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Polen
Wie ein Facebook-Post die Regierung blamiert

Ein Jahr lang hatte Polens Regierung es geschafft, die Details des großen Abhörskandals unter Verschluss zu halten. Nun hat ein Geschäftsmann auf seiner Facebook-Seite sehr unangenehme Akten veröffentlicht - und damit einen Domino-Effekt ausgelöst.

Von Florian Kellermann | 11.06.2015
    Polens Premierministerin Ewa Kopacz spricht im Parlament in Warschau.
    Polens Premierministerin Ewa Kopacz soll die Minister nach den unangenehmen Veröffentlichungen zum Rücktritt gedrängt haben. (picture alliance / dpa / Radek Pietruszka)
    In der polnischen Regierung habe ein Erdbeben stattgefunden, kommentierte die Zeitung "Gazeta Wyborcza". Der bekannteste Politiker, der sein Amt abgab, war jedoch kein Minister, sondern der Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski. Im vergangenen Jahr war er noch Außenminister, nun sinkt er in die politische Bedeutungslosigkeit.
    Auslöser ist wiederum die sogenannte Abhöraffäre. Kellner nahmen im vergangenen Jahr illegal die privaten Gespräche von Regierungspolitikern auf, die zum Essen in ein Warschauer Restaurant gekommen waren. Sikorski hatte sich dabei vulgär über die Politik der USA und des britischen Premiers David Cameron geäußert. Andere Abgehörte beklagten sich über verknöcherten, korrupten Strukturen im Staatsapparat. Seit zwei Tagen erlebt Polen nun die Affäre nach der Affäre: Akten der Staatsanwaltschaft, die unter anderem gegen die Kellner ermittelt, tauchten im Internet auf.
    Ministerpräsidentin Ewa Kopacz von der rechtsliberalen Partei "Bürgerplattform" begrüßte die Rücktritte. Ihre Begründung: Im Wahlkampf vor der Parlamentswahl im Herbst müsse es um Inhalte gehen, nicht um illegal erstellte Aufzeichnungen.
    Forderungen nach weiteren Rücktritten
    "Ich weiß, wie viele schwierige Momente die Wähler der Bürgerplattform gerade jetzt, aber schon seit einem Jahr erlebt haben. Irritiert und empört haben sie diese Aufzeichnungen angehört. Sie haben das Recht auf eine Entschuldigung. Und ich entschuldige mich heute von ganzem Herzen im Namen der Bürgerplattform."
    Diese Erklärung gibt einige Rätsel auf. Der bekannteste der zurückgetretenen Minister - Gesundheitsminister Bartosz Arlukowicz - taucht in der Abhöraffäre nämlich bisher gar nicht auf. Allerdings sind in dem Warschauer Restaurant noch viele Stunden Tonmaterial aufgenommen worden, deren Inhalt der Öffentlichkeit bisher unbekannt ist. Erwartet Polen nun eine Enthüllung nach der anderen? So die Spekulationen in Warschau.
    Ewa Kopacz habe die Politiker aus ihrer Partei aus den Ämtern gedrängt, meinen Beobachter. Sie versucht so, ihre Partei aus dem Stimmungstief zu ziehen. Vor wenigen Wochen steckte die Bürgerplattform schon eine herbe Niederlage ein - bei der Präsidentenwahl. Der von ihr unterstützte Amtsinhaber Bronislaw Komorowski unterlag. Neues Staatsoberhaupt wird Andrzej Duda, ins Rennen geschickt von der rechtskonservativen Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS. Nach der Wahl im Herbst könnte diese, die von Ex-Premier Jaroslaw Kaczynski geführte, Partei auch die Regierung übernehmen.
    Jacek Kurski, von der PiS als Wahlkampfexperte engagiert, wetzte gestern schon die Messer.
    "Wir haben keinen starken Staat, unser Staat besteht vielmehr nur theoretisch. Ewa Kopacz hat keineswegs Entschlossenheit demonstriert. Sie hat diese Affäre ein Jahr lang unter den Teppich gekehrt. Elzbieta Bienkowska, die auch abgehört wurde, ist sogar EU-Kommissarin für den Binnenmarkt geworden. Es sind Panik und Verzweiflung, die Ewa Kopacz jetzt antreiben."
    Die Affäre hat nicht nur parteipolitische Konsequenzen. Wenn die Staatsanwaltschaft so wichtige Ermittlungsakten nicht geheim halten kann, dürfte dies das Vertrauen der Menschen in die Justiz beschädigen, meinen Beobachter. Auch internationale Partner könnten skeptisch werden, inwieweit sie polnischen Behörden vertrauen können. Ewa Kopacz fordert, dass der Generalstaatsanwalt entlassen wird.