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"Platzeck versucht einen Spagat"

Der Politikwissenschaftler Uwe Jun sieht SPD-Chef Matthias Platzeck vor einer doppelten Herausforderung. Er habe sich entschieden, auf der einen Seite die Partei zu verstehen und deren Standpunkte zu vertreten, aber auf der anderen Seite auch die große Koalition zum Erfolg zu bringen, sagte der Wissenschaftler von den Universitäten Potsdam und Trier. "Platzeck versucht im Moment einen Spagat", sagte Jun.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friebert Meurer: Man hat ja mal zu Beginn der großen Koalition gesagt, Matthias Platzeck, Angela Merkel, das ist das ostdeutsche Traumduo. Funktioniert da die Zusammenarbeit doch nicht so gut?

    Uwe Jun: Na ja, beide sind halt Vorsitzende völlig unterschiedlicher Parteien, oder zweier unterschiedlicher Parteien, und haben entsprechend auch unterschiedliche inhaltliche Vorstellungen. Platzeck muss sehen, dass er die Partei SPD in dieser großen Koalition weiter mitnimmt und in diese integriert, hat also eine ganz andere Aufgabe, und Angela Merkel geht es als Bundeskanzlerin eben auch darum, dass sie die Position der CDU gegenüber ihrem Koalitionspartner durchsetzen muss.

    Meurer: Warum funktioniert dann die Zusammenarbeit zwischen Angela Merkel und Franz Müntefering offenbar besser?

    Jun: Franz Müntefering ist eingebunden in das Kabinett, und Franz Müntefering vertritt als Vizekanzler eher auch die Seite der Bundesregierung und weniger die Seite der Partei. Die Rolle kennt er zwar aus der Vergangenheit, aber das ist jetzt nicht mehr seine Hauptaufgabe. Seine Hauptaufgabe ist es jetzt, Koalitionsvereinbarungen umzusetzen und zu sehen, dass die Politik der Bundesregierung zum Erfolg führt, wie wir jetzt etwa in der Rentenfrage gesehen haben. Franz Müntefering muss es jetzt darum gehen, dass der Rentenbeitrag nicht über die vereinbarten 19,9 Prozent hinausgeht, und insofern muss er Vorschläge unterbreiten, wie man das gewährleistet.

    Meurer: Von Franz Müntefering hieß es ja mal, Herr Jun, er denkt an die Seele der Partei, der SPD. Ist das jetzt vorbei?

    Jun: Es ist nicht vorbei, so weit würde ich nicht gehen. Aber Franz Müntefering weiß genau, wo seine Hauptaufgabe derzeit liegt, und das ist die des Vizekanzlers, der Regierungsbeschlüsse umzusetzen hat und der dafür Sorge tragen muss, dass diese Regierung ein Erfolg wird, diese große Koalition. Und wenn diese ein Erfolg wird, dann kommt das ja auch der SPD zugute.

    Meurer: Warum hat Franz Müntefering so schnell durchgesetzt, dass die Rente mit 67 vorgezogen wird, ohne das vorher in der eigenen Partei zu diskutieren?

    Jun: Nun, in dieser Frage steht Müntefering unter Druck. Er muss seine Vorschläge in den nächsten Wochen offen kundtun. Sie wissen, im nächsten Jahr soll vereinbart werden, den Beitragssatz auf 19,9 Prozent zu erhöhen. Das alles kann nur funktionieren im Rentenbuch, wenn entsprechende Änderungen an anderer Stelle vorgenommen werden. Und im Sinne der Generationen- und Beitragsgerechtigkeit hat Müntefering da die einzige Möglichkeit gesehen, das Alter zu erhöhen auf 67, das man arbeiten sollte. Das sah Müntefering als einzige Möglichkeit, um hier in seinem demnächst vorzulegenden Rentenbericht eine sinnvolle Basis zu haben.

    Meurer: Wie sollte sich Ihrer Meinung nach der SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck jetzt in dieser Situation verhalten?

    Jun: Nun, Platzeck versucht im Moment einen Spagat. Er versucht auf der einen Seite, Verständnis für die Proteste in der Partei, die Unzufriedenheit in der Partei mit der Vorgehensweise Münteferings mit zu tragen. Das muss er auch, er muss als neu gewählter Vorsitzender immer noch integrieren. Auf der anderen Seite allerdings weiß Matthias Platzeck auch, dass es für die SPD wichtig ist, dass die große Koalition ein Erfolg wird. Also muss er auch versuchen, sich regierungsloyal zu verhalten. Und dieser Spagat ist nicht immer ganz einfach, und der trägt sicherlich dazu bei, dass einzelne meinen, er hätte derzeit keine klare Kontur. Es ist auch schwierig, wenn Sie diese beiden Aufgaben zusammennehmen, dann eine klare Kontur zu gewinnen, und Matthias Platzeck hat sich derzeit offenkundig dazu entschieden, beide Seiten mitzunehmen, auf der einen Seite halt die Partei zu verstehen, in die Partei reinzuhören, deren Standpunkte zu vertreten, aber auf der anderen Seite auch diese große Koalition zum Erfolg zu bringen.

    Meurer: Nun loben ja auch einige intern Matthias Platzeck für seinen Diskussionsstil. Im Parteivorstand würde jetzt offener diskutiert werden, als es noch früher der Fall gewesen ist. Andere sagen, er muss klare Kante zeigen, wie Sie selbst gerade gesagt haben. Sollte Platzeck mehr Profil zeigen?

    Jun: Ich finde, derzeit ist es noch zu früh, um diese Frage abschließend zu beantworten. Er hat sich entschieden dafür, sowohl zu integrieren, als auch sich regierungsloyal sich zu verhalten, um diesen Spagat noch weiter zu vollziehen. Er will erst mal in die Partei reinhören, will sich stärker noch mit der Partei beschäftigen, will die verschiedenen Strömungen kennen lernen, will deren Position kennen lernen, und erst dann wäre es, glaube ich, aus meiner Sicht Zeit, sich klar zu positionieren, was für ihn keine leichte Aufgabe sein wird, denn als Vorsitzender dieser Koalitionspartei hat er eben sehr unterschiedliche Vorstellungen in der Partei zu berücksichtigen, die in vielen Punkten nicht auf einen Nenner gebracht werden können.

    Meurer: Es hieß nach der Bundestagswahl, Herr Jun, die SPD hat sozusagen einen Achtungserfolg errungen. Fast wäre sie stärkste Partei geworden, ist sie aber nicht. Die CDU stellt die Bundeskanzlerin. Wird die große Koalition langsam so etwas, ich will nicht sagen, wie eine Falle für die SPD, aber zum Nachteil und zur Belastung für die SPD und für ihre Wählerklientel?

    Jun: Das ist eine sehr berechtigte Frage. Ich denke, für die SPD sind die Schwierigkeiten in einer großen Koalition viel größer, als es für die CDU/CSU der Fall ist, denn sie hat Wettbewerber auf der linken Seite, die natürlich davon profitieren, wenn dieses Image der sozialen Gerechtigkeit der SPD verloren geht. Sie muss außerdem immer wieder ihr Profil deutlicher schärfen, als es die Union machen kann, weil die Union eben mit Angela Merkel auch die Kanzlerin stellt und da nach außen hin wesentlich erfolgreicher wirken kann, gerade wie es ja auch in der Medienberichterstattung der letzten Wochen zum Ausdruck gekommen ist. Also hier ist die SPD in der wesentlich schwierigeren Situation, immer wieder ihr Profil, ihr Image deutlicher werden zu lassen aus diesen beiden Gründen, und das ist eine der Aufgaben, die Platzeck sicherlich wahrnehmen muss in den nächsten Monaten, damit die SPD entsprechend bei Landtagswahlen nicht abgestraft wird.

    Meurer: Die SPD hat die Schlüsselressorts, das galt als Vorteil. Wie sehr ist das jetzt vielleicht ein Nachteil für die SPD, die Ressorts Soziales und Gesundheit zu haben?

    Jun: Es ist ein Vorteil auf der einen Seite, weil hier in diesen Ressorts die SPD zeigen kann, welche Konzepte sie hat, wenn sie den Begriff der Gerechtigkeit klar definiert und sagt, was ist aus ihrer Sicht gerechte Politik. Nehmen Sie die Rentenpolitik, da können die Aspekte Beitragsgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit eine große Rolle spielen, die im Moment noch etwas in den Hintergrund treten, aber für die man dann stärker werben muss. Sie können auch in der Gesundheitspolitik Ähnliches sehen. Hier hat also die SPD die Möglichkeit, ihre Vorstellungen umzusetzen, stärker als wenn die Union diese Ressorts führen würde. Auf der anderen Seite haben Sie natürlich Recht – und das impliziert Ihre Frage ja schon -, werden beide Problembereiche nicht ohne Einschnitte zu vollziehen sein, und hier muss die SPD halt Farbe bekennen. Allerdings: Sie muss in den nächsten Monaten daran arbeiten, dass sie das mit ihren Punkten der Gerechtigkeit stärker verbindet, mit ihrem zentralen Aspekt der Gerechtigkeit.

    Meurer: Herr Jun, besten Dank und Auf Wiederhören.