Klose: Nein, ich habe die politischen Konsequenzen, die ganz konkreten, natürlich so nicht vorausgesehen, das konnte niemand. Aber da ich Amerika gut kenne, wusste ich, welche außerordentliche Wirkung dieser Angriff auf Amerika, das amerikanische Denken und Fühlen, haben würde. Und deshalb war mir klar, dass wir ein Ereignis erlebt hatten, das zu großen Veränderungen und Umwälzungen führen müsste.
Engels: Auch an Sie die Frage, welches war denn Ihrer Ansicht nach die weitestgehende Änderung der internationalen Beziehungen, grade auch im deutsch-amerikanischen Verhältnis?
Klose: Man muss, um diese Frage zu beantworten, noch mal sagen, was diese Attacke für Amerika bedeutete. Amerika lernte, dass die größte Macht im eigenen Land verwundbar war, und das war ein einschneidendes Erlebnis deshalb, weil bis dahin die Amerikaner an ihre Save-Haven-Philosophie geglaubt haben, nämlich, dass Amerika immer eine sichere und ungefährdete Zufluchtsstätte ist und bleiben wird. Diese Philosophie ist an dem Tage zusammengebrochen. Die einschneidenste Konsequenz, die sich daraus ergab, war die Feststellung der amerikanischen Regierung, unterstützt von der amerikanischen Bevölkerung, dass Amerika sich im Krieg befindet. Und dieser Punkt ist es in Wahrheit, an dem Europäer und Amerikaner auseinander gehen. Die Europäer haben nicht das Gefühl, dass sie sich im Krieg befinden. Wir Deutschen haben nicht das Gefühl, dass wir uns im Krieg befinden, weil wir eine andere Vorstellung von Krieg, eine andere Kriegsperzeption haben. Aber die Amerikaner, müssen wir wissen, befinden im Krieg.
Engels: Die verschiedenen Perzeptionen haben Sie angesprochen, wir haben aber auch grade James Bindenagel gehört. Er ist trotz der derzeitigen Verstimmungen, die sich grade in der Irakfrage festmachen, optimistisch hinsichtlich der Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sind Sie das auch?
Klose: Ich bin realistisch und optimistisch. Es gibt so viele Gründe, auch in Zukunft zusammen zu arbeiten, dass wir verrückt sein müssten, wenn wir das nicht tun. Und ich traue beiden Seiten zu, wenn sie sich in persona schon nicht lieben, dass sie professionell genug sind, aus dieser Einsicht die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Engels: Aber gestern haben wir ein neues Beispiel für den fortdauernden transatlantischen Streit gesehen. Deutschland und Frankreich haben neben Russland Gegenvorschläge zum amerikanischen Resolutionsentwurf zum Irak vorgelegt. Der Hauptunterschied: Die UNO soll nach Ansicht von Frankreich, Deutschland und Russland die Kontrolle über den politischen Übergang im Irak erhalten. Sehen Sie Durchsetzungschancen für solch einen Vorschlag?
Klose: Zunächst einmal würde ich sagen, das transatlantische Verhältnis wäre besser, wenn sich beide Seiten wieder daran halten würden, politische Grundsatzfragen, und das ist eine, zuvor zum Beispiel im NATO-Rat zu diskutieren. Man hat ja manchmal den Eindruck, dass wir im Augenblick in einer politische Welt der öffentlichen Erklärungen leben, ohne Moderator, und daraus ergeben sich dann Interpretationen von Konflikten, was ganz unvernünftig und nicht gut ist, das sollte schleunigst geändert werden. Im konkreten Falle hat der amerikanische Außenminister ja ausdrücklich darum gebeten, Vorschläge zu machen, auch Gegenvorschläge, und hat gesagt, Amerika sei bereit, die zu prüfen und gemeinsam mit den Alliierten und Verbündeten zu besprechen. Insofern kann ich in dem Vorgang, den wir jetzt haben, keinen Affront sehen. Ob es zu einer gemeinsamen Linie kommt, und wenn ja, wann, das ist allerdings schwer zu sagen, weil nach gegenseitigem Stand der Dinge die Amerikaner darauf beharren, dass zwar die UNO eine größere Rolle spielen soll, aber die politische Verantwortung und die Kommandogewalt bei Amerika verbleiben soll. Das ist der eigentliche Grund der Differenz.
Engels: Aber verstehe ich Sie richtig, kritisieren Sie die Bundesregierung dafür, möglicherweise zu stark öffentlich ein weiteres Einlenken von den USA zu verlangen?
Klose: Nein, ich kritisiere beide Seiten. Ich kritisiere beide, dass sie zuviel in öffentlichen Erklärungen operieren und dass der normale diplomatische und politische Dialog ein wenig in den Hintergrund getreten ist. Ich weiß, es gibt hier immer die Neigung, dann die Kritik auf die eigene Regierung zu zielen, aber ich finde, dass auf beiden Seiten des Atlantiks das Politikmanagement verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig ist.
Engels: Kommen wir noch einmal aufs Grundsätzliche: europäische Integration einerseits, ein enges Verhältnis nach Washington andererseits, das waren bis vor kurzem die festen Konstanten der deutschen Außenpolitik.
Klose: Ja.
Engels: Verändert sich nun der zweite Pfeiler?
Klose: Er hat sich in Wahrheit verändert mit dem Ende des Kalten Krieges, das sollte man nicht aus dem Auge verlieren. Europa ist aus der Sicht Amerikas befriedet, geordnet und bedarf keiner übertriebenen oder besonderen Aufmerksamkeit der Amerikaner mehr. Deshalb hat sich das amerikanische Interesse, wenn man so will, verlagert, und zwar nach Ostasien, nach Zentralasien und in die Regionen, die wir Naher Osten nennen. Das heißt nicht, dass die Partnerschaft mit Europa aufgekündigt worden ist, aber sie steht in der Prioritätenskala der Amerikaner nicht mehr an allererster Stelle. Und deshalb sind wir im Augenblick oder wären wir auch ohne die einschneidenden Ereignisse, derer wir heute gedenken, in eine neue Phase der Partnerschaft hinein geraten. Deshalb sollte man das, was gegenwärtig sich abspielt, öffentlich oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nicht allzu sehr dramatisieren.
Engels: Hans-Ulrich Klose, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, SPD. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Engels: Auch an Sie die Frage, welches war denn Ihrer Ansicht nach die weitestgehende Änderung der internationalen Beziehungen, grade auch im deutsch-amerikanischen Verhältnis?
Klose: Man muss, um diese Frage zu beantworten, noch mal sagen, was diese Attacke für Amerika bedeutete. Amerika lernte, dass die größte Macht im eigenen Land verwundbar war, und das war ein einschneidendes Erlebnis deshalb, weil bis dahin die Amerikaner an ihre Save-Haven-Philosophie geglaubt haben, nämlich, dass Amerika immer eine sichere und ungefährdete Zufluchtsstätte ist und bleiben wird. Diese Philosophie ist an dem Tage zusammengebrochen. Die einschneidenste Konsequenz, die sich daraus ergab, war die Feststellung der amerikanischen Regierung, unterstützt von der amerikanischen Bevölkerung, dass Amerika sich im Krieg befindet. Und dieser Punkt ist es in Wahrheit, an dem Europäer und Amerikaner auseinander gehen. Die Europäer haben nicht das Gefühl, dass sie sich im Krieg befinden. Wir Deutschen haben nicht das Gefühl, dass wir uns im Krieg befinden, weil wir eine andere Vorstellung von Krieg, eine andere Kriegsperzeption haben. Aber die Amerikaner, müssen wir wissen, befinden im Krieg.
Engels: Die verschiedenen Perzeptionen haben Sie angesprochen, wir haben aber auch grade James Bindenagel gehört. Er ist trotz der derzeitigen Verstimmungen, die sich grade in der Irakfrage festmachen, optimistisch hinsichtlich der Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Sind Sie das auch?
Klose: Ich bin realistisch und optimistisch. Es gibt so viele Gründe, auch in Zukunft zusammen zu arbeiten, dass wir verrückt sein müssten, wenn wir das nicht tun. Und ich traue beiden Seiten zu, wenn sie sich in persona schon nicht lieben, dass sie professionell genug sind, aus dieser Einsicht die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Engels: Aber gestern haben wir ein neues Beispiel für den fortdauernden transatlantischen Streit gesehen. Deutschland und Frankreich haben neben Russland Gegenvorschläge zum amerikanischen Resolutionsentwurf zum Irak vorgelegt. Der Hauptunterschied: Die UNO soll nach Ansicht von Frankreich, Deutschland und Russland die Kontrolle über den politischen Übergang im Irak erhalten. Sehen Sie Durchsetzungschancen für solch einen Vorschlag?
Klose: Zunächst einmal würde ich sagen, das transatlantische Verhältnis wäre besser, wenn sich beide Seiten wieder daran halten würden, politische Grundsatzfragen, und das ist eine, zuvor zum Beispiel im NATO-Rat zu diskutieren. Man hat ja manchmal den Eindruck, dass wir im Augenblick in einer politische Welt der öffentlichen Erklärungen leben, ohne Moderator, und daraus ergeben sich dann Interpretationen von Konflikten, was ganz unvernünftig und nicht gut ist, das sollte schleunigst geändert werden. Im konkreten Falle hat der amerikanische Außenminister ja ausdrücklich darum gebeten, Vorschläge zu machen, auch Gegenvorschläge, und hat gesagt, Amerika sei bereit, die zu prüfen und gemeinsam mit den Alliierten und Verbündeten zu besprechen. Insofern kann ich in dem Vorgang, den wir jetzt haben, keinen Affront sehen. Ob es zu einer gemeinsamen Linie kommt, und wenn ja, wann, das ist allerdings schwer zu sagen, weil nach gegenseitigem Stand der Dinge die Amerikaner darauf beharren, dass zwar die UNO eine größere Rolle spielen soll, aber die politische Verantwortung und die Kommandogewalt bei Amerika verbleiben soll. Das ist der eigentliche Grund der Differenz.
Engels: Aber verstehe ich Sie richtig, kritisieren Sie die Bundesregierung dafür, möglicherweise zu stark öffentlich ein weiteres Einlenken von den USA zu verlangen?
Klose: Nein, ich kritisiere beide Seiten. Ich kritisiere beide, dass sie zuviel in öffentlichen Erklärungen operieren und dass der normale diplomatische und politische Dialog ein wenig in den Hintergrund getreten ist. Ich weiß, es gibt hier immer die Neigung, dann die Kritik auf die eigene Regierung zu zielen, aber ich finde, dass auf beiden Seiten des Atlantiks das Politikmanagement verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig ist.
Engels: Kommen wir noch einmal aufs Grundsätzliche: europäische Integration einerseits, ein enges Verhältnis nach Washington andererseits, das waren bis vor kurzem die festen Konstanten der deutschen Außenpolitik.
Klose: Ja.
Engels: Verändert sich nun der zweite Pfeiler?
Klose: Er hat sich in Wahrheit verändert mit dem Ende des Kalten Krieges, das sollte man nicht aus dem Auge verlieren. Europa ist aus der Sicht Amerikas befriedet, geordnet und bedarf keiner übertriebenen oder besonderen Aufmerksamkeit der Amerikaner mehr. Deshalb hat sich das amerikanische Interesse, wenn man so will, verlagert, und zwar nach Ostasien, nach Zentralasien und in die Regionen, die wir Naher Osten nennen. Das heißt nicht, dass die Partnerschaft mit Europa aufgekündigt worden ist, aber sie steht in der Prioritätenskala der Amerikaner nicht mehr an allererster Stelle. Und deshalb sind wir im Augenblick oder wären wir auch ohne die einschneidenden Ereignisse, derer wir heute gedenken, in eine neue Phase der Partnerschaft hinein geraten. Deshalb sollte man das, was gegenwärtig sich abspielt, öffentlich oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nicht allzu sehr dramatisieren.
Engels: Hans-Ulrich Klose, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, SPD. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio