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Politikforscher beunruhigt "Konfliktbereitschaft" der USA und China

Barack Obama kommt nicht aus lang verfestigten Konflikten heraus: China droht mit Sanktionen, sollte der US-Präsident den Dalai Lama heute empfangen. Eberhard Sandschneider warnt vor einem schnellen Aufschaukeln zwischen den Mächten.

    Dirk Müller: Nicht nur Symbolik, es ist längst ein Politikum auf allerhöchster Ebene, das sogar die internationalen Beziehungen eines Landes mächtig durcheinanderwirbeln kann: die schlichte Absicht, den Dalai Lama zu empfangen. In diesem Dilemma steckt derzeit ausgerechnet Barack Obama, der heute Abend das geistliche Oberhaupt der Tibeter im Weißen Haus begrüßen möchte. China hat den amerikanischen Präsidenten ausdrücklich vor diesem Schritt gewarnt und wiederum ausdrücklich mit Sanktionen gedroht.
    China und der Dalai Lama, darüber sprechen wollen wir nun mit Professor Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts der Gesellschaft für auswärtige Politik. Guten Morgen!

    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Sandschneider, wird das nicht irgendwann langweilig, sich ständig über dasselbe zu beklagen?

    Sandschneider: Ja, wenn Sie so wollen schon. Aber internationale Politik ist manchmal so. Wenn ständig dieselben Reizthemen angesprochen werden, dann wird es eben nicht langweilig und dann bleibt das Thema so lange auf der Tagesordnung, bis es sich irgendwann einmal löst.

    Müller: Anders herum gefragt: Dürfen die Chinesen inzwischen alles?

    Sandschneider: Nein, natürlich nicht. Aber man muss beide Seiten ein bisschen gegeneinander abwägen. Die Chinesen dürfen nicht alles. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, sie sollten sich vor allen Dingen nicht in das Besuchsprogramm des Staatsoberhauptes eines anderen Landes einmischen. Auf der anderen Seite ist Tibet, und die Situation in Tibet, für China hoch sensitiv. Man darf eines nicht vergessen: Nationale Einheit insbesondere in diesem schwierigen chinesischen Westen mit Tibet und Cinjang ist für die chinesische Politik nach wie vor ein hohes Gut und darüber streitet man sich nun letztendlich auf einer sehr symbolischen Ebene. Vergessen wir nicht: Für die Menschen in Tibet wird sich durch diesen Besuch relativ wenig verändern, aber die Symbolik, die dahinter steckt, ist natürlich eine, die die bilateralen Beziehungen auch zwischen den USA und China prägt.

    Müller: Wir haben ja noch andere bilaterale Themen, die im Moment das Verhältnis zwischen Washington und Peking sehr in Mitleidenschaft ziehen. Das ist angesprochen worden von Rüdiger Paulert, unserem Korrespondenten in Washington: Waffenlieferungen Taiwan, die höheren Importzölle. Geht es auch bei dieser Kritik heute Dalai Lama tatsächlich um den Dalai Lama?

    Sandschneider: Der Dalai Lama ist eine Symbolfigur für Tibet, für friedliches Auftreten in der internationalen Politik, aber an dieser Stelle wird er natürlich auch ein wenig benutzt, um auf der hohen Ebene der Politik bilaterale Signale zu setzen. Sie sprechen das an. Das eigentlich Bedenkliche an dieser Situation über die letzten Monate hinweg ist das relativ schnelle Aufschaukeln der Konfliktbereitschaft zwischen den USA und China. Die Reizthemen sind alle schon genannt worden, auch von Ihrem Korrespondenten. Man sieht an diesem Beispiel, wie schnell zwei der wichtigsten Mächte im 21. Jahrhundert doch in eine sehr konfliktorientierte Position zueinander geraten können. Das ist alles andere als auf die leichte Schulter zu nehmen.

    Müller: Helmut Schmidt, Herr Sandschneider, der wusste also, schon viel, viel früher ist das so, dass China einfach immer mächtiger geworden ist?

    Sandschneider: Das ist so! Das ist aber auch völlig normal. Ein Land, das über 30 Jahre mit derartig hohen wirtschaftlichen Zuwachsraten wächst, kommt irgendwann in die Situation, die gewachsene Wirtschaftskraft auch in politische Einflussmöglichkeiten zu übersetzen. Der Punkt ist längst erreicht, das ist auch gar nicht so dramatisch neu. Was vielleicht neu ist für manch einen im Westen ist die Tatsache, dass die chinesische Regierung das mittlerweile auch klar zeigt, klar sagt und zu erkennen gibt, dass sie nicht bereit ist, nach der Pfeife von anderen zu tanzen, sage ich einmal, sondern ganz klar ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellt und entsprechend handelt.

    Müller: Und wenn man mächtig genug ist, wie China das inzwischen offenbar ist, dann kann man auch offen Demokratien mit Sanktionen drohen?

    Sandschneider: Sanktionen ist wahrscheinlich ein fragwürdiger Begriff, weil man den sehr schnell mit dem verwechselt, etwa was der Westen gerade versucht, gegenüber dem Iran zu organisieren. Sanktionen im Sinne von Belastungen der Beziehungen, schwieriges Aufeinanderzugehen bei wichtigen Verhandlungen, etwa bei der Frage, stimmt China schärferen Sanktionen gegenüber dem Iran zu, damit muss man schon rechnen. Das wird in den nächsten Wochen und Monaten etwas schwieriger und holpriger werden in den bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Peking.

    Müller: Es war ja auch, Herr Sandschneider, vonseiten Pekings von Sanktionen gegen amerikanische Unternehmen die Rede. Was kann damit gemeint sein?

    Sandschneider: Das ist eine sehr konkrete Drohung. Auch heute gilt noch, das ist zwar ein erfolgreiches Wirtschaftssystem, aber es ist eben ein kommunistisches System, wo viele, gerade große Geschäfte natürlich nur dann gemacht werden können, wenn sie auch den politischen Segen der kommunistischen Partei haben. Und wenn dann ein europäisches oder ein amerikanisches Unternehmen im Wettbewerb miteinander auf dem chinesischen Markt stehen, dann wird schon gelegentlich politisch reagiert. Das heißt, einige amerikanische Firmen müssen sich tatsächlich auf Erschwernisse in ihrem Geschäftsumfeld in China einstellen.

    Müller: Und muss die amerikanische Politik, muss der amerikanische Präsident Barack Obama viel, viel mehr auf dieses Verhältnis zu China achten, als beispielsweise noch George Bush und auch Bill Clinton? Beide hatten ja damals auch den Dalai Lama empfangen, weil die Chinesen immer einflussreicher wurden und die Schulden der Amerikaner aufkaufen?

    Sandschneider: Die Schulden sind ein Gesichtspunkt. Man muss natürlich dazu sagen, es ist schon richtig, Barack Obama stellt sich jetzt in eine Tradition, die da heißt, alle seine Amtsvorgänger seit 1989 haben den Dalai Lama empfangen, aber sie haben es eben erst seit 1989 getan, seit der Dalai Lama Friedensnobelpreisträger ist. Das ist so eine kleine Variante. Ansonsten ist es völlig richtig: Barack Obama hat sich selbst ja auch als pazifischer Präsident bezeichnet, nicht nur wegen seiner Herkunft, sondern eben auch, weil er genau weiß, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das transpazifische Verhältnis zwischen China und den USA prägend werden wird für weltpolitische Zusammenhänge. Das hat mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit der USA zu tun, das hat aber eben auch mit dem angesprochenen Machtzuwachs Chinas zu tun. Dort werden wesentliche Weichen gestellt werden für die Art und Weise, wie internationale Politik verläuft.

    Müller: Würden Sie denn als Berater des amerikanischen Präsidenten sagen, lass doch diese Provokation sein?

    Sandschneider: Ich glaube, die Berater des amerikanischen Präsidenten sind in gewisser Weise auch einigermaßen frustriert darüber, was sie von China in den letzten Wochen und Monaten nicht bekommen haben. Barack Obama hat eigentlich mit großer Hoffnung sein Verhältnis zu China angesetzt. Dass es da im Weißen Haus eine gewisse Frustration gibt, kann ich verstehen. Insofern müsste man auch an die chinesische Adresse sagen, wenn ihr von dem amerikanischen Präsidenten symbolhafte Politik wollt, eben Verzicht auf ein Treffen mit dem Dalai Lama, dann müsst ihr auch bereit sein, gelegentlich etwas zu geben. Da war China in den letzten Monaten ausgesprochen zurückhaltend. Insofern ist internationale Politik an dieser Stelle fast ganz einfach: wer einem nichts gibt, der bekommt auch nichts, und umgekehrt.

    Müller: Herr Sandschneider, wenn wir bei dem Thema bleiben. Wenn Barack Obama ein Hoffnungsträger ist beziehungsweise in der internationalen Politik auch eine neue Chance – das sehen viele ja immer noch so, obwohl es ja auch schon Rückschläge oder Enttäuschungen gegeben hat -, warum hat Peking das offenbar nicht begriffen?

    Sandschneider: Peking war ausgesprochen skeptisch von Anfang an. Diese Obama-Hysterie oder Euphorie, wie es sie bei uns gegeben hat, die hat China nie geteilt. Aus Pekinger Sicht beobachtet man, glaube ich, ganz nüchtern kalkulierend, wie sich das Verhältnis zu den USA entwickelt, und man sieht natürlich auch die vielfältigen gemeinsamen Interessen, die sind unbezweifelbar auch da. Man sieht aber auch die vielfältigen Spannungspunkte und man weiß natürlich auch in Peking, dass Barack Obama sich von manchem freimachen kann, aber nicht von dem einen oder anderen innenpolitischen Druck, beispielsweise in Bezug auf den Waffenhandel mit Taiwan, vor allem aber auch auf die Zustimmung, die er ein bisschen ja auch braucht, wenn er den Dalai Lama trifft, und damit seinen Kritikern sowohl im Kongress, wie in der amerikanischen Zivilgesellschaft entgegenkommt. Diese Skepsis hat bei Peking immer ein Stückchen mitgespielt und wenn man sie bildhaft ausgedrückt sehen will, dann kann man das Bild beobachten des Händeschüttelns zwischen Barack Obama und Hu Jintao im vergangenen November. Da waren zwei extrem steife Politiker miteinander unterwegs.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk China-Experte Professor Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts der Gesellschaft für auswärtige Politik. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Sandschneider: Bitte sehr!