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Polen
Nur die Älteren protestieren gegen die Justizreform

Die polnische Regierung drückt aufs Tempo und treibt ihre Justizreform weiter voran. Für viele EU-Partner ist die Reform unvereinbar mit europäischen Werten. In Polen sind die Proteste abgeflaut. Vor allem junge Leute fehlen inzwischen auf den Straßen.

Von Jan Pallokat | 19.09.2018
    Demonstranten protestieren gegen die umstrittene Justizreform am 23.07.2017 in Warschau (Polen) vor dem Obersten Gerichtshof.
    Das Durchschnittsalter der Protestler gegen die Justizreform liegt bei 60, so die Einschätzung der Essayistin Kaja Puto. (dpa-Bildfunk / AP / Alik Keplicz)
    Vor ziemlich genau einem Jahr schienen die Proteste gegen die Justizpolitik in Polen zu einer Massenerscheinung zu werden. Im Juli 2017 schlossen sich plötzlich in Scharen junge Leute den Protesten an, es wurde groß. Doch es war nur eine vorübergehende Mode.
    Auch derzeit gibt es noch ab und an Proteste, aber wieder sind die Älteren meist unter sich, und die geringe Zahl der Demonstranten ist eher ein Argument für die Regierung. Die 1990 geborene Essayistin Kaja Puto:
    "Es ist wie mit allen Moden auch hier so, dass es einfach schwer erklärbar ist, warum sich junge Leute im letzten Jahr mehr und in diesem Jahr weniger engagieren. Aber wenn wir die Proteste der letzten drei Jahre zusammenfassen, dann können wir feststellen, dass das Durchschnittsalter 60 Jahre ist."
    Kaja Puto geht, Minderheit ihrer Generation, selbst zu den Protesten. Sie steht eher links, aber sie hat das Vermögen, sich auch in eher rechts stehende Generationsgenossen hineinzuversetzen.
    Junge Leute haben einen anderen Blick auf Europa
    "In Polen haben wir es heutzutage mit einem Generationenkonflikt zu tun, vor allem unter Regierungsgegnern. Ältere liberale Menschen, idealistische Grundeinstellung, aber ohne kritischen Blick auf die letzten 30 Jahre der Transformation. Die jungen Menschen haben eine ganz andere Sicht der Dinge, egal ob sie links oder rechts eingestellt sind."
    Denn: "Als die polnische Demokratie vor 30 Jahren sehr jung war, auch der Markt, war es viel leichter, einen guten Job zu bekommen und Karriere zu machen. Aber inzwischen wurde die polnische Wirtschaft zur Montagewerkstatt. Man verlangte kaum Qualifikation, aber zahlte auch wenig. Die jungen Menschen erlebten am eigenen Leib, dass es alles gar nicht so einfach ist und das Sprüche wie 'Gründe eine Firma, nimm´ einen Kredit auf, bleib ein richtiger Europäer' nicht mehr so überzeugen wie vor 30 Jahren."
    Anders ausgedrückt: Das, was jetzt verteidigt werden soll, ist für viele Polen eben keine so tolle Erfahrung, und für manche Junge sind die letzten Jahre geprägt von mies bezahlten Verträgen und viel Ohnmacht. Hätten Gerichte hier öfter einen Riegel vorgeschoben, vielleicht würden sich jetzt mehr für ihre Unabhängigkeit einsetzen, meint Rechtsanwalt Tomasz Pytko, mit 27 Jahren auch ein Wendekind.
    Schlechte Erfahrungen gemacht
    "Die Leute sind der Meinung, dass die Richter und die Gerichte nicht gerecht sind. Das ist einfach die allgemeine Meinung in Polen seit Jahren."
    Der junge Anwalt Pytko unterstützt den Justizumbau unterm Strich, obwohl er einzelne rechtliche Kritikpunkte an ihr nachvollziehen kann. Alles so belassen wie es ist, sei aber keine Option.
    "Wie es klappt, sehen wir. Aber man muss was machen. Ich habe im Gericht gearbeitet, ich habe die Urteile gelesen, persönlich finde ich das ungerecht."
    Doch sind die Vorwürfe nicht schwerwiegend, gerade für einen Juristen? Dass Rechtstaat und Demokratie zur Disposition stünden?
    "Die Opposition hat schon am nächsten Tag nach der Wahl gesagt, das sei das Ende der Demokratie. Aber die Leute merken, dass die Freiheit bleibt genauso wie vorher. Die Demokratie auch, wir fühlen nicht, dass sich was ändert. Die Wirtschaft steigt, sie vertrauen nicht."
    Was aber wenn doch einer kommt, ein polnischer Diktator, und die Gunst der Stunde nutzt? Wer würde ihn stoppen?
    "Die Bevölkerung. Ich auch zum Beispiel. Wenn ich das Gefühl habe, es kommt eine Diktatur, dann bin ich der erste, oder der zweite im Protest."