Donnerstag, 28. März 2024

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Politologe: Nordkorea ist "ein Zombie-Staat"

Die Herrschaftsordnung Nordkoreas nach dem Tod Kim Jong Ils sei nicht gefährdet, sagt der Ostasienforscher Hanns Maull. Doch der Staat an sich funktioniere nur noch, weil China seine schützende Hand über das Land halte - er erwartet in absehbarer Zeit den Zusammenbruch.

Das Gespräch führte Martin Zagatta | 19.12.2011
    Martin Zagatta: Er ließ sein Volk hungern und hat das abgeriegelte kommunistische Land mit Härte regiert. Jetzt, wo Nordkoreas Diktator Kim Jong Il gestorben ist, fragt man sich natürlich, wie es weitergeht, ob sich das Land zumindest etwas öffnen wird, oder in seiner Isolierung verharrt. Und: Gewinnt China jetzt noch mehr an Einfluss in Nordkorea und in der Region?
    Verbunden sind wir jetzt mit Professor Hanns Maull, Politikwissenschaftler und Ostasien-Experte an der Universität in Trier. Guten Tag, Herr Maull!

    Hanns Maull: Guten Tag, Herr Zagatta.

    Zagatta: Herr Professor Maull, bevor wir jetzt gleich darüber sprechen, wie es nun weitergeht oder weitergehen kann in Nordkorea und der Region, lassen Sie uns doch kurz über den verstorbenen Kim Jong Il reden. Was weiß man überhaupt über ihn? War er der rücksichtlose Diktator, der sein Volk hungern ließ, der Verrückte mit der Bombe, wie er im Westen genannt wurde, also war er ein übler Despot, oder tut man ihm damit sogar vielleicht etwas Unrecht?

    Maull: Er war jedenfalls der wichtigste Repräsentant und stand an der Spitze eines politischen Systems, das wirklich zu den unerfreulichsten gehört, das wir in der Welt haben – ein Überbleibsel aus der Zeit des Totalitarismus, das wirklich Menschenrechte systematisch mit Füßen tritt -, und er war der Repräsentant und der oberste Entscheidungsträger in diesem System. Aber er war natürlich vor allem auch der Sohn seines Vaters.

    Zagatta: Was verändert jetzt sein Tod? Sie sagen, er war der Sohn seines Vaters, und als Nachfolger ist ja jetzt sein Sohn schon quasi ernannt worden, sein Sohn Kim Jong Un. Was verändert da jetzt dieser Tod und dieser Wechsel?

    Maull: Ich würde sagen, zunächst einmal und kurzfristig wahrscheinlich gar nichts. Ich würde hier allerdings unterscheiden zwischen dem Herrschaftssystem. Der Tod des wichtigsten Mannes, des Sohnes des Gründers von Nordkorea, Kim Il Sung, ist natürlich ein einschneidendes Ereignis, aber er verändert das Herrschaftssystem, die Herrschaftsordnung per se nicht, denn es sind Vorkehrungen getroffen worden. Es geht jetzt nicht nur darum, dass der Enkel des Gründers Kim Il Sung die Macht übernimmt, sondern dass weitere Familienmitglieder mit Erfahrung bereits in Positionen, Schlüsselpositionen eingerückt sind. Also das Herrschaftssystem als solches wird sich dadurch nicht wesentlich ändern und ich würde sogar sagen, die Meldung, die vorhin gerade in Ihren Nachrichten kam, dass Nordkorea eine Kurzstreckenrakete getestet hat, das ist sozusagen Teil des Übergangszeremoniells. Das soll sicherlich einfach auch demonstrieren, dass die Herrschaftsordnung per se nicht gefährdet ist. Auf der anderen Seite steckt Nordkorea als System und als Staat in einer tiefen Krise.

    Zagatta: Auf der anderen Seite auch hat ja dieser Sohn zumindest in der Schweiz studiert, und wenn man auch jetzt diesen Übergang und diesen Raketentest sieht, wenn man das vielleicht für eine Übergangsphase so sieht, ist denn mittelfristig, ist denn langfristig aus Ihrer Sicht eine Öffnung zu erwarten?

    Maull: Darüber wird seit Jahren diskutiert. Ich bin sehr skeptisch, muss ich gestehen, einfach deswegen, weil seit Jahren beobachtbar ist, dass die Volksrepublik China versucht, mit all ihrem Einfluss, mit all ihren Möglichkeiten das Regime in Nordkorea dazu zu bewegen, das nachzuexerzieren, was China ja sehr erfolgreich vorexerziert hat, nämlich wirtschaftliche Reformen mit politischer Stabilität, also mit der Beibehaltung des Machtanspruchs der Kommunistischen Partei zu verbinden. Das hat in China sehr gut funktioniert. Ich glaube, es kann in Nordkorea nicht funktionieren. Jedenfalls ist die Erfahrung bislang gewesen, dass das Regime immer dann zurückzuckt, wenn es darum geht, wirklich weitreichende wirtschaftliche Reformen vorzunehmen, und der Grund ist, dass in Nordkorea vermutlich wirtschaftlicher Wandel ohne politischen Wandel nicht mehr zu haben ist.

    Zagatta: Gibt es in Nordkorea überhaupt irgendetwas, was man Opposition nennen könnte?

    Maull: Nein, definitiv nicht, außer dass es möglicherweise Meinungsunterschiede hier und da mal gibt im innersten Zirkel, in den innersten Zirkeln des Herrschaftssystems, das im Wesentlichen gebildet wird durch die Familienangehörigen von Kim Il Sung, dem Gründungsvater, und den Repräsentanten des Militärs und der Polizei und der Sicherheitsdienste. Das ist der innere Kreis. Da mag es auch mal unterschiedliche Positionen geben. Da ist sogar ein Machtkampf vorstellbar. Aber eine Opposition im Sinne etwa dessen, was wir im Arabischen Frühling erlebt haben, das gibt es in Nordkorea nicht, weil das nicht möglich ist.

    Zagatta: Aber wenn das Volk so hungert, wie wir das aus Berichten immer wieder hören, kann das auf Dauer gut gehen, kann das auf Dauer so weitergehen?

    Maull: Nein, das kann es nicht, und ich bin ja auch der Auffassung, dass im Grunde Nordkorea seit Langem ein Zombie-Staat ist, also ein untoter Staat, der nicht mehr als Staat funktioniert. Im Grunde überlebt dieses System als Staat nur noch deshalb – das ist in Ihrem Bericht gerade von Frau Kirchner deutlich geworden -, weil China seine schützende Hand außenpolitisch über Nordkorea hält und weil China das tut, was lebensnotwendig für Nordkorea ist: Es stellt die Lebensmittel bereit, die Energieversorgung, ohne die das System dann in der Tat zusammenbrechen würde.

    Zagatta: Was erwarten Sie da in der Zukunft von China, dass man so weitermacht, oder dass man jetzt vielleicht auch die Chance nutzt, in diesem Übergang mehr Druck auszuüben? Ist das realistisch?

    Maull: Ich bin da wiederum skeptisch, denn ich denke, es ist ein feiner, aber bedeutsamer Unterschied zu argumentieren, dass China das Überleben dieses Staates als Zombie-Staat gewährleistet. Das ist etwas anderes als zu sagen, China hat tatsächlich Einfluss in Nordkorea. Den hat es meiner Ansicht nach nicht. Es hätte nur die Möglichkeit, Nordkorea zu destabilisieren. Dafür gibt es sehr gute Gründe aus chinesischer Sicht, das zu vermeiden. Und insofern ist die chinesische Politik im Grunde eine, die Existenz dieses Systems zu garantieren, so weit das von außen möglich ist, alles zu tun, was dafür erforderlich ist. Also die chinesische Führung hat ganz eindeutig in den letzten Jahren die Strategie verfolgt, Stabilität in Nordkorea, kein Wandel, und ich vermute, dass das jetzt auch in den nächsten Monaten so sein wird – umso mehr, als China ja selbst in einem politischen Übergang steckt.

    Zagatta: Also Sie sind insgesamt ganz schön pessimistisch?

    Maull: So ist es. Ich denke, dieses System wird irgendwann in absehbarer Zeit zusammenbrechen. Aber wann und wie, das kann ich nicht vorhersagen.

    Zagatta: Danke schön für diese Informationen und Einschätzungen. Das war Professor Hanns Maull, Politikwissenschaftler und Ostasien-Experte von der Universität Trier. Vielen Dank für das Gespräch.

    Maull: Gerne, Herr Zagatta.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.