Freitag, 19. April 2024

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Politische Kommunikation in Italien
"Migration wird immer als Problem thematisiert, nie als Ressource"

Wenn ein Gesetzpaket den Namen Migration und Sicherheit trage entstehe der Eindruck, dass Migration die Sicherheit der Bürger bedrohe, sagte die Romanistin Daniela Pietrini im Dlf. Obwohl es um sie gehe, seien Migranten selbst in den italienischen Medien kaum zu Wort gekommen.

Daniela Pietrini im Gespräch mit Barbara Weber | 19.09.2019
Migranten auf einer Tomatenplantage in Foggia, Italien
"Migranten selbst kommen gar nicht zu Wort", konstatiert die Romanistin Pietrini im Dlf (AFP / Roberto D'Agostino)
Barbara Weber: Der ehemalige italienische Innenminister Matteo Salvini fand markige Worte, wenn es um Migranten ging. Auf einer Pressekonferenz im Mai sprach er von einem Kampf, den es zu gewinnen gilt. Wie und mit welchen Wörtern über Migration und Flucht in Italien und Deutschland gesprochen und in den Medien berichtet wird, darum geht es bei einer internationalen Tagung in Halle.
- In einer Kongresspause telefonierte ich mit Professorin Daniela Pietrini, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Halle, und fragte sie, warum sie die Tagung "Sprache schafft Wirklichkeit" genannt hat?
Daniela Pietrini: Wir haben ganz vieles besprochen über den italienischen und den deutschen Diskurs, über die Migration, was in den Gesetzen steht, vor allem was in den Medien steht und wie in den Medien gesprochen wird, denn es geht um Sprachwissenschaft hauptsächlich. Also mit welchen Wörtern in den beiden Diskursen über Migration gesprochen wird. Und die Wörter bedeuten natürlich auch, welche Sprachbilder, also welche Stereotypen sich in den Wörtern spiegeln.
Weber: Warum ist das wichtig?
Pietrini: Weil es wichtig ist, sich bewusst zu machen, natürlich auch für den allgemeinen Bürger, dass es nicht nur darum geht, was gesagt wird, sondern wie. Es macht schon einen Unterschied, ob jemand als Migrant, als Flüchtling, im Italienischen "migrante", "rifugiato", "profugo". Das sind Wörter, die als Äquivalent verwendet werden, aber eigentlich was ganz anderes mit sich bringen.
Politiker nutzen Soziale Netzwerke für Kommunikation
Weber: Sie haben jetzt näher erforscht, wie die alte italienische Regierung über Migration gesprochen hat – mit welchen Ergebnissen?
Pietrini: Im Allgemeinen, würde ich sagen, dass die italienische politische Kommunikation auch im Vergleich zu deutscher eine sehr starke Nutzung der sozialen Netzwerke macht. Das war bei Innenminister Matteo Salvini sehr ausgeprägt, da war auch die Sprache ziemlich aggressiv beziehungsweise plakativ. Dafür eignen sich auch die sozialen Netzwerke sehr gut. Zum Beispiel bei Twitter finden wir eine Sloganisierung, das heißt, es reicht, dass man einen Hashtag vor ein Wort setzt, und das wird schon zum Slogan. Wir hatten so Ausdrücke wie "porti chiusi", das heißt geschlossene Häfen, und das bedeutet als Slogan, wir sollen unsere Häfen schließen, also unsere Grenzen, niemanden reinlassen. So eine Sprache hat Salvini verwendet.
"Migranten selbst kommen gar nicht zu Wort"
Weber: Wie war das in den Zeitungen, die Sie auch untersucht haben?
Pietrini: In den Zeitungen ist es ein bisschen schwieriger, das pauschal zu sagen, weil die Politiker nicht selbst oder nicht unvermittelt reden, und es kommen sehr viel mehr Akteure zu Wort. Was wir bemerkt haben, ist zum Beispiel, dass die Migranten selbst, zumindest im italienischen Diskurs, gar nicht zu Wort kommen. Es gibt kaum direkte Rede von Migranten, obwohl es um sie geht. Und es gibt ein paar [Anm. der Red.: unverständlich] machen kann, zum Beispiel, dass das Thema Migration immer als Problem thematisiert wird, "custione migranti", aber nie als Ressource.
Und es wird immer über die Ankunft der Migranten mit sehr vielen Metaphern gesprochen, so was wie eine große Welle, "ondata di migranti". Das hat ein bisschen – vor allem in rechtsorientierten Medien oder die, die so sind, obwohl sie offiziell neutral sind – so eine Wirkung, dass man dann Panik macht. Man erweckt den Eindruck, dass es zyklisch sei, dass es jeden Tag eine Welle gibt - nicht nur eine, das sind immer wieder welche.
Gesetzpaket, das Sicherheit mit Migration verbindet
Weber: Schaut man sich die Gesetze an, die erlassen worden sind, auch das haben Sie getan, was spiegelt sich da wider?
Pietrini: Das kann man auch diachronisch untersuchen, das haben wir gemacht, das heißt über die Zeit hinaus. Und wenn wir jetzt die 90er-Jahre anschauen, da war vor allem das Thema Arbeit, und da gab es so Wörter wie "extracomunitari", das ist jemand, der nicht aus der Europäischen Gemeinschaft – das war die "comunita" – kommt. Heute spricht man von einer Europäischen Union, das Wort ist dasselbe geblieben.
Dann ging es um die Migration, das ist vom Mensch zum Phänomen gegangen, eben die "migrazione" an sich, aber heutzutage geht es vor allem um Sicherheit, "sicurezza", das ist sehr auffällig. Und nicht nur die letzte Regierung – das haben wir schon 2008, da war Maroni, dieselbe Partei wie Salvini –, der hat da schon eine Packet, "pacchetto sicurezza", erlassen, und auch heute "decreto sicurezza e immigrazione". Da wird Sicherheit mit Migration zusammen verbunden. Das sind Begriffe, die eigentlich miteinander nichts zu tun haben. Und so erweckt man den Eindruck, dass die Migration die Sicherheit der Bürger bedrohen würde, das ist die Wirkung von so einer Zusammensetzung.
Premier Conte: "Wir wollen eine neue Sprache"
Weber: Die neue italienische Regierung möchte jetzt etwas ändern – was nämlich?
Pietrini: Die neue italienische Regierung, das ist interessant, Sie haben recht, dass Herr Conte schon bei einer seiner ersten Handlungen, als er das Vertrauen des Parlaments bekommen wollte, gesagt hat, wir wollen eine neue Sprache. Er hat gesagt, wir brauchen eine "lingua mite", eine sanfte Sprache. Das heißt, man versucht, nicht mehr so aggressiv, so plakativ, sondern eben dann besser aufzupassen, mit welchen Tönen gesprochen wird. Ob das tatsächlich so sein wird, das wissen wir natürlich noch nicht. Aber es ist schon bemerkenswert, dass die Politik sich auch sprachlich von der alten Regierung abheben möchte.
Weber: Auch Italiener wandern aus, wie sind da die Unterschiede in der Sprache, die genutzt wird?
Pietrini: Das ist auch eine Eigenschaft, das haben wir hier in der Tagung oft bemerkt: Wenn man in Deutschland von Migrationsdiskurs spricht, da spricht man meistens eben nur über die Leute, die nach Deutschland kommen, und in Italien ist die Tradition des Migrationsdiskurses, die Tradition des Diskurses über die Italiener, die auswandern.
Und einen Diskurs über die Leute, die nach Italien kommen, den gibt es erst seit Ende der 90er-Jahre. Aber der andere Diskurs existiert immer noch, der hat sich aber auch gewandelt. Heutzutage geht es vor allem um die hochqualifizierten Italiener, die "cervelli" – das heißt Gehirn –, die werden so metonymisch als Gehirn bezeichnet. Und die, die auswandern, da spricht man von einer Flucht, also es gibt so was wie Gehirnflüchtlinge sozusagen, "la fuga dei cervelli" – das sind eben die hochqualifizierten Italiener, die aus Italien weggehen, um woanders bessere Forschungsbedingungen zum Beispiel zu bekommen.
"Starke Kriminalisierung im Migrationsdiskurs"
Weber: Sie haben jetzt natürlich insbesondere den italienischen Diskurs beobachtet, aber gibt es Unterschiede zwischen beiden Ländern, ist da was zur Sprache gekommen?
Pietrini: Ja, natürlich. Wir haben ja den Kongress so organisiert, dass es sprachvergleichend basiert ist, und es gab sehr viele Kollegen aus der germanistischen Seite, die uns das gezeigt haben, was im Deutschen passiert. Jetzt kann ich über die Eigenschaften, die italienischen, sagen: Ganz allgemein eine sehr starke Rolle spielt das semantische Feld des Meeres, als ob die Migration ausschließlich über den Meeresweg stattfinden würde, was eigentlich nicht stimmt. Das sind sehr viele Metaphern, die mit dem Meer zu tun haben, mit den Häfen. Man spricht gar nicht von einer Grenze, "una frontiera", sondern nur vom "porti", dem Hafen. Und was es auch noch gibt, ist eine ziemlich starke Kriminalisierung im Migrationsdiskurs.
Es gibt ein Wort im Italienischen, das ist "clandestino" – das gibt es im Deutschen gar nicht. "Clandestino" das ist jemand, der versteckt, heimlich etwas tut, meistens reist er heimlich, so eine Art Schwarzfahrer. Und so was ist im Italienischen jetzt benutzt für alle Migranten. So unterstellt man denen, sie seien illegal, sie seien eben kriminell, weil sie die Papiere nicht haben, wobei die schon so bezeichnet werden in dem Moment, wo sie kommen, wo man gar nicht geprüft hat überhaupt, was für einen Status sie haben. Das ist da sehr typisch für einen bestimmten italienischen Diskurs.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.