Breker: Herr Schleyer, was wäre denn Ihr Wunsch an diesem SPD-Parteitag in Nürnberg? Was soll er bringen?
Schleyer: Mein Wunsch wäre, dass dieser SPD-Parteitag den Bundeskanzler und die Bundesregierung insgesamt ermuntert, nun von einer Politik der ruhigen Hand, die zunehmend zu einer Politik der ruhenden Hand geworden ist, wegzukommen, und in Anbetracht der doch dramatisch steigenden Arbeitslosenzahlen ein Konzept zu verwirklichen, was auf der einen Seite sehr konkrete kurzfristig wirkende Maßnahmen vorsieht, auf der anderen Seite aber mittelfristige Politik erkennen lässt, die deutlich macht, dass man an den strukturellen Problemen dieses Landes nun wirklich zu arbeiten gedenkt, und mit einer solchen Politik eben auch ein Stück mehr Zuversicht für die Unternehmen in Deutschland schafft.
Breker: Herr Schleyer, Sie haben von der Politik der ruhenden Hand gesprochen. Wie schätzen Sie denn nach der Vertrauensabstimmung überhaupt die Handlungsfähigkeit von Rot-Grün ein?
Schleyer: Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass wir abwarten müssen, was weniger vielleicht der SPD-Parteitag bringen wird - ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Politik des Kanzlers letztlich nicht unterstützen wird, aber offen ist für mich die Frage, was in Rostock beim Parteitag vom Bündnis 90/Die Grünen geschieht. Wenn dieser Parteitag letztlich den Kurs des Kanzlers in der Bundesregierung unterstützt, dann werden wir noch bis zum Herbst nächsten Jahres eine rot-grüne Regierung haben, und diese Regierung sollte die Zeit nutzen, um die von mir gerade angedeuteten kurz- und mittelfristigen Maßnahmen dann auch zu konkretisieren. Denn wir können es uns in Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, von denen wir ja ganz offensichtlich viel stärker betroffen sind als vergleichbare Nachbarstaaten, nicht leisten, "business as usual" zu treiben, so zu tun als ob sich die konjunkturellen, die strukturellen Probleme des Landes mehr oder weniger von alleine lösen lassen.
Breker: Nun Herr Schleyer nennt sich ja die FDP gerne Interessenvertreter des Mittelstandes. Würde Ihnen eine sozialliberale Partnerschaft besser gefallen?
Schleyer: Das hängt davon ab, wie sich diese sozialliberale Partnerschaft zu einer Reihe von Politikbereichen konkret aufstellt - in der Steuerpolitik, in der Arbeitsmarktpolitik. In letzterem vor allem, denn hier im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik haben wir sicherlich die größten strukturellen Probleme, wie ja nicht nur wir bestätigen, auch im Hinblick auf die Erfahrungen, die wir gemacht haben, bei den gerade hohen Arbeitsplatzverlusten im Mittelstand, sondern wie uns auch alle Sachverständigen außerhalb Deutschlands bestätigen, ob das der Internationale Währungsfond ist, ob das die OECD ist, oder jüngst die Europäische Kommission, die eben Deutschland als Schlusslicht in diesen Bereichen bezeichnet. Hier müssen wir ansetzen. Ob das eine sozialliberale Regierung besser kann - manches spricht dafür -, aber das würde dann daran zu bemessen sein, wie konkret eine solche Regierungsvereinbarung ist.
Breker: Nun sind aber in letzter Zeit auch die Unternehmen in die Kritik geraten. So hat der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit den Unternehmen ein Verjüngungswahn vorgeworfen, und Wolfgang Clement meinte, die Unternehmen erfüllen ihre Pflicht nicht und verweist dabei darauf, dass die 30 Unternehmen, die den DAX bestimmen, 80 000 Menschen entlassen wollen.
Schleyer: Also diese Vorwürfe können sicherlich nicht für den großen mittelständischen Bereich gelten, denn man muss zunächst noch einmal sehen, was denn eigentlich die derzeitigen Rahmenbedingungen neben den strukturellen Problemen, die wir hier haben, sind. Stichwort eben die hohen Personalzusatzkosten in unserem Lande - wir sind ja nicht Weltmeister in den Löhnen, sondern Weltmeister in diesen Zusatzkosten. Man muss sehen, dass wir das einzigste Land sind, dass zum 1. Januar wieder massiv Steuern erhöhen wird - ob das die nächste Stufe der Ökosteuer ist, ob das die vorgesehenen Steuererhöhungen im Bereich der Tabaksteuer, der Versicherungssteuer sind, die kalte Progression in der Einkommenssteuer. All das muss sich ja auf das wirtschaftliche Umfeld auswirken. Dennoch muss man gerade für den Mittelstand sagen, dass er nach wie vor versucht, Arbeitsplätze soweit es irgendwie geht zu halten, aber irgendwann gibt es dann betriebswirtschaftliche Überlegungen, wo sie dann gezwungen sind, in Anbetracht der schlechten Wirtschaftslage, im Interesse letztlich der Sicherung des Betriebes und der dann noch vorhandenen Arbeitskräfte, auch zu solchen Mitteln zu greifen. Auf der anderen Seite haben wir nach wie vor einen gespaltenen Arbeitsmarkt: Im Handwerk fehlen heute - das hat unsere letzte Umfrage ergeben - etwas 160 000 Fachkräfte. Von daher ist es eben nicht damit getan, dass man sagt: Ihr müsst mehr tun, etwas was den Abbau von Überstunden angeht. Wir finden in vielen Fällen überhaupt nicht die qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die wir benötigen.
Breker: Das heißt, die Konjunkturflaute, die wir, vorsichtig gesagt, im Moment haben, - wodurch kann die denn behoben werden - durchs Ausland offenbar im Moment nicht, also muss es doch von innen, von der Binnennachfrage kommen?
Schleyer: Ja, wir haben ja auch die vergangenen Wachstumsraten im letzten- und vorletzten Jahr im Wesentlichen nur über den starken Export bekommen. Nun wissen wir, wie es in den Vereinigten Staaten aussieht, wir sehen, wie es in Asien aussieht - das bestärkt uns ja darin, dass wir sehr viel mehr für die Binnenkonjunktur tun müssen. Das gilt vor allem eben für den Mittelstand, der in ganz wesentlichen Bereichen auf die Binnenkonjunktur angewiesen ist. Da muss man kurzfristig aus unserer Sicht etwas tun, um Betriebe zu entlasten - ich sage es noch einmal: steuerliche Maßnahmen. Wir meinen, es sei dringend erforderlich, die nächste Ökosteuerstufe auszusetzen, mit Mehr-Belastungen von über 8 Milliarden DM. Im Übrigen besagt ja auch der Koalitionsbetrag: Die einzelnen Stufen müssen daran gemessen werden, ob sie in ein konjunkturelles Umfeld dann auch passen. Eine solche Steuererhöhung passt nicht. Wir glauben auch nach wie vor, im Einklang mit den Wirtschaftsforschungsinstituten, aber auch dem Internationalen Währungsfond, dass man die Steuerreform vorziehen sollte. Das hätte im übrigen auch positive Auswirkungen auf die sicherlich schwierig werdenden Tarifverhandlungen: Wenn Arbeitnehmer, die vom Vorziehen ja ebenfalls profitieren würden, mehr Netto in Ihren Taschen hätten, lassen sich die Tarifverhandlungen leichter gestalten. Und mittelfristig werden wir nicht umhinkommen, etwas im Bereich der Sozialversicherungen zu tun. Das muss aber heute schon klar werden: Wo gehen wir hin mit der Gesundheitsreform, wo die Krankenversicherungsbeträge in einer brisanten Weise steigen? Wir haben zwar mit der Rentenreform einen richtigen Ansatz, aber wir müssen noch konsequenter darauf hinarbeiten, die Versicherungsbeiträge noch ein Stücke runterzunehmen, damit das eintreten kann, was die Bundesregierung auch in ihrer Koalitionsvereinbarung geschrieben hat, nämlich die Personal-Zusatzkosten deutlich unter 40 Prozent zu bringen. Davon sind wir noch ein erhebliches Stück entfernt.
Breker: Der Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, Hans-Eberhard Schleyer war das in den Informationen am Mittag. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Schleyer.
Schleyer: Dankeschön Herr Breker.