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Politologe: Beck wird Interimsvorsitzender der SPD

Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter sieht Kurt Beck als Interimsvorsitzenden an der SPD-Spitze. Zwar könne der auf Harmonie bedachte Beck die Parteiflügel zusammenhalten, sagte Falter. Aber er glaube nicht, dass der rheinland-pfälzische Ministerpräsident in der Lage sei, der Partei in kurzer Zeit seinen Stempel aufzudrücken und länger an deren Spitze zu stehen.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Thema Nummer eins heute Mittag: der Rücktritt Matthias Platzecks vom Amt des SPD-Vorsitzenden und die Nominierung von Kurt Beck als sein Nachfolger. Heute Morgen um 9:01 Uhr meldete die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf Parteikreise als erste, dass Matthias Platzeck zurücktreten wolle. Die anderen Agenturen zogen nach. Ursprünglich wollte Matthias Platzeck heute Mittag auf einer Pressekonferenz den Startschuss für die Debatte über ein neues Grundsatzprogramm geben. In zwei Wochen wollte er dazu auch eine Grundsatzrede halten. Doch dann kam alles anders. Die Pressekonferenz wurde um eine Stunde vorgezogen auf 11:30 Uhr und seit dieser guten halben Stunde steht der Rückzug Matthias Platzecks endgültig fest.

    Am Telefon begrüße ich nun den Politikwissenschaftler von der Universität Mainz Professor Jürgen Falter. Guten Tag Herr Falter!

    Jürgen Falter: Guten Tag!

    Spengler: Herr Falter, Matthias Platzeck hat Ende März zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen einen Hörsturz erlitten, eine Krankheit, deren Ursache häufig Stress ist. Man wird es wohl ernst nehmen müssen und wohl auch Respekt aufbringen müssen für die Rücktrittsgründe, oder sehen Sie das anders?

    Falter: Ja. Ich glaube schon, dass die gesundheitlichen Gründe die entscheidenden sind. Ein Hörsturz – man bezeichnet ihn ja auch als Infarkt des Ohres – ist etwas fürchterlich Unangenehmes, und wenn das Pfeifen nicht weg geht, wenn sie also ständig tatsächlich belastet sind – das gibt es ja in der chronischen Form -, dann sind sie eigentlich nicht in der Lage, auch nur einen Job anständig durchzuführen, aber schon gar nicht zwei oder drei Stressjobs. Insofern ist die Entscheidung von Matthias Platzeck meines Erachtens vollkommen plausibel.

    Spengler: Trotzdem müssen wir die Frage anständig, ob die Schuhe, die er an hatte, ihm nicht nur gesundheitlich, sondern auch politisch zu groß waren?

    Falter: Ja, das ist nicht auszuschließen. Man hat nun Matthias Platzeck sehr wenig Zeit gelassen. Fünf Monate Zeit ist ja nun nicht gerade viel, um auch gesundheitlich angeschlagen eine Partei in den Griff zu bekommen, eine so schwierige Partei wie die SPD, die in einer so schwierigen Situation nach einer Wahlniederlage ist, wo sie nur noch Juniorpartner in der Bundesregierung ist.

    Spengler: Darf ich Sie da ganz kurz unterbrechen. Was macht die Situation für die Partei so schwierig?

    Falter: Sie macht es zunächst einmal schwierig, dass man ganz haarscharf an einer erneuten Regierungsbeauftragung vorbeigeschlittert ist. Aber viel schwieriger macht es das für sie, dass links von ihr durch die PDS/WASG, die sich ja abzeichnende Linkspartei, eine ernsthafte Konkurrentin auf den Platz tritt, die die SPD von links bedrängt und auf diese Weise es ihr sehr schwer macht, die Politik der Mitte, der linken Mitte, die Gerhard Schröder eingeführt hat und durchgesetzt hat, fortzuführen.

    Spengler: Nun hat der designierte Nachfolger Kurt Beck eben den neuen Führungsstil von Matthias Platzeck sehr gelobt. Könnte man anders sagen, dass es ihm an Härte gefehlt hat?

    Falter: Matthias Platzeck hat auf jeden Fall nicht den Eindruck erweckt, ein besonders harter Hund zu sein. Da hat er ja ein ganz anderes Programm gefahren, ein anderes Profil gezeigt als sein Vorgänger, seine beiden Vorgänger, die ja gerne mit Basta-Worten, mit Machtworten versucht haben, die Partei im Zaum zu halten. Er hat das versucht eher mit Harmonie, mit einer gewissen Leichtigkeit, einem gewissen Witz, einer Selbstironie, mit sehr viel Pragmatismus. Insofern hat er eigentlich ganz gut zu Angela Merkel gepasst. Das hat man ihm aber sehr übel genommen, weil auf diese Weise natürlich das Gefühl von Führung am langen Zügel nicht so entstanden ist.

    Spengler: Also Führungsstärke auf Kreisliga-Niveau, wie Franz Müntefering gesagt haben soll? Das ist schon eine harte Kritik.

    Falter: Das ist eine extrem harte Kritik. Wenn er es in dieser Form gesagt hat, ist es geradezu vernichtend. Dann kann man auch verstehen, dass Platzeck irgendwann einmal gesundheitlich angeschlagen, wie er ist, das Handtuch geworfen hat, wenn das von seinem Vorgänger wirklich gekommen sein sollte. Andererseits ist das von vielen außerhalb der SPD durchaus als wohltuend empfunden worden, dieser neue Stil der Sachlichkeit, dass man nicht alles sofort zuspitzt, nicht dauernd auf den Tisch schlägt, nicht unentwegt basta sagen muss.

    Spengler: Der strahlende Wahlsieger von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, das wird der Nachfolger Platzecks. Kurt Beck war ja auch schon vor fünf Monaten im Gespräch. Aus Ihrer Kenntnis heraus, hat er damals eigentlich freiwillig oder gezwungenermaßen Platzeck den Vortritt gelassen?

    Falter: Nachträglich gesehen würde ich sagen, es war freiwillig. Es war wohl tatsächlich die Einsicht in nicht die Unmöglichkeit, aber die Schwierigkeit, einerseits das Amt des Regierungschefs, andererseits des Wahlkämpfers und dann drittens auch noch des SPD-Vorsitzenden miteinander zu verbinden. Da hat Kurt Beck, glaube ich, sehr klug gehandelt, aber auch sehr klug vielleicht in der Einsicht in seine Grenzen, die ja auch vorhanden sind, dass er mit seiner Bodenständigkeit, seiner südwestdeutschen Verwurzelung natürlich in Gesamtdeutschland nicht so ankommen wird, wie das vielleicht Platzeck mit seiner eher norddeutschen Art tut.

    Spengler: Wird er dennoch ein guter Parteivorsitzender sein können?

    Falter: Ich bin sicher, dass er ein guter Parteivorsitzender sein wird, aber wohl eher ein Interimskandidat, denn die große Stärke von Kurt Beck ist seine Vermittlungsfähigkeit. Das liegt in seinem Naturell, das sehr harmoniebedacht ist, und da kann er die Parteiflügel zusammenbinden, kann ihnen auch ein Gefühl geben von Zusammengehörigkeitsgefühl eben. Aber ich glaube nicht, dass er in der Lage sein wird, in kurzer Zeit den Stempel der Partei so aufzudrücken, dass man sagen würde, das ist der neue geborene Parteiführer für die nächsten zwölf Jahre.

    Spengler: Sie sagten Interimskandidat, das heißt Zwischenspiel. Sehen Sie denn den neuen geborenen Parteiführer in Zukunft?

    Falter: Nein, ich sehe ihn noch nicht. Sonst würde man ihn ja wahrscheinlich auch tatsächlich jetzt fragen und nicht erst auf die Suche gehen. Es kann ja nur jemand sein aus der jüngeren Generation, das heißt einer Generation, die um die 50 ist oder jünger. Kurt Beck ist Mitte 50, Platzeck war ja auch schon 50. Insofern wird das da vermutlich auch noch den einen oder anderen Kampf zwischen möglichen Kronkandidaten geben. Die zeichnen sich aber im Augenblick noch nicht in der Form ab, dass man sagen würde, es läuft auf den oder die zu.

    Spengler: Professor Falter, eine Frage habe ich noch an Sie: Welche Folge hat das jetzt für die große Koalition?

    Falter: Die große Koalition wird weiterarbeiten. Sie wird versuchen, ihr Programm durchzuführen. Die SPD ist erst einmal geschwächt. Sie war es ja schon dadurch, dass Matthias Platzeck in wichtigen Verhandlungen nicht dabei sein konnte. Kurt Beck wird in die Bresche springen, aber sich einzuarbeiten in die Feinheiten der Gesundheitsreform, das wird sicherlich nicht ganz so einfach werden. Da wird er viel Zeit investieren müssen. Und ich glaube, dass die SPD im Augenblick daraus nicht gestärkt, sondern eher geschwächt hervorgeht.

    Spengler Das war der Politikwissenschaftler Professor Jürgen Falter. Danke für das Gespräch, Herr Falter.

    Falter: Bitte sehr.