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Politologe: Berlin und Moskau könnten im Atomkonflikt an einem Strang ziehen

Nach Ansicht des Politologen Klaus Segbers ähneln sich die Positionen der deutschen und der russischen Regierung im Aromkonflikt mit dem Iran. "Es scheint mir schon so, dass sowohl die russische wie die deutsche Regierung eine gewisse Präferenz dafür haben, die Iran-Frage nicht nur unter dem Nuklearaspekt zu diskutieren", sagte der Wissenschaftler am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Es gehe Berlin und Moskau darum, die iranische Führung in einen breiten Dialog einzubetten.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Am Telefon ist nun der Berliner Politikwissenschaftler Professor Klaus Segbers. Guten Tag!

    Segbers: Guten Tag!

    Müller: Herr Segbers ist das naiv, Russland als Freund zu sehen?

    Segbers: Na ja, es ist vielleicht insofern naiv, als man berechtigt die Frage stellen kann, wie weit Staaten und Regierungen überhaupt miteinander befreundet sein können auf Dauer. Es ist aber auf der anderen Seite auch insofern ein Stück Realität, als wir doch inzwischen ein großes Maß an Normalität erreicht haben in den Beziehungen, ich sage jetzt mal bewusst, nicht nur zwischen den Regierungen der beiden Länder, sondern auch zwischen den Gesellschaften. Es gibt dort nämlich einen ganz breiten Unterbau - das übersehen wir manchmal - von Städtepartnerschaften, von Austauschbeziehungen, von Bildungsbeziehungen. Ich denke, im Großen und Ganzen sind die Beziehungen gut, stabil und erfreulich normal.

    Müller: Da sind viele aber jetzt etwas überrascht, wenn sie das hören, denn in den politischen Kategorien, was die politischen Beziehungen seit 1990 anbetrifft, gibt es doch so viele Probleme wie nie zuvor oder?

    Segbers: Das würde ich, wenn Sie gestatten, so nicht sehen. Ich denke, dass es im strengen Sinne in den bilateralen Beziehungen eigentlich nicht besonders viele Probleme gibt. Die Energiefragen sind in den letzten Tagen und Wochen ein bisschen ins Gerede gekommen wegen der einen oder anderen nicht sehr vernünftigen Äußerung aus Moskau, aber ich denke, dass eigentlich beide Seiten - jetzt spreche ich mal von den Regierungen - sich darüber im Klaren sind, dass es schon - das sagt ja auch die Bundeskanzlerin - eine strategische Partnerschaft gibt. Darüber gibt es eigentlich keinen Streit.

    Und ich würde gerne auch darauf aufmerksam machen, dass ich eine weitere Gemeinsamkeit sehe: Es scheint mir schon so, dass sowohl die russische wie die deutsche Regierung eine gewisse Präferenz dafür haben, die Iran-Frage nicht nur unter dem Nuklearaspekt zu diskutieren - das ist natürlich ein ganz wichtiges Thema jetzt -, sondern das Breite anzugehen, das heißt darüber nachzudenken, ob es nicht doch eine gute Strategie wäre, die iranische Führung in einen breiten Dialog einzubetten. In dieser Frage sind beide eher in einem Gegensatz zu den Vereinigten Staaten.

    Müller: Herr Segbers, wenn wir ganz kurz noch mal auf die Stichworte blicken, die sich da zusammentragen lassen, wenn einem im Moment das Thema Russland so in den Kopf kommt, also Sudan, Iran, Nahost, Hamas, Energie, Bedrohung, Erpressung, Drohung. Das sind alles Schlagworte, die man in diesen Tagen auch in den Zeitungen lesen kann. Ist das alles null und nichtig?

    Segbers: Nein, aber es sind ja, wie Sie es zu Recht sagen, Schlagworte. Da Sie jetzt mit einem Wissenschaftler sprechen, werden Sie es mir nachsehen, dass ich mich jetzt nicht mit Schlagworten beschäftige. Ich denke, das ist zum Teil aus der Tagesaktualität herausgezogen, aber wenn man es genau betrachtet scheint mir, dass in der Energiefrage die Differenzen zwischen den beiden Regierungen, Russland und Deutschland, nicht sehr groß sind. Es gibt Einigkeit in Deutschland darüber, dass manche Äußerungen etwa des Gasprom-Chefs vor einer Woche zu deutschen Geschäftsleuten nicht sehr hilfreich waren und nicht sehr vernünftig waren. Aber dass es hier eine strategische Partnerschaft gibt, darüber ist Konsens. Es ist auch Konsens auf der deutschen Seite, dass man allerdings auch die Abhängigkeit nicht weiter erhöhen sollte, sondern vielleicht ein bisschen weiter diversifizieren.

    Aber in der Iran-Frage sehe ich jedoch auch eher Ähnlichkeiten als Unterschiede. Ich habe versucht, das eben deutlich zu machen. Im Großen und Ganzen haben wir eigentlich keine substanziellen bilateralen Probleme. Das würde ich ganz gerne noch mal betonen, weil manchmal, wenn man die Tageszeitungen liest, glaube ich, sind die Akzente zu negativ gesetzt.

    Müller: Wobei beim Thema Energie beispielsweise Deutschland Glück gehabt hat im Gegensatz zu den anderen?

    Segbers: Nein, weil wir jetzt schon Verträge haben, die davon ausgehen, dass wir europäische oder Weltmarktpreise, oder wie immer man das nennen will, zahlen. Ich glaube nicht, dass die russische Seite diese Verträge verletzen wird. Worüber wir nachdenken sollten ist, ob es klug wäre, dass Deutschland jetzt in einem noch höheren Maße als das, was gerade besteht, sich an einen Partner bindet. Ich denke, das wäre nicht klug, sondern hier sollten wir generell über Diversifizierungen nachdenken, im Übrigen nicht nur der Lieferanten von Öl und Gas, sondern generell was unsere Energiequellen angeht. Das passiert ja auch. Und ich glaube, dass man sich da einigen wird.

    Die Probleme, die es gibt etwa zwischen der Ukraine und Russland und jetzt neuerdings auch zwischen Weißrussland und Georgien und Armenien und Russland, das steht auf einem anderen Blatt. Da muss man genau hingucken und überlegen, worüber man redet. Wollen wir sozusagen Hilfestellung dazu leisten, dass die ehemaligen Unionsrepubliken der Sowjetunion nach wie vor Präferenzpreise bekommen, oder wollen wir Verständnis entwickeln dafür, dass die sich langsam auf Weltmarktpreise zubewegen.

    Müller: Herr Segbers es gibt, wenn ich Sie unterbrechen darf, auf der anderen Seite auch immer wieder Kommentare, die sogar sagen, im Grunde ist das, was Putin im Moment macht, ein gedämpfter Imperialismus. Ist da was dran?

    Segbers: Ich persönlich sehe das nicht so, sondern ich denke, dass es in der Tat mancherlei Debatten gibt und vielleicht auch politische Überlegungen und Strategien in Moskau, wie die Beziehungen mit den Nachbarländern im engeren Sinne gestaltet werden sollen. Das betrifft, wie gerade erwähnt, vor allen Dingen Weißrussland, zum Teil die Ukraine und vor allen Dingen im Moment Georgien. Aber ich habe keinerlei Anlass davon auszugehen, dass, was die russisch-westeuropäischen Beziehungen oder auch die russisch-amerikanischen Beziehungen betrifft, es zu irgendeiner Art von Reimperialisierung kommt. Das sehe ich nicht.

    Müller: Wie sieht der Politikwissenschaftler die Problematik Tschetschenien?

    Segbers: Der Politikwissenschaftler sieht die Problematik Tschetschenien so, dass es ein sehr komplexes Problem ist, was sich nicht nur dadurch lösen lässt, dass wir zu Recht immer wieder darauf hinweisen, dass verhandelt werden muss. Die Situation ist in der Tat sehr viel schwieriger. Es gibt keine westeuropäische, keine internationale Regierung, die dafür plädiert, Tschetschenien aus Russland herauszulösen, weil das vielerlei Folgeprobleme produzieren würde. Und wir haben ja die Situation, dass Gewaltunternehmertum vor Ort vorliegt, dass auch in Moskau keine einheitliche klare Linie vorliegt. Und wenn die Westeuropäer massiv und substanziell interessiert wären, an dieser Frage mitzuwirken, dann müssten wir weiter gehen und zum Beispiel eine Art Stabilitätspakt für den Nordkaukasus vorschlagen und uns nicht nur darauf beschränken, nach Verhandlungen zu rufen.

    Müller: Ich meine, diese Konzepte gibt es ja zum Teil auch schon in den Schubläden, auch im Auswärtigen Amt, auch in den Forschungsinstituten. Kann es sein, dass mit dieser Problematik nicht offensiv genug nach vorne gegangen wird, weil man eben Angst hat, politische, wirtschaftliche Konsequenzen auf der anderen Seite dann tragen zu müssen?

    Segbers: Es ist so, dass das in den Schubladen, wie Sie zu Recht sagen, in der Tat zum Teil liegt. Das wird aber nicht so sehr deshalb herausgezogen, weil man negative juristische Reaktionen fürchtet, sondern weil man zu Recht weiß, dass wenn Westeuropa sich hier ernsthaft dieser Frage annehmen würde der Zukunft des Nord-Kaukasus wir dort Commitments eingehen müssten, das heißt also Verpflichtungen, und zwar mittelfristiger Art. Das heißt, wir reden über 10 bis 15 Jahre wirtschaftlicher, eventuell auch sicherheitspolitischer Verpflichtungen Westeuropas, wenn wir wirklich in dieser Region eine konstruktive Rolle spielen wollten. Ich sehe im Augenblick nicht die Bereitschaft in Westeuropa, dass wir das wollen. Und insofern sind viele politische Erklärungen leider im Bereich der Rhetorik, und diese politische Unterfütterung, über die wir beide gerade sprechen, die fehlt bisher.

    Müller: Tschetschenien ist ein Thema, was in Russland ja sehr schwierig, sehr kompliziert ist zu besprechen, unter anderem auch weil es zunehmend Restriktionen gibt gegenüber Journalisten, gegenüber der Pressefreiheit. Insgesamt wird von vielen Menschenrechtsorganisationen kritisiert, dass die Demokratie in Russland zurückgefahren wird. Können Sie dort entsprechende Signale erkennen?

    Segbers: Ich denke, dass es vor allen Dingen im Bereich der Medienlandschaft in der Tat Entwicklungen gibt, die unerfreulich sind, und dass wir zum Teil in den 90er Jahren eine Breite und Lebhaftigkeit des Mediensektors hatten, die wir heute nicht mehr haben, in Sonderheit in den elektronischen Medien, vor allen Dingen beim Fernsehen, zum Teil auch in der regionalen Presse. Das wird zum Teil von jüngeren informationshungrigen Menschen kompensiert durch Internetnutzung, aber insgesamt sehe ich eher eine Tendenz, die insofern nicht erfreulich ist.

    Müller: Warum macht Putin das?

    Segbers: Ich denke, dass er oder die Präsidialadministration im Augenblick verschiedene Sorgen haben, die wir in dieser Form oder ich jedenfalls in dieser Form nicht teile. Man sieht sich zum Teil dort eingekreist - ich sage noch mal: in dieser Form teile ich das nicht - durch westliche Strategien, die erst die eine oder andere politische Veränderung in Georgien herbeigeführt haben, dann in der Ukraine, dann in Kirgistan. Manche in Moskau fürchten, dass im Zusammenhang mit den anstehenden Präsidentschaftswahlen im Jahre 2008 auch Russland ein Ziel der Aufmerksamkeit westlicher Stiftungen ist. Und ein Teil der Restriktionen, der politischen, wie wir sie in den letzten Monaten beobachten, ist eine Reaktion auf diese antizipierte, angebliche westliche Bedrohung. Aber wie gesagt, ich halte das für deutlich übertrieben.

    Müller: Der Politikwissenschaftler Klaus Segbers war das. Vielen Dank nach Berlin.