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Polenz: Wichtig sind Perspektiven für eine wirtschaftliche und soziale Erholung im Gazastreifen

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, sagte, er gehe davon aus, dass Israel den Krieg noch vor dem Amtsantritt des US-Präsidenten Barack Obama am kommenden Dienstag beenden werde. Neben einer unmittelbaren Lösung für den Gazastreifen müsse auch an einer Lösung des Nahostkonflikts gearbeitet werden, betonte Polenz.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Über die Lage in Gaza haben wir heute morgen schon mehrfach gesprochen, es wird weiter geschossen. Auf der anderen Seite gibt es allerdings Hinweise auf einen Waffenstillstand, der möglicherweise unmittelbar bevorsteht. Über all das wollen wir reden und dazu begrüße ich am Telefon Ruprecht Polenz, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. Guten Morgen, Herr Polenz!

    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Polenz, ich will dieses Gespräch anfangen mit einem kleinen Auszug aus einem Gespräch, was wir heute Morgen mit Moshe Zimmermann geführt haben, dem Historiker der Universität Jerusalem, der etwas über die Verfasstheit der israelischen Gesellschaft gesagt hat. Hören wir da mal bitte kurz rein.

    O-Ton Moshe Zimmermann: Das Problem ist, dass beide Seiten, Hamas und Israel, als Gewinner aus diesem Krieg oder aus dieser Auseinandersetzung hervorkommen wollen, und deswegen geht eben dieser Krieg weiter und weiter, obwohl man damit schon vor einer Woche aufhören könnte. Man muss in Europa verstehen, das ist eine ganz andere Mentalität, die hier herrscht. Hier versteht man den Krieg quasi als Ersatz für den Sport, und da will man um jeden Preis gewinnen. Nur ist der Preis hier Menschenleben und nicht irgendwelche Tore, die hier und dort fallen.

    Zurheide: Wenn man so was hört, Herr Polenz, da gefriert einem ja fast das Blut, Krieg als Sport. Ist das eine Bewertung, wo Sie sagen, müssen wir drüber nachdenken, er könnte leider recht haben?

    Polenz: Mir ist es also auch kalt den Rücken runtergelaufen, als ich das gerade gehört habe. Natürlich ist es bei einem kriegerischen Konflikt so, dass jede Seite gewinnen will. Aber der Vergleich mit dem Sport würde einem, glaube ich, nicht in den Sinn kommen. Ich glaube auch im Übrigen nicht, dass es diese Art von Besonderheiten, die Herr Zimmermann anspricht, tatsächlich gibt.

    Richtig ist, dass Israel nach seinem Rückzug aus dem Libanon bei dem Krieg gegen die Hisbollah gesehen hat, dass die Hisbollah das als einen Sieg gefeiert hat, dass das die Abschreckungsfähigkeit Israels gemindert hat. Und diesen Ruf, man kann Israel nicht ungestraft mit Raketen beschießen, sondern wir sind in der Lage, das zu unterbinden, diesen Ruf wollte und muss glaube ich auch Israel in jedem Falle wieder herstellen. Das, denke ich, ist inzwischen geschehen. Und wenn wir jetzt die Hoffnung auf einen Waffenstillstand haben, dann wird der auch nicht wie ein klassischer Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien verhandelt werden, sondern Israel wird, das ist meine Erwartung, ihn aus einer Position der sichtbaren Stärke heraus einfach verfügen wollen.

    Zurheide: Auf der anderen Seite beobachten wir ja diesen Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, von Fanatikern, möglicherweise auf beiden Seiten, und diesem Modus Gewalt. Was müsste sich denn daran ändern, damit wirklich so etwas wie ein vertrauensbildender Prozess in Gang kommt? Oder muss man differenzieren und sagen, Richtung Westbank und Fatah ist das schon passiert, nur eben in Gaza noch nicht? Wie beurteilen Sie das?

    Polenz: Leider ist es in der Westbank ja auch längst nicht in ausreichendem Maße passiert. Ich glaube, ganz wichtig ist, dass erstens natürlich jetzt ein Schweigen der Waffen erfolgt, und ich rechne eigentlich in allerkürzester Zeit damit, aus einer Reihe von Gründen. Zum einen ist mit Ägypten und den Amerikanern wohl ein Weg gefunden, dass die Grenze des Gazastreifens zu Ägypten so in der Zukunft bewacht wird, dass Waffenschmuggel unterbunden wird. Und das war ja eine der großen Sorgen von Israel, dass es über kurz oder lang sonst wieder die gleiche Situation im Norden Israels mit den Raketen im Norden des Gazastreifens, mit dem Raketenbeschuss gegeben hätte.

    Zum Zweiten ist die Amtseinführung von Obama am 20. Januar, und ich denke, dass Israel in jedem Fall vorher diesen Krieg beendet haben möchte. Und diese beiden Faktoren werden alle zu einem Schweigen der Waffen führen. Entscheidend ist, dass gleichzeitig jetzt auch Perspektiven entwickelt werden, die eine wirtschaftliche und soziale Erholung im Gazastreifen mit sich bringen. Das bedeutet, die Grenzen für Warenaustausch, für auch Personen, die aus dem Gazastreifen raus wollen, müssen durchlässiger werden, allerdings eben natürlich in einer Weise kontrolliert, dass die Öffnung nicht zum Schmuggel missbraucht werden kann.

    Zurheide: Sie haben gerade die, nennen wir es Nachkriegszeit und -ordnung angesprochen. Wie muss die Reihenfolge sein? Natürlich, erst mal Waffenruhe in Gaza, aber dann muss man sich vor allen Dingen ja auch um jene kümmern, die das immer wieder alimentiert haben, also wo kommen die Waffen her. Da ist immer das Stichwort Syrien auf der einen Seite, Iran auf der anderen Seite. Inwieweit muss dann auch Obama möglicherweise diese beiden Länder mit einbinden in eine neue Ordnung?

    Polenz: Da sind wir beim nächsten Punkt. Also neben diesen unmittelbar auf den Gazastreifen bezogenen Schritten muss weiter an einer Lösung des Nahostkonflikts gearbeitet werden. Das muss die Westbank einbeziehen und das muss eine Wiederaufnahme der Verhandlungen um die Zweistaaten-Lösung heißen, mit Abbas, mit Fajad, also mit der gewählten palästinensischen Führung. Und Israel wäre gut beraten, wenn die Versäumnisse der letzten Jahre jetzt wettgemacht würden durch eine klare Aussage zum Stopp jeglicher Siedlungstätigkeit in der Westbank beispielsweise, und wenn Israel tatsächliche Schritte unternehmen würde, durch Aufhebung von Straßensperren in der Westbank das Los der Palästinenser zu erleichtern. Denn das ist das, was entscheidend ist, um die Palästinenser sozusagen von den Radikalen wieder stärker zu trennen, dass diejenigen, die auf Kooperation und Zusammenarbeit setzen, Erfolge haben für die Lebensbedingungen der Palästinenser und für das Ziel, zu einem palästinensischen Staat zu kommen.

    Zurheide: Und eine andere Einschätzung von Herrn Zimmermann, die müssen Sie jetzt auch nicht teilen, das Netanjahu die Wahlen klar gewinnen würde. Hat er denn dann die Kraft, oder wenn es so kommt, glauben Sie, dass er derjenigen sein kann, der da mehr auf Verständigung setzt?

    Polenz: Über den Ausgang der israelischen Wahlen jetzt zu spekulieren, scheint mir deshalb verfrüht, weil der Krieg und der Ausgang des Krieges und die nächsten Schritte sicherlich auch die Wahlen am 10. Februar noch beeinflussen werden. Ich glaube, dass im Augenblick die jetzige Regierungskoalition durch den Krieg die Bevölkerung mehr hinter sich bekommen hat und die Chancen für die Wahlen auch besser geworden sind. Aber das wird man nach dem 10. Februar sehen. Wichtig ist, und da war ja die Anhörung der neuen amerikanischen Außenministerin Hilary Clinton im Senat sehr aufschlussreich, dass die neue amerikanische Regierung von Anfang an den Nahostkonflikt ganz oben auf ihrer außenpolitischen Prioritätenliste hat. Das ist gut so. Ich habe mich immer sehr dafür ausgesprochen und freue mich, dass Obama die Fehler seiner beiden Vorgänger, die das erst in der zweiten Amtszeit, in der zweiten Hälfte der zweiten Amtszeit jeweils angepackt haben, dass er diese Fehler nicht wiederholen will.

    Zurheide: Was bleibt dann für Europa übrig, sind wir die Zaungäste oder was können wir beitragen?

    Polenz: Nein, wir sind Bestandteil des Quartetts, und es wird eine Menge zu tun geben, wenn die Dinge in Bewegung kommen. Das fängt jetzt mit humanitärer Hilfe für die Bevölkerung im Gazastreifen an, aber das muss im Gazastreifen auch wieder Hilfe zur Selbsthilfe werden. Es kann nicht angehen, dass 1,5 Millionen Menschen auf Dauer am Tropf der internationalen Gemeinschaft hängen. Es ist nicht nur finanziell nicht machbar, das ist vor allen Dingen für die Menschen auch entwürdigend, die wollen ja für sich selber sorgen, können das auch. Dazu muss aber eine Grenzöffnung her. Nicht nur, weil die Hamas das fordert, das ist nicht der Punkt, sondern weil ohne eine Grenzöffnung die Abriegelung auch zu einer Verelendung im Gazastreifen geführt hat, mit großem Rückenwind für die Radikalen. Diese Politik war sehr kontraproduktiv.

    Zurheide: Danke schön! Das war Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, im Deutschlandfunk um 8 Uhr 20. Herzlichen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Polenz: Auf Wiederhören, Herr Zurheide!