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Politologe: NATO darf in Afghanistan keinen Krieg führen

Der Politologe Michael Staack rät der NATO dringend zu einem Strategiewechsel in Afghanistan. Auch im Süden des Landes müssten klare Prioritäten für den Wiederaufbau gesetzt werden, sagte der Professor an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Die Militärs müssten deutlich machen, dass sie Schutzmacht und nicht Besatzer seien.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Wir bleiben beim Thema: bei den Beschlüssen und Diskussionen beim NATO-Gipfel in Riga. Am Telefon ist jetzt Professor Michael Staack von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Guten Tag, Herr Staack!

    Michael Staack: Guten Tag!

    Klein: Halten Sie das Thema "wer unterstützt die Truppen in Süd-Afghanistan?" jetzt für erledigt, oder ist das für Sie ein wenig haltbarer Kompromiss?

    Staack: Ich halte das Thema für nicht erledigt, weil die Situation im Süden und im Osten Afghanistans gegenwärtig völlig perspektivlos ist und auch die NATO auf diesem Gipfel kein vernünftiges Konzept vorgelegt hat, um diese Situation zu ändern. Das heißt, die grundsätzliche Diskussion, kann man die Verhältnisse dort ändern mit mehr Soldaten, oder muss man nicht vielmehr noch eine große Anstrengung machen für zivile Hilfe, um tatsächlich dort andere Verhältnisse durchzusetzen, die ist nur vertagt worden. Und deshalb ist der Kompromiss, der jetzt gefunden worden ist, ein reiner Formelkompromiss.

    Klein: Was wäre für Sie ein wünschenswertes Konzept gewesen?

    Staack: Wünschenswert wäre, dass die NATO ihre bisherige Strategie, im Grunde im Süden einen Krieg zu führen oder einen Krieg zu übernehmen, den die Amerikaner dort in den letzten Jahren begonnen haben, aufgibt und klare Prioritäten setzt für den Wiederaufbau auch dieser Region. Die NATO-Streitkräfte haben im Süden in den letzten Monaten 4000 Luftangriffe geflogen, und allein aus dieser Zahl ergibt sich, dass dort völlig andere Verhältnisse herrschen als im Rest des Landes. Und die Situation, wie sie sich dort darstellt, ist zum Teil eben einfach auch selbst verschuldet. Das heißt also, nur mit einem Strategiewechsel ist das Scheitern noch zu verhindern.

    Klein: Aber wenn man die Signale der NATO aus Riga richtig deutet, dann scheint es ja schon einen gewissen Zuspruch zur deutschen Position zu geben. Das heißt, man muss mehr tun für den Wiederaufbau Afghanistans, für die Ausbildung der Polizei, für das Justizwesen. Ist dennoch das Verhältnis zwischen zivilem Wiederaufbau und militärischer Unterstützung im Süden nicht richtig gewährleistet?

    Staack: Das ist ganz klar der Fall. Die Lippenbekenntnisse dazu, den Wiederaufbau zu stärken, zu beschleunigen und so weiter, die gibt es schon seit einiger Zeit. Das Ernüchternde ist allerdings, dass fünf Jahre nach dem Fall des Taliban-Regimes sich die Situation eben drastisch wieder verschlechtert hat, weil die Hilfe tatsächlich nicht bei den Menschen ankommt und weil viele Zusagen einfach auch nicht eingehalten werden. Der Zeitdruck ist mittlerweile so enorm, dass, so denke ich, in den nächsten ein, zwei Jahren dort Entscheidendes geschehen muss. Ansonsten wird der Afghanistan-Einsatz den Weg des Irak gehen.

    Klein: Beschlossen hat man nun zumindest eine Afghanistan-Kontaktgruppe, die eingesetzt werden soll. Was kann, was müsste die leisten?

    Staack: Die müsste dafür sorgen, dass die internationale Hilfe besser koordiniert wird, schneller abgerufen werden kann, dass die zahlreichen Geldgeber sich auf Projekte sehr viel stärker verständigen als bisher, dass Reibungsverluste vermieden werden und dass man sich eben auf Schwerpunkte einigt. Die beiden Schwerpunkte: Das ist auf der einen Seite ganz klar der beschleunigte Aufbau von Sicherheitskräften und auf der anderen Seite Hilfe für die Bevölkerung für den Aufbau der Infrastruktur, der eben sichtbar macht, dass die NATO in Afghanistan nicht als Besatzer da ist, sondern als Schutzmacht für eine bessere Zukunft.

    Klein: Herr Staack, der Streit darüber, wie viel zivile und politische Unterstützung die NATO leisten soll, wie viel militärische auf der anderen, ist das nicht ein Kernkonflikt für das Bündnis?

    Staack: Natürlich ist das ein Kernkonflikt. Der Konflikt, der dahinter steht, ist im Grunde der zwischen der gescheiterten Politik der Bush-Administration, die Welt mehr oder weniger militärisch neu ordnen zu wollen an verschiedenen Plätzen wie in Afghanistan und Irak, und dem Ansatz des alten Europa. Denn es ist natürlich nicht nur Deutschland, die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus und mit scheiternden Staaten eben durch eine vernünftige Kombination von militärischem Eingreifen und zivilem Wiederaufbau und letztlich auch einer politischen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus gewinnen zu können. Diese Auseinandersetzung ist auch nach den amerikanischen Kongresswahlen noch nicht sehr weit vorangekommen. Die Selbstkritik innerhalb der amerikanischen Administration ist relativ gering. Und wir werden sehen, ob tatsächlich es zu einer Verständigung auf eine neue Strategie kommt. Ich befürchte, dass die Konzepte weiterhin auseinander gehen werden und dass möglicherweise deshalb entscheidende Auseinandersetzungen für die Sicherheit der Welt und der Zukunft des Westens wie in Afghanistan verloren gehen könnten.

    Klein: Was folgt aus diesen widersprüchlichen oder gegensätzlichen Ansätzen für die Debatte darüber, wie die Zukunft der NATO aussehen soll?

    Staack: Es geht im Kern darum, ob die NATO ein nordatlantisches Verteidigungsbündnis sein soll, das die Sicherheit seiner Mitglieder gewährleistet, aber auch für Aufgaben der Weltordnungspolitik im Auftrag der Vereinten Nationen zur Verfügung steht, oder aber ob die NATO ein Bündnis sein soll, das die USA anführen weltweit im Kampf mit möglichen Konkurrenten. Das würde eben bedeuten, dass man eben Japan, Israel, Australien, alle möglichen anderen Staaten dazu nimmt. Ich denke, dass die Bereitschaft in Europa zu einer solchen Globalisierung der NATO und letztlich zu einer Rückentwicklung der NATO zu einem reinen Instrument US-amerikanischer Machtpolitik in der Welt eine Entwicklung ist, die in Europa relativ wenig Resonanz findet quer durch die politischen Lager.

    Klein: Professor Michael Staack war das von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg. Danke Ihnen für das Gespräch.

    Staack: Gerne, auf Wiederhören.

    Klein: Wiederhören.