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Plutonium-Fabrik soll nach Russland geliefert werden

Meurer: Einst sorgte der hessische Umweltminister Joschka Fischer dafür, dass die Siemens-Plutoniumfabrik in Hanau nie in Betrieb gehen durfte. Jetzt soll genau diese Fabrik komplett abmontiert und nach Russland geliefert werden. Umweltverbände und Teile der Grünen-Basis protestieren, doch die Bundesregierung hat ihre Gründe. Sie verweist auf die nötige Hilfe und die international vereinbarte Unterstützung für Moskau, dass das Plutonium aus seinen Atomwaffensprengköpfen entsorgen muss. Abrüstungspolitisch erwünscht, aber für die Grünen ein schwieriges Problem, ausgerechnet die Plutoniumfabrik nach Russland exportieren zu lassen. Am Telefon begrüße ich Rebecca Harms. Sie ist Fraktionschefin der Bündnis-Grünen im niedersächsischen Landtag. Guten Morgen Frau Harms.

    Harms: Guten Morgen.

    Meurer: Wie schwer tun Sie sich mit dieser sich abzeichnenden Entscheidung der Bundesregierung?

    Harms: Ich glaube, dass das eine sehr problematische Entscheidung ist, und zwar aus noch einem weiteren Grund, den Sie jetzt gar nicht angesprochen haben. Es wird im Zusammenhang mit dieser Lieferung der Hanauer Anlage oder der wichtigen Komponenten dieser Anlage immer davon gesprochen, dass das ein großer Beitrag zur Abrüstung und zu dem Ziel der Nichtweiterverbreitung von waffenfähigem Plutonium sei. Dazu muss ich erstens einmal sagen: Nach meiner Kenntnis der Dinge ist es so, dass der Abrüstungsbeitrag, das was man auf dem Ziel erreicht, das Plutonium nicht mehr verfügbar zu machen, ein sehr geringer Beitrag ist, wenn man diesen Weg geht, das Plutonium in Mox-Brennelemente einzubauen. Die Amerikaner, die ja eine gleiche Menge Plutonium vom Markt nehmen wollen, aus dem Verkehr ziehen wollen, hatten sich ursprünglich für einen ganz anderen Weg entschieden: die sogenannte Immobilisierung, also die Verpackung und Endlagerung von Plutonium. Das beschäftigt mich in dem Zusammenhang natürlich genauso wie jetzt der Beitrag, den diese Anlage zu einem großen neuen zivilen Atomprogramm in der Sowjetunion leisten soll.

    Meurer: Ihrem Verdacht ließe sich ja mit Überprüfungsmaßnahmen entgegenkommen. Man kann dann ja Inspektoren in die Kernkraftwerke schicken, denn ich verstehe Sie ja recht: Sie verdächtigen Russland, dass die Möglichkeit besteht, die Brennstäbe sozusagen wieder in Waffenplutonium zurückzuverwandeln?

    Harms: Nein, ich verdächtige da nicht unbedingt nur Russland. Ich sage nur, Russland ist groß. Der Zustand der russischen Anlagen, in denen dann ja auch diese Mox-Brennelemente für einen sehr langen Zeitraum erst mal gelagert und dann eingesetzt werden müssen, ist denkbar schlecht. Risiken gibt es dort eine Menge. Dasselbe gilt für jedes andere Land ganz ähnlich, in dem dieser Weg gegangen würde.

    Meurer: Wieso macht der Außenminister Joschka Fischer da mit?

    Harms: Wenn er dort mitmacht, dann sicher nicht mit einem guten Gefühl. Es gibt ja fast niemanden bei den Grünen, der sich mit den Problemen auch von Mox-Brennelementen im Zusammenhang mit Hanau so befasst hat wie der Umweltminister persönlich. Er hat ja in der Bundesrepublik diese Anlage verhindert. Ich glaube, dass das jetzt wieder eintritt, was wir schon kennen. Es ist eine Entscheidung getroffen worden. Außerhalb der Bundesregierung ist eine Entscheidung auf der G8-Ebene getroffen worden, und jetzt sind alle G8-Mitglieder im Grunde unter dem Druck, diese Entscheidung, die die Amerikaner und die Russen getroffen haben, nachzuvollziehen. Ich würde mir wünschen, dass in dieser Situation, die ich was Sicherheit auch der russischen Bevölkerung angeht für hoch problematisch halte, die Bundesregierung nicht einfach mitzieht, sondern das noch mal neu problematisiert. Wie groß die Spielräume für den Außenminister sind kann ich nicht beurteilen.

    Meurer: Sie fordern, in internationalen Gremien noch darüber zu reden, aber es ist schon auf zwei G8-Gipfeln darüber verhandelt worden?

    Harms: Ja, es ist aber nie deutlich gemacht worden, wie gering der Anteil ist, wie gering man weiterkommt auf dem Weg der Nichtweiterverbreitung. Das ist tatsächlich ein sehr, sehr geringer Beitrag, den man dort leistet, diese Menge Plutonium zu verringern. Selbst nach dem Einsatz eines Mox-Brennelementes in einem Kraftwerk ist es ja immer noch verfügbar. Das ist dann zwar alles schwieriger, aber man käme da noch heran. Darüber ist nie geredet worden, und es ist nie darüber geredet worden, dass man über diesen Weg, den man da geht und den man Abrüstung nennt, ja in Russland überhaupt das erstemal ermöglicht, den Einstieg in einen großen zivilen Kreislauf zu beginnen. Das was an Risiken damit verknüpft ist, wenn man schlechte alte russische Reaktoren jetzt umrüstet für den Mox-Einsatz, darüber ist nie diskutiert worden. Das finde ich gerade jetzt, wo doch wieder unter verschiedenen Aspekten über den Zustand der technischen Anlagen in Russland geredet wird, ein großes Versäumnis und international eigentlich verantwortungslos.

    Meurer: Und wenn sich international jetzt keine andere Lösung mehr aushandeln lässt, was geschieht dann?

    Harms: Gestern ist ja in der Diskussion aufgetaucht, dass auf keinen Fall mit deutschem Geld oder Regierungsbürgschaften, präziser gesagt nicht mit Regierungsbürgschaften dieser Export von Hanau unterstützt werden darf. Das halte ich natürlich für eine Selbstverständlichkeit. Darüber sollte man gar nicht weiter reden, dass das nicht passieren darf. Es gibt die Überlegung, dass dann im Rahmen dieser Abrüstungshilfen, die die ehemalige Sowjetunion, also die Russland für die Plutoniumbearbeitung bekommt, kein deutsches Geld für die Herstellung von Mox eingesetzt wird. Es gibt einen Teil des Plutoniums, das so schmutzig ist, dass es gar nicht geeignet ist für die Herstellung von solchen Brennelementen. Deshalb wird man dieses Plutonium dann immobilisieren. Darauf sollen sich die Deutschen konzentrieren. Das heißt aber, wenn man solche Wege gehen will oder solche Wege sucht, dass man eigentlich natürlich seine Stimme ganz laut erheben muss gegen den Weg, der international entschieden worden ist.

    Meurer: Und diese laute Stimme vermissen Sie bei den Parteifreunden in Berlin?

    Harms: Im Zusammenhang mit der Entscheidung in der Bundesrepublik, aus der Atomenergie auszusteigen - das ist ja zumindest auf den Weg gebracht -, in diesem Zusammenhang ist natürlich nicht richtig, wenn man als Bundesrepublik dazu beiträgt, dass in Russland ein Neueinstieg organisiert wird.

    Meurer: Und genau das müssen Sie ja Ihren Parteifreunden der Antiatomkraftbewegung in Niedersachsen erklären. Sie haben ja das Zwischenlager und geplante Endlager in Gorleben. Werden die Grünen damit völlig unglaubwürdig an der Basis in Niedersachsen?

    Harms: Ich glaube, dass diese atompolitischen Entscheidungen der letzten Monate schon gezeigt haben, dass die Grünen einiges an Problemen dort haben. Es gibt ja Parteifreunde von mir, die gedacht haben, mit der Unterschrift unter diesen Konsensvertrag wären die Probleme vorbei. Das stimmt weder in der Bundesrepublik selber und das stimmt natürlich schon gar nicht im Zusammenhang mit solchen internationalen Entscheidungen.

    Meurer: Das war Rebecca Harms, die Fraktionsvorsitzende der Bündnis-Grünen im niedersächsischen Landtag. - Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Harms, und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio