Fecke: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben internationale Sicherheitsexperten verschiedene Terrorstrategien der islamistischen Terroristen durchdekliniert. Viele gingen davon aus, dass auf einen Anschlag auf ein Hochhaus mindestens eine Bombe auf ein Atomkraftwerk folgen müsste - stattdessen die Anschläge auf den ägyptischen Badeort Scharm El Scheich in der Hochsaison, auf die U-Bahn in London beziehungsweise Eisenbahn in Madrid vor gut einem Jahr. In diesen Fällen haben die Terroristen mit relativ geringem Aufwand eine große Wirkung erzielt. Ich bin jetzt verbunden mit Herfried Münkler, Politologe und Autor des Buches "Die neuen Kriege". Herr Münkler, Sie stellen schon vor drei Jahren die These auf, dass die Zeit der großen Staatskriege vorbei sei, dafür aber die kleinen Kriege eine Renaissance erleben, in der sich die ungleichen Gegner gegenüberstehen. Sind die Terroristen mit den jüngsten Anschlägen in Ägypten und London wieder zu den alten Mitteln zurückgekehrt?
Münkler: Ja, das kann man wohl sagen. Also, das, was für diese Leute weiche Ziele so attraktiv macht, ist eben der Umstand, dass sie leicht angreifbar sind, heißt: selbst wenn höchste Terrorwarnung gegeben ist, nicht wirklich zu schützen. Und gleichzeitig ist der Effekt im Angriff auf diese Ziele besonders hoch, weil es ja darum geht, Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Das ist gewissermaßen das nächste angestrebte Ziel der Detonationen und wenn man da nicht irgendwelche Militäreinrichtungen, Polizeieinrichtungen, Regierungseinrichtungen und derlei mehr angreift, sondern gewissermaßen es jedermann und jederfrau treffen kann, dann hat das genau die Effekte, die die sich wünschen.
Fecke: Wie kann man denn Terroristen bekämpfen, die wahllos gegen alles vorgehen - und gegen alle, also Christen, Juden und Muslime und auch gegen das eigene Leben?
Münkler: Na, ich denke, das ist ein Mix, mit dem man gegen Terroristen vorgeht und der beginnt damit, dass die übliche Polizeiarbeit, aber auch die Tätigkeit der Geheimdienste, das Informationensammeln, das ist gewissermaßen die erste Verteidigungslinie. Die zweite Verteidigungslinie ist das Herausfinden von Knoten innerhalb des terroristischen Netzwerkes, gegen die gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln agiert wird - jedenfalls, wenn diese Knoten sich in so genannten failed states, also in Gebieten befinden, in denen die staatliche Ordnung zu bestehen aufgehört hat und es keine Möglichkeit gibt, sie mit polizeilichen Mitteln zu attackieren. Und die dritte Linie ist die, dass die Bevölkerung diese Anschläge so hinnimmt, dass sie jedenfalls nicht mit Hysterie darauf reagiert, sondern mit einer gewissen Gelassenheit.
Fecke: In London ist das ja - noch - gegeben. Was glauben Sie, sind die zwei Anschläge in London und die Bombenattentate in Ägypten, sind das Einzelaktionen oder glauben Sie, dass die koordiniert sind?
Münkler: Also London und Ägypten, das glaube ich nicht, dass das koordiniert ist, aber die Abfolge in London verweist darauf, dass hier eine gewisse Koordination vorliegt. Nun muss diese Koordination - die misslungene Ausführung der Londoner Anschläge könnte dies belegen -, muss diese Koordination ja gar nicht von außen, über eine Kommandozentrale und derlei mehr geschaltet werden, sondern sie können auch so funktionieren, dass gewissermaßen die mediale Berichterstattung über Anschläge selber gewissermaßen zur Kommandostruktur dieser Gruppen wird. Also diese verzweifelten Figuren - oder jedenfalls zum Tode entschlossenen Figuren - in den Vorstädten bekommen diese Nachrichten und sie haben natürlich eine Vorstellung davon beziehungsweise das hat man ihnen zu früheren Zeitpunkten klar gemacht, dass wenn solche Anschläge häufig aufeinander folgen - also sequentiell sind -, dass dies ihre Effekte steigert. Und es ist ihnen klar, dass es jetzt für sie darauf ankommt, in der Londoner U-Bahn wieder Anschläge zu machen.
Fecke: Die britischen Täter sind Staatsbürger des Königreichs gewesen und es ist die zweite oder dritte Generation, die eigentlich recht gesettled wirkt - das war ja der nette Fast-Food-Verkäufer von nebenan. Wieso sind die jetzt, in dieser Generation so entwurzelt? Oder wie erklären Sie sich das Phänomen?
Münkler: Das ist ein sicherlich sehr komplexes Problem, dem man mit einzelnen Beobachtungen nicht beikommen wird. Oder jedenfalls nicht ausschließlich beikommen wird. Das ist also sozusagen überdeterminiert. Aber man kann wohl schon sagen, dass die dynamische Modernisierung unserer Welt, die schon lange sich - seit der Industriellen Revolution - in einem solchen Umwälzungsprozess befindet, aber auch das Hereinreißen dieser noch vor kurzem in sich gefestigten traditionalen Gesellschaften in diese Modernisierungsspirale, keine gefestigten Lebensentwürfe hinterlassen hat. Also Lebensentwürfe, die so geschaffen sind, dass ich mir lange Ziele setze, bei denen die Vermeidung des Todes eigentlich oberste Priorität ist, wie das in gewisser Hinsicht für uns ja gilt. Das ist offenbar nicht gelungen, jedenfalls nicht stabil und zuverlässig gelungen. Also, dass also diese Leute sich auf eine Sinnsuche politischer, religiöser - das kann man wahrscheinlich gar nicht so präzise auseinander halten - Art befinden. Und bei dieser Sinnsuche gibt es doch eine Reihe von Angeboten, die ihnen den Tod und das Mitnehmen vieler anderer in den Tod als attraktiv erscheinen lassen.
Fecke: Welche Konsequenzen müssten denn in Europa die muslimischen Gemeinden aus den Anschlägen ziehen?
Münkler: Ja sie müssen sich in gewisser Hinsicht entscheiden, ob sie in Europa ankommen wollen und sich letzten Endes auch für diese europäische oder westliche Lebensart entscheiden. Und von daher dann diejenigen unter ihnen, die sich dafür nicht entschieden haben beziehungsweise die sich zu Dschihadisten entwickelt haben, auch - ich sage das so pointiert - ausliefern an die Polizei der Länder, in denen sie leben. Wenn sie das nicht tun werden und wenn sie gewissermaßen in ihren inneren Gruppen nicht Fahndungserfolge ermöglichen, dann wird es wahrscheinlich zu einer - über kurz oder lang, wahrscheinlich eher über kurz - dramatischen Zuspitzung des Verhältnisses zwischen den europäischen Gastländern und den muslimischen Gemeinden kommen.
Fecke: Glauben Sie, dass eine Wende in der amerikanischen Irak-Politik weitere Anschläge durch islamistische Terroristen verhindern könnte?
Münkler: Na ja, das ist jetzt gewissermaßen so eine schicke Annahme, dass alles am Irak hängt. Der Irak ist ja in diese Auseinandersetzung erst zu einem relativ späten Zeitpunkt hereingekommen. Man weiß ja, dass eine der ursprünglichen Motivationen von Osama die Beobachtung dessen war, dass er das saudische Regime nicht stürzen kann, weil die Amerikaner es unterstützen. Das heißt, wir haben es eigentlich nicht nur mit dem Irak zu tun, sondern mit der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens, mit den selbst blockierten arabischen Gesellschaften. Und ein Verschwinden der Amerikaner - und damit natürlich auch der Briten - aus dem Irak würde das Problem nicht lösen, sondern nur verschieben auf einen anderen Punkt.
Münkler: Ja, das kann man wohl sagen. Also, das, was für diese Leute weiche Ziele so attraktiv macht, ist eben der Umstand, dass sie leicht angreifbar sind, heißt: selbst wenn höchste Terrorwarnung gegeben ist, nicht wirklich zu schützen. Und gleichzeitig ist der Effekt im Angriff auf diese Ziele besonders hoch, weil es ja darum geht, Angst und Schrecken in der Bevölkerung zu verbreiten. Das ist gewissermaßen das nächste angestrebte Ziel der Detonationen und wenn man da nicht irgendwelche Militäreinrichtungen, Polizeieinrichtungen, Regierungseinrichtungen und derlei mehr angreift, sondern gewissermaßen es jedermann und jederfrau treffen kann, dann hat das genau die Effekte, die die sich wünschen.
Fecke: Wie kann man denn Terroristen bekämpfen, die wahllos gegen alles vorgehen - und gegen alle, also Christen, Juden und Muslime und auch gegen das eigene Leben?
Münkler: Na, ich denke, das ist ein Mix, mit dem man gegen Terroristen vorgeht und der beginnt damit, dass die übliche Polizeiarbeit, aber auch die Tätigkeit der Geheimdienste, das Informationensammeln, das ist gewissermaßen die erste Verteidigungslinie. Die zweite Verteidigungslinie ist das Herausfinden von Knoten innerhalb des terroristischen Netzwerkes, gegen die gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln agiert wird - jedenfalls, wenn diese Knoten sich in so genannten failed states, also in Gebieten befinden, in denen die staatliche Ordnung zu bestehen aufgehört hat und es keine Möglichkeit gibt, sie mit polizeilichen Mitteln zu attackieren. Und die dritte Linie ist die, dass die Bevölkerung diese Anschläge so hinnimmt, dass sie jedenfalls nicht mit Hysterie darauf reagiert, sondern mit einer gewissen Gelassenheit.
Fecke: In London ist das ja - noch - gegeben. Was glauben Sie, sind die zwei Anschläge in London und die Bombenattentate in Ägypten, sind das Einzelaktionen oder glauben Sie, dass die koordiniert sind?
Münkler: Also London und Ägypten, das glaube ich nicht, dass das koordiniert ist, aber die Abfolge in London verweist darauf, dass hier eine gewisse Koordination vorliegt. Nun muss diese Koordination - die misslungene Ausführung der Londoner Anschläge könnte dies belegen -, muss diese Koordination ja gar nicht von außen, über eine Kommandozentrale und derlei mehr geschaltet werden, sondern sie können auch so funktionieren, dass gewissermaßen die mediale Berichterstattung über Anschläge selber gewissermaßen zur Kommandostruktur dieser Gruppen wird. Also diese verzweifelten Figuren - oder jedenfalls zum Tode entschlossenen Figuren - in den Vorstädten bekommen diese Nachrichten und sie haben natürlich eine Vorstellung davon beziehungsweise das hat man ihnen zu früheren Zeitpunkten klar gemacht, dass wenn solche Anschläge häufig aufeinander folgen - also sequentiell sind -, dass dies ihre Effekte steigert. Und es ist ihnen klar, dass es jetzt für sie darauf ankommt, in der Londoner U-Bahn wieder Anschläge zu machen.
Fecke: Die britischen Täter sind Staatsbürger des Königreichs gewesen und es ist die zweite oder dritte Generation, die eigentlich recht gesettled wirkt - das war ja der nette Fast-Food-Verkäufer von nebenan. Wieso sind die jetzt, in dieser Generation so entwurzelt? Oder wie erklären Sie sich das Phänomen?
Münkler: Das ist ein sicherlich sehr komplexes Problem, dem man mit einzelnen Beobachtungen nicht beikommen wird. Oder jedenfalls nicht ausschließlich beikommen wird. Das ist also sozusagen überdeterminiert. Aber man kann wohl schon sagen, dass die dynamische Modernisierung unserer Welt, die schon lange sich - seit der Industriellen Revolution - in einem solchen Umwälzungsprozess befindet, aber auch das Hereinreißen dieser noch vor kurzem in sich gefestigten traditionalen Gesellschaften in diese Modernisierungsspirale, keine gefestigten Lebensentwürfe hinterlassen hat. Also Lebensentwürfe, die so geschaffen sind, dass ich mir lange Ziele setze, bei denen die Vermeidung des Todes eigentlich oberste Priorität ist, wie das in gewisser Hinsicht für uns ja gilt. Das ist offenbar nicht gelungen, jedenfalls nicht stabil und zuverlässig gelungen. Also, dass also diese Leute sich auf eine Sinnsuche politischer, religiöser - das kann man wahrscheinlich gar nicht so präzise auseinander halten - Art befinden. Und bei dieser Sinnsuche gibt es doch eine Reihe von Angeboten, die ihnen den Tod und das Mitnehmen vieler anderer in den Tod als attraktiv erscheinen lassen.
Fecke: Welche Konsequenzen müssten denn in Europa die muslimischen Gemeinden aus den Anschlägen ziehen?
Münkler: Ja sie müssen sich in gewisser Hinsicht entscheiden, ob sie in Europa ankommen wollen und sich letzten Endes auch für diese europäische oder westliche Lebensart entscheiden. Und von daher dann diejenigen unter ihnen, die sich dafür nicht entschieden haben beziehungsweise die sich zu Dschihadisten entwickelt haben, auch - ich sage das so pointiert - ausliefern an die Polizei der Länder, in denen sie leben. Wenn sie das nicht tun werden und wenn sie gewissermaßen in ihren inneren Gruppen nicht Fahndungserfolge ermöglichen, dann wird es wahrscheinlich zu einer - über kurz oder lang, wahrscheinlich eher über kurz - dramatischen Zuspitzung des Verhältnisses zwischen den europäischen Gastländern und den muslimischen Gemeinden kommen.
Fecke: Glauben Sie, dass eine Wende in der amerikanischen Irak-Politik weitere Anschläge durch islamistische Terroristen verhindern könnte?
Münkler: Na ja, das ist jetzt gewissermaßen so eine schicke Annahme, dass alles am Irak hängt. Der Irak ist ja in diese Auseinandersetzung erst zu einem relativ späten Zeitpunkt hereingekommen. Man weiß ja, dass eine der ursprünglichen Motivationen von Osama die Beobachtung dessen war, dass er das saudische Regime nicht stürzen kann, weil die Amerikaner es unterstützen. Das heißt, wir haben es eigentlich nicht nur mit dem Irak zu tun, sondern mit der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens, mit den selbst blockierten arabischen Gesellschaften. Und ein Verschwinden der Amerikaner - und damit natürlich auch der Briten - aus dem Irak würde das Problem nicht lösen, sondern nur verschieben auf einen anderen Punkt.