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Politikwissenschaftler: NPD-Stimmen nicht nur Protest

Friedbert Meurer: Eines haben beide Landtagswahlen gemeinsam, nämlich die Stärke von zwei Rechtsaußen-Parteien. Was sagen sie aus über die Stimmungen und Befindlichkeiten in Ostdeutschland? Am Telefon begrüße ich Michael Edinger, Politikwissenschaftler an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Guten Tag Herr Edinger.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Michael Edinger: Einen schönen guten Tag.

    Meurer: 9,8 Prozent für die NPD in Sachsen über sechs für die DVU in Brandenburg. Warum haben so viele die Rechtsradikalen gewählt?

    Edinger: Nach allem was wir wissen ist es so, dass zwei Dinge zusammen kommen müssen, damit in Deutschland rechtsextreme Parteien gewählt werden. Es ist zum einen eine Stimmung der Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik und es ist zum zweiten eine Grundorientierung, die - so würde ich sagen - doch eine gewisse Nähe zu den Positionen der Partein zum Ausdruck bringt. Beides ist zusammengekommen und es ist am vergangenen Wahlabend sehr stark der Aspekt des Protestes artikuliert worden in den ersten Analysen. Das ist insofern auch richtig, als wir tatsächlich bei den Wählern dieser Parteien, also von NPD in Sachsen und DVU in Brandenburg feststellen können, dass für sie im Problemhaushalt etwa Hartz IV eine große Rolle spielt, dass sie eine sehr große Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen gegenüber den etablierten Parteien, gegenüber dem politischen System insgesamt.

    Meurer: Da hätte man ja erwarten können, dass die PDS diese unzufriedenen Stimmen sozusagen aufsaugt. Warum ist das nicht so oder nur teilweise so?

    Edinger: Das hat sie auch getan, das muss man ja deutlich sagen. Die PDS hat gerade in Brandenburg deutlich hinzugewonnen, in Sachsen hat sie trotz einer massiven Kritik an ihrem Spitzenkandidaten dennoch Zugewinne erzielt. Also die PDS hat schon einen Teil dieses Protestes aufgesogen und genau das ist mein zweiter Punkt: Es bedarf auch einer gewissen Nähe zu diesen Positionen in Teilen der Wählerschaft. Das ist in den Analysen gestern glaube ich ein bisschen zu kurz gekommen, denn alles was wir bisher wissen aus der Wahlforschung ist, dass es dieser Nähe bedarf, damit man rechtsextrem wird. Also wenn Sie etwa die Arbeitslosen anschauen, sieht man, dass sich dort die relative Mehrheit für die PDS entschieden hat und nicht für die NPD. Aber wenn man dann doch NPD wählt oder eben DVU in Brandenburg, dann hat das auch etwas damit zu tun, dass man mit bestimmten Positionen dieser Parteien übereinstimmt. Ich glaube das sollte nicht in Vergessenheit geraten, wenn jetzt im Kontext der Wahlen immer wieder über Protest gesprochen wird.

    Meurer: Ins Auge sticht ja, Herr Edinger, dass unter den jungen Wählern, das sind also die Wähler zwischen 18 und 29 Jahren, die NPD in Sachsen sage und schreibe 17 Prozent bekommen hat. Warum wählen gerade junge Leute die NPD?

    Edinger: Es ist doch merkwürdig überraschend, weil man doch denken könnte, das sind Leute, die doch noch Chancen haben in dieser Gesellschaft, die sozusagen die Zukunft noch vor sich haben. Ich glaube man muss genau hinschauen, dann wird man feststellen, dass es sehr spezifische Gruppen in dieser Altersgruppe wiederum sind, die NPD und DVU gewählt haben. Das sind in erster Linie Männer, also sehr viel stärker als Frauen und es sind vor allem Leute mit niedrigem Bildungsstand, mit mutmaßlich erheblichen Problemen, sich auf dem Arbeitsmarkt zurechtzufinden, mit einer unsicheren beruflichen Zukunft. Die Kumulation von diesen Faktoren macht glaube ich diese Personengruppe anfällig für ein Rechtsaußen-Wahlverhalten. Was man hier aber auch, glaube ich, sieht, ist dass - man spricht ja so gerne von "den Ostdeutschen" oder von "den jungen Ostdeutschen" - hier sehr viel stärker differenziert werden muss, dass wir ganz unterschiedliche Gruppen auch in dieser jungen Wählerschaft haben und von denen sind ein Teil in der Tat vor allem die Verlierer der Vereinigung, Verlierer im Kontext von Globalisierungsprozessen etwa, die dann auch zu einem solchen Wahlverhalten tendiert.

    Meurer: Wird von Teilen, gerade in Sachsen, gerade bei den jungen Leuten die Demokratie noch nicht so richtig akzeptiert?

    Edinger: Ja, das geht mit einer sehr skeptischen Haltung zur Demokratie einher. Das ist sicherlich korrekt, obwohl wir auch hier wieder sagen müssen, dass, nach dem was wir aus der Einstellungsforschung wissen, es durchaus so ist, dass die junge Generation insgesamt eine sehr deutliche Unterstützung des demokratischen Systems zeigt. Also hier haben wir es wieder mit einer recht speziellen Gruppe zu tun innerhalb der jungen Altersgruppe, die hier abweicht und da geht in der Tat eine sehr skeptische, teils negativ ausgeprägte Haltung zur Demokratie einher mit der Bereitschaft, rechtsaußen zu wählen.

    Meurer: Im Westen ist ja die NPD eine Tabupartei, sollte verboten werden, was ja nicht gelungen ist, gilt als Nachfolge der NSDAP, identifizieren sich die Wähler im Osten mit der Partei oder ist es eine Proteststimme?

    Edinger: Ich hatte versucht auszuführen, dass es beides ist. Ich würde nicht sagen, dass sie sich nun mit dem Programm der NPD identifiziert, ich vermute, dass sie es nicht einmal kennt. Im Übrigen ist das programmatisch auch relativ arm, wenn man sich das Wahlprogramm etwa in Sachsen anschaut. Aber es ist schon so, das gewisse Programmpunkte hier auf eine relativ breite Resonanz gerade in Ostdeutschland stoßen und insofern gibt es durchaus eine gewisse ideologische Nähe.

    Meurer: Zum Beispiel welche Programmpunkte?

    Edinger: Das wären insbesondere Ausländerfeindlichkeit, was aber auch eine Rolle spielt ist die Propaganda, die die NPD betrieben hat gegen Änderungen in der sozialstaatlichen Absicherung. Das kommt beides zusammen. Es kommt diese Proteststimmung mit hinein und beides zusammen schafft die Voraussetzung dafür, dass die NPD solche Wahlerfolge erzielen kann.

    Meurer: Noch ganz kurz, was empfehlen Sie, wie man mit der NPD umgehen soll?

    Edinger: Ich würde für einen offensiven Umgang plädieren. Ich glaube, dass die Demokratie in der Vergangenheit auch gezeigt hat, dass sie mit rechtsextremen Splitterparteien umgehen kann und ich vermute, dass die programmatische Arbeit dieser Fraktion im sächsischen Landtag relativ armselig sein wird, denn das ist das was wir von der DVU in Sachsen-Anhalt aber auch von der DVU in Brandenburg kennen. Also insofern würde ich denken, eine offensive Auseinandersetzung und ganz klar auf inhaltliche Fragen konzentriert.

    Meurer: Michael Edinger, Politikwissenschaftler an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Herr Edinger, Herzlichen Dank und auf Wiederhören.
    Edinger: Wiederhören.