Mittwoch, 24. April 2024

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Polen und die EU
"Warschau traut den europäischen Partnern nicht voll und ganz"

Polen ist zwar an einer engeren Zusammenarbeit der EU-Staaten interessiert, hat aber Sorge, dass es an den Rand gedrängt wird, wenn das Land nicht dem Euro beitritt. Eine stärkere Kooperation in der Verteidigungspolitik sei für die Regierung in Warschau denkbar, sagt DLF-Korrespondent Florian Kellermann. Das NATO-Bündnis mit den USA dürfe aber nicht geschwächt werden.

Florian Kellermann im Gespräch mit Ursula Welter | 01.06.2017
    Tausende Menschen protestieren am 06.05.2017 in Warschau, um die Ideen der Europäischen Union zu vertreten.
    Tausende Menschen protestieren am 06.05.2017 in Warschau, um die Ideen der Europäischen Union zu vertreten. (dpa Bildfunk / AP / Alik Keplicz)
    Ursula Welter: "Europa wacht gerade auf", das bedeutet, pro-europäische Demos an Sonntagen, nicht nur in Deutschland, auch in anderen Staaten der EU das bedeutet, muntere Europa-Debatten im Netz, das bedeutet aber auch einen Strauß an Reformvorschlägen, die Verwirrung bei den Bürgern dürfte groß sein. Konkret sind die Forderungen nach einem EU-Finanzminister, einem EU-Haushalt, sie tragen die Unterschrift der Kommission, aber jedermann weiß, im Topf sind deutsche und französische Zutaten. Die Reform der Euro-Zone wird neben dem Thema Verteidigung im Zentrum der anstehenden Umbauarbeiten stehen. Was bedeutet das für ein Land wie Polen, das den Euro nicht im Portemonnaie hat, in Sachen Verteidigung aber sehr wohl Ambitionen und das zudem gerade unter starker Kritik und Beobachtung seiner Partner in der EU steht?
    Florian Kellermann: Diese Debatte wird in Polen mit großer Sorge gesehen, und zwar eigentlich bei allen politischen Gruppierungen, denn ein eigener Haushalt für die Euro-Staaten, wie ihn der französische Präsident Macron zum Beispiel fordert, würde ja für Polen bedeuten, dass eben weniger Geld im gemeinsamen Topf sein wird. Und Polen befürchtet dann auch klar, dass im nächsten siebenjährigen Finanzrahmen, also ab 2020, einfach weniger Fördermittel für Polen zur Verfügung stehen. Das ist die Sorge aller Gruppierungen. Bei den Liberalen kommt noch eine weitere Sorge hinzu. Sie möchten ja, dass Polen dabei ist, wenn die EU-Staaten sich stärker integrieren. Aber die Entwicklung deutet darauf hin, wenn das Land eben nicht dem Euro beitritt, dass es nach und nach an den Rand der Gemeinschaft gedrängt wird, vor allem, wenn es auch noch einen Euro-Finanzminister geben sollte, dann würden die Euro-Staaten ja wohl auch politisch eben näher zusammenrücken. Und selbst kleinere Nachbarn Polens haben sich für den Euro entschieden. Die Slowakei, Litauen – aber Polen, da gibt es eben überhaupt noch keinen Trend in diese Richtung.
    Welter: Nun kommt ja hinzu, dass Polen, die polnische Regierung unter Druck steht. Es gab gerade in dieser Woche heftige Streitereien zwischen EU-Vizekommissar Frans Timmermans und dem polnischen Außenminister, der von einem, ich zitiere, "persönlichen Kreuzzug des Kommissars gegen Warschau" gesprochen hat. Brüssel hat das Mitgliedsland Polen ja offiziell unter Beobachtung gestellt, weil Grundrechtsverletzungen befürchtet werden. Nun ist dieser Streit ja schon heftig genug, und da kursiert in Berlin der Vorschlag, den Staaten Gelder zu kürzen, den Staaten, die rechtsstaatliche Prinzipien verletzen. Das könnte, Florian Kellermann, Polen treffen. Polen könnte in dieses Fahrwasser geraten. Wie reagiert Warschau?
    "Es gibt keine Anzeichen, dass die polnische Regierung ihre Politik in Sachen Rechtsstaat ändern will"
    Kellermann: Das kommt in Polen ganz und gar nicht gut an. Solche Pläne widersprächen den EU-Verträgen, hat Ministerpräsidenten Beata Szydlo geantwortet. Polen ist ja derzeit der größte Empfänger von Hilfsmitteln aus der EU. Im laufenden Finanzrahmen über sieben Jahre hinweg sind das über 80 Milliarden Euro. Und dieses Geld hat schon einen gewichtigen Anteil daran, dass das Land sich gut entwickelt. Gerade hat die Regierung neue Zahlen vorgelegt: Vier Prozent Wachstum im ersten Quartal gegenüber dem vergangenen Jahr. Das ist also schon ein großer Erfolg, aber diese Entwicklung würde natürlich gebremst, wenn Polen keine oder weniger Fördermittel bekommen würde. Allerdings gibt es keine Anzeichen, dass die polnische Regierung deswegen irgendwie ihre Politik in Sachen Rechtsstaat ändern wollte. Sie will jetzt auch eben bei den ordentlichen Gerichten dafür sorgen, dass sie politischen Einfluss bekommt. Und auch bei der Verteilung von Flüchtlingen, auch das ist ja ein Streitpunkt in der EU, gibt es keine Hinweise, dass Polen hier einlenken würde. Ich denke, die Regierung beruhigt sich damit, dass es schwierig ist, solche Sanktionen letztlich auch durchzusetzen, weil in solchen Fragen eben das Prinzip der Einstimmigkeit herrscht in der EU.
    Welter: Aber in jedem Fall ist da Druck im Kessel, denn Berlin hat diesen Vorschlag ja auch ersonnen nicht zuletzt, weil Geld in den Topf kommen muss, wenn der Brexit ins Haus steht.
    Kellermann: Ja, sicher. Da wappnet sich Polen eben für diese Diskussion, gerade wenn es um die Milliarden geht, die durch Großbritannien wegfallen. Es beruft sich darauf, dass es eben mal so vereinbart worden ist noch im laufenden Finanzrahmen mit den Hilfen für Polen, und dass es dabei auch bleiben soll. Aber das werden schwierige Verhandlungen, vor allem, wenn sich Polen wie zum Beispiel bei der Wahl von Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten beziehungsweise bei seiner Bestätigung im Amt weiterhin gegen alle anderen EU-Staaten stellt.
    "Polen traut den europäischen Partnern nicht voll und ganz"
    Welter: Aber wenn wir uns nun diese Debatte, die ja durch den Brexit und die Neuaufstellung in der EU aufkeimen, wenn wir uns diese Debatte anschauen, kann man denn sagen, dass Polen auch eine Chance sieht in alldem, etwa in Verteidigungsfragen? Und wie hat Warschau reagiert, als Angela Merkel in dieser Woche die transatlantischen Beziehungen zumindest als angekratzt betrachtet hat? Das, könnte ich mir vorstellen, kommt in Polen auch nicht gut an.
    Kellermann: Ja, auch das ist ein heikler Punkt tatsächlich. Denn obwohl, wie Sie sagen, Polen interessiert ist an einer engeren Zusammenarbeit der EU-Staaten auch bei der Verteidigung, so ist es doch so, dass Warschau immer darauf drängt, dass das nicht ohne die USA gehen soll, dass also das Bündnis zwischen den europäischen NATO-Staaten und den USA nicht geschwächt wird. Man traut da den europäischen Partnern einfach eben letztendlich doch nicht voll und ganz, dass sie im Fall des Falles Polen verteidigen würden. Das hat historische Gründe, aber es bezieht sich auch auf zum Beispiel die Verteidigungsausgaben in den europäischen Ländern, die eben deutlich niedriger sind als in den USA, prozentual auch. Und da sagen die Polen, so ernst meinen die das ja alle gar nicht mit der Landesverteidigung, deswegen müssen wir uns weiterhin an die USA halten. Nun gibt es diese Signale von Trump, vom US-Präsident, dass er sich weniger engagieren möchte möglicherweise. Darauf hat Polen noch keine richtige Antwort gefunden.
    "Verhältnis zwischen Warschau und Paris ist beschädigt"
    Welter: Aber eines kann man sagen, dass diese große Formel von "Europa muss jetzt sein Schicksal selbst in die Hand nehmen", dass die in Polen anders buchstabiert wird. Ich will noch einen letzten Punkt ansprechen: Es gibt das Weimarer Dreieck, also die Zusammenarbeit von Polen, Deutschland und Frankreich. Die war ein bisschen eingeschlafen, weil das Verhältnis Deutschlands und Frankreichs unter François Hollande auch nicht so besonders gut war. Aber wie sieht das jetzt aus, europapolitisch betrachtet, weil der deutsch-französische Motor wieder anspringt. Hat das Weimarer Dreieck und Polen damit auch wieder eine Chance in dieser Gruppe?
    Kellermann: Es soll zumindest im August nach langer Pause wieder ein Treffen geben im Rahmen dieses Weimarer Dreiecks, eine Neuauflage sozusagen. Aber das Verhältnis vor allem auch zwischen Warschau und Paris ist eben sehr beschädigt. Noch als Hollande regiert hat, hat Polen einen Großauftrag storniert von Kampfhubschraubern von Airbus, und auch Macron hat im Wahlkampf wiederholt die polnische Regierung attackiert wegen des Rechtsstaats, aber er hat auch Polen Wettbewerbsverzerrung vorgeworfen, Sozialdumping vorgeworfen. Also, ob dieses neue Weimarer Dreieck, dieses Treffen im August, tatsächlich etwas bringen wird, ob wieder eine Achse Warschau-Berlin-Paris entsteht - ich würde mir da erst mal keine Hoffnungen machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.