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Polen vor dem Referendum über den EU-Beitritt

Heuer: Im Mai nächsten Jahres wollen und sollen zehn osteuropäische Staaten der Europäischen Union beitreten. Das größte von ihnen ist Polen. Mit besonders starkem Interesse verfolgen die bisherigen EU-Staaten deshalb Polens Verhalten auf seinem politischen und wirtschaftlichen Weg in die Gemeinschaft, und der verläuft nicht ganz ohne Irritationen. So ist die erklärte Solidarität der polnischen Regierung mit den USA im Irakkonflikt auf heftige Kritik namentlich Frankreichs gestoßen. Nach dem Ausscheiden der Europa-skeptischen Bauernpartei aus der von den Sozialisten geführten Regierungskoalition in Warschau halten manche Beobachter nun sogar den EU-Beitritt des Landes nicht mehr für gänzlich sicher. Am Telefon bin ich jetzt mit dem Mann verbunden, der für Polen die Beitrittsverhandlungen geleitet hat, dem stellvertretenden polnischen Außenminister Jan Truszczynski. Guten Morgen, Herr Truszczynski.

    Truszczynski: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Wenn im Juni das polnische Referendum über den Beitritt zur Europäischen Union stattfindet, dann könnte es sein, dass die ländliche Bevölkerung mehrheitlich gegen den Beitritt votiert oder es könnte auch passieren, dass die Wahlbeteiligung zu niedrig sein wird, um zu einem positiven Ergebnis zu kommen. Sind Sie, Herr Truszczynski, noch sicher, dass die Polen im Juni Ja zur Europäischen Union sagen?

    Truszczynski: Sehen Sie, es gab nie die Sorge, dass unsere Mitbürger mehrheitlich gegen die Integration Polens die Union abstimmen. Es ist vielmehr die Sorge, dass die Wahlbeteiligung zu niedrig ausfallen kann. Diese Sorge bleibt natürlich noch immer bestehen. Es wird alles in die Wege geleitet, um den Leuten direkt mehr und mehr Informationen zu verschaffen, damit sie einsehen, dass diese Entscheidung, diese Wahl unabhängig von dem tagtäglichen Leben ist, dass diese eine Wahl für die Zukunft bedeutet.

    Heuer: Herr Truszczynski, ist denn die Sorge, dass beim Referendum das Quorum nicht erreicht wird nach dem Austritt der Bauernpartei aus der Regierung gewachsen?

    Truszczynski: Die letzten Meinungsumfragen sind mir nicht ausreichend, um eine Feststellung zu machen. Ich bin nicht sicher, aber nach den ersten Meinungsumfragen scheint es, dass das Interesse an der Wahlbeteiligung doch nicht gesunken ist.

    Heuer: Wäre es ein Weg, dass die EU, um die polnischen Bauern, um die ländliche Bevölkerung in ihrer Heimat zu überzeugen, bei den Agrarbeihilfen vielleicht doch noch einmal nachlegt und vielleicht auch früher als bislang geplant ist?

    Truszczynski: Das ist eine sehr gute Frage. Eigentlich zeigen alle Meinungsumfragen der letzten vier Jahren deutlich, dass die Leute vom Dorf, vor allen Dingen die Bauern mehrheitlich misstrauisch, skeptisch oder ganz gegen den Beitritt Polens sind. Polen macht da eigentlich keine Ausnahme. Ich erinnere mich, dass bei den früheren Beitritten die Bauern zum Beispiel aus Österreich oder Finnland eigentlich auch mehrheitlich gegen den Beitritt waren.

    Heuer: Und weitere Agrarhilfen würden da vielleicht helfen?

    Truszczynski: Ja, das wollen wir natürlich hoffen. Die Information, die jetzt den Leuten angeboten wird, ist eine sehr konkrete Information in dem Sinne: Was bekomme ich? Was werde ich machen können? Wie viel Geld bekomme ich pro Jahr? Worauf soll ich mich spezialisieren? Wer wird meine Produkte abnehmen? Welche werden die unterstützenden Preise sein? Die Bauern brauchen konkrete Informationen.

    Heuer: Nach den Differenzen über den Irak und der harschen Kritik namentlich Frankreichs an Polen, die Frage: Fühlen sich die Polen herzlich willkommen in der Europäischen Union?

    Truszczynski: Sehen Sie, wir sind solidarisch mit den Vereinigten Staaten als Verbündete und Partner von Amerika im atlantischen Pakt. Wir sind Verbündete und Partner der Europäischen Union im Rahmen unseres Beitritts. Wir wollen keine Wahl zwischen Amerika und Europa treffen. Was den Irak anbelangt, da sind wir eines derjenigen beitrittsfähigen Länder, die die letzte Erklärung des Europäischen Rats vom 17. Februar ohne jegliche Mühe unterschrieben haben. Wir sind mit den Ländern der 15 einig in der Beurteilung, Analyse und in den Beschlüssen hinsichtlich der Irak-Krise.

    Heuer: Dennoch hatte es ja eine sehr sichtbare Symbolik, dass Polen den Brief der Acht unterschrieben und so ausdrücklich seine Solidarität mit den USA erklärt hat. Das hat ihnen den Vorwurf von Frankreich und Deutschland eingebracht, die Polen seien undankbar. Haben Sie Verständnis für diesen Vorwurf und die Enttäuschung dieser beiden Länder?

    Truszczynski: Eigentlich habe ich wenig Verständnis dafür. Wir sind ja eines der acht Länder - darunter fünf Mitgliedsstaaten der heutigen Union, die den Brief unterzeichnet haben - und dieser Brief war nicht gegen die anderen, sondern für transatlantische Solidarität, für transatlantische Zusammenarbeit, für transatlantischen Zusammenhalt. Darum geht es uns, und darum ging es uns damals. Tatsächlich besteht eine gewisse Enttäuschung, aber die hat weniger mit dem Inhalt des Briefs zu tun und mehr mit der Tatsache, dass weder Frankreich noch Deutschland von einem der acht Unterzeichner dieses Briefs im voraus unterrichtet waren.

    Heuer: Ein weiterer Vorwurf, Herr Truszczynski, an Polen ist der, dass das Land wirtschaftlich und finanziell von der Europäischen Union profitieren werde, sich selbst aber nicht genügend einbringt. Zum Beispiel ist es ja so, dass Polen Militärflugzeuge bei den USA und nicht bei den EU-Partnern kauft. Nimmt Polen zu viel und gibt es zu wenig?

    Truszczynski: Das ist ein - ich würde sogar sagen - billiger Vorwurf, da diese Entscheidung nichts, aber auch gar nichts mit der EU-Mitgliedschaft zu tun hat. Die Wahl, die getroffen wurde, ist die durchsichtigste Entscheidung der letzten Zeit, was die militärischen Einkäufe anbelangt. Keiner der anderen Anbieter kann eine Klage gegen die Prozedur, die in Polen angewendet wurde, machen. Das Geld für den Kauf dieser Flugzeuge kommt ganz sicher nicht aus dem EU-Haushalt, denn dieses Geld wird ja für andere Zwecke verwendet, und das ist alles auf Papier schwarz auf weiß festgesetzt - Strukturpolitik und Agrarwirtschaft, Modernisierung des Landes, Bildung und so weiter - aber nichts was mit der Armee oder mit dem Militär zu tun hat.

    Heuer: Polen gehörte zu den Beitrittsländern, die einen Aufschub der ersten europäischen Verfassung gefordert haben, deren erster Entwurf im Juni vorgelegt werden soll. Polen hat gesagt, es hätte gerne eine angemessene Bedenkzeit für diese Verfassung. Wie lange wäre denn angemessen?

    Truszczynski: Da haben wir natürlich noch keine Präferenzen. Es ist aber ziemlich deutlich, dass es mit der sehr großen Zahl der Vorschläge zu den ersten Entwürfen und Artikeln des konstitutionellen Vertrages sehr gut möglich ist, dass die Arbeit des Konvents ein bisschen länger dauern wird als geplant. Es ist dann auch möglich, dass ganz viele Teilnehmer dieser Operation zur Überzeugung kommen, dass vor dem Start der Regierungskonferenz eine Bedenkpause notwendig sein wird. Sie werden sich daran erinnern, dass schon vorher ziemlich viele der heutigen Mitgliedsstaaten eine solche Meinung formuliert haben. Es geht hier nicht um einen Trick. Es geht hier vielmehr um den Inhalt und die wirklich gute Vorbereitung der Regierungskonferenz.

    Heuer: Jan Truszczynski war das, der stellvertretende polnische Außenminister im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch.

    Link: 10 plus - Ein Europa

    Link: Interview als RealAudio