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Polen
Weiter Streit um Justizreform

Kurz hatte die polnische Opposition Hoffnung, dass Präsident Andrzej Duda die Unterzeichnung der umstrittenen Justizreform verweigern würde. Doch seine Änderungsvorschläge ändern am Kern der Reform nichts. Die Regierung will sie nun offenbar im Eiltempo durchs Parlament bringen.

Von Florian Kellermann | 19.07.2017
    Die Figuren von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski (M), Ministerpräsidentin Beata Szydlo und dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda als Marionetten inmitten von Demonstranten, die am 6.5.17 in Warschau auf die Straße gingen.
    Die Proteste gegen die geplante Justizreform in Polen halten an. (Janek SKARZYNSKI / AFP)
    Für einen Augenblick schien es so, als würde Staatspräsident Andrzej Duda die polnische Regierungspartei PiS zumindest bremsen. Duda, der aus der PiS stammt, verlangte überraschend Änderungen an einem der Gesetze zur geplanten Justizreform, sonst werde er keines der Gesetze unterzeichnen.
    Duda sagte: "Das Justizsystem ist eine ernste Angelegenheit. Es muss reformiert werden, aber auf kluge Weise. Ich bin mit der Richtung der geplanten Änderungen im Landesjustizrat einverstanden. Ich bin auch überzeugt, dass der Oberste Gerichtshof reformiert werden muss. Aber diese Reform sollte ruhig und klug umgesetzt werden."
    Kern der Reform bleibt gleich
    Der Präsident möchte, dass die Richter im Landesjustizrat nicht mit der einfachen Mehrheit des Parlaments gewählt werden, wie die PiS es möchte, sondern mit einer Mehrheit von drei Fünfteln. Die PiS müsste bei dieser Wahl also vorübergehende Koalitionen schmieden. Der Landesjustizrat spielt eine wichtige Rolle bei der Ernennung von Richtern. Bisher wählten die Richter seine Mitglieder selber.
    Aus der PiS gibt es bereits Stimmen, die von Präsident Duda vorgeschlagenen Änderungen an der Justizreform zu akzeptieren.
    Der Kern der Reform bleibe damit jedoch gleich, meint Waldemar Zurek, Sprecher des aktuellen Landesjustizrats. Die Richter würden abhängig von der Politik und vor allem von der Regierung:
    "Ich erwarte vom Präsidenten, dass er sein Veto einlegt gegen alle drei Gesetze, die derzeit zur Debatte stehen. Denn sie verletzen offensichtlich die Verfassung. Dann sollte er sich mit allen Abgeordneten und mit Juristen zusammensetzen. Wir haben ein hervorragendes Projekt für eine Reform des Landesjustizrats. Es sieht eine wesentliche Beteiligung von Bürgern vor."
    Die rechtskonservative Regierungspartei PiS ist offenbar entschlossen, die Reform im Eiltempo, noch in dieser Woche, durchs Parlament zu bringen. Erst gestern wurde das Gesetz über den Obersten Gerichtshof in erster Lesung beschlossen - und noch in der Nacht zu heute begann die PiS, das Gesetz im Parlament in zweiter Lesung zu beraten. Das Gesetz sieht vor, dass alle Richter automatisch ihr Amt verlieren - und ihre Posten anschließend vom Justizminister neu besetzt werden.
    Kaczynski explodiert im Parlament
    Der Wortwechsel im Parlament ist so hitzig wie selten. Die Opposition führte wiederholt Zitate des verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski ins Feld, der den Wert von Rechtsstaatlichkeit stets betont hatte. Da explodierte Jaroslaw Kaczynski, PiS-Vorsitzender und Zwillingsbruder des Verstorbenen. Ohne das Wort zu haben, drängte er sich aufs Rednerpult:
    "Ich weiß, dass ihr Angst vor der Wahrheit habt. Aber wischt nicht eure Verräter-Fressen mit dem Namen meines Bruders ab. Ihr habt ihn vernichtet und umgebracht. Ihr seid Kanallien."
    Kamila Gasiuk-Pihowicz von der liberalen Oppositionspartei "die Moderne" reagierte sofort:
    "Wir sind genauso vom Volk gewählt wie ihr. Ihr schafft hier die Demokratie ab und lasst im Sejm nicht einmal eine Debatte zu. Deshalb findet die Debatte jetzt auf den Straßen statt. Was macht ihr nur aus Polen? Euer Vorbild ist das Russland von Putin."
    Die Proteste in polnischen Großstädten gegen die Regierung, die am Sonntag begonnen haben, gehen indes weiter. Auch gestern Abend trafen sich viele Tausende auf zentralen Plätzen, um mit Lichterketten ihren Widerstand zu signalisieren.