Durak: Zunächst einmal: Wie sehen Sie den Besuch von Frau Merkel in der Türkei, wie hat sie dort abgeschnitten?
Polenz: Ich fand es richtig, dass sie nach Ankara gefahren ist, um ihren Standpunkt, der sicherlich auch der Mehrheitsstandpunkt in der CDU ist, zu erläutern, damit er nicht nur vermittelt sondern auch unmittelbar vorgetragen wird. Sie hat sicherlich auch deutlich gemacht, dass es auch ihr darum geht, die Türkei möglichst nahe an Europa heranzuführen, ein freundschaftliches Verhältnis zur Türkei zu haben. Das ist ihr Standpunkt, nicht in Form einer Vollmitgliedschaft in der EU, sondern in einer privilegierten Partnerschaft mit intensivierten sicherheitspolitischen Beziehungen, auch wirtschaftspolitischen, aber eben nicht als Vollmitglied.
Durak: Stimmt es denn auch, dass Sie sich sozusagen zur Minderheit zählen und eigentlich einen EU-Beitritt der Türkei befürworten?
Polenz: Ich bin dafür, dass die Türkei eine faire Chance bekommt, auch Vollmitglied der EU zu werden. Dafür spricht eine jetzt 40-jährige Beitrittsgeschichte, auch die Reformen, die die Türkei gerade jetzt unter der Erdogan-Regierung verstärkt betreibt. Aber ich füge hinzu: sie muss natürlich die Kopenhagener Kriterien, die für alle Beitrittskandidaten gelten, ohne wenn und aber erfüllen. Da darf es keine Abstriche geben und hier bin ich auch der Meinung, muss im Herbst sehr genau geschaut werden, was die EU in ihrem Fortschrittsbericht dazu feststellt. Den Bericht muss die Union genau unter die Lupe nehmen.
Durak: Können Sie uns ein paar Stichworte zu den Kopenhagener Kriterien nennen?
Polenz: Sie wurden 1993 von der EU verabschiedet und sollen für alle Beitrittskandidaten gelten. Sie schreiben vor, dass wir natürlich nur Demokratien in die EU aufnehmen können, Rechtsstaatlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung, die Achtung der Menschenrechte und der Schutz von Minderheiten. Als wirtschaftliches Kriterium ist formuliert worden, dass die Wirtschaft so stark sein muss, dass sie dem Wettbewerbsdruck des Binnenmarktes standhalten kann. Letzteres Kriterium muss allerdings nicht in vollem Umfang erfüllt sein. Die politischen Kriterien wohl.
Durak: Frau Merkel begründet ihre Haltung, den dritten Weg, damit, dass die EU nicht in der Lage ist, im Augenblick, und mit der Osterweiterung erst recht nicht, ein solches Land wie die Türkei aufzunehmen. Ist die EU politisch und wirtschaftlich in der Lage, die Türkei aufzunehmen?
Polenz: Frau Merkel verweist zunächst zu Recht auf ein Kriterium, das auch in Kopenhagen Gegenstand des Beschlusses war, nämlich dass die Integrationsdynamik, also auch die Fähigkeit, handlungsfähig zu bleiben in der EU durch die Erweiterung nicht beeinträchtigt werden darf. Und nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages kann man und muss man auch Sorge haben, wie es jetzt um die Handlungsfähigkeit der EU bestellt ist. Nur: ich finde, das kann man jetzt nicht an der Türkeifrage festmachen. Zum einen muss die EU ihre Handlungsfähigkeit viel schneller gewinnen und besser sicherstellen, als das zurzeit der Fall ist, unabhängig von einem späteren Türkei-Beitritt, der ja in diesem Jahrzehnt unter keinen Umständen mehr zu erwarten ist. Dass man so pessimistisch sein müsste, dass die EU das in den nächsten zehn Jahren nicht schafft – so skeptisch bin ich nicht.
Durak: Während des Besuches hieß es im Umfeld von Ministerpräsident Erdogan, würde die Türkei von der EU ferngehalten, könne die Regierung das den enttäuschten Türken nicht erklären. Welche Folgen sehen Sie?
Polenz: Ich halte eine solche Formulierung zwar für eine verständliche aber nicht sehr kluge. Denn die Türkei – und das hat gerade diese Regierung immer wieder deutlich gemacht – sieht die Kriterien nicht mehr als Kopenhagener sondern als Ankara-Kriterien und sagt, wir müssen uns eigentlich selbst im eigenen Interesse unseres Landes - auch unabhängig von einem EU-Beitritt - zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nicht nur bekennen sondern es auch sein. Dass jetzt große Erwartungen in der Türkei auch mit dem Datum im Herbst verbunden sind, ist nahe liegend und sicherlich gäbe es auch Enttäuschungen, wenn ein Verhandlungsbeginn dann im Jahre 2005 nicht terminiert würde. Aber ich meine, auch die türkische Regierung sollte weiter an den Reformen arbeiten, sollte vor allen Dingen auch das ihre tun, dass der Zypern-Konflikt gelöst wird und nicht einen Bericht sozusagen im Ergebnis vorwegnehmen, der noch nicht vorliegt. Das ist im Übrigen auch eine Empfehlung, die ich meiner Partei geben würde.
Durak: Noch kurz zur Europawahl: Die CSU will die Abstimmung zur Volksabstimmung über den EU-Beitritt der Türkei machen, Frau Merkel hat dies gestern ausdrücklich abgelehnt. Zündelt da die CSU ein ganz klein wenig?
Polenz: Die CSU ist eine eigenständige Partei und macht ihre Wahlkampfplanung. Ich hoffe aber, dass auch die CSU - und eigentlich bin ich da auch sicher – mit dem Thema verantwortungsbewusst umgeht. Frau Merkel hat für die CDU deutlich gemacht, was ich richtig finde, dass wir natürlich in dem Wahlkampf über alle Fragen sprechen, die die Bürger interessieren. Da gehört die Türkei dazu, aber den meisten Menschen brennt doch viel mehr die wirtschaftliche Entwicklung unter den Nägeln, die Fragen der äußeren und inneren Sicherheit. Auch das sind wichtige Themen für den Europawahlkampf und die werden bei uns im Vordergrund stehen.
Durak: Dankeschön. Das war Ruprecht Polenz, CDU-Außenpolitiker, Mitglied im auswärtigen Ausschuss. Herzlichen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.
Polenz: Auf Wiederhören.