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Politischer Aschermittwoch der CSU in Passau

Zagatta: Franz Josef Strauß hat ihn einst ins Leben gerufen, den politischen Aschermittwoch der CSU, und etwas bayrisch-deftig geht es in der Nibelungenhalle in Passau immer noch zu, jetzt wo der Hauptredner Edmund Stoiber heißt. Mehr als 10.000 Zuhörer werden heute erwartet. Die Halle wird in wenigen Minuten geöffnet. Und bevor Stoiber überhaupt einmarschiert, fließt erst einmal das Bier in Strömen. Das Interesse ist in diesem Jahr ganz besonders groß, weil Edmund Stoiber als Herausforderer von Kanzler Schröder antritt. Wir sind jetzt telefonisch mit dem Ort des Geschehens verbunden, mit Prof. Heinrich Oberreuter, Politikdozent an der Uni Passau und Mitglied der Grundsatzkommission der CSU. Herr Oberreuter, politischer Aschermittwoch in Passau, ist das eine Veranstaltung für Bierselige, die hören wollen, wie der politische Gegner beschimpft wird, oder geht ein gestandener Professor wie Sie auch in die Nibelungenhalle?

    Oberreuter: Der gestandene Professor muss schon deswegen hingehen, weil nachher viele Medienvertreter fragen, wie die ganze Sache nun einzuordnen ist. Aber insgesamt muss man natürlich schon sehen, dass der politische Aschermittwoch eine folkloristische Tradition hat, die weit über 100 Jahre zurückreicht. Es ist natürlich eine Veranstaltung, in der man keine filigranen Argumentationen erwarten kann, sondern im Grunde eine deutliche Ansprache mit einem gewissen Unterhaltungswert, zumindest ist das die Erwartungshaltung der meisten, die dort hingehen.

    Zagatta: Und Ihre auch? Stimmen Sie sich auch mit einigen Maß Bier ein oder überlassen Sie das den billigen Plätzen?

    Oberreuter: Das überlasse ich mit Sicherheit anderen. Wenn ich überhaupt etwas trinke, dann trinke ich Mineralwasser.

    Zagatta: Was erwarten Sie sich von diesem politischen Aschermittwoch? Nur diese Gaudiveranstaltung mit hohem Unterhaltungswert oder auch schon irgendwo eine politische Weichenstellung? Sie müssen ja dann das ganze einschätzen.

    Oberreuter: Es ist eigentlich schon immer beides gewesen. Als die großen Parteien sich der Veranstaltung angenommen haben, ist man über den Viehmarktdiskurs doch weit hinausgekommen. Auch Franz Josef Strauß hat diese Veranstaltung durchaus dazu benutzt, in seinen langen Reden sehr analytische Passagen einzustreuen, gespickt mit Kompetenz, gespickt mit ökonomischen Analysen und Daten, wobei man da immer sehen konnte, dass er große Mühe hatte, bei diesen Passagen das Volk bei der Stange zu halten. Aber ich denke, dass diesmal durchaus auch das eine oder andere Wegweisende für den Wahlkampf und für die Auseinandersetzung des nächsten halben Jahres zu hören sein wird. Man wird schauen, wie Stoiber die Marschrichtung absteckt, wenn es um die Auseinandersetzung um die wirtschaftliche Situation, um die Arbeitsmarktsituation im Lande geht, und wie er wohl auch einige Fragen des gesellschaftlichen Wertewandels anspricht, die man Rot/Grün aus Sicht der CSU anlastet, und wie er vielleicht auch mit der Problematik der Integration der PDS ins Parteiensystem umgeht. Also es gibt eine Fülle von Themen, über die geredet werden könnte.

    Zagatta: Welchen Edmund Stoiber dürfen wir denn heute erwarten? Einen in bayrischer Wirtshausmanier, wie es die Zuhörer in der Halle erwarten, oder einen staatsmännischen, weil er ja schließlich Kanzler werden will?

    Oberreuter: Er wird deswegen in einer schwierigen Rolle sein, weil er genau wissen müsste, dass er diese Rede nicht nur für die Bayern und für die Halle anlegen kann. Das Medienecho, die Medienerwartungen sind hochgeschraubt, und er muss natürlich auch an das potentielle Wählerpublikum jenseits der bayrischen Landesgrenzen denken. Dort kommen die berühmten deftigen weißblauen Sprüche natürlich nicht so an, wie man sie innerhalb der Halle erwartet. Er wird einen Spagat vollführen müssen. Er wird aber um einige gewürzte Sentenzen nicht herumkommen, und wir wissen ja, wie so etwas läuft, die würzigsten Dinge werden dann in 10 Sekunden-Fernsehspots herausdestilliert. Ich glaube, er ist diesmal in seiner Rolle nicht sonderlich zu beneiden.

    Zagatta: Er hat ziemlich viel Zeit gehabt, sich auch jenseits des Freistaates zu präsentieren. Nach seinem ersten großen Fernsehauftritt bei Sabine Christiansen ist Edmund Stoiber aber heftig kritisiert worden. Da haben Kritiker von Gestammel geredet. Wie beurteilen Sie das aus Passauer Sicht und als CSU Mitglied?

    Oberreuter: Man muss natürlich sehen, wo Stoiber seine Vorteile hat. Die Vorteile liegen bei ihm eindeutig in größeren Veranstaltungen, wenn er sein Temperament ins Kraut schießen lassen kann, und wenn er diesbezüglich die Erwartungshaltung seiner bayrischen Stammkundschaft befriedigt. Das intime Medium Fernsehen ist eigentlich nicht seine Sache, wobei man auch hier sich diesen Christiansen-Auftritt etwas analytischer anschauen müsste, als es in der Kritik geschehen ist. Was man eigentlich sehen konnte, war der arg angestrengte und arg bemühte Versuch in jeder Äußerung in jedem Satz, in jeder Antwort auf jede Frage so viel wie möglich an Fakten, Daten und politischen Bewertungen hineinzupacken, was im Fernsehen immer ein Fehler ist, der einem zwangsläufig dazu bringt, sich zu verrennen. Gestammel ist vielleicht zu drastisch ausgedrückt. Ich würde es eher ein Sichverhaspeln im Wald der Kompetenzen und der Daten. Weniger ist im Fernsehen oft mehr als der Versuch, alles auf einmal unterzubringen.

    Zagatta: Nun will sich Edmund Stoiber ausgerechnet im Fernsehduell mit dem Medienkanzler Schröder messen. Ist das eine Schnapsidee oder kann er das aus Ihrer Sicht machen?

    Oberreuter: Das hat natürlich jeder Kanzlerherausforderer bisher zu tun versucht, und es hat bisher noch keinen Kanzler gegeben, der dem Herausforderer diese Chance eingeräumt hätte. Es ist ganz interessant, dass Schröder sich sofort auf dieses Duell eingelassen hat, weil er seine Stärken im Medium Fernsehen kennt. Ich meine, dass Edmund Stoiber diesbezüglich durchaus noch an sich feilen kann. Man muss auf seine Medienberater vielleicht eine gewisse Hoffnung setzen. Ich meine, dass Fernsehkompetenz, Darstellungskompetenz und kommunikative Kompetenz für das Medium Fernsehen auch gelernt und geübt werden können. Man muss sich nur die Zeit nehmen, es zu üben, und wenn der Kandidat eine historische Chance hat, knapp die Wahl zu gewinnen, ebenso knapp, sie zu verlieren, hat er, glaube ich, die verdammte Pflicht, dieser Wahlaussicht alles unterzuordnen. Ich würde mich nicht wundern, wenn Stoiber sich 14 Tage zurückziehen täte, um Fernsehauftritte zu trainieren. Ich glaube, es täte ihm ganz gut.

    Zagatta: Wenn ihm das gelingt, wenn er tatsächlich Kanzler wird, dann wird er ja kaum beim nächsten Aschermittwoch so vom Leder ziehen können in Passau. Wollen Sie ihn nicht doch lieber in Bayern behalten?

    Oberreuter: Das ist eine interessante Frage, die Sie eigentlich an die Bevölkerung aller Bundesländer stellen müssten, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten in die Lage gekommen sind, Kanzlerkandidaten zu präsentieren. Es ist ja in unserem föderalistischen System hochinteressant, dass seit Ludwig Erhard kein Kanzler mehr ins Amt gekommen ist, der nicht den Weg über Landesregierungs- und Ministerpräsidentenerfahrung gewonnen hat. Und dabei ist immer deutlich zu sehen, dass der Kandidat innerhalb seiner Landesgrenzen einen ganz erheblichen Bonus bei den Wählern hat, nach dem Motto: Einer von uns hat die Chance, das höchste Amt im politischen Sektor des Staates zu erreichen, nun unterstützen wir ihn. Auf diese Weise haben die Wähler in allen Bundesländern bisher eigentlich ihren Mann einen besonderen Bonus gegeben. Man könnte nun sagen, sie waren froh, dass sie ihn auf Bundesebene weg hatten, oder man könnte sagen, sie waren froh, einen exzellenten Kandidaten zu haben und versprachen sich davon eine besondere Berücksichtigung ihrer Landesinteressen, was natürlich mit der Gemeinwohlverpflichtung des Kanzlers im Amt nicht zu vereinbaren ist. Also da wohnen in der Brust der Wähler zwei Seelen.

    Zagatta: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio