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Farhad Showghi: "Anlegestellen für Helligkeiten"
Poesie als Flüstersprache

Mit seiner traumnahen Wahrnehmungskunst ist der in Hamburg lebende Dichterarzt Farhad Showghi eine Ausnahmegestalt der Gegenwartslyrik. In seinem neuen Gedichtband "Anlegestellen für Helligkeiten" stellt er das Sehen und das Hören selbst auf den Prüfstand.

Von Michael Braun | 14.12.2021
Farhad Showghi: "Anlegestellen für Helligkeiten"
Zu sehen sind der Autor und das Buchcover
Farhad Showghi: "Anlegestellen für Helligkeiten" (Foto: G2 Baraniak, Buchcover: Kookbooks)
Es gehört zur Kunst des Dichters Farhad Showghi, sich das tiefe Staunen vor der Welt und den Wörtern zu bewahren, das am Anfang jeder substantiellen Dichtkunst steht. Dabei gestattet sich seine Poesie weder eine sinnliche Gewissheit noch die begriffliche Zurüstung der Welt. Es gibt stattdessen nur die Selbstbefragungen eines hochempfindlichen ästhetischen Bewusstseins, das sich vorsichtig an die Phänomene der Natur und die von Routinen beherrschte Alltagswelt herantastet und dabei alle stereotypen Zuschreibungen auflöst.

Ankerpunkte für Sprachlandschaften


In einem Gespräch hat Farhad Showghi einmal vor Jahren erklärt, dass seine Art der poetischen Wahrnehmung viel mit den sinnlichen Erfahrungen im Tal seiner Kindheit im iranischen Elbursgebirge zu tun hat. Dort wuchs der 1961 in Prag geborene Dichter in einem kleinen Dorf auf, umgeben von hohen Bergen und einem Fluss. Bereits Showghis zauberhaftes Debütbuch von 1998, der damals im kleinen Hamburger Rospo Verlag erschienene Band „Die Walnußmaske, durch die ich mich träumend aß“, beschrieb das Elbursgebirge nahe dem Kaspischen Meer als rätselvoll schöne Sprachlandschaft.
Und auch in den Langgedichten in Showghis neuem Buch „Anlegestellen für Helligkeiten“ erweisen sich an einigen Stellen Landschaften im Iran als Ankerpunkte der poetischen Wahrnehmung. Die iranische Wüstenstadt Yazd , die Provinz Mazandaran und das Elbursgebirge fungieren hier als Chiffren, die das Ich der Gedichte vor sich hinmurmelt, um seinen poetischen Zugang zur Welt zu finden:
„Jemand sagt Evros, jemand sagt Elburs,
und der Nächste schon Schwirr! Oder nur Oh!
Meint aber wohl die vom Mondschein
verflüssigte Schläfe,
als Gegengewicht zum Lärm des Wassers
zum Zungenstich durch die knochenlose Stirn.“

Träumerische Weltbetrachtung

In einem Motto des mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichneten Vorgängerbuches „Wolkenflug sucht Zerreißprobe“ aus dem Jahr 2017 berief sich Showghi auf den französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty und dessen Phänomenologie als Erkenntnismodell für seine eigene Art des poetischen Wahrnehmens:
„Es geht nicht mehr darum, von Raum und Licht zu sprechen, sondern den Raum und das Licht, die da sind, sprechen zu lassen; ein endloses Fragen, weil das Sehen, an das es sich richtet, selbst eine Frage ist.“
Das darf man als poetisches Grundsatzprogramm des Dichters Farhad Showghi lesen: Er bevorzugt ein Sprechen, das jede vorschnelle Fixierung aufhebt und stattdessen das Sehen und das Hören selbst auf den Prüfstand stellt.
Ein Großteil seiner neuen Langgedichte trägt nicht zufällig den Titel „Fehler im Traum“. Dieser Titel irritiert zunächst durch seine Paradoxie. Denn ein Traumgeschehen kann in seiner Eigendynamik keine „Fehler“ enthalten, da es der Kontrolle des Träumenden entzogen ist. Farhad Showghi markiert damit aber in aller Klarheit den Weg seiner poetischen Wahrnehmungskunst. „Ich schlafe ins Sprechen“, heißt es an einer Stelle programmatisch – und das Plädoyer für Helligkeit, Illumination und ein lichterfülltes Schimmern der registrierbaren Welt ist ja schon im Titel seines Gedichtbuchs benannt.

Fluide Zustände

In vier großen Kapiteln mit insgesamt 26 Langgedichten durchquert Farhad Showghi seine eigentümlichen Sprachlandschaften, wobei die Orte seiner Kindheit von Prag über Teheran bis zu seiner Heimatstadt Hamburg ebenso aufleuchten wie die poetisch flirrenden Wörter seines Naturkosmos.
Als Schlüsselwörter in Showghis Poesie fungieren Vokabeln wie „Grenzfluss“, „Schatten“ oder „Schimmerlicht“, Wörter, die Momente des Übergangs oder fluide Zustände bezeichnen.  In den „Fehler im Traum“-Gedichten versammelt der Autor einige Lieblingswörter, die seine träumerische Poesie der Stille und der „Klangfarbenberührung“ sehr gut charakterisieren:
„Du wirst hellhörig.
Deine Handlung ist einfach,
du trägst wenig bei dir,
so gut eingepasst in deine Auflösungserscheinung:
Sprich über die Verbindung von Schwarz und Blau,
über das Nebeneinander von Knisterhüllen, Klangfarben,
Flüstersprachen.“
Farhad Showghi ist ein einzigartiger Dichter der „Flüstersprache“, der die Dinge so ins Licht zu rücken versteht, dass sie von sich aus zu strahlen beginnen.
Farhad Showghi: „Anlegestellen für Helligkeiten“
Kookbooks Verlag, Berlin.104 Seiten, 20 Euro.