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Pöttering verlangt deutliche Worte gegenüber Ankara

Hans-Gert Pöttering, Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, erwartet in der Zypernfrage ein klares Signal der EU an die Türkei. "Die Europäische Union, will sie glaubwürdig bleiben, muss reagieren, wenn die Türkei nicht das Notwendige tut", sagte der CDU-Politiker. Allerdings dürfe ein "Zusammenprall" mit der Türkei nicht dazu führen, dass die Reformen in dem Land gestoppt werden.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Guten Morgen!

    Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Herr Pöttering, mit welcher Vorentscheidung unter den heutigen Bedingungen rechnen Sie?

    Pöttering: Das hängt natürlich sehr davon ab, ob die Türkei sich noch bewegt. Die Türkei ist verpflichtet, bis Ende 2006, also bis Ende dieses Jahres, die Zollunion mit Zypern anzuerkennen. Dieses ist bisher nicht erfolgt. Und deswegen muss die Europäische Union darauf reagieren. Aber sie muss so reagieren, dass der Reformprozess in der Türkei nicht ganz abbricht. Das heißt, wir müssen einerseits einen Crash, einen Zusammenprall mit der Türkei vermeiden. Andererseits darf aber auch die Europäische Union nicht reaktionslos bleiben. Die Europäische Union, will sie glaubwürdig bleiben, muss reagieren, wenn die Türkei nicht das Notwendige tut.

    Klein: Wenn die Türkei ihr Angebot nicht verändert, nicht verbessert aus Sicht der EU, wären Sie also dafür, den Vorschlag der EU-Kommission umzusetzen, acht Kapitel der Verhandlungen auf Eis legen.

    Pöttering: Ich würde sagen, Kommission plus. Einmal, dass man dem folgt, was die Kommission vorgeschlagen hat. Das heißt die Nichtaufnahme von acht Verhandlungskapiteln. Aber es sollte auch ein sehr klares Signal von den Außenministern geben in Form einer Erklärung, dass es so nicht weitergehen kann, wie die Türkei sich verhält. Man mag darüber streiten, ob es richtig gewesen ist, die Verhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Aber man hat sie auf aufgenommen, ohne die Zypernfrage zu klären. Die Türkei hat versprochen, dass die Zypernfrage geklärt würde bis Ende dieses Jahres. Das ist nicht geschehen. Deswegen scheint mir sinnvoll zu sein, dem Grundsatz der Kommission zu folgen, aber dieses mit einer starken Erklärung zu verbinden.

    Klein: Wie stehen Sie zu einer Zusage, die die Europäische Union gegeben, aber noch nicht eingelöst hat, nämlich die wirtschaftliche Isolation des türkisch besetzten Nordzyperns aufzuheben, was die Türkei ja jetzt nachdrücklich fordert?

    Pöttering: Da hat die Türkei einen berechtigten Punkt. Auch darüber muss natürlich in den nächsten Monaten gesprochen werden. Es gibt da zwar keine Rechtsverpflichtung wie auf der Seite der Türkei, dass sie die Zollunion mit Zypern anerkennt. Aber die Türkei hat einen Anspruch, dass auch die Europäische Union in dieser Frage sich bewegt.

    Klein: Ja, hat einen Anspruch, aber was heißt das?

    Pöttering: Anspruch heißt, das ist ein politischer Anspruch. Die Europäische Union hat sich nicht rechtlich verpflichtet in einem bestimmten Zeitrahmen die Isolation Nordzyperns zu beenden, so dass sich das rechtlich anders verhält als die Verpflichtung der Türkei gegenüber Zypern.

    Klein: Ist das nicht völlig illusorisch, dass es dazu kommen wird, nämlich zur Lockerung der Isolation des türkisch besetzten Teils von Zypern, da ja bisher das an Zypern und Griechenland gescheitert ist? Die Entscheidung muss einstimmig fallen innerhalb der EU. Bislang ist es dazu ja nicht gekommen.

    Pöttering: Es wird dann sicher leichter sein, die Isolation Nordzyperns zu beenden oder schrittweise aufzulösen, wenn die Türkei ihre Verpflichtung gegenüber der Europäischen Union einhält. Man kann nicht erwarten, dass die Isolation Nordzyperns beendet wird, aber die Türkei sich nicht bewegt. Deswegen ist die Türkei zuerst am Zuge. Man hat die Verhandlungen mit der Türkei begonnen. Die Türkei hat zugesagt, bis Ende dieses Jahres nun auch die Zollunion mit Zypern anzuerkennen. Dieses ist bisher nicht geschehen. Und deswegen muss reagiert werden.

    Aber ich würde gerne noch mal, wenn Sie gestatten Frau Klein, auf einen Punkt hinweisen. Ich persönlich, wie große Teile unserer Fraktion, bin gegen den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Wir sind für eine privilegierte Partnerschaft. Aber gleichwohl besteht natürlich ein großes Interesse Europas daran, dass der Reformprozess in der Türkei weitergeht. Und wenn wir jetzt, wie es einige empfehlen, total die Verhandlungen abbrechen, dann wäre das, glaube ich, falsch, denn dann würde die Türkei nicht mehr ihre Reformbemühungen fortsetzen. Und dieses wäre nicht in unserem Interesse zu einer Zeit, wo der Nahe Osten brennt, wo wir einen Fast-Bürgerkrieg im Irak haben, die Situation im Iran wegen Atomwaffen völlig unübersichtlich ist. Das heißt, wir müssen einen vernünftigen Mittelweg finden zwischen einerseits, dass die Europäischen Union gar nichts tut, das wäre unverantwortlich, aber wir dürfen auch keinen Crash, keinen Zusammenprall jetzt mit der Türkei haben.

    Klein: Apropos Einigkeit: Es scheinen die unterschiedlichen Auffassungen auch in der deutschen Regierung inzwischen sehr stark zum Tragen zu kommen. Der Außenminister warnt jetzt die Kanzlerin via Magazin "Spiegel" davor, den Kurs zu verschärfen. Er verlangt Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein, öffentlich. Es wird darüber spekuliert, was dies zu bedeuten hat. Erkennen Sie einen echten Dissens, der es der deutschen Regierung schwer machen wird, mit einer Stimme zu sprechen und auch zu handeln kurz vor Übernahme der Ratspräsidentschaft?

    Pöttering: Also ich denke, dass die Bundesregierung einen Weg finden wird. Und manche Dinge werden ja auch etwas dramatisch zugespitzt. Meine Beurteilung ist, dass die Bundeskanzlerin sehr verantwortungsvoll mit dieser Frage umgeht, aber es gibt natürlich einen Dissens in der Grundfrage der Mitgliedschaft. Aber jetzt muss man angemessen handeln. Und ich sehe keinen unüberbrückbaren Widerspruch oder Unterschiede zwischen der Position der Bundeskanzlerin und des Außenministers. Ich denke, dass die Bundesregierung - aber das ist Sache der Bundesregierung, nicht meine Aufgabe -, aber ich denke, dass die Bundesregierung eine gemeinsame Antwort finden wird für den Außenministerrat.

    Klein: Kann es sein, dass die Große Koalition da ganz bewusst mit verteilten Rollen spielt, um eben das gesamte Meinungsspektrum auch innerhalb der Großen Koalition abzudecken?

    Pöttering: Das kann ich nicht beurteilen, ob das bewusst ist, aber es gibt unterschiedliche Positionen bei CDU/CSU einerseits und SPD andererseits. Und das äußert sich jetzt natürlich auch. Aber dieser Unterschied ist nicht unüberbrückbar. Ich denke, dass die Bundesregierung hier eine gemeinsame Position findet. Und sie muss ja im Außenministerrat mit einer Stimme sprechen. Das heißt, man muss sich einigen.

    Klein: Sie haben davon gesprochen, Herr Pöttering, dass Ihre Fraktion gegen einen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist. Es gibt mancherorts genügend Skepsis innerhalb der EU. Wird es am Ende doch auf eine Beerdigung dieses Projektes zweiter Klasse hinauslaufen?

    Pöttering: Zunächst einmal darf ich noch mal klar stellen, dass es unterschiedliche Positionen in unserer großen Fraktion mit 264 Abgeordneten aus 25 Ländern gibt. Es gibt Befürworter des Türkeibeitritts, und es gibt eine starke Gruppe, die eher für eine privilegierte Partnerschaft ist, wofür ich auch eintrete. Wie am Ende der ganze Verhandlungsprozess läuft, zu welchem Ergebnis man kommt, das ist heute völlig offen. Aber ich denke, wir habe jetzt ein Interesse daran, dass die Reformen in der Türkei weitergehen. Deswegen müssen im Grundsatz die Verhandlungen da auch weiter geführt werden, wo sie schon geführt werden. Aber es ist richtig, sie dort nicht zu beginnen, wo Fragen der Zollunion mit Zypern insbesondere betroffen sind. Und dann wird man nach zehn Jahren oder wann auch immer sehen, wenn überhaupt die Verhandlungen zu einem Abschluss kommen, ob die Türkei beitreten soll oder nicht. Das muss dann die politische Generation entscheiden, die die Verantwortung hat. Aber es darf keinen Automatismus geben, und deswegen heißt ja das Mandat für die Verhandlungen mit der Türkei, das Ziel der Verhandlungen ist ergebnisoffen.

    Klein: Hans-Gert Pöttering , Vorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Pöttering: Ich danke Ihnen, Frau Klein.