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Politische und religiöse Spannungen
Warum es bei der Cricket-WM nicht nur um Sport geht

In vielen Teilen der Welt ist Cricket ein Nationalsport. Derzeit findet in den Vereinigten Arabischen Emiraten und im Oman die Weltmeisterschaft statt. Vielerorts ist diese WM das Sportereignis des Jahres. Und auch in diesem Jahr ist das Turnier hochpolitisch.

Von Raphael Späth | 07.11.2021
24th October 2021 Dubai International Cricket Stadium Supporters of India wearing costumes yell and wave a national flag during the ICC Men s T20 World Cup match between India and Pakistan at Dubai International Cricket Stadium PUBLICATIONxNOTxINxUK ActionPlus12334161 DavidxGray
Fans aus Indien beim Spiel zwischen Indien und Pakistan bei der Cricket-WM in Dubai. (IMAGO / Action Plus)
Indien gegen Pakistan – das wohl konfliktgeladenste Duell bei jeder Cricket-Weltmeisterschaft. "Wenn Indien gegen Pakistan spielt, dann bist du nicht nur Sportler, sondern du kämpfst auch eine Schlacht – in diesem Fall eine Schlacht mit Schläger und Ball anstatt mit Gewehren und Raketen."
Mihir Bose hat viel über den Einfluss von Cricket in Indien geforscht. Cricket gilt in Indien auch heute noch als Nationalsport – nicht zuletzt weil das indische Team in den letzten Jahren das Non-Plus-Ultra des Sports darstellt.
Umso bedeutender war die Niederlage bei der diesjährigen T20-Weltmeisterschaft gegen Pakistan. Es war die erste Niederlage einer indischen Nationalmannschaft überhaupt gegen den benachbarten Erzrivalen in diesem Cricket-Format bei Weltmeisterschaften. Der Aufschrei im Heimatland – dementsprechend groß.
"Jedes Mal, wenn Indien verliert, kommt in der Bevölkerung das Gefühl auf, dass es diesen Spielern doch nur ums Geld geht, es ist ihnen egal, für Indien zu gewinnen", erzählt Mihir Bose. "Und wenn man dann auch noch von Pakistan, dem Erzrivalen, geschlagen wird, haben die Leute das Gefühl, dass da noch mehr dahinterstecken muss. Dass sie den Ruf des Landes aufs Spiel gesetzt und die Flagge nicht würdig repräsentiert haben."

Übergriffe auf muslimische Studenten

Vor allem die muslimische Minderheit in Indien bekommt das bei Cricket-Spielen gegen den Nachbarn aus Pakistan zu spüren. "Wenn Indien gegen Pakistan spielt, stehen alle Muslime in Indien auf der Anklagebank: Wollen sie wirklich, dass Indien gewinnt oder sind sie in Wahrheit für die anderen Muslime in Pakistan? Ihr Patriotismus wird hinterfragt und deshalb ist es sehr schwierig für die Muslime in Indien."
Nach der Niederlage gegen Pakistan gab es in Indien Übergriffe auf einige muslimische Studenten. Auch Indiens einziger muslimischer Nationalspieler, Mohammad Shami, wurde in den Sozialen Netzwerken aufs Übelste beleidigt.
16th June 2019, Old Trafford, Manchester, England; ICC World Cup Cricket, India versus Pakistan; Fakhar Zaman of Pakistan plays a sweep shot PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxSWExNORxDENxFINxONLY ActionPlus12144781 AlanxMartin
Wie Indien und Pakistan ihre Rivalität im Cricket austragen
Kriege, Terror, religiöse Spannungen: Seit mehr als siebzig Jahren schwelt zwischen Indien und Pakistan ein Konflikt mit globalen Folgen. Deutlich wird das auch im Nationalsport: Cricket.
"Jemanden aufgrund seiner Religion zu diskriminieren, ist für mich die erbärmlichste Sache, die ein Mensch tun kann", verteidigt Indiens Kapitän Virat Kohli seinen Mitspieler auf einer Pressekonferenz. "Menschen lassen ihren Frust raus, weil sie nicht verstehen, dass Mohammad Shami einer der Hauptgründe für viele Siege unserer Mannschaft in den letzten Jahren war. Und wenn Menschen das und seine Leidenschaft und seinen Einsatz für dieses Land einfach übersehen können, dann will ich diesen Menschen nicht einmal eine Minute meiner Lebenszeit an Aufmerksamkeit schenken. Und das geht Shami und dem Rest der Mannschaft genauso."
"Das war ein wichtiges Statement", findet der indische Autor und Journalist Mihir Bose. "Weil es in Indien sehr viel Intoleranz in letzter Zeit gegeben hat, nicht nur im Cricketsport. Und viele Leute haben das einfach ignoriert. Aus Angst davor, selbst angegriffen zu werden, wenn sie den Mund aufmachen. Aber Kohli war bereit, sich dagegen aufzulehnen und das ist eine Entwicklung, die vielleicht bedeutet, dass ein Teil der indischen Bevölkerung dazu bereit ist, gegen die wachsende Intoleranz und den Fanatismus anzukämpfen."

Weiße Südafrikaner verweigern Kniefall

Wie vereint das indische Team gegen Diskriminierung steht, zeigt sich in diesen Tagen auch immer vor Spielbeginn: Alle Spieler und Betreuer knien aus Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung – eine Geste, der sich bei dieser Weltmeisterschaft fast alle Mannschaften einheitlich anschließen.
Ausnahme: Die südafrikanische Mannschaft beim Eröffnungsspiel gegen Australien. Einige der weißen südafrikanischen Spieler verweigern den Kniefall und bleiben stehen – ein verheerendes Bild, findet Lawson Naidoo, der Vorstandsvorsitzende des südafrikanischen Cricket-Verbandes, im südafrikanischen Fernsehen. "Der Knieprotest ist inzwischen zu einer weltweit anerkannten Geste gegen Rassismus geworden. Und wir glauben, dass gerade Südafrika in dieser Sache eine führende Rolle auf der Welt einnehmen und hinknien sollte."
Deshalb verordnet der Verband für die restlichen Spiele dieser Weltmeisterschaft eine Hinknie-Pflicht vor dem Spiel. Wer nicht kniet, spielt nicht.
Eine Anordnung, die in der Heimat für viel Kritik sorgt – und dazu führt, dass Quinton de Kock, einer der einflussreichsten Cricket-Spieler der Welt und der Star der südafrikanischen Mannschaft, beim nächsten Spiel gegen die Westindischen Inseln nicht im Kader steht.

Cricket eigentlich Aushängeschild

"Das war auf jeden Fall ein Wendepunkt im Cricket-Sport", erklärt der südafrikanische Journalist Pieter du Toit. Cricket war in Südafrika nach dem Ende der Apartheid von der Politik eigentlich zum Aushängeschild der nationalen Einheit auserkoren worden. Eine Rolle, die der Sport in den letzten Jahren verloren hat, auch aufgrund des dysfunktionalen und skandalbehafteten Verbandes.
"Sie haben es eindeutig nicht geschafft, eine Atmosphäre zu kreieren, in der Debatten über die rassistische Cricket-Vergangenheit und die Black-Lives-Matter-Bewegung stattgefunden haben. Zumindest nicht bis zu dem Punkt, an dem sich Spieler wohlfühlen, ihre Meinung zu sagen und wohl überlegte Entscheidungen zu treffen."
Immerhin: Nach einem ausführlichen Gespräch zwischen Mannschaft und Verbandsoffiziellen entschuldigt sich Quinton de Kock für sein Verhalten und kniet bei den restlichen Spielen mit dem Rest der Mannschaft.
Aus sportlicher Sicht verpassen die Südafrikaner trotz eines Sieges gegen den Favoriten aus England den Einzug ins Halbfinale und scheiden als Gruppendritte aus – ein weiterer Dämpfer für die Popularität des Cricketsports in Südafrika.