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Politik und Islam
Die Schlacht von Kerbela und ihre machtideologische Mystifizierung

Kerbela ist das Synonym für eine der größten Tragödien in der Geschichte des Islams. Im 7. Jahrhundert kam es zu einer Gewalttat, an die sich Muslime schmerzhaft erinnern: Der letzte Enkel des Propheten Mohammed wurde in Kerbela ermordet. Dieser Mord gilt als eine entscheidende Zäsur in der Geschichte des Islams. Es geht dabei um den Islam als Mittel der politischen Macht. Ein politisch verstandener Islam ist bis heute aktuell. Aber es gibt auch islamische Stimmen, die aus der Schreckenstat von Kerbela lernen wollen.

Von Hüseyin Topel |
    Ein irakischer schiitischer Moslem beim Freitagsgebet inKerbela, Irak.
    Ein gläubiger Moslem beim Freitagsgebet in Kerbela, Irak. (picture alliance / dpa / Alaa Al-Shemaree)
    "Ihr, die ihr auf den Sohn von Sofian hört! Wenn ihr schon keinen Glauben habt und auch keine Furcht vor dem jüngsten Gericht, dann handelt zumindest wie freie Menschen!"
    Mit diesen Worten hatte einst Hussein, der Enkel des Propheten Mohammed und jüngste Sohn des Khalifen Ali seine Gegner ermahnt, nach dem diese bereits seinen Vater Ali und seinen Bruder ermordet hatten. Sofian ist ein Ahnherr der Ummayyaden-Herrscherdynastie. Hussein, der dann schließlich als jüngster Sohn das Khalifat erbte, wurde aber schließlich selbst in Kerbela Opfer der machtpolitischen Kämpfe in der islamischen Welt des 7. Jahrhunderts. Dazu der türkische Historiker und alevitische Geistliche, Süleyman Alan in Istanbul:
    "Kerbela bedeutet auf Assyrisch "der unheilvolle Ort". Diese Stadt liegt in der Wüste, etwa 100 Kilometer südöstlich von der irakischen Hauptstadt Bagdad entfernt."
    Auf der einen Seite von Kerbela standen damals Hussein und seine etwa siebzig Gefährten, darunter viele Frauen und kleine Kinder. Unter ihnen waren auch die engsten Verwandten des Propheten Mohammed. Auf der anderen Seite stand Yezid mit seiner gesamten Armee.
    "Yezid ist der damalige Herrscher der Umayyaden. In der gesamten islamischen Welt, sei es unter den Aleviten, den Sunniten, oder Schiiten wird Yezid für seine Taten von Kerbela verflucht."
    Zwar gibt es in der muslimischen Weltgemeinschaft viele Streitigkeiten, aber bei der Tragödie von Kerbela ist man sich einig. Aleviten, Sunniten und Schiiten verfluchen Yezid bis heute als einen Tyrannen und trauern um die Opfer von Kerbela. Vierzig tausend Muslime sollen damals einen Brief an Hussein geschrieben haben, in dem sie ihn baten, das Volk endlich von dem machtbesessenen Yezid zu befreien. Denn der Umayyaden König Yezid wollte um jeden Preis das Amt des Khalifen an sich reißen. Deshalb lockte er schließlich Hussein, den Enkel des Propheten und Erben des Khalifats in einen Hinterhalt. Dazu Dede Süleyman Alan:
    "Hussein war verraten worden. Da Yezid nun wusste, wo Hussein sich mit seinen Leuten aufhielt, ließ er von seiner Armee alle Brunnen von Kerbela besetzen. Auf diese Weise saßen Hussein und seine 72 Gefährten in der heißen Wüste ohne Wasser, was sie kampfunfähig machte und letztlich ohnehin den sicheren Tod bedeutet hätte."
    Doch die Grausamkeit Yezids, der Hussein und seine Gefährten ausrotten wollte, um das Khalifat an sich reißen zu können, kannte keine Grenzen.
    "Unter den 72 Gefährten von Hussein, waren 33 direkte Nachfahren des Propheten Muhammed, von denen 32 an Ort und Stelle durch das Schwert starben. Yezid hat auch die Frauen und Kinder nicht verschont."
    Eine besonders grausame Szene spielte sich ab, als Hussein sein zweijähriges Kind in die Luft hob, um wenigstens für den Säugling etwas Wasser zu bekommen. Doch Yezids Leute kannten kein Erbarmen. Süleyman Alan:
    "Einer aus ihren Reihen schoss mit seinem großen Bogen einen Pfeil ab und dieser durchbohrte das Kind in den Händen seines Vaters."
    Hussein und seine Freunde appellierten schließlich an die Vernunft ihrer Gegner. Zuletzt soll Hussein diese Worte an Yezid gerichtet haben.
    "Wie du siehst hat dein Pfeil mich verfehlt. Was hast du vor, willst du mich etwa mit dem Tod einschüchtern. Du sollst wissen, dass ich den Tod nicht fürchte. Denn meine Seele und mein inneres Wesen sind stärker, als das ich mich aus Todesangst einem Tyrannen unterwerfe würde. Du hast zwar die Macht, mir mein Leben zu nehmen, mehr aber auch nicht."
    Dann wurde Hussein umgebracht und mit ihm über 30 Nachfahren des Propheten. Frauen und Kinder wurden brutal massakriert. Und die Gegner, Yezid und seine Gefolgsleute, die die Gräueltaten anrichteten, waren ebenso Muslime wie ihre Opfer. Der Islam als Religion wurde hier der politischen Macht untergeordnet. Für den Historiker und alevitischen Geistlichen Dede Süleyman Alan ist dies ein typisches Beispiel für den Missbrauch der islamischen Religion.
    "Es ging um Politik. Yezid wollte als Khalif ein absoluter Herrscher sein. Er wollte die Religion im Sinne seiner Politik bestimmen. Dafür war ihm jedes Mittel recht. Er köderte seine Gefolgsleute, indem er ihnen Wohlstand versprach. Und die machten dann aus Habgier mit."
    Sogar Leute aus den engsten Familienkreisen Husseins gehörten zur Gefolgschaft Yezids. So zum Beispiel auch ein Vetter Husseins.
    "Auch Omar bin Sa´d, ein leiblicher Cousin von Hussein hat sich auf die Seite Yezids geschlagen, obwohl er zusammen mit Hussein aufgewachsen war. Und wenn man sich die weitere historische Entwicklung anschaut, erkennt man schnell, dass es sich für bin Sa'd ausgezahlt hat. Nach den Ereignissen von Kerbela, bei dem Omar er als ranghöchster Offizier in den Reihen von Yezid seinem Cousin Hussein gegenüber gestanden hatte, ist er schließlich zum Befehlshaber von Mossul und Rey aufgestiegen."
    Für die Macht ging Yezid über Leichen. Und als er nach der Schreckenstat von Kerbela in seinen Palast einzog, ließ er das abgeschlagene Haupt Husseins vorantragen. Aber die politische Macht des Yezid hatte keine lange Dauer. Nach drei Jahren und sechs Monaten ist der Ummayyaden-Herrscher Yezid im Alter von 36 Jahren gestorben. Süleyman Alan:
    "Dass er einen Prophetenenkel auf dem Gewissen hat, hat man ihm in der islamischen Welt bis heute nicht verziehen. Und warum tat er das? Für seine Gier nach politischer Macht. Dafür sind viele Muslime durch Muslime gestorben."
    Schon der Khalif Hussein hatte vor denen gewarnt, die um jeden Preis nach politischer Macht streben.
    "Hütet euch davor, jemanden zu tyrannisieren, der keine andere Zuflucht hat außer Gott."
    Kerbela war ein Einschnitt in der Geschichte des Islams. Für manche Muslime ist es der Ursprung des politischen Islams. Süleyman Dede tut sich jedoch mit diesem Begriff schwer.
    "Ich lehne den Begriff 'politischer Islam' ab, denn so etwas sollte es nicht geben. 95 Prozent des Korans beziehen sich auf den einzelnen Muslim, auf das Individuum also, wohingegen lediglich 5 Prozent des Korans sich auf den Staat beziehen. Diejenigen, die den 95 prozentigen Teil des Korans unberücksichtigt lassen, verstehen überhaupt nicht, worum es eigentlich im Islam geht."
    Dennoch haben sich zahlreiche weitere islamische Herrscher Yezid und seine Machtpolitik zum Vorbild genommen.
    "Nach Kerbela wurde eine Staatsform gegründet, die den islamischen Glauben zum politischen Gegenstand macht. Diese Staatsform hat es bis heute geschafft, in der islamischen Welt den Ton anzugeben. Ein Beispiel dafür ist Saudi Arabien, wo der politische Islam alles beherrscht. Was soll, frage ich, daran islamisch sein?"
    Für den Historiker und alevitischen Geistlichen Süleyman Dede sollten die Muslime endlich aus den Ereignissen von Kerbela eine Lehre ziehen.
    "Die verheerende Machtgier und Selbstsucht des Yezid ist für uns Muslime auch 1300 Jahre nach Kerbela eine Gefahr. Wir müssen für unser religiöses Leben unsere Konsequenzen daraus ziehen. Wenn das nicht geschieht, dann befürchte ich, dass die Geschichte sich immer wieder wiederholen wird."