeck in zehn Jahren aussehen?
Platzeck: Wenn ich von einem ‚modernen‘ Land spreche, dann meine ich, dass unser Weg – für mich übrigens der einzige Weg, der stabil in die Zukunft führt, aber eben auch ein schwieriger und ein Weg, der langen Atem braucht – nur über die Kette gehen kann, dass wir große Aufmerksamkeit der Bildung und der Ausbildung widmen, dass wir Wissenschaft und Forschung einen hohen Stellenwert beimessen, weil aus dieser Kette heraus erst das passieren kann, was dem Land wirklich eine gute Zukunft sichert, nämlich die Ausgründung von kreativen Menschen, die Mut haben, mit neuen Technologien und neuen Produkten hier eine Wertschöpfung zu installieren in diesem Lande, die von hoher Qualität ist und dann auch dafür sorgt, dass Handel, Handwerk und Gewerbe erblühen. Ich will damit unter anderem auch ausdrücken, dass – um ein Beispiel zu nennen – das, was man ‚verlängerte Werkbank‘ nennt, nicht mehr lange unsere Zukunft wird sichern können, denn jemand, der heute noch aus Westeuropa oder wo auch immer herkommt, eine reine Fertigungsstätte errichten möchte, der guckt natürlich zunehmend viel weiter östlich, als es Brandenburg ist - das hat mit Lohnfragen und anderen Dingen zu tun -, so dass wir Stück für Stück, und auf dem Wege sind wir ja auch schon, das fangen wir nicht neu an, sondern da gibt es ja auch schon erste gute Zeichen auch dafür, dass so ein Weg funktionieren kann, dass wir Stück für Stück auf diesem qualitativ schwieriger zu erreichenden, aber am Ende eine bessere Zukunft versprechenden Weg gehen müssen ...
Smuda: ... mit Berlin wahrscheinlich. Aber die Front der Gegner einer Fusion wird ja stärker. 46 Prozent der Brandenburger sind gegen eine Länderehe, in Berlin sind es 24 Prozent. Wie kommt eigentlich diese Ablehnung zustande? Das kann doch nicht nur an den Berliner Schulden liegen.
Platzeck: Eines muss man vielleicht von vornherein klären: Es ist keine Besonderheit, das können Sie in anderen Regionen auch sehen, dass ein relativ doch dünn besiedeltes Umland einer Metropole – dieser Unterschied in den Besiedlungsgraden ist ja in Deutschland einzigartig, aber auch da, wo er schwächer ist, kann man so eine Entwicklung beobachten, dass die Bewohner des Umlandes immer eine gewisse Reserviertheit gegenüber denen haben, die in dieser Metropole zu Hause sind. Und dann kommen ja noch so tradierte Vorurteile dazu – über Jahrhunderte übrigens tradiert, dass man sagt: Die Berliner haben immer eine große Klappe, behaupten immer, Recht zu haben, sind sehr raumfüllend. Das sind Schemata, die sind einfach auch in den Köpfen und die kriegen Sie aus der Region auch schwer raus ...
Smuda: ... nicht bis 2009 vermutlich ...
Platzeck: ... ein zweiter Punkt, den muss man auch sehen, dass ja Berlin noch in seiner Region eine Sonderrolle spielt - Ostberlin hat die Jahrzehnte gespielt als Hauptstadt der DDR; da gibt es immer noch ein paar Ressentiments in den Köpfen. Auf diese Situation drauf kommt natürlich noch die von Ihnen schon angesprochene Finanzsituation Berlins, die im Moment natürlich niemanden einlädt, zu sagen: "Wir wollen hier einen gemeinsamen Weg gehen." Aber alles dieses hebt eins nicht auf, hebt nämlich nicht auf, dass man mit Blick auf die Landkarte, mit Blick auf die Vernetzung zwischen Berlin und Brandenburg, mit Blick auf die zunehmende Verschränkung, was Institutionen, Vereine, Verbände angeht, die ja vielfach schon heißen "Berlin-Brandenburg" jeweils, dass also hier eine Art der Zusammenarbeit ganz automatisch entsteht, die zu irgend einem Zeitpunkt ganz automatisch dazu auffordert ...
Smuda: ... steuern Sie den Zeitpunkt 2009 für die Fusion denn an, oder glauben Sie, dass man da noch eine Toleranz braucht in den Zeiträumen?
Platzeck: Also, ehe wir über Zeitpunkte reden, sollten wir ganz klar sagen: Es gibt eine Grund- und Vorbedingung, um hier wirklich mit gutem Gewissen und frohem Herzen werben zu können – und das heißt, es muss den Brandenburgern klar sein, sie müssen da klar sehen, dass die Finanzsituation Berlins sich so verändert, sich so verbessert, dass wir auf gleicher Augenhöhe in ein solches Projekt gehen können. Gleiche Augenhöhe heißt für mich: Auch Brandenburg ist ja keine Jungfer in weißem Kleide, was Verschuldungen angeht, aber es muss von den Größenordnungen her so sein, dass jeder das gleiche Päckchen – pro Kopf gerechnet – in etwa, das kann man nie 1 : 1 übertragen, mit sich trägt – in eine solche Vereinigung hinein. Das ist im Moment noch nicht absehbar für uns am Horizont, und deshalb ist die Frage, das jetzt schon mit Jahreszahlen zu versehen, etwas verfrüht. Ich will noch eine zweite Bedingung nennen. Wir haben ja 1996 auch Schiffbruch erlitten mit den Fusionsbestrebungen, weil es von vielen Bürgern gesagt wurde – das war mehr so eine Kopfgeburt, es kam mehr von oben. Und deshalb gibt es ja im Moment eine ganze Menge Initiativen, und nur das kann auch Erfolg versprechen. Diesen Gedanken des Zusammengehens von unten wachsen zu lassen. Verein Perspektive gründet sich ja an mehreren Stellen des Landes und in Berlin, und ich glaube, das ist auch der einzig erfolgversprechende Weg. Und dann werden wir sehen, wie das wächst, wie sich das entwickelt. Und dann müssen wir die vernünftigen Zeitpunkte herausfiltern und es dann auf dieser Basis tun.
Smuda: Das ist das eine Großprojekt, das andere Großprojekt ist noch eher wirtschaftlicher Art. Die Zeit der Großprojekte sei vorbei, haben Sie zu Ihrem Amtsantritt gesagt. Blicken Sie erst einmal mit Entsetzen auf den Cargolifter – auf das Insolvenzverfahren dort, auf den Lausitzring – auf das Insolvenzverfahren dort und sagen sich: Wir brauchen eine neue Wirtschaftspolitik?
Platzeck: Also, Entsetzen hilft in der Politik nicht weiter, und deshalb gucke ich da auch nicht entsetzt drauf, sondern sage einfach: Wir haben ein schwieriges Problem, und ein schwieriges Problem schreit immer dann nach Lösungen. Und um die bemühen wir uns auf vielen Ebenen. Und da ist noch lange nicht Matthé am letzten, weil – Sie haben ja vielleicht gerade gehört, dass für Cargolifter, zumindestens für Teile dessen, was man sich da vorgestellt hat an Technologie und Produktion, es durchaus Möglichkeiten gibt, sie vielleicht das Licht der Welt erblicken zu lassen ...
Smuda: ... aber Boing hat abgewunken und Käufer sind auch nicht in Sicht, die vielleicht das ganze Projekt retten können ...
Platzeck: ... die Hoffnung stirbt zuletzt, und wir sind, glaube ich, immer gut beraten auf diesen Sektoren. Wir haben viele abrupte Wendungen in wirtschaftspolitischen Fragen und bei Einzelprojekten in den letzten Jahren erleben können. Und deshalb werden wir hier auch nicht aufgeben. Und beim Lausitzring will ich noch dazu sagen: Dieses ist ein Projekt, was auf Langfristigkeit setzt. Der Lausitzring wird die Wirkung in der Region entfalten, und wer sich vergleichbare Dinge anguckt wie den Nürburgring, da haben ein oder zwei Jahre auch nicht ausgereicht, um genau diese Rolle dann in der Region zu spielen, sondern da hat es 10 oder 15 Jahre gedauert. Und deshalb soll man auch mit dem Lausitzring etwas geduldiger sein. Und die Annahme, die manchmal so mitschwingt - auch bei Journalistenkollegen von Ihnen -"nun ist die Betreibergesellschaft insolvent, also wird der Lausitzring aus der Landschaft verschwinden": Ich kann nur jedem raten, zum Beispiel zur Tourenmeisterschaft zu gehen. Und man wird sehen: Dieser Lausitzring steht so fest in der Landschaft, der wird nicht verschwinden. Es wird lediglich die Frage sein, in welcher Form und durch wen er betrieben wird.
Smuda: Wann werden Sie denn vielleicht zum ersten Mal zum Großflughafen Berlin-Brandenburg-International gehen? Neue Köpfe – in Berlin Klaus Wowereit, in Potsdam Matthias Platzeck. Halten Sie uneingeschränkt an dieser Idee des Großflughafens fest?
Platzeck: Was als Tagesaufgabe ansteht – und es hat ja da einige Veränderungen auch gegeben, nicht zuletzt hat der 11. September nochmal für mehr Bodennähe bei solchen Betrachtungen gesorgt –, was als Tagesaufgabe ansteht, ist, dass der Flugverkehr in Berlin und Brandenburg einen Punkt braucht, an dem er sich kristallisieren kann, an dem er stattfindet. Und das ist nach Lage der Dinge Schönefeld, und deshalb ist das, was an Ausbaugedanken da vorhanden ist, weiterhin sehr sinnvoll. Und wir werden das mit aller Kraft verfolgen, und ich glaube auch, dass es am Ende ein Projekt sein wird, was der Region von großem Nutzen sein wird.
Smuda: Ohne Abstriche, in der gleichen Dimension wie geplant?
Platzeck: Wissen Sie, wer heute von Abstrichen spricht oder sagt "ohne Abstriche": All diese Prozesse sind dynamische Prozesse.
Smuda: Ich versuche mal diesen Übergang vom Flughafen. In den Regionen gibt es auch viele Landwirte, und die EU-Agrarreform nähert sich auch dem größten ostdeutschen Flächenland Brandenburg. Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast hat gesagt: "Na und, dann könnte man doch die großen Betriebe teilen, und vielleicht kann jeder in den Genuss der angekündigten oder projektierten 300.000 Euro maximaler Förderungsgröße kommen." Das könnte die ganze Struktur von Brandenburg. Was halten Sie denn von solchen Ideen aus Brüssel?
Platzeck: Also, man muss dazusagen, was da konzipiert ist in Brüssel und von Fischler in den letzten Tagen auch in die Öffentlichkeit gebracht wurde, hat ja auch positive Aspekte. Die Ausrichtung, in die langfristig die Landwirtschaft in Europa gehen soll, die teilen wir auch und auch der Landwirtschaftsminister unseres Landes. Aber es gibt Punkte dabei, die für uns schlicht restlos unakzeptabel sind, worüber wir schon intensiv vor Jahren gesprochen haben und sie schon einmal haben überzeugen können, die Damen und Herren in Brüssel, dass das einfach nicht zutrifft, die Unterstellung, die damit verbunden ist und das nicht hinnehmbar ist, was an Folgen ist. Die haben von der Kappungsgrenze 300.000 Euro gesprochen und davon gesprochen, dann könnte man Betriebe ja teilen. Ich muss einfach an der Stelle mal sagen: Warum sollen wir solch einen Unsinn machen, wenn das, was da ist, gut funktioniert und die eigentlich angestrebten Zielfunktionen, die die EU im Kopf hat – dass vernünftige Produkte entstehen, dass möglichst viele Arbeitskräfte tätig sind, dass die ökologische Frage nicht außen vorbleibt: Wer sich Betriebe, die bei uns betroffen wären – und das sind immerhin 268 mit über 11.000 Arbeitskräften und 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, das muss man sich alles mal vor Augen führen –, wer sich diese Betriebe anguckt, wird feststellen: Alles das, was da immer noch an Unterstellungen mitschwingt, das wäre industrialisierte Landwirtschaft, hier einfach nicht zutrifft. Industrialisierte Landwirtschaft finden wir manchmal bei viel kleineren Betrieben, die wenig Fläche haben und wo die Tiere eben weder einen halben noch ein Hektar zur Verfügung haben, um sich richtig auf der grünen Wiese auszutun – ich erinnere an Rinderhaltung in Vechta und in anderen Gegenden. Brandenburger Betriebe erfüllen längst viele der Bedingungen, die man sich in Brüssel vorstellt.
Smuda: Im November werden Sie Herrn Fischler in Brüssel besuchen, Sie werden ein Gespräch haben, so wie es geplant ist. Entwickeln Sie doch mal Forderungen ...
Platzeck: ... das ist sehr einfach, denn die haben wir alle schon mal gestellt, zum selben Thema. Wir haben immer gesagt, diese Kappungsgrenzen sind kontraproduk-tiv, sie fördern nicht das – zumindestens bei unseren Besonderheiten – sie fördern nicht das, was Fischler eigentlich will und was ich in Teilen – wie gesagt – auch völlig akzeptieren kann, sondern hier werden Strukturen, die für vernünftige Produkte sorgen, für ökologisch orientierte Produktionsweisen zerschlagen und damit für uns auch das Rückgrat, der Belebung des ländlichen Raumes, hochgradig gefährden. Und genau das will ja Franz Fischler eigentlich alles nicht. Und deshalb muss man, wenn man solche Regelungen eruiert, auch mal gucken: Wie können wir in dieser Region zu diesen Zielen kommen, die wir haben wollen, und wie konterkarieren wir sie. Und dann will ich auch noch mal was zum Verfahren sagen: Wir haben uns gerade vor zwei Jahren verständigt, wie es laufen soll bis 2006. Und Landwirtschaft ist nun eine der Produktionen, die wirklich auch Verlässlichkeit brauchen, weil – das ist nicht wie bei einer technischen Produktion, bei der man auch mal alle halbe Jahre die Maschinen anders justieren kann und umstellen kann. Und ich wünsche mir sehr, dass wir wenigstens diesen 6-Jahreszeitraum auch mal einhalten, damit die landwirtschaftlichen Betriebe planen können, damit sie anbauen können und damit sie vernünftig sich auch aufstellen können. Die Unruhe, die jetzt reingebracht wird, richtet einen erheblichen Schaden an, und den sollte man im gemeinsamen Interesse, auch im Interesse der EU und des Ansehens der EU, wirklich mit aller Kraft vermeiden.
Smuda: Außerhalb der Grenzen Brandenburgs geht’s Ihnen um Dreierlei: Um Polen, Polen und Polen, und die Agrarreform wäre natürlich auch ein nützliches Werkzeug, um den polnischen Partner in besonderer Weise zu fördern. Aber die eigene Scholle ist immer wichtiger als die andere, oder?
Platzeck: Nein, mir geht es einfach darum: Wenn irgendwo eine vernünftige Struktur entstanden ist, eine Struktur, die sich begründet, die sowohl geschichtliche Begründung hat – und da soll man ja auch ein bisschen gucken, dass das eine sinnvolle Entwicklung war –, die sich mit Bodenqualitäten begründet, die sich aber auch mit einer vernünftigen Strukturbildung und Arbeitsplatzsicherung im ländlichen Raum beschäftigt, dann sage ich, das ist überhaupt nicht gegen Polen gerichtet, kein bisschen - dass das dann auch erhalten werden muss, weil das erst einmal ein Stabilitätsfaktor ist, den man doch nicht künstlich wieder, weil man woanders Hilfe leisten will, in Frage stellen darf. Und ich sage mal so ein bisschen salopp: Man kann nicht, weil man hier was Gutes tun will, mit dem Hintern das einreißen, was sich gut entwickelt hat. Und ein zweiter Punkt, den muss man hier auch noch sagen: Wenn wir Gelder umlenken wollen – und das ist ja auch so ein bisschen das Ziel – in vernünftige Entwicklungen des ländlichen Raumes hinein, und das will ja Fischler, und das ist an sich auch eine sinnvolle Sache, dann muss man sagen: Wenn Gelder im Moment schon so fließen, dass sie für vernünftige Beiträge sorgen im ländlichen Raum, dann muss man sich das mit dem Umlenken sehr überlegen. Und ansonsten gilt natürlich, das verhehle ich überhaupt nicht: Wir haben hier unsere landwirtschaftlichen Betriebe zu vertreten, wir haben unseren ländlichen Raum zu entwickeln – und da bin ich auch rückhaltlos dabei.
Smuda: Der polnische Ministerpräsident Miller hat die Forderung von CDU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber zurückgewiesen, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Deutschen in ihre Heimat zurückkehren zu lassen. Das betrifft ja fünf Millionen Deutsche. Wie soll man mit dieser Frage umgehen, wenn die Wunden hüben und drüben nicht verheilen können und ein solcher Vorschlag von Edmund Stoiber kommt?
Platzeck: Also, ich halte diesen Vorschlag für überhaupt nicht zeitgemäß, denn hier muss ja mal die Frage auch erlaubt sein, wer dieses eigentlich noch wollte. Und es ist heute jedem möglich – jedem Bürger von beiden Seiten –, dort hin zu reisen, wo er Erinnerungen mit verknüpft, sich auch Verbindungen dorthin wieder aufzunehmen und auch in dieser Form auch Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Aber dieser Vorschlag ist für mich so weit jenseits der Realität, dass ich Millers Reaktion auch verstehen kann. Für mich liegt der Schlüssel, um hier endlich auch zu einer wirklichen, zu mehr Verständnis und zu einer wirklichen Entspannung zu kommen, darin – und das hat ja vor wenigen Tagen auch in Breslau in Teilen zum Beispiel stattgefunden –, dass man europäische Geschichte als Ganzes begreift. Vertreibung muss genannt werden, ganz klar. Was Unrecht ist, muss auch Unrecht genannt werden, da bin ich ganz klar auf der Seite derer, die das tun. Aber man muss bei Vertreibungssachverhalten auch mal sehen: Wer ist denn alles wohin vertrieben worden und welche Ursachen hatte es. Und da hat es in Breslau Begegnungen gegeben, die ganz deutlich gemacht haben – dorthin sind ja auch Menschen vertrieben worden, in dem Fall von heute russischen Gebieten oder ukrainischen Gebieten –, und dieses muss mal im Verbund gesehen und aufgearbeitet werden. Und über allem sollte wirklich im Jahre zwei des neuen Jahrtausends der Versöhnungsgedanke und nicht der Gedanke stehen, das müsste man alles wieder zurückdrehen. Große Teile der Geschichte sind eben Geschichte und werden sich nicht zurückdrehen lassen. Man sollte nach vorne arbeiten und auf Versöhnung aus sein, weil ich glaube, dass das all denen, die da großes Unrecht erlitten haben, auf allen Seiten am meisten auch dient.
Smuda: Geht die Arbeit nicht zum Menschen, muss der Mensch zur Arbeit gehen. Das betrifft auch die Abwanderung aus Brandenburg. Was kann man tun, damit die Menschen in Ihrem Lande Brandenburg bleiben, Herr Ministerpräsident?
Platzeck: Das, was ich vorhin versucht habe, in zwei, drei Sätzen schon zu schildern. Das wird ein langer und mühsamer Weg. Wir müssen es erreichen, dass insbesondere junge Menschen das Gefühl wieder entwickeln können, dass dieses Land ihnen eine Perspektive bietet, dass dieses Land ihnen auch mittel- und langfristig berufliche Chancen gibt. Dazu gehört als Grundvoraussetzung, und darum bemühen wir uns ja nicht erst seit heute, sondern schon seit Jahren sehr intensiv, dass das Ausbildungsplatzangebot stimmt. Ich habe mich auch sehr vehement innerhalb der Sozialdemokratie dafür eingesetzt, dass das Jump-Programm eine Fortsetzung erfährt, weil das eine wichtige Begleiterscheinung, ein wichtiger Rahmen, diese Ausbildungsplatzzahl und -qualität auch zu sichern. Das Zweite ist, über den vorhin geschilderten Weg – Bildung, Forschung, Wissenschaft und Ausgründung –, dass hier intelligente und anspruchsvolle Wertschöpfung, verbunden mit den Arbeitsplätzen, im Lande zunehmend Raum greift. Wir haben ja ein Beispiel, wo es fast exemplarisch exerziert und vorgeführt werden kann, nämlich die Chipfabrik in Frankfurt/Oder, wo wir ja alle davon ausgehen, dass sie ein Produktionsort sein wird, wo hochrangige Wertschöpfung von über Menschen ausgeübt wird. Und lassen Sie mich noch einen dritten Punkt nennen, der auf jeden Fall mit beachtet werden muss: Der Geburtenknick von 1990 schiebt sich ja langsam jetzt durch die Schulen, macht uns viele Probleme bei der Schulentwicklungsplanung – aber, da beißt die Maus keinen Faden ab: Dieser Geburtenknick wird sich nun auf dem Arbeitsmarkt durchschieben und den so in drei, vier Jahren erreicht haben. Und da kann man heute nur allen Unternehmern sagen, allen Betriebsleitern: ‚Sorgt dafür, dass Ihr junge Leute jetzt festhaltet, dass Ihr junge Leute jetzt ausbildet. Ihr werdet sie in einigen Jahren dringend brauchen.’
Smuda: Das Kaninchen, das aus dem Zylinder gezogen wird, heißt ‚Hartz-Kommission‘. Das Versprechen ist ja verlockend: Innerhalb von drei Jahren soll die Arbeitslosenzahl halbiert werden. Das bedeutet Umschichtung, das heißt auch, Arbeitsmöglichkeiten zu nutzen. Was tut man denn eigentlich mit einem solchen Konzept in einem Lande, in dem es viel zu wenig Arbeit gibt?
Platzeck: Also, zum einen kann bessere Vermittlung, intelligentere und schnellere Vermittlung nie schaden. Und dann muss man ja auch sagen: Es gibt strukturschwache Regionen auch in Westdeutschland, und deshalb geht es uns darum und ging es uns darum, dass die vielen guten Vorschläge der Hartz-Kommission, hinter denen ich auch stehe, erweitert werden, ein weiteres Modul fahren – hin zu Möglichkeiten, was in strukturschwachen Regionen zu machen ist. Und wenn ich Wolfgang Tiefensee und Peter Hartz selber richtig verstanden habe, wird genau daran in diesen Tagen gearbeitet, bis zum 16. August ein sogenanntes 14. Modul noch dazu getan. Und dann kann man nur sagen, dann ist es eine sehr gute Sache. Diese Vorschläge, die sollte man dann auch möglichst schnell und unbürokratisch ins politische Leben einführen – so, dass danach gehandelt werden kann. Denn eines steht fest: Jeder Vorschlag – und da bin ich sehr froh, dass das ohne Tabus und Scheuklappen diesmal passiert ist – jeder Vorschlag muss alleine daraufhin ausgeleuchtet werden: Bringt er mehr Menschen in Arbeit? Das ist das Wichtigste, das vor uns steht. Und das wird auch das Wichtigste bleiben.
Smuda: Tabus und Scheuklappen: Wenn die PDS kommt und sagt, wir können mit Euch gemeinsam Euer Arbeitsmarktpapier realisieren – konkret auf dieses Beispiel bezogen –, wäre dann die PDS auch ein wichtiger Koalitionspartner?
Platzeck: Auf Bundesebene ist es undenkbar; das ist vielfach beschrieben, das ist mehrfach begründet worden. Das hat mit Sicherheits- und außenpolitischen Fragen und auch anderem zu tun.
Smuda: Und auf Landesebene ... ?
Platzeck: Auf Landesebene steht die Frage einfach nicht an. Wir haben hier eine Koalition, wir haben eine Koalition, die sich solide eingearbeitet hat, die gute Arbeit leistet. Wir werden diese gute Arbeit bis 2004 erfolgreich fortsetzen, und dann wird der Wähler sprechen.
Smuda: Die PDS könnte genau so gut sein wie die CDU bei der nächsten Wahl. Wenn beide seriös – zukunftszugewandt, wie man heute sagt – auftreten und sich als Koalitionspartner dem Ministerpräsidenten dann andienen?
Platzeck: Wenn Sie mich als Parteivorsitzenden der SPD fragen - und das bin ich ja - und wenn es um Wahlen geht, dann natürlich auch, dann werden wir ein großes Ziel bei den Wahlen 2004 haben, nämlich ein möglichst gutes Ergebnis für die Sozialdemokratie in Brandenburg erreichen. Alle anderen Gespräche haben ihren Platz immer nach 18 Uhr am Wahltag.
Smuda: Manche Gespräche – jetzt die letzte Frage – könnte man auch heute führen, und zwar: Der SPD ist ein gewaltiger Aufschwung gelungen durch die Wahl des Matthias Platzeck zum Ministerpräsidenten. 40 Prozent würde die SPD jetzt hier einfahren. Fallen vielleicht auch ein paar Punkte für Gerhard Schröder ab?
Platzeck: Also, Stimmungsverbesserung kurz vor der Bundestagswahl ist immer gut, ist auch für die Bundestagswahl gut, ist für Gerhard Schröder gut. Und ich bin mir sicher: Wir haben den besten Kanzler im Moment, den wir haben können. Und ich bin mir auch sicher, dass wir denselben besten Kanzler auch nach dem 22. September weiter haben werden. Und das wird gut für Deutschland sein.
Smuda: Auch durch Ihre Hilfe in dem Falle?
Platzeck: Ich helfe da mit allem, was ich kann, weil ich genau von dem, was ich eben gesagt habe, auch überzeugt bin.
Smuda: Ihr Innenminister und CDU-Koalitionspartner Jörg Schönbohm sagte zum Abschied von Manfred Stolpe: Zwischen dem 65-jährigen Christdemokraten und dem knapp 16 Monate älteren Ministerpräsidenten, dem Sozialdemokraten Manfred Stolpe, habe es eine große Schnittmenge gegeben, eine gemeinsame Schnittmenge. Gibt es die, nicht nur politisch, auch zwischen Ihnen und dem wesentlich älteren Jörg Schönbohm?
Platzeck: Also, man muss ja mal vorausschicken, dass eine Koalition im politischen Raum selten etwas, sage ich mal, mit übermäßiger Zuneigung zu tun haben muss; die kann im Ausnahmefall sich noch einstellen – sondern das sind meistens Sachbeziehungen. Man will gemeinsam ein politisches Projekt auf den Weg bringen und man hat sich vorgenommen, dieses Land gut zu regieren ...
Smuda: ... gilt das denn auch für Ihr gutes Verhältnis zum Bundeskanzler, das Ihnen nachgesagt wird?
Platzeck: Was mein Verhältnis zu Gerhard Schröder angeht, das ist natürlich anders basiert, sowohl persönlich als auch politisch. Aber das heißt gar nicht, dass ich mit Jörg Schönbohm nicht sehr vernünftig zusammenarbeiten werde. Und wir haben uns da – um es etwas salopp zu sagen – auch gut zusammengerauft und kommen gut miteinander aus.
Smuda: "Man sollte nicht darüber reden, sondern, wenn es so weit ist, sollte man es tun" – das klingt fast wie eine Drohung, Herr Ministerpräsident Matthias Platzeck, zumal Sie ja sagten, im Kabinett werde sich einstweilen nichts ändern. Sind solche Drohgebärden notwendig? Liege ich da falsch, wenn ich sage, das klingt wie eine Drohung?
Platzeck: Das hat mit Drohung gar nichts zu tun, sondern ich wollte ein für alle mal einen Strich unter die Flut von Journalistenanfragen ziehen. Diese Anfragenflut ging nicht so sehr dahin, welche politische Richtung, welche politischen Projekte, welche schwierigen Fragen sind zu klären, sondern die ganzen ersten Tage meiner Amtszeit waren davon überlagert: Wen werden Sie wann auswechseln und aus welchem Grunde? Und deshalb habe ich, um ein für alle mal hier wirklich diesen Strich ziehen zu können, gesagt: Über so etwas redet man nicht – das gilt nicht nur für mich, deshalb ist es auch keine Drohung, sondern es gilt für alle, die im politischen Raum sind, zumindestens denke ich, wenn sie es einigermaßen gut machen: Über Personalien redet man nicht, sondern wenn Personalien anstehen, sind sie zu entscheiden. Und damit möchte ich diese Fragen in Summa beantwortet haben.
Smuda: Bei aller Loyalität zu Ihrem Vorgänger Manfred Stolpe: Würden Sie sagen, dass Sie jetzt im Jahre 12 des Landes Brandenburg ein schweres Erbe antreten?
Platzeck: Ja, das hat mit Manfred Stolpe eigentlich gar nichts zu tun. Manfred Stolpe hat gemeinsam mit Regine Hildebrandt und vielen anderen in diesem Land in der Aufbauphase sehr gute und tragfähige Fundamente gelegt – in schwierigsten Zeiten. Denn an eines muss man immer wieder erinnern: Das, was hier an Umbruch stattgefunden hat und weiter stattfinden wird in diesem Land, ist ohne Beispiel. Dafür gibt’s weder ein Drehbuch noch ein richtiges Rezept. Wenn wir alleine so eine Kennzahl nehmen, die für andere Bereiche auch gilt: Wir hatten vor 12 Jahren noch über 200.000 Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt in Brandenburg, heute sind es 30.000. Das zeigt in etwa die Tiefe des Umbruchs. Also, das schwere Erbe hat nichts mit dem Vorgänger zu tun, sondern einfach mit der Situation. Und Manfred Stolpe hat selber gesagt: "Ein schwieriger Weg liegt hinter uns, und ein genau so schwieriger Weg wird noch in etwa vor uns liegen."
Smuda: Sprechen wir von Visionen – "ein schwieriger Weg liegt noch vor uns": Wie sollte das Land in der Vision von Matthias Platzeck in zehn Jahren aussehen?
Platzeck: Wenn ich von einem ‚modernen‘ Land spreche, dann meine ich, dass unser Weg – für mich übrigens der einzige Weg, der stabil in die Zukunft führt, aber eben auch ein schwieriger und ein Weg, der langen Atem braucht – nur über die Kette gehen kann, dass wir große Aufmerksamkeit der Bildung und der Ausbildung widmen, dass wir Wissenschaft und Forschung einen hohen Stellenwert beimessen, weil aus dieser Kette heraus erst das passieren kann, was dem Land wirklich eine gute Zukunft sichert, nämlich die Ausgründung von kreativen Menschen, die Mut haben, mit neuen Technologien und neuen Produkten hier eine Wertschöpfung zu installieren in diesem Lande, die von hoher Qualität ist und dann auch dafür sorgt, dass Handel, Handwerk und Gewerbe erblühen. Ich will damit unter anderem auch ausdrücken, dass – um ein Beispiel zu nennen – das, was man ‚verlängerte Werkbank‘ nennt, nicht mehr lange unsere Zukunft wird sichern können, denn jemand, der heute noch aus Westeuropa oder wo auch immer herkommt, eine reine Fertigungsstätte errichten möchte, der guckt natürlich zunehmend viel weiter östlich, als es Brandenburg ist - das hat mit Lohnfragen und anderen Dingen zu tun -, so dass wir Stück für Stück, und auf dem Wege sind wir ja auch schon, das fangen wir nicht neu an, sondern da gibt es ja auch schon erste gute Zeichen auch dafür, dass so ein Weg funktionieren kann, dass wir Stück für Stück auf diesem qualitativ schwieriger zu erreichenden, aber am Ende eine bessere Zukunft versprechenden Weg gehen müssen ...
Smuda: ... mit Berlin wahrscheinlich. Aber die Front der Gegner einer Fusion wird ja stärker. 46 Prozent der Brandenburger sind gegen eine Länderehe, in Berlin sind es 24 Prozent. Wie kommt eigentlich diese Ablehnung zustande? Das kann doch nicht nur an den Berliner Schulden liegen.
Platzeck: Eines muss man vielleicht von vornherein klären: Es ist keine Besonderheit, das können Sie in anderen Regionen auch sehen, dass ein relativ doch dünn besiedeltes Umland einer Metropole – dieser Unterschied in den Besiedlungsgraden ist ja in Deutschland einzigartig, aber auch da, wo er schwächer ist, kann man so eine Entwicklung beobachten, dass die Bewohner des Umlandes immer eine gewisse Reserviertheit gegenüber denen haben, die in dieser Metropole zu Hause sind. Und dann kommen ja noch so tradierte Vorurteile dazu – über Jahrhunderte übrigens tradiert, dass man sagt: Die Berliner haben immer eine große Klappe, behaupten immer, Recht zu haben, sind sehr raumfüllend. Das sind Schemata, die sind einfach auch in den Köpfen und die kriegen Sie aus der Region auch schwer raus ...
Smuda: ... nicht bis 2009 vermutlich ...
Platzeck: ... ein zweiter Punkt, den muss man auch sehen, dass ja Berlin noch in seiner Region eine Sonderrolle spielt - Ostberlin hat die Jahrzehnte gespielt als Hauptstadt der DDR; da gibt es immer noch ein paar Ressentiments in den Köpfen. Auf diese Situation drauf kommt natürlich noch die von Ihnen schon angesprochene Finanzsituation Berlins, die im Moment natürlich niemanden einlädt, zu sagen: "Wir wollen hier einen gemeinsamen Weg gehen." Aber alles dieses hebt eins nicht auf, hebt nämlich nicht auf, dass man mit Blick auf die Landkarte, mit Blick auf die Vernetzung zwischen Berlin und Brandenburg, mit Blick auf die zunehmende Verschränkung, was Institutionen, Vereine, Verbände angeht, die ja vielfach schon heißen "Berlin-Brandenburg" jeweils, dass also hier eine Art der Zusammenarbeit ganz automatisch entsteht, die zu irgend einem Zeitpunkt ganz automatisch dazu auffordert ...
Smuda: ... steuern Sie den Zeitpunkt 2009 für die Fusion denn an, oder glauben Sie, dass man da noch eine Toleranz braucht in den Zeiträumen?
Platzeck: Also, ehe wir über Zeitpunkte reden, sollten wir ganz klar sagen: Es gibt eine Grund- und Vorbedingung, um hier wirklich mit gutem Gewissen und frohem Herzen werben zu können – und das heißt, es muss den Brandenburgern klar sein, sie müssen da klar sehen, dass die Finanzsituation Berlins sich so verändert, sich so verbessert, dass wir auf gleicher Augenhöhe in ein solches Projekt gehen können. Gleiche Augenhöhe heißt für mich: Auch Brandenburg ist ja keine Jungfer in weißem Kleide, was Verschuldungen angeht, aber es muss von den Größenordnungen her so sein, dass jeder das gleiche Päckchen – pro Kopf gerechnet – in etwa, das kann man nie 1 : 1 übertragen, mit sich trägt – in eine solche Vereinigung hinein. Das ist im Moment noch nicht absehbar für uns am Horizont, und deshalb ist die Frage, das jetzt schon mit Jahreszahlen zu versehen, etwas verfrüht. Ich will noch eine zweite Bedingung nennen. Wir haben ja 1996 auch Schiffbruch erlitten mit den Fusionsbestrebungen, weil es von vielen Bürgern gesagt wurde – das war mehr so eine Kopfgeburt, es kam mehr von oben. Und deshalb gibt es ja im Moment eine ganze Menge Initiativen, und nur das kann auch Erfolg versprechen. Diesen Gedanken des Zusammengehens von unten wachsen zu lassen. Verein Perspektive gründet sich ja an mehreren Stellen des Landes und in Berlin, und ich glaube, das ist auch der einzig erfolgversprechende Weg. Und dann werden wir sehen, wie das wächst, wie sich das entwickelt. Und dann müssen wir die vernünftigen Zeitpunkte herausfiltern und es dann auf dieser Basis tun.
Smuda: Das ist das eine Großprojekt, das andere Großprojekt ist noch eher wirtschaftlicher Art. Die Zeit der Großprojekte sei vorbei, haben Sie zu Ihrem Amtsantritt gesagt. Blicken Sie erst einmal mit Entsetzen auf den Cargolifter – auf das Insolvenzverfahren dort, auf den Lausitzring – auf das Insolvenzverfahren dort und sagen sich: Wir brauchen eine neue Wirtschaftspolitik?
Platzeck: Also, Entsetzen hilft in der Politik nicht weiter, und deshalb gucke ich da auch nicht entsetzt drauf, sondern sage einfach: Wir haben ein schwieriges Problem, und ein schwieriges Problem schreit immer dann nach Lösungen. Und um die bemühen wir uns auf vielen Ebenen. Und da ist noch lange nicht Matthé am letzten, weil – Sie haben ja vielleicht gerade gehört, dass für Cargolifter, zumindestens für Teile dessen, was man sich da vorgestellt hat an Technologie und Produktion, es durchaus Möglichkeiten gibt, sie vielleicht das Licht der Welt erblicken zu lassen ...
Smuda: ... aber Boing hat abgewunken und Käufer sind auch nicht in Sicht, die vielleicht das ganze Projekt retten können ...
Platzeck: ... die Hoffnung stirbt zuletzt, und wir sind, glaube ich, immer gut beraten auf diesen Sektoren. Wir haben viele abrupte Wendungen in wirtschaftspolitischen Fragen und bei Einzelprojekten in den letzten Jahren erleben können. Und deshalb werden wir hier auch nicht aufgeben. Und beim Lausitzring will ich noch dazu sagen: Dieses ist ein Projekt, was auf Langfristigkeit setzt. Der Lausitzring wird die Wirkung in der Region entfalten, und wer sich vergleichbare Dinge anguckt wie den Nürburgring, da haben ein oder zwei Jahre auch nicht ausgereicht, um genau diese Rolle dann in der Region zu spielen, sondern da hat es 10 oder 15 Jahre gedauert. Und deshalb soll man auch mit dem Lausitzring etwas geduldiger sein. Und die Annahme, die manchmal so mitschwingt - auch bei Journalistenkollegen von Ihnen -"nun ist die Betreibergesellschaft insolvent, also wird der Lausitzring aus der Landschaft verschwinden": Ich kann nur jedem raten, zum Beispiel zur Tourenmeisterschaft zu gehen. Und man wird sehen: Dieser Lausitzring steht so fest in der Landschaft, der wird nicht verschwinden. Es wird lediglich die Frage sein, in welcher Form und durch wen er betrieben wird.
Smuda: Wann werden Sie denn vielleicht zum ersten Mal zum Großflughafen Berlin-Brandenburg-International gehen? Neue Köpfe – in Berlin Klaus Wowereit, in Potsdam Matthias Platzeck. Halten Sie uneingeschränkt an dieser Idee des Großflughafens fest?
Platzeck: Was als Tagesaufgabe ansteht – und es hat ja da einige Veränderungen auch gegeben, nicht zuletzt hat der 11. September nochmal für mehr Bodennähe bei solchen Betrachtungen gesorgt –, was als Tagesaufgabe ansteht, ist, dass der Flugverkehr in Berlin und Brandenburg einen Punkt braucht, an dem er sich kristallisieren kann, an dem er stattfindet. Und das ist nach Lage der Dinge Schönefeld, und deshalb ist das, was an Ausbaugedanken da vorhanden ist, weiterhin sehr sinnvoll. Und wir werden das mit aller Kraft verfolgen, und ich glaube auch, dass es am Ende ein Projekt sein wird, was der Region von großem Nutzen sein wird.
Smuda: Ohne Abstriche, in der gleichen Dimension wie geplant?
Platzeck: Wissen Sie, wer heute von Abstrichen spricht oder sagt "ohne Abstriche": All diese Prozesse sind dynamische Prozesse.
Smuda: Ich versuche mal diesen Übergang vom Flughafen. In den Regionen gibt es auch viele Landwirte, und die EU-Agrarreform nähert sich auch dem größten ostdeutschen Flächenland Brandenburg. Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast hat gesagt: "Na und, dann könnte man doch die großen Betriebe teilen, und vielleicht kann jeder in den Genuss der angekündigten oder projektierten 300.000 Euro maximaler Förderungsgröße kommen." Das könnte die ganze Struktur von Brandenburg. Was halten Sie denn von solchen Ideen aus Brüssel?
Platzeck: Also, man muss dazusagen, was da konzipiert ist in Brüssel und von Fischler in den letzten Tagen auch in die Öffentlichkeit gebracht wurde, hat ja auch positive Aspekte. Die Ausrichtung, in die langfristig die Landwirtschaft in Europa gehen soll, die teilen wir auch und auch der Landwirtschaftsminister unseres Landes. Aber es gibt Punkte dabei, die für uns schlicht restlos unakzeptabel sind, worüber wir schon intensiv vor Jahren gesprochen haben und sie schon einmal haben überzeugen können, die Damen und Herren in Brüssel, dass das einfach nicht zutrifft, die Unterstellung, die damit verbunden ist und das nicht hinnehmbar ist, was an Folgen ist. Die haben von der Kappungsgrenze 300.000 Euro gesprochen und davon gesprochen, dann könnte man Betriebe ja teilen. Ich muss einfach an der Stelle mal sagen: Warum sollen wir solch einen Unsinn machen, wenn das, was da ist, gut funktioniert und die eigentlich angestrebten Zielfunktionen, die die EU im Kopf hat – dass vernünftige Produkte entstehen, dass möglichst viele Arbeitskräfte tätig sind, dass die ökologische Frage nicht außen vorbleibt: Wer sich Betriebe, die bei uns betroffen wären – und das sind immerhin 268 mit über 11.000 Arbeitskräften und 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, das muss man sich alles mal vor Augen führen –, wer sich diese Betriebe anguckt, wird feststellen: Alles das, was da immer noch an Unterstellungen mitschwingt, das wäre industrialisierte Landwirtschaft, hier einfach nicht zutrifft. Industrialisierte Landwirtschaft finden wir manchmal bei viel kleineren Betrieben, die wenig Fläche haben und wo die Tiere eben weder einen halben noch ein Hektar zur Verfügung haben, um sich richtig auf der grünen Wiese auszutun – ich erinnere an Rinderhaltung in Vechta und in anderen Gegenden. Brandenburger Betriebe erfüllen längst viele der Bedingungen, die man sich in Brüssel vorstellt.
Smuda: Im November werden Sie Herrn Fischler in Brüssel besuchen, Sie werden ein Gespräch haben, so wie es geplant ist. Entwickeln Sie doch mal Forderungen ...
Platzeck: ... das ist sehr einfach, denn die haben wir alle schon mal gestellt, zum selben Thema. Wir haben immer gesagt, diese Kappungsgrenzen sind kontraproduk-tiv, sie fördern nicht das – zumindestens bei unseren Besonderheiten – sie fördern nicht das, was Fischler eigentlich will und was ich in Teilen – wie gesagt – auch völlig akzeptieren kann, sondern hier werden Strukturen, die für vernünftige Produkte sorgen, für ökologisch orientierte Produktionsweisen zerschlagen und damit für uns auch das Rückgrat, der Belebung des ländlichen Raumes, hochgradig gefährden. Und genau das will ja Franz Fischler eigentlich alles nicht. Und deshalb muss man, wenn man solche Regelungen eruiert, auch mal gucken: Wie können wir in dieser Region zu diesen Zielen kommen, die wir haben wollen, und wie konterkarieren wir sie. Und dann will ich auch noch mal was zum Verfahren sagen: Wir haben uns gerade vor zwei Jahren verständigt, wie es laufen soll bis 2006. Und Landwirtschaft ist nun eine der Produktionen, die wirklich auch Verlässlichkeit brauchen, weil – das ist nicht wie bei einer technischen Produktion, bei der man auch mal alle halbe Jahre die Maschinen anders justieren kann und umstellen kann. Und ich wünsche mir sehr, dass wir wenigstens diesen 6-Jahreszeitraum auch mal einhalten, damit die landwirtschaftlichen Betriebe planen können, damit sie anbauen können und damit sie vernünftig sich auch aufstellen können. Die Unruhe, die jetzt reingebracht wird, richtet einen erheblichen Schaden an, und den sollte man im gemeinsamen Interesse, auch im Interesse der EU und des Ansehens der EU, wirklich mit aller Kraft vermeiden.
Smuda: Außerhalb der Grenzen Brandenburgs geht’s Ihnen um Dreierlei: Um Polen, Polen und Polen, und die Agrarreform wäre natürlich auch ein nützliches Werkzeug, um den polnischen Partner in besonderer Weise zu fördern. Aber die eigene Scholle ist immer wichtiger als die andere, oder?
Platzeck: Nein, mir geht es einfach darum: Wenn irgendwo eine vernünftige Struktur entstanden ist, eine Struktur, die sich begründet, die sowohl geschichtliche Begründung hat – und da soll man ja auch ein bisschen gucken, dass das eine sinnvolle Entwicklung war –, die sich mit Bodenqualitäten begründet, die sich aber auch mit einer vernünftigen Strukturbildung und Arbeitsplatzsicherung im ländlichen Raum beschäftigt, dann sage ich, das ist überhaupt nicht gegen Polen gerichtet, kein bisschen - dass das dann auch erhalten werden muss, weil das erst einmal ein Stabilitätsfaktor ist, den man doch nicht künstlich wieder, weil man woanders Hilfe leisten will, in Frage stellen darf. Und ich sage mal so ein bisschen salopp: Man kann nicht, weil man hier was Gutes tun will, mit dem Hintern das einreißen, was sich gut entwickelt hat. Und ein zweiter Punkt, den muss man hier auch noch sagen: Wenn wir Gelder umlenken wollen – und das ist ja auch so ein bisschen das Ziel – in vernünftige Entwicklungen des ländlichen Raumes hinein, und das will ja Fischler, und das ist an sich auch eine sinnvolle Sache, dann muss man sagen: Wenn Gelder im Moment schon so fließen, dass sie für vernünftige Beiträge sorgen im ländlichen Raum, dann muss man sich das mit dem Umlenken sehr überlegen. Und ansonsten gilt natürlich, das verhehle ich überhaupt nicht: Wir haben hier unsere landwirtschaftlichen Betriebe zu vertreten, wir haben unseren ländlichen Raum zu entwickeln – und da bin ich auch rückhaltlos dabei.
Smuda: Der polnische Ministerpräsident Miller hat die Forderung von CDU-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber zurückgewiesen, die nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebenen Deutschen in ihre Heimat zurückkehren zu lassen. Das betrifft ja fünf Millionen Deutsche. Wie soll man mit dieser Frage umgehen, wenn die Wunden hüben und drüben nicht verheilen können und ein solcher Vorschlag von Edmund Stoiber kommt?
Platzeck: Also, ich halte diesen Vorschlag für überhaupt nicht zeitgemäß, denn hier muss ja mal die Frage auch erlaubt sein, wer dieses eigentlich noch wollte. Und es ist heute jedem möglich – jedem Bürger von beiden Seiten –, dort hin zu reisen, wo er Erinnerungen mit verknüpft, sich auch Verbindungen dorthin wieder aufzunehmen und auch in dieser Form auch Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Aber dieser Vorschlag ist für mich so weit jenseits der Realität, dass ich Millers Reaktion auch verstehen kann. Für mich liegt der Schlüssel, um hier endlich auch zu einer wirklichen, zu mehr Verständnis und zu einer wirklichen Entspannung zu kommen, darin – und das hat ja vor wenigen Tagen auch in Breslau in Teilen zum Beispiel stattgefunden –, dass man europäische Geschichte als Ganzes begreift. Vertreibung muss genannt werden, ganz klar. Was Unrecht ist, muss auch Unrecht genannt werden, da bin ich ganz klar auf der Seite derer, die das tun. Aber man muss bei Vertreibungssachverhalten auch mal sehen: Wer ist denn alles wohin vertrieben worden und welche Ursachen hatte es. Und da hat es in Breslau Begegnungen gegeben, die ganz deutlich gemacht haben – dorthin sind ja auch Menschen vertrieben worden, in dem Fall von heute russischen Gebieten oder ukrainischen Gebieten –, und dieses muss mal im Verbund gesehen und aufgearbeitet werden. Und über allem sollte wirklich im Jahre zwei des neuen Jahrtausends der Versöhnungsgedanke und nicht der Gedanke stehen, das müsste man alles wieder zurückdrehen. Große Teile der Geschichte sind eben Geschichte und werden sich nicht zurückdrehen lassen. Man sollte nach vorne arbeiten und auf Versöhnung aus sein, weil ich glaube, dass das all denen, die da großes Unrecht erlitten haben, auf allen Seiten am meisten auch dient.
Smuda: Geht die Arbeit nicht zum Menschen, muss der Mensch zur Arbeit gehen. Das betrifft auch die Abwanderung aus Brandenburg. Was kann man tun, damit die Menschen in Ihrem Lande Brandenburg bleiben, Herr Ministerpräsident?
Platzeck: Das, was ich vorhin versucht habe, in zwei, drei Sätzen schon zu schildern. Das wird ein langer und mühsamer Weg. Wir müssen es erreichen, dass insbesondere junge Menschen das Gefühl wieder entwickeln können, dass dieses Land ihnen eine Perspektive bietet, dass dieses Land ihnen auch mittel- und langfristig berufliche Chancen gibt. Dazu gehört als Grundvoraussetzung, und darum bemühen wir uns ja nicht erst seit heute, sondern schon seit Jahren sehr intensiv, dass das Ausbildungsplatzangebot stimmt. Ich habe mich auch sehr vehement innerhalb der Sozialdemokratie dafür eingesetzt, dass das Jump-Programm eine Fortsetzung erfährt, weil das eine wichtige Begleiterscheinung, ein wichtiger Rahmen, diese Ausbildungsplatzzahl und -qualität auch zu sichern. Das Zweite ist, über den vorhin geschilderten Weg – Bildung, Forschung, Wissenschaft und Ausgründung –, dass hier intelligente und anspruchsvolle Wertschöpfung, verbunden mit den Arbeitsplätzen, im Lande zunehmend Raum greift. Wir haben ja ein Beispiel, wo es fast exemplarisch exerziert und vorgeführt werden kann, nämlich die Chipfabrik in Frankfurt/Oder, wo wir ja alle davon ausgehen, dass sie ein Produktionsort sein wird, wo hochrangige Wertschöpfung von über Menschen ausgeübt wird. Und lassen Sie mich noch einen dritten Punkt nennen, der auf jeden Fall mit beachtet werden muss: Der Geburtenknick von 1990 schiebt sich ja langsam jetzt durch die Schulen, macht uns viele Probleme bei der Schulentwicklungsplanung – aber, da beißt die Maus keinen Faden ab: Dieser Geburtenknick wird sich nun auf dem Arbeitsmarkt durchschieben und den so in drei, vier Jahren erreicht haben. Und da kann man heute nur allen Unternehmern sagen, allen Betriebsleitern: ‚Sorgt dafür, dass Ihr junge Leute jetzt festhaltet, dass Ihr junge Leute jetzt ausbildet. Ihr werdet sie in einigen Jahren dringend brauchen.’
Smuda: Das Kaninchen, das aus dem Zylinder gezogen wird, heißt ‚Hartz-Kommission‘. Das Versprechen ist ja verlockend: Innerhalb von drei Jahren soll die Arbeitslosenzahl halbiert werden. Das bedeutet Umschichtung, das heißt auch, Arbeitsmöglichkeiten zu nutzen. Was tut man denn eigentlich mit einem solchen Konzept in einem Lande, in dem es viel zu wenig Arbeit gibt?
Platzeck: Also, zum einen kann bessere Vermittlung, intelligentere und schnellere Vermittlung nie schaden. Und dann muss man ja auch sagen: Es gibt strukturschwache Regionen auch in Westdeutschland, und deshalb geht es uns darum und ging es uns darum, dass die vielen guten Vorschläge der Hartz-Kommission, hinter denen ich auch stehe, erweitert werden, ein weiteres Modul fahren – hin zu Möglichkeiten, was in strukturschwachen Regionen zu machen ist. Und wenn ich Wolfgang Tiefensee und Peter Hartz selber richtig verstanden habe, wird genau daran in diesen Tagen gearbeitet, bis zum 16. August ein sogenanntes 14. Modul noch dazu getan. Und dann kann man nur sagen, dann ist es eine sehr gute Sache. Diese Vorschläge, die sollte man dann auch möglichst schnell und unbürokratisch ins politische Leben einführen – so, dass danach gehandelt werden kann. Denn eines steht fest: Jeder Vorschlag – und da bin ich sehr froh, dass das ohne Tabus und Scheuklappen diesmal passiert ist – jeder Vorschlag muss alleine daraufhin ausgeleuchtet werden: Bringt er mehr Menschen in Arbeit? Das ist das Wichtigste, das vor uns steht. Und das wird auch das Wichtigste bleiben.
Smuda: Tabus und Scheuklappen: Wenn die PDS kommt und sagt, wir können mit Euch gemeinsam Euer Arbeitsmarktpapier realisieren – konkret auf dieses Beispiel bezogen –, wäre dann die PDS auch ein wichtiger Koalitionspartner?
Platzeck: Auf Bundesebene ist es undenkbar; das ist vielfach beschrieben, das ist mehrfach begründet worden. Das hat mit Sicherheits- und außenpolitischen Fragen und auch anderem zu tun.
Smuda: Und auf Landesebene ... ?
Platzeck: Auf Landesebene steht die Frage einfach nicht an. Wir haben hier eine Koalition, wir haben eine Koalition, die sich solide eingearbeitet hat, die gute Arbeit leistet. Wir werden diese gute Arbeit bis 2004 erfolgreich fortsetzen, und dann wird der Wähler sprechen.
Smuda: Die PDS könnte genau so gut sein wie die CDU bei der nächsten Wahl. Wenn beide seriös – zukunftszugewandt, wie man heute sagt – auftreten und sich als Koalitionspartner dem Ministerpräsidenten dann andienen?
Platzeck: Wenn Sie mich als Parteivorsitzenden der SPD fragen - und das bin ich ja - und wenn es um Wahlen geht, dann natürlich auch, dann werden wir ein großes Ziel bei den Wahlen 2004 haben, nämlich ein möglichst gutes Ergebnis für die Sozialdemokratie in Brandenburg erreichen. Alle anderen Gespräche haben ihren Platz immer nach 18 Uhr am Wahltag.
Smuda: Manche Gespräche – jetzt die letzte Frage – könnte man auch heute führen, und zwar: Der SPD ist ein gewaltiger Aufschwung gelungen durch die Wahl des Matthias Platzeck zum Ministerpräsidenten. 40 Prozent würde die SPD jetzt hier einfahren. Fallen vielleicht auch ein paar Punkte für Gerhard Schröder ab?
Platzeck: Also, Stimmungsverbesserung kurz vor der Bundestagswahl ist immer gut, ist auch für die Bundestagswahl gut, ist für Gerhard Schröder gut. Und ich bin mir sicher: Wir haben den besten Kanzler im Moment, den wir haben können. Und ich bin mir auch sicher, dass wir denselben besten Kanzler auch nach dem 22. September weiter haben werden. Und das wird gut für Deutschland sein.
Smuda: Auch durch Ihre Hilfe in dem Falle?
Platzeck: Ich helfe da mit allem, was ich kann, weil ich genau von dem, was ich eben gesagt habe, auch überzeugt bin.