Archiv

Politologe Faas zur CDU
Laschet "in günstiger Position" für den Parteivorsitz

Weil Annegret Kramp-Karrenbauers Umfragewerte "desaströs" gewesen seien, sei es schwer vorstellbar gewesen, dass die CDU mit ihr in den nächsten Wahlkampf ziehe, sagte der Politologe Thorsten Faas im Dlf. Die Wahl ihres Nachfolgers sei eine richtungsweisende Entscheidung.

Thorsten Faas im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
10.02.2019, Berlin: Orangene Flaggen mit der Aufschrift "CDU" wehen vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der Parteizentrale der CDU.
Die Frage nach dem Parteivorsitz in der CDU ist völlig offen, so der Politologe Thorsten Faas - aber aus seiner Sicht habe der Ministerpräsident von NRW derzeit besonders gute Karten. Im Bild: das Konrad-Adenauer-Haus, die CDU-Parteizentrale in Berlin (picture-alliance / dpa / Gregor Fischer)
Die CDU ist auf der Suche nach einem neuen Parteichef, einem Kanzlerkandidaten, vielleicht auch nach einer Chefin und Kandidatin. Wer welchen Posten bekleiden wird, ist derzeit vollkommen offen. Es ist aber auch noch unklar, wie die Partei das Auswahlverfahren gestalten wird. Darüber gibt der Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas Auskunft - er ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt "Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland" an der Freien Universität Berlin.
Tobias Armbrüster: Herr Faas, wenn wir zurückblicken auf die letzten 24 Stunden in der CDU, wie groß sind die Erschütterungen in der Partei?
Thorsten Faas: Es ist vor allem der Zeitpunkt gewesen, der jetzt doch sehr überraschend gekommen ist. Dass es um Annegret Kramp-Karrenbauer in der Union, aber auch in ihrem Ansehen in der Bevölkerung nicht wirklich gut stand, das hat sich ja schon lange abgezeichnet. Während die Kanzlerin weiterhin sehr, sehr hohe Beliebtheitswerte hatte, waren ihre, man muss eigentlich sagen, desaströs. Die Zustimmung lag unter 20 Prozent in der Bevölkerung. Insofern war es eigentlich schwer vorstellbar, dass man mit ihr als Kandidatin in den nächsten Wahlkampf ziehen würde.
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kram-Karrenbauer bei einer Pressekonferenz in Berlin nach den Europawahlen 2019
CDU: Im Richtungsstreit und ohne Chefin
Dem Eklat in Thüringen folgt der Rückzug von CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Doch der Skandal um die Thüringer Ministerpräsidentenwahl legt nur offen, dass die Partei keine klare Haltung zur AfD findet. Erneut richten sich viele Augen auf Friedrich Merz.
Trotzdem: Der jetzige Zeitpunkt kam überraschend. Eigentlich hatte man ja das Gefühl, dass die Wogen in Thüringen doch ein Stückchen geglättet waren, aber es kam gestern ganz anders.
Partei scheint "willens, die Nachfolge in Ruhe anzugehen"
Interessant ist, dass die Union offenkundig in der Präsidiumssitzung, aber doch jetzt auch in den Stunden danach vergleichsweise ruhig bleibt und man daraus schon schließen kann, dass allen klar ist, jetzt geht es eigentlich darum, sich aufzustellen für die nächsten Monate, und es ist wirklich eine richtungsweisende Entscheidung, wo anders als damals, als Angela Merkel ihren Rückzug verkündet hat, niemand jetzt vorprescht, sondern man wirklich darauf vorbereitet zu sein scheint und auch willens zu sein scheint, das in Ruhe gemeinsam anzugehen. Aber ob das klappen wird, das bleibt tatsächlich eine spannende Frage.
Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin
"Es gibt starke Kräfte in der Union, die sich eine Öffnung gegenüber der AfD vorstellen können": Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der FU Berlin (picture alliance / dpa / privat / Thorsten Faas)
Armbrüster: Sie haben gesagt, eine richtungsweisende Entscheidung. Welche unterschiedlichen Richtungen konkurrieren denn in der CDU?
Faas: Wir erleben ja gerade, dass innerparteiliche Beteiligungsprozesse in Frage gestellt werden. Das ist ein wenig die Rückkehr des Hinterzimmers, was sich jetzt da anbahnt. Und ich glaube, das ist eine Reaktion darauf, dass sowohl bei der CDU als auch bei der SPD diese doch breit angelegten Beteiligungsprozesse sehr deutlich gezeigt haben, dass beide Parteien letztlich gespalten waren. Wenn wir an die Stichwahl damals denken zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz auf dem Parteitag, dann hatten beide letztlich 50 Prozent, und insofern merkt man schon, das ist eigentlich die Richtungsentscheidung.
Wofür stand damals Annegret Kramp-Karrenbauer? – Letztlich doch bei anderen Nuancierungen vielleicht aber doch für ein Fortführen der Politik Angela Merkels, eher eine Orientierung hin zur Mitte. Und Friedrich Merz, der gilt ja ein wenig als die Ikone der Konservativen, die wieder stärker das konservative Profil der Union betonen würden, und das scheint mir bis heute die Richtungsfrage zu sein. Die hat sich jetzt am Beispiel oder an der konkreten Frage, wie hält man es potenziell mit der AfD, noch mal zugespitzt.
Aber will man eigentlich weiter in der Mitte die Partei der Mitte sein, oder das konservative Profil stärken? Die Frage ist eigentlich mit dem Rückzug Annegret Kramp-Karrenbauers jetzt wieder virulent, aber auch ungeklärt.
"Verschiebung der Konfliktachsen in der deutschen Politik"
Armbrüster: Wenn wir uns diese beiden Lager noch einmal vor Augen halten, einmal die eher liberale CDU, verkörpert von Angela Merkel und AKK, auf der anderen Seite das eher konservative Lager, vielleicht am besten verkörpert durch Friedrich Merz, wer, würden Sie sagen, welche von den beiden Seiten hat jetzt in diesen Tagen das größere Gewicht?
Faas: Das ist tatsächlich kaum zu beantworten, denn man könnte noch mal unter Rückgriff auf die damalige Stichwahl sagen, das ist wirklich ein Riss, der durch die Partei geht, der auch was damit zu tun hat, dass wir insgesamt natürlich eine gewisse Verschiebung der Konfliktachsen in der deutschen Politik erleben. SPD und Union sind eigentlich Parteien, die eher über, man könnte sagen, sozio-ökonomische Fragen, ein klassisches Links/Rechts, Markt versus Staat definiert sind.
Aber wir diskutieren in den vergangenen zwei, drei, vier Jahren doch verstärkt Fragen von Identität, auch Fragen von Werten, wer gehört eigentlich zu Deutschland, wie halten wir es mit Immigration und Zuwanderung. Da ist die Union wie auch die SPD, da sind sie eher gespalten, da sind sie zerrissen, da haben sie diese liberalen Kräfte, gerade auch eher in urbanen Milieus, aber sie haben auch die doch stark konservativ-klassisch-traditionell ausgerichteten Wählerinnen und Wähler, aber auch Mitglieder, und man kann wirklich – wir haben ja auch keine Umfragen zu diesem Thema – kaum sagen, wer da gerade in der Partei die Oberhand hat.
Armbrüster: Jetzt haben wir allerdings schon einige Namen gehört, die durchaus als ernst zu nehmende Kandidaten für die AKK-Nachfolge gehandelt werden – auch Namen, die wahrscheinlich durchaus taugen als mögliche Kanzlerkandidaten der Union. Wem würden Sie denn bescheinigen, dass er oder sie diesen Graben in der CDU überbrücken kann?
Faas: Wir haben natürlich jetzt die offene Frage, wer die Position von AKK, die sie damals in diesem innerparteilichen Konflikt hatte, wer ihre Nachfolge in dieser Position antritt, und da ist doch relativ klar, dass das auf Armin Laschet hinauslaufen würde, so dass wir insgesamt eine Situation haben, dass wir mit Armin Laschet, Friedrich Merz und natürlich auch Jens Spahn drei prominente Vertreter, die aber allesamt aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen kommen, dass wir drei Vertreter haben.
Laschet mit "stärkster exekutiver Erfahrung"
Da ist sicherlich Armin Laschet, auch weil er natürlich als Ministerpräsident die stärkste exekutive Erfahrung sicherlich hat, durchaus jemand, der qua Amt, wenn man so will, Brücken bauen kann, der auch natürlich in seinem Amt als Ministerpräsident in einem ja nicht traditionell christdemokratischen Land wie Nordrhein-Westfalen durchaus verschiedene Facetten bedienen kann. Man könnte sich sicher vorstellen, dass er gerade in einer sehr günstigen Position ist.
Aber das Momentum durch den Rückzug von AKK scheint natürlich eher auf der anderen Seite bei den konservativen Kräften zu liegen, aber es wäre nicht seriös, an der Stelle jetzt zu sagen, es ist völlig klar, es wird auf Person X hinauslaufen, denn auch die Ereignisse, die auslösenden Ereignisse, wenn man so will, aus Thüringen, die kann man ja einerseits so lesen, dass es starke Kräfte in der Union gibt, die doch sich eine Öffnung gegenüber der AfD vorstellen können. So ist es ja letztlich dort zur Wahl von Thomas Kemmerich, dem FDP-Kandidaten, aber gestützt von CDU und AfD, gekommen.
Aber der Aufschrei, wenn Sie so wollen, danach – na ja, der war genau die Gegenreaktion dagegen, dass man sagt, das dürfen wir nicht zulassen, wir müssen ihn zum Rückzug zwingen. Das hat ja auch AKK vor Ort wirklich intensiv versucht, aber es ist ihr nicht gelungen. Gerade und deswegen auch interessant, dass man sich jetzt doch wieder in die Hinterzimmer eher zurückzieht. Da will und muss man sich jetzt auch zusammenraufen. Aber am Ende kann natürlich trotzdem nur einer den Top Spot, die Kanzlerkandidatur und damit auch den Parteivorsitz haben.
Es sind wirklich spannende Tage in der Union und unabhängig davon, wer es am Ende sein wird, ob die Partei dadurch wirklich erfolgreich zusammengeführt werden kann, das ist ja noch mal eine ganz andere Frage, und da machen die letzten Tage doch eigentlich auch ein dickes Fragezeichen dahinter.
Regierungswechsel derzeit "nicht absehbar"
Armbrüster: Herr Faas, dann müssen wir noch über das weitere Vorgehen sprechen. Kann das funktionieren, dass sich die CDU mit dieser Personalsuche jetzt Monate Zeit lässt, vielleicht sogar bis zum nächsten regulären Bundesparteitag im Dezember?
Faas: Erst mal muss man ja konstatieren, dass wir hier schon eine kleine Akzentverschiebung haben. Die Formulierung im Moment ist ja immer, Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur müssen in einer Hand liegen. Das klassische Diktum war ja immer, Parteivorsitz und Kanzlerschaft müssen in einer Hand liegen. Das heißt, diese Urfrage, die ist eigentlich gerade entweder geklärt, Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Dann haben wir aber auch hier eine Fortsetzung des Dualismus, wenn man so will, zwischen Partei- und Regierungsamt.
Oder wir reden auch darüber, dass es dann doch vorgezogene Neuwahlen gibt, weil wir in Thüringen auch gerade lernen, wie schwierig das ist, und auch auf Bundesebene wäre das alles andere als ein Selbstläufer. Da gibt es schon immer noch sehr massiv offene und ungeklärte Fragen. Mir scheint aber auch die Lehre aus den vergangenen Wochen und Monaten zu sein, dass eine Gleichzeitigkeit von Angela Merkel im Kanzleramt und eine andere Person, die sich als ihre Nachfolgerin, ihr Nachfolger profilieren soll, dass man daraus wirklich jetzt schlechte Konsequenzen oder Nachteile gezogen hat und dass, wer auch immer diese Nachfolge antreten will, dass der oder die Person wirklich kein Interesse hat, da irgendwie unter oder neben Angela Merkel zu agieren.
Wir reden wirklich nicht nur darum, wer folgt jetzt AKK in dieser Position, sondern die Frage ist schon auch, kann das eigentlich funktionieren, Merkel im Kanzleramt, jemand anderes im Konrad-Adenauer-Haus. Da geht es schon ums Ganze. Beruhigend für Angela Merkel ist, dass Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr übernimmt und man sich eigentlich wirklich kaum vorstellen kann, dass jetzt, mitten in dieser Phase, die für Deutschland und die EU wirklich eine wichtige ist, dass sich da plötzlich ein Regierungswechsel vollzieht. Aber das zeigt alles nur, es ist wirklich eine außergewöhnliche Situation, wo es eine einfache Lösung wirklich gerade nicht gibt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.