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Politologe: Putins Vision ist unklar

In Wladimir Putins erster Amtszeit habe es Reformen gegeben, die sinnvoll waren, sagt der Politikwissenschaftler Klaus Segbers von der FU Berlin. Doch für die folgenden Amtszeiten sei es schwierig zu verstehen, was Putins Vision für die Weiterentwicklung Russlands sei. Das gehe auch der Bevölkerung so, weswegen sie demonstriere.

Klaus Segbers im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Vernetzt, alles ist vernetzt: der Fernseher mit dem Videorecorder, der Kühlschrank der Zukunft mit dem Supermarkt, und zwar über das Internet. In der Industrie zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Zulieferer sind mit den Produzenten verbunden, die Händler mit den Kunden. "Integrierte Industrie" nennt sich das und ist Hauptthema der Hannover-Messe, die am Morgen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsidenten Wladimir Putin eröffnet wurde – nicht ganz störungsfrei, denn beim Messerundgang stürmten mehrere barbusige Frauen auf Putin zu, um gegen ihn und seine Politik zu protestieren.
    Am Telefon begrüße ich Klaus Segbers, Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin. Guten Tag, Herr Segbers!

    Klaus Segbers: Guten Tag aus Berlin.

    Dobovisek: Hat Angela Merkel – Sie haben das ja gerade mithören können – ausreichend deutliche Worte gefunden, um die Polizeiaktion gegen deutsche Stiftungen in Russland zu kritisieren?

    Segbers: Wissen wir nicht genau, weil, es gibt ja einmal die öffentlichen Äußerungen bei Pressekonferenzen, und was wir nicht genau wissen ist das, was hinter verschlossenen Türen besprochen wird. So wie man sie kennt, könnte man sich vorstellen, dass sie vor allen Dingen im Bereich der Durchsuchung bei der Adenauer-Stiftung und der Beschlagnahme von Rechnern und ähnlichen Aktionen relativ deutlich geworden ist. Aber das ist ja nur eine Dimension des Themas. Wir haben ja nicht nur ausländische, deutsche Stiftungen, amerikanische, die Probleme haben, sondern es gibt vor allen Dingen die russische Zivilgesellschaft selber. Das ist nicht der einzige Aspekt der Entwicklung in Russland. Es gibt ökonomische, soziale Probleme, relativ große sogar, aber es ist ein wichtiger Aspekt und da muss vor allen Dingen die russische Zivilgesellschaft sich selber verhalten, und es schadet nichts, von außen gelegentlich darauf hinzuweisen, dass es da Probleme gibt.

    Dobovisek: Der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, sagt, Putin schade der Zukunftsfähigkeit seines Landes, der Zukunftsfähigkeit Russlands, wenn er die Razzien bei Nicht-Regierungsorganisationen weiter verteidige. Sehen Sie das ähnlich?

    Segbers: Man kann das so sehen, wobei sicher die Vorstellungen darüber, was eine angemessene, eine gute, eine vernünftige Zukunft in Russland ist, auch auseinandergehen. Da mag es auch nicht nur eine Sicht der Dinge geben.

    Dobovisek: Wie ist denn da Ihre Sicht der Dinge?

    Segbers: Man muss vielleicht als Hintergrund sehen, dass in den letzten Jahren der Erfolg der Politik Putins und die große Zustimmung, die er genossen hat, auch darauf beruht, dass er aus Sicht vieler Menschen in Russland in der Tat eine Art von Stabilisierung sicherstellen konnte. Das hat nicht nur mit ihm zu tun, sondern auch mit den relativ hohen Weltpreisen für Ölexporte, das kam den Russen zugute. Es gab auch in seiner ersten Amtszeit wichtige Reformen, das war ebenfalls sinnvoll. Allerdings in seiner zweiten Amtszeit und jetzt in seiner Dritten haben viele Menschen, dazu zähle auch ich mich selber, Schwierigkeiten zu verstehen, was er eigentlich will und was seine Agenda ist, was seine Visionen sind für die Weiterentwicklung des Landes, und auch viele Mittelschichten, also viele Menschen, die zunehmend mehr Geld verdienen, Interessen haben, gute Erziehung haben, Auslandskenntnisse haben, verstehen ebenso nicht genau, worum es eigentlich gehen soll, und die melden sich dann auch, wie wir gesehen haben in den letzten eineinhalb Jahren, mit Demonstrationen und auf andere Art und Weise im Internet bei Bloggings selber zu Wort. Und das stößt auf teilweise den Widerstand verschiedener Sicherheitsapparate in Russland, das ist ein Problem.

    Dobovisek: Ist ein lupenreiner Demokrat noch ein Begriff oder überhaupt jemals ein Begriff gewesen, den Sie für Herrn Putin benutzen würden, ebenso wie Gerhard Schröder damals?

    Segbers: Nein. Das war damals kein sinnvoller Begriff, er ist es auch heute nicht, er ist auch für viele westliche Politiker aus meiner Sicht kein adäquater Begriff. Es geht auch gar nicht darum so sehr, sondern es geht darum, dass wir lange Zeit - ich sprach eben von den Öleinnahmen – in Russland eine Situation hatten, die verschiedenen konkurrierenden großen Gruppen im Bereich der Wirtschaft und der Gesellschaft sicherzustellen und denen einen Anteil zu gewähren an dem wachsenden Sozialprodukt in Russland. Und wir haben jetzt eine Situation, wo mehr Gruppen mit der aufkommenden Mittelschicht nach Beteiligung rufen, nicht nur nach politischer, sondern auch nach ökonomischer, in einer Zeit, wo das Sozialprodukt enger wird. Das heißt, wir haben weniger Kuchen, den es zu verteilen gibt, und das ist ein Grundproblem, was sozusagen die Konkurrenz, den Wettbewerb um die Beteiligung anfacht. Das heißt, insgesamt wird der Wettbewerb stärker und kritischer und heftiger, und dadurch auch politische Widersprüche, die sich öffnen. Das kann durch eine Person alleine auch nicht gelöst werden, ich habe das eben schon gesagt. Ob Herr Putin das so sieht oder nicht, ist eine Frage; die andere Frage ist, wie stark die Gesellschaft ist und wie stark sie danach fordert, beteiligt zu werden.

    Dobovisek: Welches Gewicht hat bei diesem innerrussischen Verteilungskampf, wenn wir das mal so nennen wollen, das Gewicht Angela Merkels, das Gewicht Deutschlands, wenn es tatsächlich um demokratische Fragen geht?

    Segbers: Offen gesagt kein sehr Großes. Nicht nur das Gewicht von Frau Merkel, sondern generell von ausländischen Politikern ist dort außerordentlich überschaubar - das erleben wir ja auch bei ähnlichen Diskussionen mit der chinesischen Führung, oder lange Zeit in Simbabwe oder wo auch immer -, weil im Kern die Existenz und der Erfolg dieser Gruppen in Russland nicht abhängig sind, von dem, was ein ausländischer Regierungschef sagt oder nicht. Denn Sie können davon ausgehen, dass die Wirtschaftsbeziehungen, im Übrigen auch der wissenschaftliche Austausch, der zwischen Deutschland und Russland gar nicht schlecht ist, weitergeführt werden. Nur wenn wir in einer Situation wären, dass große Teile der deutschen Wirtschaft sagen würden, wir werden große Projekte stoppen, wenn dies oder jenes nicht passiert, das wäre sozusagen ein Faktor mit Wirkung, aber allein politische Erklärungen werden da nicht viel bewirken.

    Dobovisek: Stichwort Erdgas, Stichwort Energie, Sie haben das Öl bereits erwähnt. Wir haben gestern in Erfahrung gebracht, dass viele Erdgasspeicher hierzulande schon aufgrund des starken Winters zur Neige gehen. Sind wir umgekehrt zu abhängig von Russland?

    Segbers: Wir sind generell zu abhängig von Energieimporten und daran kann man kurzfristig wenig ändern. Es gibt da nicht viele Alternativen. Wenn wir reden über die alten carbongestützten fossilen Energieträger, haben wir im Augenblick eigentlich nur die Option, zwischen verschiedenen Risiken hin- und herzuschieben. Ob dann Iran zum Beispiel sicherer wäre, oder Katar, oder andere Regionen, da mag man auch seine Zweifel haben. Um sozusagen von dieser Abhängigkeit grundsätzlich wegzukommen, hilft keine horizontale Bewegung von diesem zu jenem Land, sondern da hilft nur der Umstieg auf die erneuerbaren Energien, was mit der Energiewende ja angezielt ist. Auf der anderen Seite muss man auch sehen: Das ist eine doppelseitige Abhängigkeit. Wir sind abhängig von Energieimporten, dass sie konstant, stabil, verlässlich fließen, aber die Lieferstaaten, darunter auch Russland, sind eigentlich genauso abhängig von den Exporten. Das heißt, sie sind von den Deviseneinnahmen abhängig, und insofern scheint mir das im Augenblick noch vertretbar zu sein.

    Dobovisek: Der Politikwissenschaftler Klaus Segbers über das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Segbers: Gerne!

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