Dirk Müller: Staaten, die sich dazu berufen fühlen, Atomwaffen zu besitzen, sind ein Risiko für die internationale Gemeinschaft – oder auch nicht. Viele Nuklearstaaten argumentieren genau umgekehrt. Eben weil wir Atomwaffen einsetzen können, so heißt es, können wir Sicherheit garantieren, eben nach dem Prinzip der Abschreckung. So begründen auch Indien und Pakistan ihr nukleares Potenzial, auch Israel, demnächst vielleicht auch der Iran, vielleicht auch Nordkorea. Auf wen das auch immer mit welcher Argumentation und Motivation zutrifft – seit gestern beraten mehr als 50 Länder in Südkorea über die Gefahren einer nuklearen Welt. Barack Obama ist auch dabei, ebenfalls Dmitri Medwedew. Neben möglichen Abrüstungsinitiativen geht es auf der Konferenz auch darum zu verhindern, dass Terroristen in den Besitz von Nuklearmaterial gelangen, und darum, dass es trotz allem immer mehr Atomwaffen gibt.
Bei uns am Telefon ist nun der Sicherheitsexperte und Publizist Walther Stützle, früher Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Guten Morgen!
Walther Stützle: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Stützle, machen Atomwaffen die Welt sicherer?
Stützle: Nein, das machen sie nicht, und Präsident Obama hat es ja zum politischen Programm erhoben, Sicherheitsbedingungen zu schaffen, in denen die Staaten begründet eine Politik entwickeln, in der sie ohne Atomwaffen auskommen.
Müller: Aber wir haben doch jahrzehntelang mit der Doktrin der Abschreckung zum Beispiel gelebt und haben gesagt, wenn keine konventionellen Kriege mehr führbar sind, weil die Großmächte beispielsweise, die Supermächte über Atomwaffen verfügen, dann ist das eine gute Konstellation.
Stützle: Ja, es galt jahrzehntelang in der Ost-West-Konfrontation der Grundsatz, wer als Erster schießt, stirbt als zweiter, und das Ganze war nuklear unterfüttert. Inzwischen ist die Welt ein bisschen klüger geworden, die Konfrontation zwischen Ost und West ist aufgegeben und die damalige Sowjetunion, das heutige Russland, und die Vereinigten Staaten haben sich auf den Weg der drastischen Verminderung von Kernwaffen gemacht. Im letzten Jahr ist ein neues Abkommen in Kraft getreten zur weiteren Verringerung, und wenn ich die Zahlen miteinander vergleiche, ohne Sie mit Einzelheiten langweilen zu wollen, dann kann man sagen, wenn das neue Abkommen eingelöst wird, dann werden es rund 80 Prozent weniger Atomwaffen sein in den Händen der beiden Nukleargroßmächte, als sie 1990 noch hatten. Immer noch zu viel, aber der richtige Weg.
Müller: Aber Sie würden schon sagen, Herr Stützle – Sie haben das jetzt nicht angedeutet, aber ich tue mal so, als hätte ich Sie so verstanden -, dass es nach wie vor sinnvoll ist, dass beide Großmächte weiterhin über Atomwaffen verfügen?
Stützle: Es ist sinnvoll, dass beide Mächte sich darauf verständigen, respektive ihre Zusage einhalten, die sie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegeben haben, Bedingungen zu schaffen, in denen sie auf Atomwaffen generell verzichten können. Das setzt aber voraus, dass alle Staaten dazu bereit sind, und das wiederum setzt voraus, dass alle Staaten auch dazu bereit sind, sich einem Kontrollregime zu unterwerfen, das Missbrauch ausschließt, und wie schwer das ist, sehen wir ja jetzt in den Fällen Iran und Korea, die ja schon im Programm angesprochen worden sind.
Müller: Reden wir, Herr Stützle, über die etablierten Atommächte, beispielsweise über China. Dort werden immer mehr Waffen gebaut und angehäuft. Wie ist dort die Entwicklung?
Stützle: Die Chinesen haben sich ein großes Arsenal von Atomwaffen zugelegt und beteiligen sich bisher nicht an Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungsverhandlungen. Sie haben sich aber im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darauf eingelassen, an der Schaffung von Bedingungen, politischen Bedingungen mitzuwirken, in denen der Verzicht auf Atomwaffen möglich wird. Also es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, aber es ist noch ein sehr, sehr weiter Weg.
Müller: Und Sie gehen davon aus, dass das ernst gemeint ist?
Stützle: Wenn ich nicht davon ausginge, dass es ernst gemeint wird, dann müsste ich ja annehmen, dass die Weltpolitik nur noch eine nicht ernste Veranstaltung ist. Das möchte ich eigentlich nicht, denn das wäre ja sozusagen das Eintrittstor zur Verzweiflung.
Müller: Herr Stützle, wenn wir versuchen, in die chinesische Motivation einmal, in die chinesische Gedankenwelt einmal hineinzuschlüpfen – warum brauchen die Chinesen eben 5000 Atomwaffen, warum reichen nicht 3000?
Stützle: Aus den gleichen Gründen, aus denen sich die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, das heutige Russland, Frankreich, England, leider auch Pakistan, Indien und Israel Atomwaffen zugelegt haben, nämlich aus der Einschätzung heraus, dass ihnen Atomwaffen zu dem Zeitpunkt, da sie es gemacht haben, ein höheres Maß an Sicherheit geben würden als ohne Atomwaffen, und es wird ihnen – so war die politische Annahme – einen größeren politischen Status geben als den, den sie haben, wenn sie keine Atomwaffen besitzen. Dies ist, glaube ich, unter den heutigen Bedingungen eine irrige Annahme. Dieses Urteil wird weder in Israel noch in Pakistan noch in Indien geteilt und auch nicht in China.
Müller: Reden wir noch mal über Indien und Pakistan. Viele sagen ja, weil beide inzwischen über Atomwaffen verfügen, gibt es keinen Krieg zwischen diesen beiden Staaten. Könnte das sein?
Stützle: Das kann man argumentieren, das ist die alte Abschreckungslogik, der muss man sich aber nicht anschließen, zumal wenn man bedenkt, welche Gefahren mit dem Besitz von Atomwaffen verbunden sind, und wenn man bedenkt, welche Proliferationsgefahren davon ausgehen, und warum die indische und pakistanische Politik es nicht bewerkstelligen sollte, auch ohne Atomwaffen Frieden miteinander zu halten, ist ja nicht ganz einsichtig, aber offenbar bedarf ja der Mensch immer eines langen Irrtumsweges, um schließlich zur Einsicht zu kommen, dass es auch mit vernünftigen Lösungen sich leben lässt.
Müller: Proliferation, haben Sie gesagt. Also da geht es um Weiterverbreitung von nuklearem Material. Wie gefährlich ist diese Situation im Moment?
Stützle: Diese Situation ist hochgefährlich – nicht zuletzt deshalb, weil wir es ja auch mit einer zunehmenden Zahl von Kernreaktoren, also der friedlichen Nutzung von Kernenergie zu tun haben, und um solche Reaktoren zu betreiben und um Strom aus Kernreaktoren zu gewinnen, braucht man im Prinzip die gleichen Techniken, die man auch dann missbrauchen kann, um Kernwaffen herzustellen. Die Internationale Atomenergiebehörde schätzt, dass bis zum Jahr 2050 weitere 1500 Kernkraftwerke gebaut werden. Soll verhindert werden, dass dies eine Tür zum militärischen Missbrauch öffnet, dann bedarf es sehr, sehr strenger Kontrollregime, und auch darum geht es im Moment bei der großen Konferenz in Seoul, und es ist ein Anliegen von Präsident Obama, dem sich mittlerweile viele, viele Staaten, insbesondere auch Deutschland angeschlossen haben, dass die Existenz von spaltbarem Material so sauber registriert wird, dass man überhaupt erst mal weiß, wo befindet sich etwas, um eine Grundlage zu haben für Kontrolle und eine Grundlage zu haben für Sicherung gegen Missbrauch, also Diebstahl und terroristischer Missbrauch.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Sicherheitsexperte und Publizist Walther Stützle. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.
Stützle: Danke Ihnen, Herr Müller!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Bei uns am Telefon ist nun der Sicherheitsexperte und Publizist Walther Stützle, früher Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Guten Morgen!
Walther Stützle: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Stützle, machen Atomwaffen die Welt sicherer?
Stützle: Nein, das machen sie nicht, und Präsident Obama hat es ja zum politischen Programm erhoben, Sicherheitsbedingungen zu schaffen, in denen die Staaten begründet eine Politik entwickeln, in der sie ohne Atomwaffen auskommen.
Müller: Aber wir haben doch jahrzehntelang mit der Doktrin der Abschreckung zum Beispiel gelebt und haben gesagt, wenn keine konventionellen Kriege mehr führbar sind, weil die Großmächte beispielsweise, die Supermächte über Atomwaffen verfügen, dann ist das eine gute Konstellation.
Stützle: Ja, es galt jahrzehntelang in der Ost-West-Konfrontation der Grundsatz, wer als Erster schießt, stirbt als zweiter, und das Ganze war nuklear unterfüttert. Inzwischen ist die Welt ein bisschen klüger geworden, die Konfrontation zwischen Ost und West ist aufgegeben und die damalige Sowjetunion, das heutige Russland, und die Vereinigten Staaten haben sich auf den Weg der drastischen Verminderung von Kernwaffen gemacht. Im letzten Jahr ist ein neues Abkommen in Kraft getreten zur weiteren Verringerung, und wenn ich die Zahlen miteinander vergleiche, ohne Sie mit Einzelheiten langweilen zu wollen, dann kann man sagen, wenn das neue Abkommen eingelöst wird, dann werden es rund 80 Prozent weniger Atomwaffen sein in den Händen der beiden Nukleargroßmächte, als sie 1990 noch hatten. Immer noch zu viel, aber der richtige Weg.
Müller: Aber Sie würden schon sagen, Herr Stützle – Sie haben das jetzt nicht angedeutet, aber ich tue mal so, als hätte ich Sie so verstanden -, dass es nach wie vor sinnvoll ist, dass beide Großmächte weiterhin über Atomwaffen verfügen?
Stützle: Es ist sinnvoll, dass beide Mächte sich darauf verständigen, respektive ihre Zusage einhalten, die sie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegeben haben, Bedingungen zu schaffen, in denen sie auf Atomwaffen generell verzichten können. Das setzt aber voraus, dass alle Staaten dazu bereit sind, und das wiederum setzt voraus, dass alle Staaten auch dazu bereit sind, sich einem Kontrollregime zu unterwerfen, das Missbrauch ausschließt, und wie schwer das ist, sehen wir ja jetzt in den Fällen Iran und Korea, die ja schon im Programm angesprochen worden sind.
Müller: Reden wir, Herr Stützle, über die etablierten Atommächte, beispielsweise über China. Dort werden immer mehr Waffen gebaut und angehäuft. Wie ist dort die Entwicklung?
Stützle: Die Chinesen haben sich ein großes Arsenal von Atomwaffen zugelegt und beteiligen sich bisher nicht an Abrüstungs- und Rüstungsbegrenzungsverhandlungen. Sie haben sich aber im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen darauf eingelassen, an der Schaffung von Bedingungen, politischen Bedingungen mitzuwirken, in denen der Verzicht auf Atomwaffen möglich wird. Also es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, aber es ist noch ein sehr, sehr weiter Weg.
Müller: Und Sie gehen davon aus, dass das ernst gemeint ist?
Stützle: Wenn ich nicht davon ausginge, dass es ernst gemeint wird, dann müsste ich ja annehmen, dass die Weltpolitik nur noch eine nicht ernste Veranstaltung ist. Das möchte ich eigentlich nicht, denn das wäre ja sozusagen das Eintrittstor zur Verzweiflung.
Müller: Herr Stützle, wenn wir versuchen, in die chinesische Motivation einmal, in die chinesische Gedankenwelt einmal hineinzuschlüpfen – warum brauchen die Chinesen eben 5000 Atomwaffen, warum reichen nicht 3000?
Stützle: Aus den gleichen Gründen, aus denen sich die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion, das heutige Russland, Frankreich, England, leider auch Pakistan, Indien und Israel Atomwaffen zugelegt haben, nämlich aus der Einschätzung heraus, dass ihnen Atomwaffen zu dem Zeitpunkt, da sie es gemacht haben, ein höheres Maß an Sicherheit geben würden als ohne Atomwaffen, und es wird ihnen – so war die politische Annahme – einen größeren politischen Status geben als den, den sie haben, wenn sie keine Atomwaffen besitzen. Dies ist, glaube ich, unter den heutigen Bedingungen eine irrige Annahme. Dieses Urteil wird weder in Israel noch in Pakistan noch in Indien geteilt und auch nicht in China.
Müller: Reden wir noch mal über Indien und Pakistan. Viele sagen ja, weil beide inzwischen über Atomwaffen verfügen, gibt es keinen Krieg zwischen diesen beiden Staaten. Könnte das sein?
Stützle: Das kann man argumentieren, das ist die alte Abschreckungslogik, der muss man sich aber nicht anschließen, zumal wenn man bedenkt, welche Gefahren mit dem Besitz von Atomwaffen verbunden sind, und wenn man bedenkt, welche Proliferationsgefahren davon ausgehen, und warum die indische und pakistanische Politik es nicht bewerkstelligen sollte, auch ohne Atomwaffen Frieden miteinander zu halten, ist ja nicht ganz einsichtig, aber offenbar bedarf ja der Mensch immer eines langen Irrtumsweges, um schließlich zur Einsicht zu kommen, dass es auch mit vernünftigen Lösungen sich leben lässt.
Müller: Proliferation, haben Sie gesagt. Also da geht es um Weiterverbreitung von nuklearem Material. Wie gefährlich ist diese Situation im Moment?
Stützle: Diese Situation ist hochgefährlich – nicht zuletzt deshalb, weil wir es ja auch mit einer zunehmenden Zahl von Kernreaktoren, also der friedlichen Nutzung von Kernenergie zu tun haben, und um solche Reaktoren zu betreiben und um Strom aus Kernreaktoren zu gewinnen, braucht man im Prinzip die gleichen Techniken, die man auch dann missbrauchen kann, um Kernwaffen herzustellen. Die Internationale Atomenergiebehörde schätzt, dass bis zum Jahr 2050 weitere 1500 Kernkraftwerke gebaut werden. Soll verhindert werden, dass dies eine Tür zum militärischen Missbrauch öffnet, dann bedarf es sehr, sehr strenger Kontrollregime, und auch darum geht es im Moment bei der großen Konferenz in Seoul, und es ist ein Anliegen von Präsident Obama, dem sich mittlerweile viele, viele Staaten, insbesondere auch Deutschland angeschlossen haben, dass die Existenz von spaltbarem Material so sauber registriert wird, dass man überhaupt erst mal weiß, wo befindet sich etwas, um eine Grundlage zu haben für Kontrolle und eine Grundlage zu haben für Sicherung gegen Missbrauch, also Diebstahl und terroristischer Missbrauch.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Sicherheitsexperte und Publizist Walther Stützle. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.
Stützle: Danke Ihnen, Herr Müller!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.