Silvia Engels: Gestern waren die Polen aufgerufen, eine Nachfolge für den im April tödlich verunglückten Präsidenten Lech Kaczynski zu bestimmen. Wochenlang hatte anschließend tiefe Trauer das Land und auch den Präsidentschaftswahlkampf überschattet. Der europafreundliche Kandidat Bronislaw Komorowski konnte nun die meisten Stimmen gewinnen, doch eine Stichwahl wird notwendig werden.
Marek Cichocki leitet eine der bekanntesten politischen Denkfabriken Polens. Früher hat er den verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski in Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen beraten, nun ist er am Telefon. Guten Morgen, Herr Cichocki.
Marek Cichocki: Guten Morgen.
Engels: Letztlich hat ja trotz des großen Vorsprungs Komorowskis Jaroslaw Kaczynski am Ende sehr aufgeholt. Hatten Sie damit gerechnet, dass es so knapp werden würde?
Cichocki: Die Trends in den letzten Wochen haben gezeigt, dass der Unterschied immer knapper wird zwischen den beiden. Jetzt haben wir die Situation, wo der Vorsprung von Komorowski nur fünf Prozent ist. Das heißt, dass die zweite Runde unentschieden ist. Man kann bestimmt noch nicht vorhersehen, wer der Gewinner wird.
Engels: Was für eine Empfehlung hätten Sie, wie der Wahlkampf nun auszusehen hat? Sie haben ja Lech Kaczynski beraten. Was würden Sie jetzt seinem Bruder empfehlen?
Cichocki: Na ja, die Situation ist ganz außerordentlich, denn die Gründe für diese Wahlen sind ganz unerwartet und tragisch. Deshalb: Die Kampagne kann keine normale Kampagne sein. Beide Kandidaten haben versucht, so moderat sich auszusprechen wie möglich, und so höflich zu sein, wie es nur geht, aber das hat ja zur Folge, dass manche Wähler keine Unterschiede zwischen Komorowski und Kaczynski sehen konnten, und das ist auch der Grund, warum die Linken so viel gewonnen haben, denn die haben in diesen Wahlen wirklich eine Alternative gestellt. Ich glaube, in der zweiten Runde wird es nicht mehr möglich, so höflich und ohne Unterschiede weiterzugehen. Die beiden Kandidaten müssen endlich offenstellen, was sie voneinander unterscheidet und was eigentlich die Alternative für die Wähler in der zweiten Runde ist.
Engels: Viele Beobachter hatten ja vorab gesagt, Jaroslaw Kaczynski habe sich seit dem Tod seines Bruders sehr verändert, er sei versöhnlicher geworden. Wenn ich Sie richtig verstehe, erwarten Sie aber schon von ihm, dass er jetzt wieder etwas pointierter auftreten wird?
Cichocki: Versöhnlich kann bestimmt nicht heißen, dass man aus der Politik alle Unterschiede wegnimmt. Die Politik ist ja auch um Unterschiede und die Wähler müssen eine Alternative haben. Jaroslaw Kaczynski hat sich sicherlich geändert, denn ihn hat eine sehr große Tragödie getroffen, aber er hat sich auch entschieden, weiter die Politik zu machen. Bis jetzt haben sich beide Kandidaten geweigert, eine klare Vision der eigenen Präsidentschaft zu zeigen. Jetzt kommt die Zeit, wo eine Debatte auf dem Tisch sein muss.
Engels: Egal wer gewinnt, kehrt Polen nach der Trauer, die ja die letzten Monate beherrschte, zur politischen Normalität zurück, wenn der neue Präsident feststeht?
Cichocki: Na ja, unabhängig davon, wer der Präsident wird, er wird bestimmt eine sehr große Rolle haben, die Nation, die Bürger über diese Katastrophe, über diese Tragödie, die wir miterlebt haben, hinwegzubringen und eine Einheit wiederzugewinnen in einem grundsätzlichen Sinne. Das, was passiert ist, war für viele Leute in Polen ein traumatisches Erlebnis, das viele Spuren hinterlässt, und der neue Präsident wird die Rolle haben, wie gesagt ein Gefühl der Einigung wiederherzustellen.
Engels: Mancher sprach ja nach dem Tod des Präsidenten davon, dass der frühere, sehr scharfe politische Streit in Polen zwischen den politischen Lagern milder geführt werden würde. Ist davon etwas dauerhaft eingetreten?
Cichocki: Die Politiker, die versuchen, wirklich eine moderate Rhetorik zu gebrauchen – viel mehr problematisch sind die Journalisten, die daran angewohnt sind, dass die Sprache der Politik sehr brutal geworden ist, und sie haben gerne auch mit dieser Brutalität gespielt. Aber ich glaube, etwas hat sich in Polen nach dieser Tragödie wirklich geändert: die Leute sind müde dieser theatralischen Politik und dieser Brutalität, sie möchten eine Politik haben, die mehr sachlich wird und die wirklich eine vernünftige Alternative darstellen wird.
Engels: Sie haben es angesprochen: Beim zweiten Wahlgang wird viel davon abhängen, wie sich die Wähler des drittplatzierten Kandidaten, der aus dem linken Lager kam, positionieren werden. Mit welchem Wahlausgang rechnen Sie in zwei Wochen?
Cichocki: Das ist wirklich schwierig vorherzusehen, denn die Wähler der Linken können sowohl auch zu Hause bleiben und damit auch eine Entscheidung hervorrufen. Also es ist schwierig vorherzusehen, wie sich diese 30 Prozent der Wähler, der linken Wähler, jetzt in der zweiten Runde verhalten werden. Ich glaube, noch nichts ist entschieden und beide Kandidaten müssen sehr viel Mühe geben, um wirklich dann am Ende eine Chance zu haben, der Präsident zu werden.
Engels: Wir sprachen mit Marek Cichocki, dem früheren Berater des verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, über den Ausgang der ersten Runde der Präsidentenwahlen in Polen. Vielen Dank für das Gespräch.
Cichocki: Vielen Dank auch.
<u>Links zur Präsidentenwahl in Polen auf dradio.de:</u>
Polen wählt neuen Präsidenten -
Auch der Bruder des verstorbenen Staatschefs hat Chancen
Staatstrauer in Polen -
Präsident Lech Kaczynski stirbt bei Flugzeugabsturz
Marek Cichocki leitet eine der bekanntesten politischen Denkfabriken Polens. Früher hat er den verstorbenen Präsidenten Lech Kaczynski in Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen beraten, nun ist er am Telefon. Guten Morgen, Herr Cichocki.
Marek Cichocki: Guten Morgen.
Engels: Letztlich hat ja trotz des großen Vorsprungs Komorowskis Jaroslaw Kaczynski am Ende sehr aufgeholt. Hatten Sie damit gerechnet, dass es so knapp werden würde?
Cichocki: Die Trends in den letzten Wochen haben gezeigt, dass der Unterschied immer knapper wird zwischen den beiden. Jetzt haben wir die Situation, wo der Vorsprung von Komorowski nur fünf Prozent ist. Das heißt, dass die zweite Runde unentschieden ist. Man kann bestimmt noch nicht vorhersehen, wer der Gewinner wird.
Engels: Was für eine Empfehlung hätten Sie, wie der Wahlkampf nun auszusehen hat? Sie haben ja Lech Kaczynski beraten. Was würden Sie jetzt seinem Bruder empfehlen?
Cichocki: Na ja, die Situation ist ganz außerordentlich, denn die Gründe für diese Wahlen sind ganz unerwartet und tragisch. Deshalb: Die Kampagne kann keine normale Kampagne sein. Beide Kandidaten haben versucht, so moderat sich auszusprechen wie möglich, und so höflich zu sein, wie es nur geht, aber das hat ja zur Folge, dass manche Wähler keine Unterschiede zwischen Komorowski und Kaczynski sehen konnten, und das ist auch der Grund, warum die Linken so viel gewonnen haben, denn die haben in diesen Wahlen wirklich eine Alternative gestellt. Ich glaube, in der zweiten Runde wird es nicht mehr möglich, so höflich und ohne Unterschiede weiterzugehen. Die beiden Kandidaten müssen endlich offenstellen, was sie voneinander unterscheidet und was eigentlich die Alternative für die Wähler in der zweiten Runde ist.
Engels: Viele Beobachter hatten ja vorab gesagt, Jaroslaw Kaczynski habe sich seit dem Tod seines Bruders sehr verändert, er sei versöhnlicher geworden. Wenn ich Sie richtig verstehe, erwarten Sie aber schon von ihm, dass er jetzt wieder etwas pointierter auftreten wird?
Cichocki: Versöhnlich kann bestimmt nicht heißen, dass man aus der Politik alle Unterschiede wegnimmt. Die Politik ist ja auch um Unterschiede und die Wähler müssen eine Alternative haben. Jaroslaw Kaczynski hat sich sicherlich geändert, denn ihn hat eine sehr große Tragödie getroffen, aber er hat sich auch entschieden, weiter die Politik zu machen. Bis jetzt haben sich beide Kandidaten geweigert, eine klare Vision der eigenen Präsidentschaft zu zeigen. Jetzt kommt die Zeit, wo eine Debatte auf dem Tisch sein muss.
Engels: Egal wer gewinnt, kehrt Polen nach der Trauer, die ja die letzten Monate beherrschte, zur politischen Normalität zurück, wenn der neue Präsident feststeht?
Cichocki: Na ja, unabhängig davon, wer der Präsident wird, er wird bestimmt eine sehr große Rolle haben, die Nation, die Bürger über diese Katastrophe, über diese Tragödie, die wir miterlebt haben, hinwegzubringen und eine Einheit wiederzugewinnen in einem grundsätzlichen Sinne. Das, was passiert ist, war für viele Leute in Polen ein traumatisches Erlebnis, das viele Spuren hinterlässt, und der neue Präsident wird die Rolle haben, wie gesagt ein Gefühl der Einigung wiederherzustellen.
Engels: Mancher sprach ja nach dem Tod des Präsidenten davon, dass der frühere, sehr scharfe politische Streit in Polen zwischen den politischen Lagern milder geführt werden würde. Ist davon etwas dauerhaft eingetreten?
Cichocki: Die Politiker, die versuchen, wirklich eine moderate Rhetorik zu gebrauchen – viel mehr problematisch sind die Journalisten, die daran angewohnt sind, dass die Sprache der Politik sehr brutal geworden ist, und sie haben gerne auch mit dieser Brutalität gespielt. Aber ich glaube, etwas hat sich in Polen nach dieser Tragödie wirklich geändert: die Leute sind müde dieser theatralischen Politik und dieser Brutalität, sie möchten eine Politik haben, die mehr sachlich wird und die wirklich eine vernünftige Alternative darstellen wird.
Engels: Sie haben es angesprochen: Beim zweiten Wahlgang wird viel davon abhängen, wie sich die Wähler des drittplatzierten Kandidaten, der aus dem linken Lager kam, positionieren werden. Mit welchem Wahlausgang rechnen Sie in zwei Wochen?
Cichocki: Das ist wirklich schwierig vorherzusehen, denn die Wähler der Linken können sowohl auch zu Hause bleiben und damit auch eine Entscheidung hervorrufen. Also es ist schwierig vorherzusehen, wie sich diese 30 Prozent der Wähler, der linken Wähler, jetzt in der zweiten Runde verhalten werden. Ich glaube, noch nichts ist entschieden und beide Kandidaten müssen sehr viel Mühe geben, um wirklich dann am Ende eine Chance zu haben, der Präsident zu werden.
Engels: Wir sprachen mit Marek Cichocki, dem früheren Berater des verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, über den Ausgang der ersten Runde der Präsidentenwahlen in Polen. Vielen Dank für das Gespräch.
Cichocki: Vielen Dank auch.
<u>Links zur Präsidentenwahl in Polen auf dradio.de:</u>
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