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Polen
Junge Ärzte im Hungerstreik

Seit fast drei Wochen protestieren in Polen junge Ärzte, viele von ihnen sind im Hungerstreik. Sie wollen ein Gesundheitssystem, wo nicht mehr Angehörige den Patienten Essen bringen müssen. Das bringt die rechtskonservative Regierung in Bedrängnis, denn die hat nach einer Rentenerhöhung kein Geld mehr für das Gesundheitssystem.

Von Florian Kellermann | 21.10.2017
    Ärzte einer Kinderklinik in Warschau sind im Hungerstreik
    Ärzte einer Kinderklinik in Warschau sind im Hungerstreik (dpa / picture alliance )
    Durch das Glasdach fällt viel Licht auf die Flure im Warschauer Kinderkrankenhaus - ein modernes Gebäude, in dem sich Ärzte und Patienten wohlfühlten, sagt Maciej Nowak, Arzt in Ausbildung:
    "Das hier ist eine große Ausnahme. Die allermeisten Krankenhäuser sehen anders aus: Die Kacheln und der Putz fallen von der Wand, es fehlt an Klopapier und sogar an notwendigen Medikamenten. Wir schämen uns, wenn wir Patienten oder ihre Familie in unserem heruntergekommenen Ärztezimmer empfangen müssen."
    Der 30-Jährige nimmt einen tiefen Zug aus der Wasserflasche. Drei bis vier Liter trinkt er pro Tag - dazu eine Elektrolytlösung, damit seine Gesundheit nicht zu sehr Schaden nimmt. Denn Maciej Nowak hungert, das zeigt das schwarze T-Shirt an, das er übergezogen hat. Seit fünf Tagen hat er keine Nahrung mehr zu sich genommen, aus Protest. Wie ein paar Dutzend andere Ärzte schläft er seitdem hier, mitten im Kinderkrankenhaus:
    "Ein junger Arzt wie ich verdient netto 2.200 Zloty im Monat, etwas mehr als 500 Euro. Damit er über die Runden kommt, muss er zusätzliche Schichten übernehmen. Wenn ich schon ein paar Schichten hinter mir habe, bin ich fast am Umfallen - und dann kommt der nächste Patient."
    Sieben Monate warten auf einen Facharzt-Termin
    Maciej Nowak legt sich wieder auf eine der Armeematratzen. Noch etwas mehr Kraft hat Agnieszka Debkowska; sie hat gerade erst mit dem Hungerstreik begonnen.
    Polen müsse endlich die Ausgaben für das Gesundheitswesen erhöhen, sagt die 29-Jährige. 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind es derzeit, nicht einmal halb so viel wie in Deutschland:
    "Es kann nicht sein, dass ein Patient sieben Monate warten muss, bis er einen Termin bei einem Facharzt bekommt. Es geht uns nicht in erster Linie um eine Gehaltserhöhung. Wir sind auch nicht gegen die aktuelle Regierung - die Probleme im Gesundheitswesen haben sich seit langem entwickelt."
    Agnieszka Debkowska zeigt auf die Blumensträuße und die Briefe: Ärzte und Patienten aus ganz Polen unterstützen den Protest der jungen Mediziner.
    Die Ärzte richten sich nicht gegen die aktuelle Regierung. Trotzdem hat die rechtskonservative Regierungspartei PiS sehr empfindlich reagiert. Zunächst versuchte sie, den Protest auszusitzen. Dann warf sie den Ärzten vor, undankbar zu sein, so die PiS-Sprecherin Beata Mazurek:
    "Wohl jeder würde gerne mehr Geld verdienen. Ich frage mich aber schon, ob dieser Protest nicht politisch inspiriert ist. Seit 2009 haben die jungen Ärzte keine Gehaltserhöhung mehr bekommen - und jetzt protestieren sie, obwohl wir ihre Gehälter anheben."
    Medien werfen Ärzten ein Luxusleben vor
    Die öffentlichen Medien, die unter dem Einfluss der PiS stehen, gehen viel weiter. Der Fernsehsender TVP beschuldigte die jungen Ärzte, sie hätten ein Luxusleben. Beweis: Eine der Protestierenden habe Urlaub in exotischen Ländern gemacht. Tatsächlich aber war die Ärztin als freiwillige medizinische Helferin unter anderem in Tansania.
    Auch im Parlament kam es zu einem Eklat. Mit einem Zwischenruf forderte eine PiS-Abgeordnete die jungen Ärzte auf, doch ins Ausland zu fahren, wenn es ihnen in Polen nicht passt.
    Worte, die schmerzen, auch Agnieszka Debkowska:
    "Ich habe schon viele Stellen-Angebote bekommen, aus Deutschland, aus der Schweiz, aus Schweden, wo viel viel mehr Gehalt geboten wurde, als ich hier bekomme. Dazu Sprachkurse und eine Unterkunft. Solche Angebote kommen meistens per Mail oder auf einem Konto bei einem sozialen Netzwerk. Ich hab darüber nachgedacht, aber ich will meine Heimat nicht verlassen."
    Ärzte denken daran auszuwandern
    Schon jetzt gibt es in Polen - pro Einwohner - so wenig Mediziner wie in keinem anderen EU-Land. Und Umfragen zeigen, dass fast jeder dritte junge Arzt in Polen daran denkt auszuwandern.
    Deshalb rudert die PiS inzwischen zurück: Natürlich brauche das Land seine Ärzte, versichert die Regierung. Doch sie tut sich weiterhin schwer, höhere Ausgaben für Gesundheit zu versprechen. Denn seit Anfang des Monats greift die Rentenreform; die Regierung erlaubt den Polen, wieder früher in den Ruhestand zu gehen. Ein teures Geschenk, das den Staatshaushalt schon weitgehend ausreizt.
    Aufregung unter den jungen Medizinern im Kinderkrankenhaus: Sie dürfen einen Stock höher ziehen, aus dem Keller ins Erdgeschoss. Die Direktion hat ihr Okay gegeben, jeder packt seine Matratze unter den Arm. Auch Celina Kinicka, eine Ernährungswissenschaftlerin, denn inzwischen schließen sich auch andere Berufe an, die an die Krankenhäuser angebunden sind:
    "Die Patienten in Krankenhäusern bekommen zu wenig zu essen. Selbst Ärzte raten dazu, dass die Familie mithilft und Essen bringt. Aber was, wenn jemand allein ist? Dann wird der Patient doppelt so lange behandelt, weil der schlecht ernährt ist."
    Solche Argumente überzeugen immer mehr Polen, selbst erklärte PiS-Sympathisanten. Deshalb ist die Regierung inzwischen immerhin bereit zu verhandeln. Ihr Angebot: Die Ausgaben im Gesundheitswesen sollen auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen - aber erst 2025. Viel zu spät, meinen die Ärzte, und auch Ernährungsexpertin Celina Kinicka:
    "Bis dahin gibt es noch zwei Wahlen. Dann ist vielleicht eine andere Partei an der Regierung und verwirft das Gesetz. Die Ausgaben müssen jetzt steigen, jedenfalls nicht erst am St. Nimmerleinstag."