"Populismus zeichnet sich aus durch eine radikale Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen und politischen Eliten, denen man vorwirft, dass sie den wahren, eigentlichen Volkswillen nicht vertreten, ja, sogar systematisch hintergehen. Während Populisten von sich selber behaupten, dass sie diesen Volkswillen kennen."
Sagt Prof. Frank Decker vom Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn.
"Insoweit ist der Populismus vielleicht nicht per se antidemokratisch, aber er steht doch mit bestimmten Prinzipien auch der Demokratie auf Kriegsfuß. Und deshalb ist es eine Herausforderung, wenn populistische Kräfte und Parteien in einer Demokratie stark werden."
Kernpunkt Migrationsthematik
Eine Herausforderung, die andere europäische Länder seit den 1980er Jahren kennen, und eine Entwicklung, die in Deutschland viel später einsetzte. Dass eine rechtspopulistische Partei wie die AfD sich erst 2013 gründete, erklärt Decker damit, dass es bis dahin hierzulande keine wirkliche parteipolitisch streitige Auseinandersetzung über das Migrationsthema gegeben habe:
"Man hat dann schon 2010 gesehen, dass sich das mit der Sarrazin-Debatte verändert hat, das war, wenn man so will, dann schon ein Vorbote für die AfD. Und was sicherlich auch zur Erklärung gehört, ist, dass es insbesondere den Unionsparteien doch lange Zeit gut gelungen ist, den rechten Rand im Parteiensystem zu integrieren. Das war aber in dem Maße nicht mehr möglich, wie sich die Unionsparteien seit den 2000er Jahren auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht liberalisiert haben. Und insoweit ist dort eine Nische entstanden im Parteiensystem, in die dann die AfD ab 2013 erfolgreich hineingesprungen ist.
Das Gelegenheitsfenster für die AfD war das Eurothema, und diese Position hat dann - aufgehängt an der Frage des Euros und der Griechenlandkrise - die AfD eingenommen."
EU - Bühne für Populisten
Beim Parteitag der Grünen vergangenen Sonntag wurde eine starke EU als Antwort auf den Populismus propagiert. Die EU ist aber auch eine Bühne für populistische Parteien[*] - gleichzeitig wird die EU von Populisten bekämpft, denn:
"Die EU wird verantwortlich gemacht für Verteilungsungerechtigkeiten sowohl in den Gesellschaften als auch zwischen den Gesellschaften, Stichwort Transferunion. Also wir müssen jetzt für die schlecht wirtschaftenden Länder im Süden Europas quasi die Zeche zahlen. Das ist ein Thema. Dann wird Europa verantwortlich gemacht für unkontrollierte Zuwanderung. Also beim Brexit war das wichtigste Thema für die Ausstiegsbefürworter die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Und dann ist Europa - das ist keine Erfindung der Rechtspopulisten - auch keine besonders demokratische Veranstaltung. Also Brüssel symbolisiert geradezu die Entfernung der Regierungseliten vom einfachen Volk. Wir können nicht nachvollziehen wie und was dort entschieden wird."
Sorgen machen Polen und Ungarn
Das können die Populisten ausschlachten bei der nächsten Europawahl im Mai 2019. Gut möglich, dass das EU-Parlament dann zu einem Drittel aus Abgeordneten besteht, die eben dies Parlament ablehnen. Es sind die Repräsentationsschwächen der vorhandenen Parteien und ihre Entfernung von den Problemen der Alltagswelt ihrer Wähler, die sich die populistischen Parteien zunutze machen. Sie setzen auf Fundamentalopposition und erheben gar nicht den Anspruch, Problemlösungen zu entwickeln. Doch wie sehr gefährden populistische Parteien in Europa die Demokratie? Hier sei es wichtig zu differenzieren, so der Bonner Populismusforscher.
"Was Sorgen machen muss, ist die Situation in Ländern wie Polen und Ungarn. Dass diese Parteien tatsächlich daran gehen, wesentliche Grundlagen der verfassungsstaatlichen Demokratie zu unterminieren. Das beginnt dann immer bei der Verfassungsgerichtsbarkeit und der Justiz, bevor man sich dann an den Medienpluralismus macht. Das ist eigentlich immer dasselbe Strickmuster. Und insoweit findet dort ein Umbau statt von einem demokratischen System in Richtung eines quasidemokratischen Autoritarismus. Und das innerhalb der EU - darauf brauchen wir natürlich auch Reaktionen in der EU."
In den etablierten Demokratien in West- und Südeuropa sieht Decker weniger Grund zur Sorge. Weil die AfD so stark von rechtsextremen Kräften in Beschlag genommen wird, sei sie für viele Menschen hierzulande, aufgrund unserer Vergangenheit, nicht wählbar. Und noch andere Faktoren könnten einem weiteren Aufstieg der AfD im Wege stehen, wie übrigens auch aktuell der Parteispendenskandal um die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel zeigt.
"Ich glaube auch, dass unsere rechtlichen Vorkehrungen im Parteienrecht dort sehr klug sind, weil sie beispielsweise vorschreiben, dass Parteien Rechenschaft abgeben müssen über ihre Finanzmittel, dass sie innerparteilich demokratische Strukturen aufbauen müssen. Und das birgt natürlich auch ein großes Konfliktpotenzial innerhalb der AfD, mit der die AfD auch ihr Bild in der Öffentlichkeit ruinieren kann. Und insoweit glaube ich, sind die Chancen für sie, hier in Dimensionen zu kommen wie in Österreich oder in Frankreich, also 30 Prozent der Stimmen, eher gering."
Soziale Medien nicht Populisten überlassen
Jedes Land braucht seine eigene Strategie im Umgang mit Populismus. Decker empfiehlt, die sozialen Medien nicht den Rechtspopulisten zu überlassen, hier müssten die etablierten Parteien ihren Rückstand aufholen, an ihrer Organisation, ihrem Auftreten und ihrer Sprache arbeiten. Den negativen Emotionen und der Stimmungsmache der AfD sollten sie nicht nur trockene Sachargumente, sondern auch positive Emotionen entgegensetzen, ganz so, wie Barrack Obama es einst mit seiner "Yes, we can" -Kampagne gezeigt hat. Klar ist: Es sind einige Anstrengungen zu unternehmen, um den Populisten die Protestgründe zu entziehen.
"Ich glaube schon, dass wir dafür sorgen müssen, dass die Gesellschaften auch wieder stärker zusammenhalten, dass es mehr Solidarität gibt, auch im ökonomischen Sinne. Wir brauchen eine realistische Zuwanderungspolitik, die die Menschen auch nicht überfordert, und wir müssen aber gleichzeitig auch deutlich machen, dass viele dieser Probleme nicht im nationalen Rahmen lösbar sind, was der Populismus uns ja einreden will. Und insoweit muss man auch für die europäische Zusammenarbeit auf eine ganz andere Weise eintreten als das die Parteien, vielleicht auch aus Angst vor den Rechtspopulisten, heute tun."
[*] Anmerkung der Redaktion
An dieser Stelle wurde ein unkorrekter Teilsatz entfernt: Anders als in der Sendefassung des Beitrags behauptet, ist Rassemblement National (früher: Front National) in der Nationalversammlung vertreten. Die Audiofassung wurde ebenfalls korrigiert.
An dieser Stelle wurde ein unkorrekter Teilsatz entfernt: Anders als in der Sendefassung des Beitrags behauptet, ist Rassemblement National (früher: Front National) in der Nationalversammlung vertreten. Die Audiofassung wurde ebenfalls korrigiert.