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"Politik muss jetzt handeln"

Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, hat dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zu viel Optimismus in der Frage, welche Auswirkungen die Finanzkrise nach sich ziehen werde, vorgeworfen. Die Politik müsse verhindern, dass das Zusammenfallen der Finanzkrise und eines zyklischen Abschwunges in eine tiefe Rezession führe. Der Staat müsse deshalb jetzt Investitionen vorziehen, forderte Stiegler.

Ludwig Stiegler im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: Dieses Gespräch mitverfolgt hat Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Stiegler.

    Ludwig Stiegler: Schönen guten Morgen.

    Schütte: Der Experte des Deutschen Instituts der Wirtschaft hat vorgerechnet, die Erschütterung durch die Finanzkrise lässt die Energiepreise fallen. Die Inflationsrate sinkt. Dadurch bleibt Verbrauchern mehr Geld in der Tasche. Wenn das stimmt, warum brauchen wir dann noch einen Plan, um die Konjunktur zu stützen?

    Stiegler: Weil wir in der nächsten Zeit zu wenig Investitionen haben werden, weil wir, wenn Sie die Automobilindustrie anschauen, erhebliche Produktionskürzungen sehen werden und weil halt insgesamt unsere Konjunkturuhr quasi am Grenzübergang zwischen der Abschwungphase und der Rezessionsphase ist und weil die Weltwirtschaft und insbesondere die europäische Wirtschaft eben schon in der Abschwungphase sind und die europäische Wirtschaft insgesamt sogar schon in der Rezession ist.

    Schütte: Nun sagen Wirtschaftsforscher, gerade deswegen können Investitionen in die Infrastruktur den Abschwung nicht mehr verhindern. Stattdessen führen dann höhere Staatsausgaben nur dazu, dass sich der Staat weiter verschuldet. Das sagen Wirtschaftsforscher und warnen vor einem Strohfeuer. Darf die Politik jetzt in Aktionismus verfallen?

    Stiegler: Ich denke, die Politik muss nicht in Aktionismus verfallen, sondern sie muss handeln. Und wenn wir 2005 unseren Wirtschaftsforschern gefolgt wären, dann hätten wir den Aufschwung, der danach gekommen ist, nicht angestrengt durch unsere Politik. Wir haben damals gesagt, wir können uns aus der Krise nicht heraussparen, wir müssen herauswachsen, und haben einen starken Impuls gesetzt. Und das steht jetzt auch bevor. Wenn wir jetzt die Dinge laufen lassen, gehen wir in eine tiefe Rezession, denn alle Untersuchungen, etwa des Internationalen Währungsfonds, zeigen uns, wenn eine Finanzkrise und ein zyklischer Abschwung aufeinander fallen, dann ist die nachfolgende Rezession besonders tief und besonders lang. Es ist ja nun leider so, dass die meisten deutschen so genannten Konjunkturforscher alle von der Entwicklung widerlegt worden sind und dass der Internationale Währungsfonds, der mit seinen Weltmodellen arbeitet und die gesamte Weltwirtschaft im Blick hat, als einziger Recht behalten hat, ja sogar der noch etwas zu optimistisch war, was die wirtschaftliche Entwicklung anbetrifft. Insbesondere das DIW hat sich durch einen Optimismus ausgezeichnet, der von der Wirklichkeit überhaupt nicht gedeckt war. Deswegen ist das Institut ja auch nicht mehr in dem Gutachterkreis, was ich eigentlich bedauere, weil ich früher ja vieles bei Flassbeck und bei Gustav Horn am DIW gelernt habe. Aber in der neuen Verfassung würde ich niemandem raten, sich da auf die Prognosen des DIW zu verlassen.

    Schütte: Mit welchem Szenario, Herr Stiegler, rechnen Sie denn? Wie groß fällt sie aus, die Rezession?

    Stiegler: Ich denke, wir sind jetzt im Risikobereich. Sie wird tiefer ausfallen, als die Normalprognose der Herbstdiagnose uns gesagt hat. Wir sind längst im Risikoszenario. Schauen Sie sich an, wie viele der Entwicklungsländer plötzlich Zahlungsbilanzprobleme haben. Das waren aber die Länder, in die unsere Exporte gegangen sind. Wir haben jetzt in Ungarn die Probleme, wir haben in der Ukraine die Probleme, die baltischen Staaten werden folgen. Alle die mit Zahlungsbilanzungleichgewichten arbeitenden Entwicklungsländer, ob in Europa oder in Asien, werden erhebliche Probleme haben und damit entfällt ein großer Teil unseres Schubs, etwa was den Export anbetrifft. Deshalb müssen wir auf die Binnenwirtschaft umschalten und in der Binnenwirtschaft können wir an mehreren Stellen helfen. Der Staat kann Investitionen vorziehen. Wir können auf die Art und Weise unser Wachstumspotenzial verbessern: also Verkehrsinfrastruktur, Städtebauinfrastruktur, energetische Gebäudesanierung. Wir können insgesamt reichlich ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch inländische Verwendung darstellen, wenn wir die politischen Weichen entsprechend stellen, und wir werden zunehmend uns Gedanken machen müssen, wie wir die Automobilzulieferer zum Beispiel über den Investitionszyklus der Automobilindustrie und über den zyklischen Abschwung bei den Autos hinweg bringen, denn sie sehen jetzt: Die Großen korrigieren alle ihre Produktionspläne. Das bedeutet gewaltige Umsatzausfälle bei den Zulieferern. Deren Stärke ist aber nicht mit den großen Automobilfirmen zu vergleichen. Also werden die sehr hohen Zwischenfinanzierungsbedarf haben, wenn wir sie nicht in die Gefahr der Konkurse bringen wollen. Hier sehe ich den nächsten Handlungsbedarf, wie retten wir unsere Zuliefererindustrie vor den Folgen dieser abrupten Produktionskürzungen der Automobilindustrie. Und was Herr Dreger vorhin gesagt hat, die Beschäftigung wird uns weiterhin Freude machen. Dann wird das vielleicht jetzt noch bei den Rückschauen in den letzten Monaten sein, aber wenn Sie sehen, wie viele Leiharbeiter zum Beispiel bei VW oder anderswo plötzlich zur Disposition stehen, dann sehen Sie, dass auch der Optimismus was den Arbeitsmarkt anbetrifft, nicht gerechtfertigt ist.

    Schütte: Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Stiegler: Schönen Tag.