Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Koczian.
Koczian: Bevor wir auf die großen Konflikte kommen, weil Sie sich gerade in Bratislava, dem alten Pressburg befinden, Deutschland blickt fasziniert nach Osten. Die wegen der Terrorgefahr hochbrisante Südflanke der EU überlässt man Italien und Spanien, der Maghreb-Gipfel fand ja gerade statt, gibt es da eine Schieflage in dem europäischen Interesse?
Pöttering: Es ist ganz natürlich, dass Deutschland aus seiner geographischen Lage nach Osten schaut - in die Beitrittsländer und nach Russland, und dass die Länder im Süden Europas mehr in den Mittelmeerraum schauen und nach Nordafrika, aber ich denke, dass wir als Deutsche auch den Mittelmeerraum sehr viel mehr zur Kenntnis nehmen sollten. Denn es sind ja Nachbarn für die Europäische Union insgesamt im Osten, und aber auch im Süden, und deswegen wäre es gut, wenn die deutsche Politik auch ein größeres Engagement im Mittelmeerraum machen würde.
Koczian: Nun zum Verfassungsentwurf des Konventes: Vor allem die zukünftige Struktur der Kommission ist heftig umstritten. Angenommen: Worst case, eine Einigung scheitert, dann gilt weiterhin der Vertrag von Nizza. Wäre das so schlimm?
Pöttering: Ich habe jetzt Ihre Frage schwer verstanden, aber ich glaube, ich weiß ungefähr die Richtung. Der Vertrag, die Verfassung darf jetzt nicht scheitern, denn es steht sehr viel auf dem Spiel. Bei der Verfassung geht es um die friedliche Ordnung unseres Kontinentes auf der Grundlage des Rechtes im 21. Jahrhundert und deswegen fordere ich alle Beteiligten, auch die Bundesregierung, auf, flexibel zu sein. Und es kann weder der Spruch gelten, Nizza oder der Tod, wie die Polen es sagen im Hinblick auf das Abstimmungsverfahren im Ministerrat noch kann die Bundesregierung sagen, wenn es nicht bei der doppelten Mehrheit im Rat bleibt, dann wird es kein Ergebnis geben. Alle müssen flexibel sein, es steht sehr viel auf dem Spiel, es geht um die Zukunft unseres europäischen Kontinents.
Koczian: Möglicherweise rührt das Unbehagen von der bis weit in die Medien verbreiteten Annahme, die EU ersetze im Sinne weiterer Zusammenarbeit die EG. Institutionell aber besteht die EG ja nach wie vor. Ihr Leitungsorgan ist die Kommission. Als zweite Säule neben dieser EG gehört die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zur EU. Deren oberstes Gremium aber ist der Ministerrat. Das es dort unterschiedliche Meinungen gibt, kann nicht überraschen und entspricht ja der Systematik. Hat man in dieser Hinsicht zuviel von der EU erwartet?
Pöttering: Nein, ich glaube nicht, dass man zuviel von der Europäischen Union erwartet hat, sondern Europa ist im Werden, Europa ist im Aufbau. Wir brauchen auf der einen Seite Leidenschaft für Europa, aber auf der anderen Seite auch Geduld und es geht jetzt, was die Außenpolitik betrifft, darum, dass wir die beiden Positionen des Zonenbeauftragten, was gegenwärtig Javier Solana macht und des für auswärtige Politik zuständigen Kommissars Chris Patten, dass wir das in einer Person zusammenfassen, und dass diese Person auch Vizepräsident der Europäischen Kommission ist und gleichzeitig europäischer Außenminister, der auch der Kontrolle des Parlamentes unterliegt. Und von dieser Person erwarten wir dann Vorschläge, und alle Staaten sollten sich dann mit dem Außenminister konsultieren, abstimmen und kein Land sollte isoliert vorgehen, wie wir das ja bedauerlicherweise in der Irak-Krise erlebt haben.
Koczian: Nun ist die Kommission die Hüterin der Verträge, dafür wird sie so zusagend bezahlt. Wenn sie auf den Stabilitätspakt pocht und bei Frankreich und Deutschland abblitzt, wird dann Erreichtes wieder grundlegend in Frage gestellt?
Pöttering: Ja, Sie haben völlig recht, Herr Koczian, wir müssen darauf bestehen, dass das Gemeinschaftsrecht eingehalten wird. Und unsere Fraktion der Europäischen Volkspartei der Christdemokraten hat die Kommission und auch den zuständigen Kommissar Pedro Solbes, der ja nicht zu unserer Parteienfamilie gehört, sondern Sozialdemokrat ist, nachdrücklich unterstützt bei seinen Stabilitätsbemühungen. Und es war ein Verstoß gegen das europäische Recht, dass man dann durch die Finanzminister Deutschland und Frankreich so zusagend einen Bonus gegeben hat und dass man große Länder anders behandelt als kleine. Und gerade hier in Bratislava hat man kein Verständnis dafür, dass, wenn jetzt die Slowakei große Anstrengungen für die Haushaltssanierung unternehmen muss, dass Deutschland und Frankreich hier über die Drei-Prozent-Grenze gehen können, dass man das alles akzeptiert. Das ist ein sehr schlechtes Beispiel für die Beitrittsländer, für die kleinen Ländern, auch in Europa, und es darf keinen Gegensatz geben zwischen den größeren und den kleinen Ländern, sondern es gibt auch so etwas wie eine Ethik des Miteinanders, und die Europäische Union wird nur Bestand haben, wenn die Würde und der Respekt auch gegenüber den Kleinen gewahrt wird.
Koczian: Nun könnte man ja auch sagen, man sollte Jacques Delors, den Vater des Paktes, ernster nehmen. Dass Deutschland nach zwei verheerenden Inflationen vor allem die Stabilität diskutiert, ist nachvollziehbar, doch Delors zielte auf stabilité et croissance, also Stabilität und Wachstum, was die Anwendung des Paktes als Wachstumshemmnis doch aber ausschließt?
Pöttering: Ich glaube nicht, dass der Stabilitätspakt zu einem Wachstumshemmnis führt. Es ist ja eine falsche Annahme, dass man glaubt, dass durch Schuldenpolitik man zu Wachstum kommt. Genau das Umgekehrte ist der Fall. Wir brauchen solide Haushalte, denn wenn mehr Schulden gemacht werden, dann steigen die Zinsen, dann steigt die Inflation. Das Geld muss zurückgezahlt werden, die Unternehmen können keine zinsgünstigen Kredite aufnehmen, sie können nicht investieren, und deswegen sind immer die Schulden von heute die Steuern von morgen. Das Geld muss ja irgendwie wieder hereinkommen und wir belasten zukünftige Generationen, die junge Generation auch von heute, und deswegen bestehen wir darauf, die Christdemokraten in Europa, dass wir den Stabilitätspakt einhalten, und dass vor allen Dingen in wirtschaftlich guten Zeiten die Haushalte in ihrer Verschuldung gegen Null gefahren werden, so dass man dann in schwierigeren Zeiten etwas mehr Luft, etwas mehr Flexibilität hat und gegen diese Prinzipien ist verstoßen worden. Und es ist schon eine ziemliche Tragödie, dass große Staaten wie Deutschland und Frankreich hier auch mit einer Attitüde, dass sie nun große Staaten sind, vorangehen und das beeinträchtigt den Geist und die Zusammenarbeit in der Europäischen Union.
Koczian: Sie sprachen gerade von der Ethik des Miteinanders und der Attitüde der Großen. Auch wenn Luxemburg als Vorzeige-Kleiner zum Pralinengipfel eingeladen wurde, es macht sich doch eine Front auf zwischen Spanien und Polen auf der einen Seite und Deutschland und Frankreich auf der anderen, weil man wie die ganz Großen eben doch auf die Differenz Wert legt zu den Zweitgrößten. Was hat das zur Folge?
Pöttering: Ja, das ist eben diese gefahrvolle Entwicklung, die wir erlebt haben sowohl in der Stabilitätsfrage als auch im Irak-Krieg. Und das deutsch-französische Verhältnis ist immer essentiell, immer wichtig gewesen für den Fortschritt Europas insgesamt. Aber leider ist heute das deutsch-französische Verhältnis nicht mehr vorbildhaft für das weitere Vorangehen der Europäer insgesamt. Und wir müssen von der deutschen Regierung und von unseren französischen Partnern erwarten, dass sie die deutsch-französische Zusammenarbeit in den Dienst Europas stellen und dass Europa nicht gespalten wird.
Koczian: Damit zur EU-eigenen Verteidigungspolitik. Der Verschiebebahnhof, also die militärische Infrastruktur, kommt von der NATO. Wenn man nun, um im Bild zu bleiben, zwei Stellwerke baut, Shape und eine EU-eigene Führungszelle, sind dann Kollisionen nicht vorprogrammiert?
Pöttering: Also, die Europäer müssen stärker werden in der Verteidigung und wir müssen ein gleichberechtigter Partner unserer amerikanischen Freunde werden. Die Fehlentwicklung über Jahrzehnte lag ja darin, dass unsere amerikanischen Freunde dominant waren. Sie sind auch heute eine Weltmacht, eine Supermacht, und Europa gar nicht das Notwendige auch an Verteidigungsmaterial hat. Wir waren im Rüstungsmarkt in Europa immer zersplittert. Wir haben keine gemeinsamen Anstrengungen wirklich gehabt und das müssen wir jetzt schaffen, aber wir dürfen diese europäische Verteidigung nicht im Gegensatz zu unseren amerikanischen Partnern und Freunden aufbauen, sondern es muss sich ergänzen. Wir brauchen eine nordatlantische Allianz, die aus zwei Pfeilern besteht: der Säule Amerika, das heißt, USA und Kanada, und der Säule Europa. Und auf dieser Basis müssen wir gleichberechtigt zusammenarbeiten und das Ganze muss sich ergänzen.
Koczian: Letzte Frage, ein Blick auf den kommenden Europawahlkampf. Ist auszuschließen, dass von der deutschen Seite das Thema Türkei-Beitritt instrumentalisiert wird, denn das ist ja auf keinen Fall eine Frage von Morgen.
Pöttering: Ja, was heißt instrumentalisiert, Herr Koczian. Man kann aus dem Wahlkampf keine Frage ausklammern. Was die Beziehungen zu unseren türkischen Partner, die ja ein verlässlicher Partner in der nordatlantischen Allianz sind, angeht, so müssen wir über die Frage sprechen, ob jedes Land, das sich gegenüber Europa öffnen möchte, auch Mitglied der Europäschen Union werden sollte. Diese Frage verlangt sehr viel Respekt voreinander. Man muss sehr nüchtern, aber sehr aufrichtig auch darüber diskutieren und wir sagen auch gerade jetzt, nach den schrecklichen Terroranschlägen in Istanbul, wir sind solidarisch in der Bekämpfung des Terrorismus mit unseren türkischen Partnern. Aber eine völlig andere Frage ist, ob jede Europaorientierung zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union führen muss und ob wir nicht eine privilegierte Partnerschaft anstreben sollten zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Und dieses ist ein Konzept, über das wir jetzt miteinander sprechen müssen, aber auf der Basis des gegenseitigen Respektes, der Achtung und der Würde vor der Türkei und natürlich auch der Europäischen Union.
Koczian: In den Informationen am Morgen hörten Sie Hans-Gert Pöttering, EVP-Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament, danke nach Bratislava.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Koczian.
Koczian: Bevor wir auf die großen Konflikte kommen, weil Sie sich gerade in Bratislava, dem alten Pressburg befinden, Deutschland blickt fasziniert nach Osten. Die wegen der Terrorgefahr hochbrisante Südflanke der EU überlässt man Italien und Spanien, der Maghreb-Gipfel fand ja gerade statt, gibt es da eine Schieflage in dem europäischen Interesse?
Pöttering: Es ist ganz natürlich, dass Deutschland aus seiner geographischen Lage nach Osten schaut - in die Beitrittsländer und nach Russland, und dass die Länder im Süden Europas mehr in den Mittelmeerraum schauen und nach Nordafrika, aber ich denke, dass wir als Deutsche auch den Mittelmeerraum sehr viel mehr zur Kenntnis nehmen sollten. Denn es sind ja Nachbarn für die Europäische Union insgesamt im Osten, und aber auch im Süden, und deswegen wäre es gut, wenn die deutsche Politik auch ein größeres Engagement im Mittelmeerraum machen würde.
Koczian: Nun zum Verfassungsentwurf des Konventes: Vor allem die zukünftige Struktur der Kommission ist heftig umstritten. Angenommen: Worst case, eine Einigung scheitert, dann gilt weiterhin der Vertrag von Nizza. Wäre das so schlimm?
Pöttering: Ich habe jetzt Ihre Frage schwer verstanden, aber ich glaube, ich weiß ungefähr die Richtung. Der Vertrag, die Verfassung darf jetzt nicht scheitern, denn es steht sehr viel auf dem Spiel. Bei der Verfassung geht es um die friedliche Ordnung unseres Kontinentes auf der Grundlage des Rechtes im 21. Jahrhundert und deswegen fordere ich alle Beteiligten, auch die Bundesregierung, auf, flexibel zu sein. Und es kann weder der Spruch gelten, Nizza oder der Tod, wie die Polen es sagen im Hinblick auf das Abstimmungsverfahren im Ministerrat noch kann die Bundesregierung sagen, wenn es nicht bei der doppelten Mehrheit im Rat bleibt, dann wird es kein Ergebnis geben. Alle müssen flexibel sein, es steht sehr viel auf dem Spiel, es geht um die Zukunft unseres europäischen Kontinents.
Koczian: Möglicherweise rührt das Unbehagen von der bis weit in die Medien verbreiteten Annahme, die EU ersetze im Sinne weiterer Zusammenarbeit die EG. Institutionell aber besteht die EG ja nach wie vor. Ihr Leitungsorgan ist die Kommission. Als zweite Säule neben dieser EG gehört die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zur EU. Deren oberstes Gremium aber ist der Ministerrat. Das es dort unterschiedliche Meinungen gibt, kann nicht überraschen und entspricht ja der Systematik. Hat man in dieser Hinsicht zuviel von der EU erwartet?
Pöttering: Nein, ich glaube nicht, dass man zuviel von der Europäischen Union erwartet hat, sondern Europa ist im Werden, Europa ist im Aufbau. Wir brauchen auf der einen Seite Leidenschaft für Europa, aber auf der anderen Seite auch Geduld und es geht jetzt, was die Außenpolitik betrifft, darum, dass wir die beiden Positionen des Zonenbeauftragten, was gegenwärtig Javier Solana macht und des für auswärtige Politik zuständigen Kommissars Chris Patten, dass wir das in einer Person zusammenfassen, und dass diese Person auch Vizepräsident der Europäischen Kommission ist und gleichzeitig europäischer Außenminister, der auch der Kontrolle des Parlamentes unterliegt. Und von dieser Person erwarten wir dann Vorschläge, und alle Staaten sollten sich dann mit dem Außenminister konsultieren, abstimmen und kein Land sollte isoliert vorgehen, wie wir das ja bedauerlicherweise in der Irak-Krise erlebt haben.
Koczian: Nun ist die Kommission die Hüterin der Verträge, dafür wird sie so zusagend bezahlt. Wenn sie auf den Stabilitätspakt pocht und bei Frankreich und Deutschland abblitzt, wird dann Erreichtes wieder grundlegend in Frage gestellt?
Pöttering: Ja, Sie haben völlig recht, Herr Koczian, wir müssen darauf bestehen, dass das Gemeinschaftsrecht eingehalten wird. Und unsere Fraktion der Europäischen Volkspartei der Christdemokraten hat die Kommission und auch den zuständigen Kommissar Pedro Solbes, der ja nicht zu unserer Parteienfamilie gehört, sondern Sozialdemokrat ist, nachdrücklich unterstützt bei seinen Stabilitätsbemühungen. Und es war ein Verstoß gegen das europäische Recht, dass man dann durch die Finanzminister Deutschland und Frankreich so zusagend einen Bonus gegeben hat und dass man große Länder anders behandelt als kleine. Und gerade hier in Bratislava hat man kein Verständnis dafür, dass, wenn jetzt die Slowakei große Anstrengungen für die Haushaltssanierung unternehmen muss, dass Deutschland und Frankreich hier über die Drei-Prozent-Grenze gehen können, dass man das alles akzeptiert. Das ist ein sehr schlechtes Beispiel für die Beitrittsländer, für die kleinen Ländern, auch in Europa, und es darf keinen Gegensatz geben zwischen den größeren und den kleinen Ländern, sondern es gibt auch so etwas wie eine Ethik des Miteinanders, und die Europäische Union wird nur Bestand haben, wenn die Würde und der Respekt auch gegenüber den Kleinen gewahrt wird.
Koczian: Nun könnte man ja auch sagen, man sollte Jacques Delors, den Vater des Paktes, ernster nehmen. Dass Deutschland nach zwei verheerenden Inflationen vor allem die Stabilität diskutiert, ist nachvollziehbar, doch Delors zielte auf stabilité et croissance, also Stabilität und Wachstum, was die Anwendung des Paktes als Wachstumshemmnis doch aber ausschließt?
Pöttering: Ich glaube nicht, dass der Stabilitätspakt zu einem Wachstumshemmnis führt. Es ist ja eine falsche Annahme, dass man glaubt, dass durch Schuldenpolitik man zu Wachstum kommt. Genau das Umgekehrte ist der Fall. Wir brauchen solide Haushalte, denn wenn mehr Schulden gemacht werden, dann steigen die Zinsen, dann steigt die Inflation. Das Geld muss zurückgezahlt werden, die Unternehmen können keine zinsgünstigen Kredite aufnehmen, sie können nicht investieren, und deswegen sind immer die Schulden von heute die Steuern von morgen. Das Geld muss ja irgendwie wieder hereinkommen und wir belasten zukünftige Generationen, die junge Generation auch von heute, und deswegen bestehen wir darauf, die Christdemokraten in Europa, dass wir den Stabilitätspakt einhalten, und dass vor allen Dingen in wirtschaftlich guten Zeiten die Haushalte in ihrer Verschuldung gegen Null gefahren werden, so dass man dann in schwierigeren Zeiten etwas mehr Luft, etwas mehr Flexibilität hat und gegen diese Prinzipien ist verstoßen worden. Und es ist schon eine ziemliche Tragödie, dass große Staaten wie Deutschland und Frankreich hier auch mit einer Attitüde, dass sie nun große Staaten sind, vorangehen und das beeinträchtigt den Geist und die Zusammenarbeit in der Europäischen Union.
Koczian: Sie sprachen gerade von der Ethik des Miteinanders und der Attitüde der Großen. Auch wenn Luxemburg als Vorzeige-Kleiner zum Pralinengipfel eingeladen wurde, es macht sich doch eine Front auf zwischen Spanien und Polen auf der einen Seite und Deutschland und Frankreich auf der anderen, weil man wie die ganz Großen eben doch auf die Differenz Wert legt zu den Zweitgrößten. Was hat das zur Folge?
Pöttering: Ja, das ist eben diese gefahrvolle Entwicklung, die wir erlebt haben sowohl in der Stabilitätsfrage als auch im Irak-Krieg. Und das deutsch-französische Verhältnis ist immer essentiell, immer wichtig gewesen für den Fortschritt Europas insgesamt. Aber leider ist heute das deutsch-französische Verhältnis nicht mehr vorbildhaft für das weitere Vorangehen der Europäer insgesamt. Und wir müssen von der deutschen Regierung und von unseren französischen Partnern erwarten, dass sie die deutsch-französische Zusammenarbeit in den Dienst Europas stellen und dass Europa nicht gespalten wird.
Koczian: Damit zur EU-eigenen Verteidigungspolitik. Der Verschiebebahnhof, also die militärische Infrastruktur, kommt von der NATO. Wenn man nun, um im Bild zu bleiben, zwei Stellwerke baut, Shape und eine EU-eigene Führungszelle, sind dann Kollisionen nicht vorprogrammiert?
Pöttering: Also, die Europäer müssen stärker werden in der Verteidigung und wir müssen ein gleichberechtigter Partner unserer amerikanischen Freunde werden. Die Fehlentwicklung über Jahrzehnte lag ja darin, dass unsere amerikanischen Freunde dominant waren. Sie sind auch heute eine Weltmacht, eine Supermacht, und Europa gar nicht das Notwendige auch an Verteidigungsmaterial hat. Wir waren im Rüstungsmarkt in Europa immer zersplittert. Wir haben keine gemeinsamen Anstrengungen wirklich gehabt und das müssen wir jetzt schaffen, aber wir dürfen diese europäische Verteidigung nicht im Gegensatz zu unseren amerikanischen Partnern und Freunden aufbauen, sondern es muss sich ergänzen. Wir brauchen eine nordatlantische Allianz, die aus zwei Pfeilern besteht: der Säule Amerika, das heißt, USA und Kanada, und der Säule Europa. Und auf dieser Basis müssen wir gleichberechtigt zusammenarbeiten und das Ganze muss sich ergänzen.
Koczian: Letzte Frage, ein Blick auf den kommenden Europawahlkampf. Ist auszuschließen, dass von der deutschen Seite das Thema Türkei-Beitritt instrumentalisiert wird, denn das ist ja auf keinen Fall eine Frage von Morgen.
Pöttering: Ja, was heißt instrumentalisiert, Herr Koczian. Man kann aus dem Wahlkampf keine Frage ausklammern. Was die Beziehungen zu unseren türkischen Partner, die ja ein verlässlicher Partner in der nordatlantischen Allianz sind, angeht, so müssen wir über die Frage sprechen, ob jedes Land, das sich gegenüber Europa öffnen möchte, auch Mitglied der Europäschen Union werden sollte. Diese Frage verlangt sehr viel Respekt voreinander. Man muss sehr nüchtern, aber sehr aufrichtig auch darüber diskutieren und wir sagen auch gerade jetzt, nach den schrecklichen Terroranschlägen in Istanbul, wir sind solidarisch in der Bekämpfung des Terrorismus mit unseren türkischen Partnern. Aber eine völlig andere Frage ist, ob jede Europaorientierung zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union führen muss und ob wir nicht eine privilegierte Partnerschaft anstreben sollten zwischen der Türkei und der Europäischen Union. Und dieses ist ein Konzept, über das wir jetzt miteinander sprechen müssen, aber auf der Basis des gegenseitigen Respektes, der Achtung und der Würde vor der Türkei und natürlich auch der Europäischen Union.
Koczian: In den Informationen am Morgen hörten Sie Hans-Gert Pöttering, EVP-Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament, danke nach Bratislava.
Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Koczian.