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Politikwissenschaftlerin über Rede zur Lage der Nation
"Trump hat Amerika schwer und tief gespalten"

US-Präsident Trumps Rede zur Lage der Nation sei "ausgrenzend, spaltend" gewesen, sagte die Politikwissenschaftlerin Cathryn Clüver im Dlf. Viele Richter und Kongressmitglieder blieben ihr fern. Überall "waren Seitenhiebe gegen große Teile Amerikas, zu spüren, zu sehen und zu fühlen".

Cathryn A. Clüver im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 31.01.2018
    US-Präsident Donald Trump bei der Rede zur Lage der Nation.
    US-Präsident Donald Trump bei der Rede zur Lage der Nation (pa/dpa/Getty Images/McNamee)
    Dirk-Oliver Heckmann: Mitgehört hat Cathryn Clüver. Sie ist deutsch-amerikanische Journalistin und Politikwissenschaftlerin an der Harvard University in Cambridge. Schönen guten Morgen!
    Cathryn A. Clüver: Guten Morgen.
    Heckmann: Frau Clüver, war das eine versöhnliche Rede, die Sie verfolgt haben?
    Clüver: Ich habe es fast ganz anders gehört als Ihr Korrespondent. Meiner Meinung nach war das eine ausgrenzende, eine spaltende Rede, die immer wieder die Themen – und Sie haben das schon angesprochen – seiner Amtseinführungsrede aufgenommen hat. Das untergründige Thema das amerikanischen Gemetzels, Amerika bedroht auf allen Seiten, Amerika von innen bedroht durch kriminelle Einwanderer, durch Banden, Einwanderer ganz generell müsste man immer noch in die kriminelle Ecke stecken, nichts da vom amerikanischen Traum, der ja nun doch ein Traum der Einwanderung, ein Traum des Amerikaner werdens ist, kein positiver Narrativ. Das hätte man zum Ausgleich zum Beispiel auch einfügen können. Man kann natürlich am amerikanischen System einiges kritisieren. Aber viel auch in den nicht voll ausgesprochenen Seitenhieben, denn um wahrer Amerikaner sein zu müssen nach Präsident Trump, müsste man trotz der Trennung von Kirche und Staat zum Beispiel die Religionsrechte über alles stellen. Das ist ein Seitenhieb gegen die Gleichberechtigungsrechte gerade für schwule und lesbische Amerikaner. Man müsse vor der Flagge strammstehen; das ist ein Seitenhieb vor allem gegen die afroamerikanischen Football-Spieler, die ihren friedlichen Protest gegen diskriminierende Politik, gegen diesen Präsidenten, gegen das amerikanische System allgemein damit kundtun, dass sie zum Beispiel beim Abspielen der Nationalhymne knien.
    Überall waren kleine, nicht ausgesprochene Seitenhiebe gegen ganz große Teile Amerikas, der Amerikaner zu spüren, zu sehen, zu fühlen. Zwölf Mitglieder des afroamerikanischen Kongress-Teils sind der Rede gar ferngeblieben. Wir haben außerdem gesehen, dass fünf Richter des obersten Gerichtshofs, zum Beispiel auch Ruth Bader Ginsburg, der Rede ferngeblieben sind. Das sind alles Proteste. Das zeigt, dass dieser Mann über dieses Jahr Amerika schwer und tief gespalten hat, dass diese Spaltung in dem Sinne nicht wirklich einfach zu schließen ist. Wir haben 53 Prozent der Amerikaner, die meinen, dass dieses Jahr im Grunde genommen von Versagen und Versäumnissen geprägt wurde. Sieben von zehn Amerikanern meinen, dass wir einem nuklearen Krieg, einem Atomkrieg näher sind als je zuvor.
    "Trump hat gar nicht wirklich die Absicht, das Land zu einen"
    Heckmann: Aber die Anhänger von Donald Trump sind immer noch stark. – Sie sprechen jetzt von einer spalterischen Rede.
    Clüver: Ja!
    Heckmann: Weshalb hat Trump eine solche Rede gehalten, wie er sie gehalten hat?
    Clüver: Ich glaube, Donald Trump hat gar nicht wirklich die Absicht, das Land zu einen. Ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, dass er in dem Sinne auf eine zweite volle Amtszeit abzielen kann. Ihm geht es darum, den Prozentteil seiner Anhänger bei sich zu behalten, diese in ihrer starken und auch in ihren eigenen polarisierten Meinungen zu bestärken. Da geht es hauptsächlich natürlich um weiße Amerikaner, mittlerer oder niedriger Klasse. Da geht es nicht darum, ganz Amerika abzuholen. Ihm ist klar, dass er das nicht schaffen wird. Aber um das bisschen, das Quäntchen vielleicht noch dazuzugewinnen, gibt es den außenpolitischen Teil in der Rede, geht es darum, wie sehr Amerika von außen bedroht ist, geht es darum, sich hochzurüsten. Es muss darum gehen, auf Verteidigungspolitik statt auf ausgeklügelte schlaue Diplomatie, auf wirkliche Außenpolitik zu setzen.
    Amerika als Schutzwall. Amerika muss die Wände hochziehen. Amerika muss eine Mauer bauen. Amerika muss sich – und das ist natürlich diese Weltsicht des nationalen Sicherheitsberaters McMaster und des früheren Goldman Sachs Chefs Gary Cohn – gegen alle anderen Mächte in dieser Welt verteidigen. Damit kann er vielleicht noch hier und da einen kleinen Prozentpunkt dazugewinnen, aber so richtig wird er, wird dieser Mann Amerika in dem Sinne nie einigen können.
    Einzelaussagen Trumps "immer als Ganzes sehen"
    Heckmann: Aber, Frau Clüver, es gibt ja auch andere Signale. Zum Beispiel wurde ja Anfang der Woche bekannt, dass Trump das Einreiseverbot für muslimische Länder hat aufheben lassen. Das war ja auch ein ganz wichtiges Wahlversprechen damals im Wahlkampf. Stattdessen treten jetzt verschärfte Einzelfallprüfungen. Kann es also doch sein, dass Trump zum Teil jedenfalls die Zügel etwas locker lässt, jetzt im zweiten Jahr seiner Amtszeit?
    Clüver: Na ja. Ich glaube, das muss man alles im Zusammenhang mit der weiteren Einwanderungspolitik sehen. Da haben wir schon gehört, da soll Hand angelegt werden. Es soll viel stärker gesiebt werden, Familiennachzug-Beschränkungen und so weiter und so fort. Das heißt, man darf die Einzelaussagen eines Präsidenten Donald Trump nie in der Isolation sehen. Man muss es immer als Ganzes sehen. Man darf sich nicht ablenken lassen vom Twitter-Sturm, der ohne aufzuhalten auf einen hinabprasselt, sondern man muss immer die Fakten separat von dem sehen, wie ein Präsident es versucht zu verkaufen.
    "Wird Migrationspolizisten auf diese Communities loslassen"
    Heckmann: Genau deswegen spreche ich sie auch an, diese verschiedenen Aspekte. Auf der einen Seite gibt er das Signal, ja, ich könnte mir vorstellen, die sogenannten Dreamer einzubürgern. Auf der anderen Seite: Ich will die Mauer.
    Clüver: Genau. Die Frage ist natürlich immer, was passiert in den zwölf Jahren. Ihr Korrespondent hat das schon angesprochen. In den zwölf Jahren wird er – und deswegen sind diese Zwischentöne extrem wichtig bei dieser Rede noch mal herauszuziehen -, innerhalb von diesen zwölf Jahren wird er natürlich seine Migrationspolizisten auf diese Communities loslassen, um illegale Migranten immer wieder und mit größerer Vehemenz und größerer Effizienz de facto für seine Zwecke aus funktionierenden Gemeinden herauszuziehen. Wir erleben hier in den USA eine tragische Geschichte nach der anderen, wo Familien auseinandergerissen werden. Das kann in keiner Weise Teil eines wirklichen amerikanischen Traums, eines amerikanischen Ideals sein, so wie wir Deutsche zum Beispiel über Amerika nachdenken. Das heißt, was passiert in diesen zwölf Jahren, in diesen Übergangsjahren, hin zu einer vollwertigen amerikanischen Staatsbürgerschaft, das ist alles noch völlig unklar. Das ist Sache der Verhandlungen, die jetzt anstehen werden. Die Demokraten haben angekündigt, dass sie natürlich dagegenhalten werden und genau die Vorschläge, die aus dem Weißen Haus beziehungsweise aus dem republikanischen Kongress kommen, auf Herz und Nieren prüfen werden. Das werden sich viele, viele Wähler in diesem Land wünschen.
    Demokraten können nicht "mehr als zwei Schritte zurückgehen"
    Heckmann: Sie hatten ja schon sehr dagegengehalten, wenn ich kurz einhaken darf, Frau Clüver, und damit auch einen regelrechten Haushaltsstreit vom Zaun gebrochen.
    Clüver: Richtig.
    Heckmann: Haben sich die Demokraten da mächtig verspekuliert, als sie einen Regierungs-Shutdown provozierten? Hatten sie unterschätzt, wie unbeliebt ein solcher Shutdown ist? Und ist die größte Stärke Trumps vielleicht die Schwäche der Demokraten?
    Clüver: Das sind gleich drei komplizierte Fragen auf einmal. Es ist ein Teil natürlich zu sehen, wie sich die Demokratische Partei jetzt und gerade im Hinblick auf die Midterm-Wahlen, die jetzt im Herbst anstehen werden, zusammenrauft und da ein Programm ausarbeitet, was dem Präsidenten nicht zu sehr eine lange Leine lässt, obwohl sie jetzt in der Minderheit sind. Es wurde dann schlussendlich, um den Haushalt wieder aufzunehmen oder überhaupt die Regierungsgeschäfte wieder aufzunehmen, in dem Sinne ein Kompromiss gemacht, dass Chuck Schumer sagte, der Demokratensprecher, gut, wir müssen Verhandlungen wieder aufnehmen, es reicht uns, dass Mitch McConnell öffentlich gesagt hat, der republikanische Sprecher, öffentlich gesagt hat, es muss um eine tiefere weitere Reform gehen und es kann nicht einfach so weitergehen, dass Familien auseinandergerissen werden. Das hat Chuck Schumer gereicht. Das haben viele in seiner Partei nicht so gesehen. Sie hätten eher gehofft, dass an dieser Koppelung noch fester gehalten wird und dass auf die Regierung noch mehr Druck ausgeübt wird. Wir werden jetzt sehen, es werden durchaus harte Verhandlungen werden. Ich glaube, die Demokraten können es sich nicht leisten, noch mehr als zwei Schritte zurückzugehen. Sie sind dazu bereit, zu diesen 25 Milliarden Dollar, die Ihr Korrespondent schon angesprochen hat, für die Mauer, zumindest für Grenzsicherheit einiges an Geld mehr auszugeben. An bestimmter Stelle werden die Kompromisse einfacher, aber ich denke, an dieser Legalisierungsfrage werden sich beide Parteien noch lange abarbeiten müssen.
    Heckmann: Donald Trump hält seine erste Rede zur Lage der Nation. Wir haben darüber gesprochen mit Cathryn A. Clüver, deutsch-amerikanische Politikwissenschaftlerin an der Harvard University in Cambridge. Frau Clüver, herzlichen Dank für Ihre Zeit.
    Clüver: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.