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Polen 1939 bis 1945
Die sexuelle Gewalt der Besatzer

Deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg gemordet, gebrandschatzt, zerstört, gefoltert und auch vergewaltigt. Das war auch so im besetzten Polen. Die Historikerin Maren Röger hat die erzwungenen - und freiwilligen - sexuellen Kontakte zwischen Besatzern und Besetzten aufgearbeitet.

Von Johanna Herzing | 27.07.2015
    Die Historikerin Maren Röger schreibt über Vergewaltigung, sexuelle Erpressung, Zwangs- und Überlebensprostitution, aber eben auch über Tauschgeschäfte, so genanntes Sponsoring und einvernehmliche Beziehungen.
    "Als ich mit meinen Forschungen angefangen habe, haben mich mehrere Kolleginnen und Kollegen gewarnt, dass das Thema zu brisant ist, um daran zu arbeiten und dass ich mit ziemlich viel Gegenwind rechnen muss. Es war allerdings eigentlich das Gegenteil der Fall, dass vor allem die polnischen Historikerinnen und Historiker regelrecht erfreut darüber waren, dass jemand dieses Thema bearbeitet. Sie selbst haben es nicht angefasst."
    Diese Zurückhaltung hat mehrere Gründe. Zum einen passen einvernehmliche Beziehungen zwischen Besatzern und Besetzten noch immer nicht zum gängigen polnischen Geschichtsbild. Das basiert nach wie vor stark auf einer Idealisierung des polnischen Widerstands gegen die Nazis - obschon nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung wirklich im Untergrund engagiert gewesen sei, wie Röger klar stellt. Auch die Tatsache, dass sich viele polnische Frauen aus purer Not auf die Beziehungen einließen, gilt dabei offenbar nicht als mildernder Umstand.
    Thema im Nachkriegspolen tabuisiert
    Zum anderen - so die These der Historikerin - wurde im Nachkriegspolen auch das Thema sexuelle Gewalt generell tabuisiert, hätte man doch anderenfalls auch über die Vergewaltigungen durch Rotarmisten sprechen müssen. Zwar hat Polen das kommunistische Regime und damit auch einen gewichtigen Grund für die Ausklammerung dieses Aspekts schon vor 25 Jahren überwunden. Allerdings haben sich polnische Historiker zunächst anderen Kriegsverbrechen zugewandt wie etwa der Auslöschung der polnischen Eliten durch das NKWD - Stichwort "Katyn". Fünf Jahre lang hat Maren Röger am Deutschen Historischen Institut in Warschau geforscht. Sie hat deutsche und polnische Literatur, Akten und Zeitzeugeninterviews ausgewertet.
    "Was mich mit am meisten überrascht hat, war, wie viel Freiheit die NS-Behörden doch ihren Soldaten gegeben haben. Man wollte sich über das Thema der Sexualität offenbar doch nicht so stark entzweien, weil man ja auch die Loyalität der Leute zu einem gewissen Maß brauchte, dass man doch oft nicht nur ein Auge, sondern beide Augen zugedrückt hat."
    Detailliert beschreibt Röger, wie verhältnismäßig flexibel die deutschen Verantwortlichen die nationalsozialistische Rassenideologie der Realität anpassten. Zwar galten Polen und Polinnen als rassisch minderwertig, es gab auch ein entsprechendes Umgangsverbot. Das aber wurde von den Soldaten nicht nur regelmäßig gebrochen, sondern in seltenen Fällen von amtlicher Stelle sogar nachträglich aufgehoben: So sind Fälle belegt, in denen deutsche Besatzer ihre polnischen Freundinnen heirateten, die sogenannten "Ostehen" legalisierten.
    Eine Gemeinsamkeiten in allen Beziehungen
    Das ausgeklügelte Bordellsystem, das die Nazis sofort nach dem Überfall auf Polen im Herbst 1939 aufbauten, konnte letztlich nicht verhindern, dass deutsche Besatzer auch anderweitig intime Kontakte suchten. Aus diesem Bedürfnis heraus entstanden Beziehungen unterschiedlichsten Charakters, die allerdings Röger zufolge eine Gemeinsamkeit besaßen:
    "Ganz wichtig ist, dass immer klar sein muss, dass diese ganzen Beziehungen in einem Zustand der absoluten Machtasymmetrie stattgefunden haben. Die deutschen Besatzer waren dreifach privilegiert. Einmal eben als Besatzer im Vergleich zu den Besetzten, dann als Deutsche in dieser rassischen Hierarchie höherstehend, weil man hatte ja auch eine unterschiedliche Gerichtsbarkeit, und dann noch mal als Männer über Frauen von der traditionellen Geschlechterhierarchie kommend und das beeinflusste natürlich diese ganzen Beziehungen."
    Interessanterweise sind es, wie Röger in ihrem Buch schreibt, vor allem Angehörige der Polizei und der SS, also der vermeintlichen rassischen Elite, die längerfristige Beziehungen mit Polinnen eingingen. Grund dafür war schlicht die Aufenthaltsdauer. Während die Soldaten der Wehrmacht häufig schnell versetzt wurden, blieben SS und Polizei länger an Ort und Stelle. Ideologisch argumentierten die Besatzer laut Röger folgendermaßen:
    "Die Verstöße gegen das Umgangsverbot von Seiten der SS-Mitglieder bedeuteten aber nicht, dass diese unter dem Eindruck der Besatzung und des Kontaktes mit der einheimischen (weiblichen) Bevölkerung ihre rassisch motivierten Überlegenheitsgefühle aufgegeben hätten. Entweder wurde der Sexualverkehr als Vorrecht des Mannes, als Entschädigung für die Härten im Osteinsatz gerechtfertigt, oder die betreffende Frau wurde von ihren Partnern als rassisch wertvoller als der Rest der polnischen Bevölkerung definiert, quasi in die bestehende Rassenhierarchie an höherer Stelle eingepasst."
    Harte Strafen für Polinnen
    Das Mittel der Wahl bei dieser "Aufwertung" der Partnerin war die sogenannte deutsche Volksliste. Weniger anrüchig als der intime Kontakt mit einer Polin war schließlich der mit einer "Volksdeutschen" oder doch wenigstens "angehenden Volksdeutschen". Die Kriterien für die Aufnahme in die Liste waren schwammig formuliert und so diente sie häufig als Ausrede und Rechtfertigung für die eigentlich verbotenen Beziehungen. Wurden diese angezeigt und vor Gericht behandelt, ließen sich die deutschen Stellen nicht immer von der angeblich "deutschen Gesinnung" der polnischen Intimpartnerinnen überzeugen und so zu einem milden Urteil bewegen.
    Während die deutschen Soldaten oft eher glimpflich davon kamen, drohte polnischen Frauen mitunter sogar die Zwangsprostitution. Sie wurden dann in von Deutschen eingerichtete und kontrollierte Bordelle gebracht. Dort war das Leben gefängnisartig organisiert, oft galt es eine hohe Zahl von Freiern zu bedienen. Röger macht in dieser Strafpraxis einen wesentlichen Unterschied zur Besatzungspolitik in Westeuropa aus, wo es die Zwangseinweisung in ein Bordell so nicht gegeben habe.
    Für die polnischen Frauen kam erschwerend hinzu, dass sie mit der Ächtung und Verfolgung durch die polnische Untergrundbewegung zu rechnen hatten. Akribisch und anhand zahlreicher Fallbeispiele belegt Maren Röger in ihrem Buch vor allem die Elastizität der vermeintlich so strikten Rassenpolitik der Nationalsozialisten. Mitunter etwas kleinteilig zeigt sie die Doppelmoral der deutschen Okkupation in Polen auf; zudem wirft sie ein interessantes Schlaglicht auf die vielschichtigen Beziehungen zwischen Besatzern und Besetzten. Im kommenden Jahr wird die Studie auch auf Polnisch erscheinen; ein lange bestehendes Tabuthema dürfte dann für Diskussionen sorgen.
    Maren Röger: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945, S. Fischer Verlag, 304 Seiten, 24,99 Euro. ISBN: 978-3-100-02260-8