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Politische Bildung
Nachholbedarf an Sachsens Schulen

Nach den rechtsextremistischen Ausschreitungen in Sachsen hat der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung die fehlende politische Bildung im Freistaat kritisiert. Auch das Deutsche Kinderhilfswerk sieht dringenden Handlungsbedarf und fordert mehr politische Bildung in den Schulen. Doch viele Schulen sagen: Wir können nicht alles.

Von Beate Dietze | 31.08.2015
    Schulkinder auf einem Pausenhof.
    Viele Schüler wählen bereits in der 11. Klasse das Fach Gemeinschaftskunde (Politik) wieder ab. (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Die politische Bildung kommt im Unterricht keineswegs zu kurz – weist das sächsische Kultusministerium den Vorwurf von Bundeszentrale und Kinderhilfswerk kategorisch zurück. Schule kann nicht alles leisten, konstatiert Ministeriumssprecher Dirk Reelfs. Man könne für die Schüler mühelos eine 80-Stundenwoche kreieren, denn ständig werden neue Forderungen an die Schulen gerichtet.
    "Ein neues Unterrichtsfach Benehmen, wie zuletzt, die Digitalwirtschaft fordert ein Unterrichtsfach Programmieren, schon in der Grundschule. Man stellt fest, die Zahl der übergewichtigen adipösen Kinder nimmt zu, es muss mehr Sportunterricht an den Schulen erteilt werden, und das allein zeigt, dass die Forderungen in der Gesamtheit überzogen sind."
    Kein Interesse an politischer Bildung
    Stellt sich die Frage, wie es wirklich mit der politischen Bildung im Schulalltag aussieht. Laut Ministerium haben Hauptschüler ein Jahr Gemeinschaftskunde, An den Oberschulen sind es immerhin zwei Jahre wie auch an den Gymnasien.
    Dort können die Schüler allerdings freiwillig in Klasse 11 und 12 weitermachen, erklärt Anke Wower. Sie ist Gemeinschaftskundelehrerin am Gymnasium Dresden-Klotzsche. 40 Prozent der Schüler wählen hier das Fach Gemeinschaftskunde aber ab und das heißt:
    "Dass die gerade vom politischen System der Bundesrepublik in der 9. Klasse das letzte mal was gehört haben, dort beginnt die Ausbildung der politischen Meinung und in der 11 und 12 haben die keine politische Bildung mehr. "
    Wenig Zeit für Diskussionen
    Und so steht Anke Wower als sie die 12. Klasse zur ersten GRW- Stunde nach den Sommerferien begrüßt - nur vor politisch interessierten Schülern - Schüler wie Marten und Julia:
    "Man wird schon grundlegend, ausreichend hier gebildet, aber man muss halt auch sagen, es ist eigentlich immer hilfreich, wenn man sich selbst möglichst noch informiert, Nachrichtenportale und das alles, dass man sich dann seine Meinung bilden kann."
    "Also ich selber fühle mich jetzt so, dass ich das auch gut einordnen kann und mir auch selber eine gute Meinung dazu bilden kann."
    Aber die Jugendlichen würden sich durchaus mehr wünschen. Denn diskutiert wird im Unterricht eher selten.
    "Wir können eigentlich kaum über Sachen diskutieren, die gerade wirklich passiert sind – oder lang diskutieren."
    "Wir richten und eher stur nach dem Lehrplan, würde ich sagen."
    "Ja, ich sehe es halt auch so. Dass wir darüber diskutieren müssen. Aber es ist halt auch die Sache, der Lehrplan ist eng, es ist viel zu lernen, was wir überhaupt erst mal machen müssen und der Lehrplan ist nun mal Pflicht. Und das ist halt mit den zwei Wochenstunden schwierig, dann auch noch die ganzen aktuellen Themen abzuhaken."
    Viele Lehrer, zu wenig Unterricht
    Die Gemeinschaftskundelehrerin sieht das genauso. Sie plädiert für mehr Unterricht in diesem Fach und das schon in der 7. oder 8. Klasse. An Lehrern mangelt es nicht, meint Anke Wower, die auch für die Ausbildung der Referendare zuständig ist:
    "Weil es genügend Referendare gibt, die eigentlich auf eine Arbeitsstelle warten und das würde für die auch Stunden bedeuten und eine Einstellungsmöglichkeit im sächsischen Schulsystem, wo die eigentlich arbeiten möchten."
    Defizite in der demokratischen Kultur
    Mehr politische Bildung - das fordert auch der Landesschülerrat.
    Friedrich Roderfeld, stellvertretender Vorsitzender der Schülervertretung schlägt deshalb vor, dass Gemeinschaftskunde für alle Schüler durchgängig verpflichtend wird.
    "Gerade bei Pegida oder sicher auch in Heidenau gab es sicherlich von vielen auch Vorurteile, die sich mit einfachsten Wissen eigentlich widerlegen ließen, und diese würden dann ganz einfach nicht auftreten, wenn man ein bisschen mehr politische Bildung und wenn man auch eine andere politische Diskussionskultur im Unterricht hätte."
    Dass die Situation ist wie sie ist, dafür macht Frank Richter, Leiter der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, vor allem die PISA-Studie verantwortlich, bei der Sachsen immer sehr gut abschneidet.
    Doch Richter warnt, Sachsen darf sich nicht zurücklehnen.
    "Es ist offensichtlich, es kann niemand mehr übersehen, dass wir Defizite haben, was die demokratische Kultur betrifft. Dass wir extremistische Anfälligkeiten – übrigens nicht nur nach rechts auch nach links - zu verzeichnen haben. Wir brauchen einen positiven Nachschlag in Sachsen politische Bildung und kulturelle Bildung."
    Weil gute PISA-Noten -das bedeutet nicht automatisch auch gleich gute politische Bildung. Denn bei dem Leistungsvergleich werden kaum musische, kulturelle, ethische oder politische Fähigkeiten gemessen.