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"Politik ist am Ende ein Kompromiss"

Einen Tag nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Hessen hat sich Grünen-Landeschef Tarek Al-Wazir zuversichtlich über die angestrebte Zusammenarbeit mit der Linkspartei geäußert. Deren Unterstützung werde durch verlässliche Zusagen gesichert. Das gelte auch für die Zeit nach der Wahl von SPD-Chefin Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin.

Tarek Al-Wazir im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 25.10.2008
    Jürgen Zurheide: Und wir wollen nach Hessen schauen. Die Koalitionsverhandlungen, sie stehen. Die Vereinbarung ist unterzeichnet worden zwischen SPD und Grünen. Gestern in der Schlussphase war es noch einigermaßen hektisch. Es gab Probleme zwischen den Koalitionspartnern, aber auch innerhalb der SPD. Über all das wollen wir reden und ich begrüße am Telefon den Fraktionsvorsitzenden der Grünen Tarek Al-Wazir. Einen schönen guten Morgen!

    Tarek Al-Wazir: Guten Morgen!

    Zurheide: Zunächst einmal, haben Sie eigentlich gestern schon Glückwünsche entgegengenommen oder überwiegt da doch eher die Sorge, dass es vielleicht doch nicht klappen könnte, angesichts der unsicheren Mehrheit? Wie ist da Ihre Stimmungslage?

    Al-Wazir: Es sind ein paar Glückwünsche zu dem Vertrag gekommen, natürlich. Und ich hab allen gesagt, der Vertrag ist nur tragbar, sondern er ist gut. Und bei der Frage nach dem Motto "Herzlichen Glückwünsch zur Regierung" habe ich natürlich gesagt, vielen Dank, aber wirklich im Amt ist sie natürlich erst, wenn sie gewählt ist. Und das ist ja klar angesichts der Vorgeschichte: Wir sind da inzwischen ziemlich gelassen geworden, haben uns das angewöhnt als Grüne in dieser Situation. Aber natürlich ist es so, dass angesichts der Vorgeschichte wir jetzt darauf setzen, dass auch die inhaltlichen Punkte in diesem Vertrag viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dazu bringen, dass sie sagen aus Überzeugung, wir machen das und wir hoffen natürlich, dass das dann auch klappt in geheimer Abstimmung.

    Zurheide: Über die Inhalte werden wir gleich reden, keine Sorge. Ich will dennoch ein Moment noch mal bei den Problemen gerade auf der letzten Wegstrecke bleiben. Da gab es ja, ich hab es gesagt, Probleme zwischen Ihnen und der SPD, aber auch innerhalb der SPD, die beiden Flügel aufwärts und vorwärts, aufwärts mit Herrn Walter und vorwärts mit Frau Ypsilanti an der Spitze. Da gab es ja mindestens die Überraschung, dass Herr Walter da nicht ins Kabinett einzieht. Ist das wirklich eine Belastung oder sagen Sie, es ist eher eine Befreiung, weil damit sind die Verhältnisse auch klar?

    Al-Wazir: Wir haben das natürlich auch nur zur Kenntnis genommen, weil wir ja nicht Teil dieser Flügelauseinandersetzungen in der SPD sind. Jürgen Walter hat gesagt, dass er diese Ressort, was für ihn vorgesehen war, Verkehr- und Europaangelegenheiten, nicht möchte, hat aber gleichzeitig zugesagt, dass er Andrea Ypsilanti auch wählen wird in geheimer Abstimmung. Man muss ja wissen, wir haben in der ganzen Woche zum Beispiel am härtesten über die Formulierung zum Frankfurter Flughafen verhandelt, weil da natürlich die beiden Koalitionspartner am weitesten auseinander waren in Verhandlungen, in ihren Vorstellungen. Und Jürgen Walter hat diesen Kompromiss, den wir dann verhandelt haben, auch mit gestaltet. Es ist nicht so, dass er an den Inhalten nicht mitgewirkt hat. Er hat am Ende dann entschieden, dass er das nicht will und zu sagen, was da genau war, kann ich Ihnen ehrlich gesagt nicht sagen. Da müssen Sie die Sozialdemokraten fragen. Ich glaube allerdings, dass wir an vielen Punkten als Grüne auch dafür gesorgt haben, dass wir zu inhaltlichen Vereinbarungen gekommen sind, die in der Sache gut sind und die eigentlich auch für beide Flügel der SPD tragbar sein müssen.

    Zurheide: Ich will jetzt die Fragen nach den Chancen abschließen mit dem Hinweis darauf, das, was da passiert ist bei der SPD, Sie haben nicht die Sorge, dass das die Regierungsbildung und damit die geheime Abstimmung und die Mehrheit noch mal gefährden könnte?

    Al-Wazir: Ich glaube nicht, weil ja es nicht so ist, dass Jürgen Walter der einzige Vertreter dieses Flügels ist. Und wenn Sie sich die Kabinettsliste anschauen, sehen Sie, dass das aufseiten der SPD ja durchaus so ist, dass da beide Flügel prominent vertreten sind. Ich glaube nicht, dass es da jetzt wegen der Kabinettsentscheidungen, wegen der Personalentscheidungen zu einem Problem kommen dürfte.

    Zurheide: Kommen wir zu den Inhalten. Wie sehr müssen Sie künftig mit Herrmann Scheer rangeln, Sie als Umweltminister, Scheer als Wirtschaftsminister, dann aber zuständig für die Landesentwicklung und damit für seinen Lieblingsprojekt. Ist das klug, da so zu teilen? Hätte man das nicht besser in einer Hand, zum Beispiel bei Ihnen lassen müssen?

    Al-Wazir: Wir haben es jetzt so ressortiert, wie es im Prinzip bis 2003 war, das heißt, es gibt eine klare Trennung. Die erneuerbaren Energien sind im Umweltministerium, die Atomaufsicht ist im Umweltministerium. Die Energiepolitik findet durchaus im Umweltministerium statt. Im Wirtschaftsministerium sind die ordnungsrechtlichen Fragen, die ja auch energiepolitisch wichtig sind, Landesentwicklung, Landesplanung und auch die Energiepreisaufsicht beispielsweise. Das ist eine Teilung, die in Hessen ressortmäßig schon öfter bestand, eigentlich immer schon, bis auf diese Legislaturperiode jetzt. Und es ist ja nicht so, dass wir im Ziel unterschiedliche Auffassungen hätten, sondern die Frage war für die Grünen, dass wir natürlich unser Herzensprojekt, die Energiewende und unsere Kernkompetenz, die Umweltpolitik, als Grüne verantworten wollen.

    Und ich glaube durchaus, dass wir das gut hinkriegen. Hermann Scheer wird ja auch einen grünen Staatssekretär bekommen, unseren langjährigen Fraktionsgeschäftsführer Frank Kaufmann. Wenn dann mal die Eitelkeiten keine Rolle mehr spielen, die Positionsmarkierung vor Koalitionsverhandlungen, dann wollen wir ja in dieselbe Richtung. Insofern kann das vielleicht sogar sehr gut werden und war, wenn Sie so wollen, eine paradoxe Idee, grüner Staatsekretär im SPD-Ministerium. Und das kann dazu führen, dass es am Ende noch mal tausendmal besser klappt, als Sie jetzt denken.

    Zurheide: Sie haben gerade die wichtige Voraussetzung genannt, die Sache mit der Eitelkeit. Jetzt wissen wir, weder Journalisten noch Politiker sind eitel und das lassen wir am besten mal so stehen. Kommen wir zum zweiten Punkt, Stichwort Flughäfen. Da sagt man so von außen betrachtet, in Kassel haben Sie sich durchgesetzt, aber in Frankfurt werden am Ende die Gerichte entscheiden und damit wird es möglicherweise nicht ganz so doll kommen und das ist dann die Niederlage. Ist die Kurfassung richtig oder haben Sie da Einspruch, Euer Ehren?

    Al-Wazir: Ich habe den Einspruch, dass die neue Landesregierung ergänzendes Planfeststellungsverfahren einleiten wird, um das Nachtflugverbot noch durchzusetzen und dass wir durchgesetzt haben, dass nichts passiert, solange nicht im Hauptsacheverfahren beim Verwaltungsgerichtshof entschieden wurde. Es war ja ursprünglich geplant, nach einer Eilentscheidung mit irreversiblen Sachen zu beginnen, sprich zu roden. Es ist natürlich so, dass am Ende die Sache in der Hand der Gerichte und nicht mehr in der Hand der Politik liegt, weil der Planfeststellungsbeschluss von der CDU-Landesregierung im letzten Dezember erlassen wurde.

    Zurheide: Müssen Sie da nicht genau fürchten, dass das passiert, was in Hamburg mit Moorburg passiert ist?

    Al-Wazir: Nein, weil wir ja sehr deutlich sagen, was für Möglichkeiten wir haben, was für Möglichkeiten wir nicht haben. Wir haben das durchgesetzt, was machbar ist. Und natürlich ist es so, dass das für uns auch eine schmerzhafte Entscheidung war. Aber die Alternative wäre schlicht gewesen, jetzt nicht zum Regierungswechsel zu kommen. Und das hätte bedeutet, wenn Roland Koch weiter geschäftsführend im Amt bleiben würde, dass im Februar gerodet wird. Und insofern kann ich nur sagen, wir haben das rausgeholt, was in der jetzigen Situation noch rauszuholen war.

    Zurheide: Den letzten Punkt möchte ich ansprechen, die Linke, die Zusammenarbeit. Es gibt viele, die sagen, wennschon, dann besser eine Koalition als das, was da jetzt möglicherweise verabredet ist. Denn da ist doch, um es ein bisschen platt zu sagen, dass Oskar Lafontaine Sie aus Distanz immer am Nasenring durch die Arena führt. Warum fürchten Sie das nicht?

    Al-Wazir: Weil wir sehr genau drauf geachtet haben, dass wir verlässliche Zusagen von den Linken kriegen. Der Mitgliederentscheid der Linkspartei läuft und wir bestehen auch darauf, dass der Vorstand, die Fraktion, welches Gremium auch immer bei denen, in Kenntnis des Koalitionsvertrages sagt, ja, das tragen wir verlässlich mit, und zwar nicht nur am Tag der Wahl der Regierung, sondern auch darüber hinaus. Es ist natürlich eine Situation, die wir uns anders gewünscht hätten. Aber wir wollen aus der Sache heraus um Mehrheiten kämpfen. Und wenn Sie sich anschauen, was für einen Aufbruch in der Bildungspolitik wir vorhaben, was für einen Aufbruch in der Umweltpolitik, was für einen Aufbruch in der Sozialpolitik wir vorhaben, dann müsste ja jemand von der Linkspartei sehr, sehr gut begründen, warum er sich so verhält, dass am Ende diese Politik keine Mehrheit hat, was die neuneinhalb Jahre Roland Koch, die wir jetzt hinter uns haben, gebracht haben inhaltlich für Hessen, weil das kann ja ernsthaft keiner wollen, der die Linkspartei unterstützt.

    Und natürlich ist es am Ende so, das wird ein Lernprozess auch sein für die Linke, für die Linkspartei, dass man eben, wenn man Verantwortung trägt, nicht mehr einfach nur fordern kann, sondern dann auch umsetzen muss und die Umsetzung am Ende vielleicht nicht mehr 100 Prozent, sondern zwischen 50 und 90 Prozent an Übereinstimmung an Umsetzung bringt. Aber das ist das Wesen von Politik. Politik ist am Ende ein Kompromiss, der aber dann in die richtige Richtung gehen muss. Und da glaube ich schon, dass wir Sicherungen eingebaut haben, dass das trägt.

    Zurheide: Danke schön! Das war der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Tarek Al-Wazir. Ich bedanke ich für das Gespräch! Auf Wiederhören!