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Polenz beurteilt Lage der Menschenrechte in Libyen skeptisch

Müller: Die letzten Tipps vor dem Abflug holte sich der Kanzler wohl noch in Rom. Kein ausländischer Gast hat Muammar el Gaddafi in jüngster Zeit so oft gesehen, wie Silvio Berlusconi. Italiens Premier nennt den libyschen Revolutionsführer inzwischen sogar seinen besten Freund, auch wenn er bei einer Audienz in Tripolis kürzlich drei Stunden lang vor der Tür warten musste. Überraschungen sind bei Gaddafi also nie auszuschließen. Doch Gerhard Schröder kann mit einer Vorzugsbehandlung rechnen, denn anders als vor ihm Tony Blair und andere EU-Kollegen wird der deutsche Regierungschef gleich zweimal in das berühmteste Politikerzelt der Welt vorgelassen: Gestern Abend Teil Eins der Gespräche. Der libysche Staatschef ist also nach vielen Jahren auf der Schwarzen Liste wieder gesellschaftsfähig. Herr Polenz, man konnte es in den Fernsehbildern sehen, eine freundliche Atmosphäre im Wüstenzelt von Tripolis. "Libyen in die EU", wäre das was?

Moderation: Dirk Müller |
    Polenz: Nein, also ich bin sowieso schon etwas skeptisch, ob es richtig war, dass nun gleich als erster Besucher aus Deutschland der Bundeskanzler selbst nach Libyen reist, ob es nicht klüger gewesen wäre, vielleicht die Beziehungen, die ja nun lange wegen der libyschen Politik, Terrorismus zu unterstützen, eingefroren waren, ob es da nicht richtiger gewesen wäre, zunächst vielleicht mal einen seiner Minister nach Tripolis reisen zu lassen. Aber "Libyen in die EU", das ist abwegig.

    Müller: Warum hat der Kanzler es denn gemacht? Warum ist er als erster gefahren?

    Polenz: Er erweckt mindestens den Eindruck, dass es ihm ganz schnell und vor allem um Geschäfte geht. Wir haben ja in dem Korrespondentenbericht gehört, welches potentielle Geschäftsvolumen, welche Steigerungen des Handelsaustausches, auch vielleicht der Ölimporte, möglich sind. Das unterstütze ich auch und das liegt auch im libyschen Interesse. Das wäre aber sicherlich auch mit Libyen machbar, wenn man zunächst einmal protokollarisch dem Land signalisiert, "Wir freuen uns, dass Du wieder in die internationale Staatengemeinschaft zurückkehren willst." Aber wir sehen auch, welche Probleme beispielsweise die Lage der Menschenrechte in diesem Land immer noch darstellen. Menschen verschwinden, die Prozesse sind unfair. Wir haben viele politische Gefangene, wir haben Folter. Über all das darf man auch nicht schweigen.

    Müller: Also die Gräueltaten, die sie angesprochen haben, die gehen etwas weiter zurück. Wenn wir auf den Terrorismus zu sprechen kommen, den Gaddafi ja nun auch nachweislich über viele Jahre unterstützt hat, werden die dann im politischen Alltag, in der politischen Praxis vergessen?

    Polenz: Die Sorge habe ich etwas und der Bundeskanzler wäre gut beraten, wenn er deutlich machte, dass er jetzt nicht nur über das Geschäft mit Gaddafi gesprochen hat, sondern dass er diese Fragen auch angesprochen hat. Libyen ist ja ein wichtiges Land im Nahen und Mittleren Osten und es sind sich doch eigentlich alle einig, dass einer der großen Fehler des Westens gegenüber dieser Region gewesen ist, mit doppelten Standards zu argumentieren. Also, in dem einen Fall die Frage der Menschenrechte sehr deutlich anzusprechen - ich nenne als Beispiel mal Iran - in anderen Fällen aber eher darüber hinwegzugucken - ich nenne das Beispiel Saudi Arabien. Wenn wir von dieser Politik nicht langsam wegkommen, dann werden wir auch als Europäer dort nicht an Glaubwürdigkeit gewinnen, vor allen Dingen nicht an Glaubwürdigkeit den vielen Menschen gegenüber, die von autoritären Regimen in einer ziemlich schlechten Weise regiert werden.

    Müller: Ist Realpolitik mit Blick auf Beziehungen zu Diktaturen niemals Moralpolitik?

    Polenz: Das wäre ein großer Fehler, wenn man sich als westliche Demokratie darauf einlassen würde, dass das ein prinzipieller Gegensatz sei. Ich denke, unsere Realpolitik muss auch auf Moral gründen, denn sonst bleibt sie unglaubwürdig und wird dann auch sich real nicht richtig umsetzen lassen. Also, natürlich an das Geschäft mit Libyen denken, natürlich die Beziehungen verbessern, natürlich den Weg Libyens, den man eingeschlagen hat - Offenlegung der Massenvernichtungswaffen, Verzicht auf all das, Entschädigung der Opfer des Terrorismus, abschören vom Terrorismus - das sind alles sehr positive Entwicklungen. Die verdienen auch Unterstützung, aber man muss deutlich machen: Wir sind mit dem inneren Zustand Libyens noch lange nicht zufrieden. Und wenn jetzt so ein Friede-Freude-Eierkuchen-Besuch des Bundeskanzlers stattfindet, dann wäre das mehr als nur der berühmte Tacken zuviel.

    Müller: Aber dennoch sagen Sie, Resozialisierung für Diktatoren, das ist O.K.?

    Polenz: Ja, sicher. Man muss in der Politik immer sehen, dass man die Dinge verbessert und dass man sie zum Positiven beeinflusst. Wenn man jetzt mit Gaddafi jemanden hat, der wie die Bundesregierung offensichtlich meint, nun unwiderruflich der Vergangenheit abgeschworen hat und sich auf einen kooperativen, vernünftigen Kurs begibt, dann soll man das unterstützen. Man muss dann auch nicht sozusagen über Gebühr nachkarten. Es gibt da jetzt auch Entschädigungen für die Opfer des La-Belle-Anschlages, die ersten Zahlungen sind da wohl auch geflossen, aber das heißt eben nicht, dass Herr Gaddafi - und ich bin schockiert, wenn Berlusconi, immerhin auch ein europäischer Staatschef, ihn inzwischen seinen besten Freund nennt, also ich möchte doch, dass unser Bundeskanzler deutlich macht, dass jedenfalls seine besten Freunde auch in ihrer Regierungspraxis für ein besseres Regieren stehen, als Gaddafi das im Inneren nach wie vor tut.

    Müller: Ist Gaddafi nach seinem vermeintlichen politischen Kurswechsel innerhalb der arabischen Welt ein wichtiger Gesprächspartner?

    Polenz: Ich glaube, da ist er auch auf dem Resozialisierungsweg. Er war ja auch innerhalb der arabischen Welt ziemlich isoliert. Wenn er auch da jetzt wieder zurückkehrt ist das sicherlich O.K.. Wir wollen Ihn ja auch, Libyen - und das finde ich auch richtig - als Land in dem Barcelona-Prozess, eine Heranführung an die EU, in dem Sinne, dass die Handelsbeziehungen ausgebaut werden, dass man in den EU-Programmen, die für die südlichen Mittelmeeranrainer geboten werden, dass er daran teilnehmen kann, das finde ich alles in Ordnung. Aber gerade der Barcelona-Prozess zielt zum Beispiel ja auch darauf ab, die Menschrechtslage etwa in den Mahrgeb-Staaten zu verbessern.