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Pleuger: "Die Chance gibt es auf jeden Fall"

Vor der Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur UNO hat sich der ehemalige deutsche UNO-Botschafter Gunter Pleuger noch einmal für einen ständigen Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat ausgesprochen. Eine entsprechende Reform der Institution würde den Sichheitsrat effizienter und legitimer machen, sagte Pleuger.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Die Bundeskanzlerin reist heute nach New York: erst zu einem UNO-Kongress, wo sie in einer Grundsatzrede für den Klimaschutz werben wird. Morgen wird Angela Merkel dann erstmals vor der UN-Generalversammlung reden.

    Am Telefon nun der ehemalige deutsche UNO-Botschafter Gunter Pleuger. Guten Morgen Herr Pleuger!

    Gunter Pleuger: Guten Morgen Herr Spengler!

    Spengler: Der Bundesaußenminister ist also gar nicht erfreut, dass ihm die Bundeskanzlerin das Zückerli eines Auftritts vor der Generalversammlung stiehlt. Ist Frank-Walter Steinmeier zurecht pikiert darüber?

    Pleuger: Ich glaube nicht, dass der Außenminister darüber pikiert ist. Wenn Sie sehen, was im Interesse der Bundesrepublik Deutschland ist, dann ist es immer gut, wenn auch mal der Regierungschef vor den Vereinten Nationen redet. Ansonsten ist es ohnehin eine Sache der Außenminister und der Außenminister wird wie jedes Jahr auch in diesem Jahr viele, viele Termine wahrnehmen, die nur in der Generaldebatte der Generalversammlung möglich sind, weil dort viele Außenminister und Regierungschefs vertreten sind. Das heißt die beiden nehmen sich nichts weg, sondern es ist durchaus im deutschen Interesse, dass hier dokumentiert wird, dass sowohl die Regierungschefin wie auch der Außenminister großen Wert auf Präsenz in der Generaldebatte der VN legen.

    Spengler: Hat das etwas mit Eitelkeit zu tun?

    Pleuger: Nein. Das hat überhaupt nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern liegt daran, dass die Generaldebatte der VN nur einmal im Jahr eine Woche lang stattfindet, nämlich immer in der vierten Woche im September. Dort können sie eine unendliche Reihe von Kollegen sehen. Also die Kanzlerin kann sich auswählen, Gespräche zwischen etwa 70 anderen Staats- und Regierungschefs zu führen, und der Außenminister in der Regel unter mehr als 100 Außenministern. Diese Gelegenheit ist einmalig, mehrere der Kollegen zu sehen. Wenn man das bilateral machen würde, bräuchte es ein ganzes Jahr.

    Spengler: Herr Pleuger, welche Bedeutung hat denn eine Rede vor der Generalversammlung? Was kann man damit bewirken?

    Pleuger: Die Rede vor der Generalversammlung in der Ministerwoche bedeutet, dass alle Staaten, große und kleine Staaten ihre Besorgnisse, ihre Bedürfnisse dort vor der internationalen Gemeinschaft ausbreiten können. Diese Generaldebatte ist das einzige Forum, wo jeder Sitz und Stimme hat. Wenn die Debatte zu Ende ist, dann wirkt diese UNO wie ein Spiegel der internationalen Probleme. Das heißt am Ende wird klar, was sind eigentlich die prioritären Probleme, die den meisten Staaten auf der Seele liegen. Das wird dann in der Folge auch der Schwerpunkt der Debatten in den Plenarausschüssen der Generalversammlung sein.

    Spengler: Also wenn wir sie noch nicht hätten, dann müssten wir die Generalversammlung erfinden?

    Pleuger: So ist es. Die UNO ist vor allen Dingen ein einmaliges globales Forum und die UNO hat durch diese Reflektion der Bedürfnisse und Sorgen aller Mitgliedsstaaten wie ein Spiegel auch eine Wirkung. Der reflektiert diese Bedürfnisse, Sorgen und diese politischen Notwendigkeiten zurück in die Mitgliedsstaaten.

    Spengler: Am Rande der Generalversammlung in New York soll es auch noch einmal um das deutsche Bemühen gehen, einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat auf längere Sicht jedenfalls zu bekommen. Sie haben selbst dafür lange gearbeitet. Gibt es noch die Chance? Ist sie vielleicht sogar größer geworden?

    Pleuger: Das ist schwer zu beurteilen. Die Chance gibt es auf jeden Fall, denn sehen Sie Kofi Annan, der ja schon erwähnt wurde, hat einmal gesagt, keine Reform der Vereinten Nationen wird als komplett verstanden werden, wenn sie nicht auch die wichtigste aller Reformen, nämlich die Sicherheitsratsreform enthält. Das ist weiterhin richtig. Die Tatsache, dass dieses Problem bisher nicht behandelt worden ist, heißt ja nicht, dass das Problem nicht mehr existiert. Im Gegenteil: Das Problem wird größer.

    In der letzten Generalversammlung und unter der Ägide von Ban Ki Moon ist die Diskussion weiter vorangetrieben worden und man redet jetzt und diskutiert über Zwischenlösungen, weil eine endgültige Lösung bisher nicht erreicht werden konnte, weil eine Abstimmung darüber nicht stattgefunden hat. Ich kann nicht voraussagen, ob es in dieser Generalversammlung gelingen wird, über einen Zwischenschritt schon eine Entscheidung herbeizuführen, aber ich glaube, dass die Diskussion, die schon in der 61. Generalversammlung wieder belebt wurde, auch auf dieser Generalversammlung eine wichtige Rolle spielen wird, neben den fünf zentralen Themen, die in den verschiedenen Ausschüssen behandelt werden, also Klimawandel, Entwicklungsfinanzierung, Managementreform und Antiterrorismusstrategie.

    Spengler: Klar ist jedenfalls: Es wird einen deutschen ständigen Sitz nur dann geben, wenn es zu einer generellen Reform kommt als Teil dieser Reform der UNO. Herr Pleuger, warum wäre es denn sinnvoll, wie es so schön heißt, Verantwortung zu übernehmen anstelle Deutschlands?

    Pleuger: Wir haben ja diese Reform nicht angestoßen, wie es häufig in der Presse gesagt wird, sondern angestoßen hat es die Dritte Welt in Gestalt einer indischen Resolution Anfang der 90er Jahre. Wir haben uns auch nicht vorgeschlagen, einen ständigen Sitz zu bekommen, sondern das haben die Amerikaner gemacht. Die damalige amerikanische Regierung unter Präsident Bush/Vater hat in ihrem Staatenbericht Japan und Deutschland als neue ständige Mitglieder vorgeschlagen. Das heißt wir werden möglicherweise einen ständigen Sitz bekommen, wenn eine entsprechende Reform stattfindet.

    Spengler: Aber warum wäre das sinnvoll?

    Pleuger: Es wäre sinnvoll, um den Sicherheitsrat erstens legitimer und zweitens effizienter zu machen. Sehen Sie Legitimität in einer internationalen Konferenz wie der UNO entsteht durch Repräsentativität. Das heißt alle Regionen müssen dort vertreten sein. Deswegen haben wir damals im Rahmen der G4 vorgeschlagen, den Sicherheitsrat zu erweitern um eine Reihe von nicht ständigen Mitgliedern aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa, damit alle besser dort vertreten sind. Das erhöht die Legitimität.

    Wenn man aber auch die Effizienz erhöhen will - denn was nützt ihnen eine schöne legitime Entscheidung, wenn sie anschließend nicht umgesetzt wird -, müssen auch die großen Spieler, die wenigen Staaten, die in der Lage sind, der UNO die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die sie braucht zur Umsetzung ihrer Entscheidungen, im Sicherheitsrat vertreten sein. Deshalb ist es notwendig, den zweit- und drittgrößten Ressourcengeber, also Japan und Deutschland, mit in den Sicherheitsrat ständig aufzunehmen. Für uns Deutsche wäre der Vorteil nicht der Mythos eines Vetos. Darum geht es nicht, sondern es geht um die ständige Mitgliedschaft, die einem ein ungebrochenes institutionelles Gedächtnis verschafft. Das heißt wenn wir im jetzigen System nicht in den Sicherheitsrat kommen - das ist etwa alle sechs bis sieben Jahre -, dann fehlen uns sechs bis sieben Jahre Mitarbeit im Sicherheitsrat und damit wesentliche Kenntnisse. Das heißt sowohl für die UNO wie für Deutschland wäre das von Vorteil.

    Spengler: Herr Pleuger, erschwert es eigentlich das Bemühen um einen Sicherheitsratssitz, dass sich gestern die Bundeskanzlerin mit dem Dalai Lama getroffen hat, das erste Treffen des geistlichen Oberhaupts der Tibeter mit einem deutschen Regierungschef überhaupt? Es kam ja zu heftigem Protest eines weiteren "global players", von China.

    Pleuger: Nein, das glaube ich nicht. China hat einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat, falls es zur Reform kommt, immer unterstützt und diese Unterstützung auch niemals zurückgezogen, auch jetzt nicht.

    Zweitens: Deutschland anerkennt die Ein-China-Politik und das wissen auch die Chinesen. Und drittens: Jede Bundesregierung hat sich das Recht herausgenommen, selber zu bestimmen, mit wem die Bundesregierung spricht, und ich glaube das ist ihr gutes Recht. Es hat viertens jedes Mal, wenn ein Regierungschef mit dem Dalai Lama gesprochen hat, nicht nur in Deutschland, auch anderswo, eine Verärgerung der Chinesen gegeben, aber das wird sich auch wieder geben, weil sich an den grundlegenden politischen Linien, nämlich der Ein-China-Politik und der chinesischen Unterstützung der Reform der Vereinten Nationen nichts geändert hat.

    Spengler: Teilen Sie denn die Bedenken gegen dieses Treffen, die es im Auswärtigen Amt, Ihrer alten Wirkungsstätte gegeben hat?

    Pleuger: Nein. Ich sage doch gerade: Jeder Staat und jeder Außenminister und jede Regierungschefin hat das Recht, selber zu bestimmen, mit wem es redet. Man redet natürlich in der Diplomatie nicht nur mit den Freunden, sondern man redet auch mit potenziellen Gegnern oder mit Menschen wie dem Dalai Lama, der ein berechtigtes politisches Anliegen vertritt, ohne deshalb die Grundlinien der deutschen Außenpolitik zu verändern.

    Spengler: Gunter Pleuger, der ehemalige deutsche UNO-Botschafter. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Pleuger.

    Pleuger: Auf Wiederhören Herr Spengler.