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Politikersprache
Verschachtelte Sätze, unklare Bezüge

Die Wortwahl ist von langer Hand geplant, der Auftritt in allen Details inszeniert, selbst die Farbe des Anzugs psychologisch fundiert: In seinem gerade erschienenen Buch "Talking points" analysiert der Politikberater Dushan Wegner, mit welchen Mitteln Politiker versuchen, die öffentliche Meinung zu steuern – und ein herausragendes Beispiel ist für ihn dabei Angela Merkel.

Von Matthias Becker | 14.12.2015
    Zu sehen sind die Hände der Bundeskanzlerin - zu einer Raute aneinandergelegt.
    Angela Merkel / "Raute": Selbst die Farbe des Anzugs ist psychologisch fundiert, so Dushan Wegner. (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    "Es war und es ist kein leeres Wort, wenn ich sage, wir können nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und die bisherige unbestrittene Sicherheit unserer kerntechnischen Anlagen zum Maßstab auch des künftigen Handelns machen, ohne dass wir in Folge der jüngsten Ereignisse einmal innehalten."
    Verschachtelte Sätze mit unklaren Bezügen, Aussagen, die sich hinter Eigenschaftsworten verstecken – in der Öffentlichkeit spricht Angela Merkel oft ziemlich unbestimmt. Zum Beispiel, als sie nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ihre bisherige Energiepolitik infrage stellte.
    Für ihre angebliche Neigung, nicht klar Stellung zu beziehen, wird die Kanzlerin immer wieder kritisiert. In "Talking Points – Die Sprache der Macht" spielt sie dennoch eine Hauptrolle. Geradezu bewundernd spricht der Autor Dushan Wegner von Merkels Meisterschaft als politischer Kommunikatorin.
    "Angela Merkel versteht es, Themen vom Kausalitätsballast zu befreien, um die enthaltenen emotionalen Trigger zu nutzen. Fakten und Kausalzusammenhänge können immer angezweifelt werden, aber das Gefühl vereinigt die schillernd widersprüchlichen Eigenschaften, in der Sache beliebig und zugleich im Argument unangreifbar zu sein."
    "Also, ich mach mir da gar keine Sorgen, sondern ich glaube, die Frage, die heute wirklich zur Debatte steht, ist doch: Wem können die Menschen mehr vertrauen, dass es mit Deutschland weiter gut geht, dass das, was auch im internationalen Umfeld an Sorgen und Schwierigkeiten ist, von uns gut gelöst wird. Wir haben das gut gemeistert alles in allem. Und wir brauchen auch unser Land nicht schlecht reden. Aber das heißt nicht, dass wir nicht weiter machen müssen."
    Sätze stehen für die innere Haltung
    Offenbar sollen diese Sätze nicht beschreiben oder erklären. Sie stehen vielmehr für eine innere Haltung der Sprecherin, sie artikulieren und erzeugen Gefühle. Der Subtext, auf den es ankommt, lautet: Alles ist gut, ich bin für dich da. Ich verstehe dich, teile deine Sorgen. Reductio ad emotum nennt Dushan Wegner dieses Vorgehen: die Aufmerksamkeit auf die Gefühlseben lenken.
    Sein Buch behandelt solche "psychologisch geplanten Trigger": Geschickte Formulierungen, die bestimmte, genau geplante Reaktionen im Publikum auslösen. Dabei ist für den Autor politische Rhetorik wesentlich performativ. Sie ist ein Sprechhandeln, dessen eigentlicher Sinn nicht im referierten Inhalt liegt. Sie zielt vielmehr auf bestimmte Effekte – zum Beispiel auf den "Effekt Kompetenz", wie er im Interview erklärt.
    "Das Ziel von Talking Points ist nicht, in einem Argument zu überzeugen. Das Ziel ist, dafür zu sorgen, dass die Menschen einem vertrauen und folgen wollen. Und dafür ist es am besten - Forderung aufstellen, Begründung ankündigen, irgendetwas, was halbwegs nach Begründung klingt, zu liefern. Selbst wenn der Zuhörer weder-noch verstanden hat, wenn er die Forderung nicht versteht und wenn er die Begründung nicht versteht, versteht er immer noch, dass da jemand sich Gedanken gemacht hat."
    Wolfgang Schäuble: "Herr Kollege Hofreiter, teilweise haben Sie ja Recht, dass wir in einer so schwierigen Lage versuchen sollten, ernsthaft zu diskutieren und darüber nachzudenken, wie können wir die Probleme langfristig lösen. Und dass wir nach vorne kommen und die richtigen Schritte führen. Aber man muss dann schon die Lage einigermaßen präzise analysieren. Und man muss ja auch zur Kenntnis nehmen, wie es war."
    Ermittlung von Wertehaltungen
    Im Prinzip funktioniert die Meinungssteuerung denkbar einfach: Politiker ermitteln Werthaltungen in der Bevölkerung, um diese dann möglichst glaubhaft zu verkörpern. In der alltäglichen politischen Praxis ist das kompliziert und klappt nur selten wie geplant. Dushan Wegner rät deshalb zu Vorsicht und Professionalität, zu einer gründlichen Vorbereitung:
    "Viele Politiker haben das Problem, dass sie zu Beginn ihrer Karriere, am Anfang, im Ortsverband, wo sie die Gegenstände ihrer Politik täglich trafen, sich in das Gegenüber hinein gefühlt haben. In dem Moment, wo man aber sein Leben in schwarzen Limousinen verbringt, als Wirtschaftsminister oder als Kanzler, hat man einfach naturgemäß nicht mehr täglich den Kontakt zu den realen Subjekten. Man muss das analysieren, man muss erforschen, man muss Forschungen anstellen. Wir wissen von Angela Merkel, dass sie über 400 Umfragen pro Jahr machen lässt, dass sie versucht, herauszufinden, was ist den Menschen wirklich wichtig."
    Der Autor von "Talking Points" hat selbst für Parteien an wirksamen Formulierungen gefeilt und gibt Seminare für angehende Volksvertreter. Unter den bundesdeutschen Meinungsmachern und Öffentlichkeitsarbeitern steht er wohl eher in der zweiten Reihe, aber er kennt doch ihr Geschäft aus eigener Anschauung.
    Der sozusagen handwerkliche statt theoretische Zugang macht dieses Buch aufschlussreich. Denn auch, wenn Menschen nicht so funktionieren mögen, wie Wegner glaubt, so glauben doch offensichtlich Politiker, dass die Menschen so funktionieren:
    "In der Wahlkabine, in diesen alles entscheidenden Sekunden, da sagt der Bauch der Hand, wo der Verstand das Kreuz machen soll. Dieses ominöse Bauchgefühl hat einen großen Vorteil gegenüber Sachargumenten. Sachargumente sind instabil, die innere Verdrahtung der Wählerseele ist dagegen berechenbar."
    Ist sie das? Interessant ist "Talking points", wenn der Autor kenntnisreich und minutiös Auftritte von Politikern analysiert. Dann liefert er – unbeabsichtigt – viel Anschauungsmaterial für jene Entwicklung, die Colin Crouch als Postdemokratie und Jürgen Habermas als Refeudalisierung der Öffentlichkeit beschrieben haben. Debatte reduziert sich auf Werbung – die bekanntlich umso wichtiger ist, je weniger sich die angebotenen Produkte voneinander unterscheiden. Dushan Wegner akzeptiert es als gegeben und unumkehrbar.
    "Erfolgreiche Politiker bringen ihr Land in Ordnung und zugleich verkaufen sie sich täglich neu ihrem Volk. Diese beiden Tätigkeiten mögen Berührungspunkte haben, es sind aber verschiedene Aufgaben auf ganz verschiedenen Ebenen."
    "Talking points" ist ein unterhaltsamer, anekdotenreicher Ratgeber, mit dessen Hilfe sich die Leser auch Argumentationen für den Eigenbedarf basteln können. Die öffentlichen Auftritte von Politikern werden sie jedenfalls nach der Lektüre mit anderen Augen sehen.
    Buchinfos:
    Dushan Wegner: "Talking points Oder: Die Sprache der Macht. Mit welchen Tricks Politiker die öffentliche Meinung steuern", Frankfurt am Main, Westend-Verlag, 240 Seiten, Preis: 16,99 Euro