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Pöttering: Wir brauchen kein neues Referendum bei Vertragsänderungen

Die Vorbereitungen für den EU-Gipfel am Wochenende gewinnen zunehmend an Dramatik. Gestern die Nachricht, dass die Entscheidungen zum EFSF erst bei einem weiteren Treffen in der kommenden Woche gefasst werden sollen. Als Reaktion sagte Bundeskanzlerin Merkel ihre Regierungserklärung zum Euro ab. Für Hans-Gert Pöttering hat die EU mit der Stabilitätspolitik kürzlich trotz allem die richtigen Entscheidungen getroffen.

Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Peter Kapern | 21.10.2011
    Peter Kapern: Es hat schon viele dramatische Gipfeltreffen der Europäischen Union gegeben, aber wohl noch nie zuvor ist schon die Vorbereitung eines solchen Treffens zum politischen Spektakel geworden. Ein Überraschungsbesuch von Nicolas Sarkozy in Deutschland vorgestern, dann gestern das fortgesetzte Ringen um den angepeilten Hebel für den Rettungsschirm, die Kanzlerin bläst erst ihre Teilnahme am Treffen der Kultusministerin ab, dann die für heute geplante Regierungserklärung zum EU-Gipfel, Gerüchte über eine Absage des Brüsseler Treffens machen die Runde, bis sich dann herausstellt, dass es nächste Woche einen weiteren Gipfel geben wird, bei dem dann doch noch über den Rettungsschirm entschieden werden soll. – Bei uns am Telefon Hans-Gert Pöttering, früher Präsident des Europaparlaments und heute Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung. Guten Morgen, Herr Pöttering.

    Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Versagt die EU vor ihrer größten Herausforderung, weil sich Deutschland und Frankreich nicht einigen können?

    Pöttering: Nein, das glaube ich überhaupt nicht, sondern die Intensität der Beratungen zeigt ja, dass in der Europäischen Union die Situation sehr ernst genommen wird. Und wenn Staatspräsident Nicolas Sarkozy vorgestern Abend aus Anlass der Verabschiedung von Präsident Trichet, also dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, in Frankfurt war, um dort mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen zu sprechen, dann zeigt das doch, wie intensiv die Kontakte sind, und ich bin auch zuversichtlich, dass wir zu Ergebnissen kommen.

    Kapern: Aber alle Intensität nutzt ja nichts, wenn die Ergebnisse dann doch nicht kommen, und bislang sind sie nicht da.

    Pöttering: Ja, aber man muss sich bei diesen schwierigen Fragen auch ein wenig Zeit lassen, und wir leben in einer Gesellschaft, in der man meint, dass man innerhalb von wenigen Stunden, von heute auf morgen zu Entscheidungen kommen sollte. Gut Ding will auch Weile haben, und hier geht es um viele Summen, um große Summen. Man muss verantwortlich mit dem Geld der Menschen umgehen, und deswegen muss man sich auch die nötige Zeit für die Debatte nehmen. Und ich bin zuversichtlich, dass dann am Ende einer solchen intensiven Debatte man auch zu Ergebnissen kommen wird.

    Kapern: Beim Gipfel in Brüssel, Herr Pöttering, da geht es ja nicht nur um den Rettungsschirm, sondern da geht es auch um das Thema Vertragsänderungen, mit denen sichergestellt werden soll, dass man Schuldenstaaten, Schuldensündern künftig besser in die Parade fahren kann. Da geht es zum Beispiel um ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof. Braucht die Europäische Union einen neuen Verfassungskonvent?

    Pöttering: Wenn es zu Vertragsänderungen kommt, so sieht es der Vertrag von Lissabon vor, dass es dann einen Konvent geben soll, sicherlich nicht in der anspruchsvollen Weise, wie wir ihn hatten für den Lissabon-Vertrag, sondern begrenzt auf einige Änderungen. Und der Vorteil eines solchen Konventes ist ja, dass es sich dabei nicht nur um eine Regierungskonferenz handelt, sondern dass Abgeordnete der nationalen Parlamente beteiligt sind, also auch des Deutschen Bundestages, des Europäischen Parlaments, und das ist eine gute Form der Debatte. Und wenn es ein Klagerecht beim EuGH, also beim Europäischen Gerichtshof geben sollte, wäre das im Prinzip eine gute Sache. Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass das Europäische Parlament ja in seiner letzten Sitzungswoche das sogenannte 6. Package verabschiedet hat, also ein Paket, wie wir die Kontrolle über die Haushalte der Länder der Europäischen Union verbessern, dass dieses der politischen Opportunität, also der politischen Einflussnahme der Regierungen entzogen wird oder weitgehend entzogen wird und es eine Beurteilung, eine objektive und faire Beurteilung geben soll durch die europäische Kommission. Das alles weist in die richtige Richtung für eine Stabilitätsunion.

    Kapern: Herr Pöttering, das Thema Vertragsänderung stellt ja möglicherweise Deutschland vor Probleme, weil das Verfassungsgericht hier ja enge Grenzen gezogen hat für weitere Kompetenzübertragungen an Brüssel. Wenn Brüssel also demnächst in die Haushaltsgestaltung der Staaten eingreifen können soll, wenn Schuldnerländer an die Kandare genommen werden sollen, bedeutet das, dass es in Deutschland ein Referendum über solche Vertragsänderungen geben muss?

    Pöttering: Also Herr Kapern, das sehe ich so nicht, denn wir haben ja bereits mit dem Vertrag von Maastricht, also von Anfang der 90er-Jahre, eine klare Verpflichtung auch der Bundesrepublik Deutschland, keine Verschuldung vorzunehmen, die über drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinausgeht. Das heißt, der Bundestag hat ja einem solchen Ziel schon zugestimmt, insofern würde also ein Klagerecht beim EuGH keine neue Qualität herbeiführen oder Beschränkungen für den deutschen Parlamentarismus herbeiführen. Ich sehe es nicht, dass es eines Referendums bedürfte.

    Kapern: Aber es ist ja auch die Rede beispielsweise von einem Sparkommissar oder von der Möglichkeit der Kommission, in die nationale Haushaltsgestaltung einzugreifen. Das ist ja noch mal was anderes als ein Klagerecht vor dem EuGH.

    Pöttering: Ja. Aber Herr Kapern, es ist keine neue Qualität der Stabilitätspolitik. Die Stabilitätspolitik ist definiert durch den Vertrag von Maastricht, der bedauerlicherweise im Jahre 2003 durch Deutschland und Frankreich gebrochen wurde. Das vergessen wir immer. Wir kritisieren Griechenland, wir kritisieren es zurecht, aber Frankreich und Deutschland sind im Jahre 2003 mit einem sehr schlechten Beispiel vorangegangen. Und wenn wir jetzt einen zusätzlichen Mechanismus der Kontrolle, also Stabilitätspolitik zu gestalten, einführen, dann ist das nur die Konsequenz aus dem Vertrag von Maastricht, und damit hat das europäische Recht keine neue Qualität und deswegen sehe ich darin auch keinen wirklichen Verlust von Souveränität auf der nationalen Ebene.

    Kapern: Hans-Gert Pöttering, der frühere Präsident des Europaparlaments und heutige Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, war das. Danke, Herr Pöttering, und auf Wiederhören.

    Pöttering: Ich danke Ihnen, Herr Kapern.


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