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Politologe schätzt Schwans Chancen gering ein

Hans-Joachim Wiese: Am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler Professor Kurt Sontheimer. Herr Sontheimer, ist hier der politisch-moralische Anstand vollends baden gegangen, oder müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass dies ein ganz normales Auswahlverfahren war?

Moderator: Hans-Joachim Wiese |
    Kurt Sontheimer: Man kann keinesfalls von einem normalen Auswahlverfahren reden, das ganz gewiss nicht. Aber ich glaube nicht, dass, wie Sie sagten, alles baden gegangen wäre, was Moral und Anstand in der Politik notwendig machen. Denn jetzt ist jedenfalls die Situation klar: Es gibt einen Kandidaten von Seiten der Opposition und es gibt auch eine Kandidatin von der regierenden Koalition. Und die leise Hoffnung, die auch anklang in den Beiträgen, die Sie gerade gesendet haben, war ja doch die, dass diese Konstellation vielleicht etwas verändern könnte. Aber wenn ich als Politologe nachdenke, dann ist die Möglichkeit, dass eine Frau wie Frau Gesine Schwan, die ich aus meiner Berliner Zeit am Otto-Suhr-Institut kenne und auch schätze, doch ziemlich unwahrscheinlich, dass sie noch Stimmen gewinnen könnte unter den Mitgliedern der Auswahlversammlung. Das ist doch so gut wie ausgeschlossen, weil gerade jetzt der Kampf um die Kandidatur die Parteien dazu zwingt, zu ihren Vorschlägen ganz fest zu stehen und überhaupt keine Abweichungen zuzulassen. Die wäre wünschenswert. Es wäre überhaupt wünschenswert, dass es eine Debatte gäbe zwischen den Kandidaten. Aber das wird wohl so nicht stattfinden, sondern man wird nur über sie reden. Sie selber werden wahrscheinlich gar nicht sehr viel im Einzelnen zu dieser Wahl sagen können, weil sie sich nicht auf diese Weise einer Kritik aussetzen wollen.

    Wiese: Es drängt sich doch der Eindruck auf, dass es primär gar nicht darum ging, den besten Kandidaten oder die beste Kandidatin zu küren und zu finden, sondern um schlichte Machtpolitik. Wer trifft letzten Endes die Entscheidung?

    Sontheimer: Ja, das ist so. Das ist auch gar nicht zu bestreiten, dass es so war. Es ist eben für die jetzige Opposition ganz zentral gewesen, eine gemeinsame Kandidatur zu Wege zu bringen. Und sie haben doch insofern etwas überrascht, als sie einen Mann aus dem Hut zogen haben, der gar nicht auf dem Papier stand, jedenfalls nicht bei der Diskussion über Kandidaten, die früher stattgefunden hatte.

    Wiese: Auf der Strecke geblieben ist mit Sicherheit Wolfgang Schäuble, auch menschlich. War das möglicherweise der eigentliche Sinn der Übung? Wollte Angela Merkel einen Präsidenten verhindern, der ihr als mögliche künftige Kanzlerin überlegen sein würde?

    Sontheimer: Das glaube ich nicht. Der Bundespräsident kann nicht in dem Sinne überlegen sein, weil er doch ein andere Funktion hat als ein Bundeskanzler. Also das geht ein bisschen zu weit in den Vermutungen, die hier angestellt werden. Was wirklich in den Gedanken von Frau Angela Merkel vorkam in dieser Frage, dass ist nicht zu ermitteln, und das werden wir auch nicht erfahren. Da kann man eben nur spekulieren. Aber ich finde, man sollte nicht nur in diesen Fragen spekulieren.

    Wiese: Die an der Kandidatensuche Beteiligten reagierten ja allesamt auf Kritik an ihrem Verhalten eher abfällig und zwar mit der Bemerkung, dies sei ein ganz normales Auswahlverfahren gewesen. Aber in der Bevölkerung wird das anders gesehen. Wie weit entfernt sind diese Politikerinnen und Politiker eigentlich von der Bevölkerung?

    Sontheimer: Diejenigen, die sagen, es sei normal gewesen, sind ja diejenigen, die es angestellt haben, und die haben natürlich allen Grund, nach außen die Sache so zu vertreten, als sei sie ganz normal. Das ist sie aber nicht, denn es gibt in der Tat diesen Unterschied in der Auffassung in großen Teilen der Bevölkerung. Die Presse hat das ja auch sehr deutlich immer wieder vertreten, dass hier die Dinge nicht ganz normal gelaufen sind, dass sehr viel mit Machtpolitik zu tun hatte, jedenfalls nicht mit der Suche nach dem besten Kandidaten für dieses Amt.

    Wiese: Ist denn neben Wolfgang Schäuble als Person auch das Präsidentenamt als solches beschädigt worden?

    Sontheimer: Ich glaube nicht, dass man das sagen kann. Man wird allerdings jetzt besonders intensiv beobachten, wie der neu zu wählende Präsident sich dann tatsächlich verhält. Und er hat es in der Hand, aus dem Präsidentenamt wieder das zu machen, was es sein soll und was es unter Rau auch zuletzt gewesen ist und noch ist. Der Kandidat kann dann den Verdacht entkräften, dass das Präsidentenamt beschädigt worden sei.

    Wiese: Aber Sie sagten ja eben selber, die Gefahr besteht, dass der Kandidat oder die Kandidatin im Amte selbst mehr oder weniger machtlos als Marionette da steht.

    Sontheimer: Nicht als Marionette. Es ist eine andere Funktion. Der Präsident hat gerade auch in diesen nicht einfachen Zeiten in der Bundesrepublik die Möglichkeit, durch sein Wort, durch seinen Appell an die Bürger wichtiges zu bewegen. Er kann es nur nicht selber entscheiden, da er kein Machpolitiker sein soll.

    Wiese: Letzte Frage, Herr Sontheimer, was halten Sie als Politikwissenschaftler von der jetzt wiederaufgekommenen Forderung den Bundespräsidenten, die Bundespräsidentin direkt vom Volk wählen zu lassen?

    Sontheimer: Nichts!

    Wiese: Warum nicht?

    Sontheimer: Weil eine Volkswahl sofort implizieren würde, dass jemand, der vom Volk ist, dann auch mehr Machtbefugnisse haben sollte und das ist nicht die Funktion des Präsidenten nach unserer Verfassung. Ich glaube, das ist kein Ausweg aus der Situation. Es sollen künftig die Parteien diese schwierigen Fragen angemessener behandeln, als es jetzt geschehen ist.