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Pöttering: Iran zu Votum über Urananreicherung drängen

Der Iran müsse dazu gedrängt werden, zum Rahmenabkommen mit der internationalen Gemeinschaft über die Urananreichung Stellung zu beziehen, sagt der Europa-Abgeordnete Hans-Gert Pöttering (CDU).

Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Mario Dobovisek | 24.10.2009
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich den CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering. Bis zum Sommer war er Präsident des Europäischen Parlaments und leitet jetzt dessen Arbeitsgruppe für den Nahen Osten. Guten Morgen, Herr Pöttering!

    Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Wie lange lässt sich die internationale Gemeinschaft, damit auch die EU, Ahmadinedschad, seine Verzögerungstaktik noch durchgehen, Herr Pöttering?

    Pöttering: Ja, wir müssen natürlich darauf achten, die internationale Gemeinschaft, dass es hier kein Katz-und-Maus-Spiel der Regierung und des Präsidenten vor allen Dingen im Iran gibt, sodass die Zeit, die zur Verfügung steht, um dieses Rahmenabkommen zu billigen, durch den Iran sicher begrenzt ist. Die Experten sagen, die Entscheidungsstrukturen in Teheran sind schwierig, sie sind kompliziert, aber das darf nicht dazu führen, dass die internationale Gemeinschaft nicht zu einem Ergebnis kommt. Die Zeit drängt.

    Dobovisek: Warten wir, bis Teheran offiziell den Besitz einer Atombombe verkündet?

    Pöttering: Also das muss auf jeden Fall verhindert werden, dass der Iran über nukleare Waffen verfügt, denn die Politik des Iran, insbesondere des Präsidenten Ahmadinedschad, verdient kein Vertrauen. Und das ist das Grundproblem. Wenn die Politik in Teheran Vertrauen verdiente, wäre die ganze Lage ja nicht so dramatisch, und deswegen ist es auch sehr entscheidend, dass jetzt die Inspektionsgruppe, die am Wochenende in die iranische Stadt Ghom geht, wo es ja eine Anlage gibt zur Urananreicherung …

    Dobovisek: Das ist die zweite, die gerade erst entdeckt wurde.

    Pöttering: … Informationen gegeben werden.

    Dobovisek: Genau, das ist die zweite Anlage, die gerade erst entdeckt wurde, nachdem ja Barack Obama schon seine Hände Ahmadinedschad gereicht hatte für eine Verständigung. Das heißt, die Bemühungen, Verständnis zu gewinnen und eine Einigung zu erzielen, die sind ja nicht neu. Das heißt, Sie sagen, mit Ahmadinedschad zu verhandeln, sei schwierig, weil er nicht vertrauenswürdig sei beziehungsweise die Regierung. Wie kann man denn überhaupt dann Vertrauen gewinnen und weiterverhandeln?

    Pöttering: Das kann man natürlich nur durch ganz konkrete Taten. Wenn man zu einem Partner kein Vertrauen hat – und man hat kein Vertrauen zu Ahmadinedschad wegen seiner unglaublichen Erklärungen zum Holocaust und zur Existenz Israels –, dann müssen sehr konkrete Taten, das heißt in diesem Fall Kontrollen vorgenommen werden. Und diese Kontrollen müssen geschehen durch die Internationale Atomenergiebehörde, und da muss die internationale Gemeinschaft darauf bestehen, dass diese Kontrollen umfassend sind, dass die Internationale Atomenergiebehörde Zugang bekommt zu allen Einrichtungen, die dazu geeignet sein könnten, Nuklearwaffen herzustellen. Und deswegen ist es wichtig, dieses Rahmenabkommen zu bekommen, das dann aber auch sicherstellt, dass die Internationale Atomenergiebehörde umfassende Informationen über das, was im Iran geschieht, bekommt.

    Dobovisek: Immer wieder testet der Iran auch Raketen, die Israel erreichen könnten. Der frühere US-Spitzendiplomat John Bolton zum Beispiel sagte vor einiger Zeit hier im Deutschlandfunk an gleicher Stelle:

    John Bolton: Ich glaube, die Menschen innerhalb des Aufschlagkreises dieser Raketen müssen sich wirklich Sorgen machen. Über fünfeinhalb Jahre haben wir in der Bush-Regierung die Europäer unterstützt in ihren Verhandlungen mit Iran. Ich glaube, es war ein Fehler. Diese fünfeinhalb Jahre Verhandlungen haben letztlich nur dazu geführt, dass der Iran jetzt fünfeinhalb Jahre näher an der Entwicklung von Atomwaffen ist. Ich glaube, alles was innerhalb dieser Raketen liegt, ist jetzt wirklich bedroht.

    Dobovisek: Der Republikaner John Bolton ist zugegebenermaßen ein Hardliner in seinem Geschäft, aber ist da nicht auch etwas Wahres dran, kommt der Iran mit jedem Verhandlungstag der Bombe einen Schritt näher?

    Pöttering: Das, was der Iran tut, ist natürlich eine bedrohliche Entwicklung, und man darf es nicht gestatten, dass der Iran Nuklearwaffen bekommt, die dann mit Raketen in welche auch immer gearteten Ziele hineingeführt werden. Und deswegen sollte man noch eine gewisse Frist geben, um zu einem Rahmenabkommen zu kommen, aber es ist schon viel Zeit verloren. Und sollte es nicht zu einem Rahmenabkommen kommen, dann muss man eben darüber nachdenken, wie man reagiert, aber der Zeitpunkt ist jetzt verfrüht. Man sollte sicher noch einige Tage zuwarten, aber der Punkt der Entscheidung kommt.

    Dobovisek: Aber wie könnte die Entscheidung aussehen? Sie sagen gerade, Sie wollten dazu momentan nichts sagen, aber wir müssen schon darüber nachdenken, was der nächste Schritt sein muss, denn der Schritt muss bald folgen.

    Pöttering: Natürlich müsste der Schritt bald folgen, aber man sollte die nächsten Tage noch nutzen, zu einem Ergebnis zu kommen. Sollte das nicht der Fall sein, wird man sicher über sehr drastische Sanktionen gegenüber dem Iran nachdenken. Aber es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, dieses Szenario zu beschreiben. Aber irgendwann wird die internationale Gemeinschaft sich dazu entscheiden müssen. Und diese Bereitschaft muss man auch klar dem Iran sagen, denn Nuklearwaffen in der Hand des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad wäre für die internationale Gemeinschaft in keiner Weise akzeptabel.

    Dobovisek: Einmal muss ich doch noch mal nachfragen: Drastisch gleich militärisch?

    Pöttering: Nein, das ist sicher im gegenwärtigen Moment auszuschließen, aber man muss alle Optionen berücksichtigen. Aber erst kommen andere Maßnahmen, ehe man an die denkt, die Sie gerade erwähnt haben.

    Dobovisek: Aber Israel wolle für künftige Kriege bereit sein, hieß es gestern in Jerusalem. Dort interessiert man sich deshalb unter anderem für zwei neue deutsche Kriegsschiffe. Wie lange wird sich Israel noch im Atomstreit mit dem Iran zurückhalten? Der Finger ist ja längst am Abzug.

    Pöttering: Ja, die ganzen politischen Entwicklungen im Nahen Osten hängen natürlich miteinander zusammen – einmal diese Bedrohungslage, die hervorgerufen wird durch die Entwicklung im Iran, aber wir brauchen auch eine Lösung des Konfliktes zwischen Israel und Palästina. Und Israel sollte auch bereit sein, hier jetzt Schritte zu unternehmen, dass wir eine Zwei-Staaten-Lösung bekommen – Israel in sicheren Grenzen, aber auch Palästina in sicheren Grenzen. Und damit würde eine Entwicklung eingeleitet, die zum Frieden im Nahen Osten insgesamt beiträgt. Auch Israel und die Palästinenser müssen zu einem Abkommen beitragen, damit wir Sicherheit zwischen diesen beiden Ländern bekommen. Und hier sollte auch Israel ein Signal geben.

    Dobovisek: Was ändert sich in der Durchsetzungskraft der EU mit dem Vertrag von Lissabon, so er denn auch von Tschechien nächste Woche ratifiziert werden könnte?

    Pöttering: Der Vertrag von Lissabon ist ein großer Schritt für mehr Demokratie, mehr Parlamentarismus in der Europäischen Union. Das Europäische Parlament wird entscheidend gestärkt als Gesetzgeber, und auch in der Außenpolitik – und das ist ja der Zusammenhang, den Sie herstellen, Herr Dobovisek – in der Außenpolitik wird das Handeln der Europäischen Union leichter. Wir werden einen Außenminister haben, der zwar nicht so heißt, weil es gegen diesen Begriff von Großbritannien und anderen Widerspruch gab – er heißt Hoher Vertreter. Und dieser Hohe Vertreter, also eine Art Außenminister, wird gleichzeitig Vizepräsident der Europäischen Kommission sein. Damit haben wir die Telefonnummer, von der Henry Kissinger, der frühere Außenminister der USA einmal gesprochen hat, die es bisher nicht gibt, wenn man jemanden anrufen will in Europa, der für die Außenpolitik zuständig ist. Also das ist eine starke institutionelle Verbesserung. Und wir werden auch einen Auswärtigen Dienst der Europäischen Union bekommen. Das heißt, die Europäische Union als solche wird durch Botschaften vertreten sein in den wichtigen Staaten dieser Welt, sodass die Rolle der Europäischen Union im Sinne einer Einheitlichkeit der Politik in der Außensicherheitsverteidigungspolitik stärker wird.

    Dobovisek: Aber ganz kurz zum Schluss noch, Herr Pöttering: Soll Tony Blair, der ja im Gespräch ist, EU-Präsident zu werden, das richten, was im Nahostquartett ihm nicht gelungen ist?

    Pöttering: Also ich beteilige mich nicht an Personalspekulationen, auf die das Europäische Parlament keinen Einfluss hat. Der Präsident des Europäischen Rates wird ja bestimmt durch die Staats- und Regierungschefs. Wenn es um den Außenminister geht, der Vizepräsident der Kommission ist, dann ist das Europäische Parlament im Spiel, weil nämlich die Kommission das Vertrauen des Parlamentes gebraucht. Da wird das Europäische Parlament auch seine Forderungen oder seine Überlegungen einbringen und die Personen, die am Ende dann benannt werden, sorgfältig prüfen. Aber es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, Spekulationen über die Personen für die verschiedenen Aufgaben anzustellen.

    Dobovisek: Der CDU-Europaabgeordnete Hans-Gert Pöttering, vielen Dank für das Gespräch!