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Politologe: Seehofers Koalitionsbruch-Drohung ist Wahlstrategie

Erneut hat Horst Seehofer wegen der Handhabung der Eurokrise indirekt mit Koalitionsbruch gedroht: Der Politologe Heinrich Oberreuter hält das für "ziemlich unüberlegt" einerseits - attestiert Seehofer aber wahltaktisches Kalkül mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen 2013.

Das Gespräch führte Bettina Klein | 04.07.2012
    Bettina Klein: Neu ist das alles nicht, aber wieder einmal fühlte sich Horst Seehofer offenbar dazu bemüßigt, oder dazu gezwungen. Erneut hat der CSU-Chef ganz offen mit dem Bruch der Koalition gedroht, diesmal aufgehängt an der Euro-Politik der Bundeskanzlerin – eine Warnung nach Berlin, die strengen Kriterien für die Milliarden-Hilfen nicht weiter aufzuweichen. Meine Kollegin Bettina Klein hat darüber mit dem bayerischen Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter gesprochen. Ist die Seehofer-Drohung ernst zu nehmen?

    Heinrich Oberreuter: Also die Bayern sind da natürlich schon in der Gefahr, als Krieger zu brüllen und als Bettvorleger zu landen, falls sie überhaupt springen. Also ich halte das für ziemlich unüberlegt und letztendlich glaube ich auch an keinerlei Realisierungsdrang.

    Bettina Klein: Wie viel Potenzial steckt also in dieser Drohung mit Koalitionsbruch, null oder etwas mehr?

    Oberreuter: Praktische politische Ebene, glaube ich, null; symbolisch und für die Wählerlandschaft und für den Versuch, Stammwähler und Besorgte in der Euro-Krise hinter sich zu scharen und auch Vorurteile zu mobilisieren, da könnte ich mir vorstellen, kann man mit dieser Strategie relativ erfolgreich sein.

    Klein: Jetzt hat es am Abend offenbar eine Art Klarstellung von Seehofer gegeben. Er soll in München gesagt haben, er habe das Wort "Koalitionsbruch" nicht in den Mund genommen, und das ist insofern richtig, als in dem besagten "Stern"-Interview er ja wörtlich sagt: "Irgendwann ist ein Punkt erreicht, wo die bayrische Staatsregierung und auch die CSU nicht mehr Ja sagen können. Ich könnte das dann auch ganz persönlich nicht mittragen." Also in der Tat: Das Wort "Koalitionsbruch" hat er nicht in den Mund genommen. Wie bewerten Sie diese Klarstellung jetzt?

    Oberreuter: Schauen Sie, der Kern der Aussage lautet letztendlich, ab einem bestimmten Punkt nicht mit mir, und das Relevante oder Relative an der Aussage ist, der bestimmte Punkt wird ja nicht definiert, und damit bleibt das alles im Ungewissen und im Unklaren.

    Klein: Also er hat sich so ein bisschen ein Hintertürchen dadurch offen gelassen, indem er eben eine etwas schwammige oder interpretierfähige Formulierung gewählt hat?

    Oberreuter: Ja! Das ist eine Drohgebärde, die vielleicht sich mehr darauf richtet, den Wählern in Bayern zu zeigen, wir sind Vertreter eurer Interessen, aber das kann auch ein Rohrkrepierer und ein Schuss nach hinten werden, weil im Endeffekt die Wähler sagen, wo ist jetzt die Realisierung dieser Position.

    Klein: Seehofer gibt natürlich auch jetzt gerade wieder mit den Äußerungen einem gewissen Bauchgrimmen nicht kleiner Teile der Bevölkerung eine Stimme. Inwieweit hat er denn Ihrer Meinung nach in der Sache recht?

    Oberreuter: Das Bauchgrimmen in der Bevölkerung ist vorhanden und das Bauchgrimmen ist ja nicht nur dort vorhanden, sondern das Bauchgrimmen teilen viele politische Akteure, das Bauchgrimmen teilt das Bundesverfassungsgericht, das wir immer mehr integrieren, ohne bisher wenigstens nicht zu wissen, was der Endzustand dieser Europäischen Union sein soll. Das ist schon eine riesengroße Herausforderung für die Demokratie in Deutschland und das ist natürlich auch ein Punkt, in dem man dankbar sein muss, wenn der eine oder andere und nicht nur Bundesverfassungsrichter darauf aufmerksam machen, dass hier ein Konsens erzielt werden muss und notfalls eben auch mal das Volk befragt werden muss. Das ist aber eine andere Ebene als die der opportunistischen aktuellen kleinteiligen und kämpferischen Politik.

    Klein: Werden denn seine Einlassungen zumindest einen Einfluss haben auf den Kurs der Bundesregierung, denn in der Praxis stellt sich ja die Frage, wohin kann Seehofers Postulat denn führen? Bundeskanzlerin Merkel heißt hier und da in Europa bereits "Madame No" und er fordert, dass daraus "No No" wird, oder haben Sie eine Vorstellung, was er konkret umsetzen würde, wenn er an ihrer Stelle wäre?

    Oberreuter: Ich glaube, dass er sich an ihrer Stelle und in ihrer Verantwortung vielleicht auch nicht ganz anders verhalten würde, als sie sich verhält. Die Frage ist allerdings, ob man Angela Merkel nicht eher in ihrer Widerstandskraft stärken sollte durch eine gewisse freundliche innerkoalitionäre und innergeschwisterparteiliche Strategie und Politik, als sie an der Front noch zusätzlich herauszufordern. Aber interessant ist ja, dass der Koalitionspartner FDP heute sehr deutlich gemacht hat, dass er von dieser Art der Intervention überhaupt nichts hält und im Grunde eben auch Koalitionsstrategie verlangt und nicht Vereinzelungsstrategie aus wahlopportunistischen Interessen im Blick auf das Jahr 2013.

    Klein: Und 2013 heißt eben nicht nur Bundestagswahl, sondern auch Landtagswahl in Bayern, und das ist Ihrer Meinung nach im Augenblick das eigentlich Entscheidende für Horst Seehofer?

    Oberreuter: Das Interessanteste ist eigentlich der Nachweis einer hohen Nervosität von Seehofer, die er für sich behält, die Partei merkt das eigentlich gar nicht, die ist von der sehr, sehr merkwürdigen Emnid-Umfrage mit 46 Prozent heute noch besoffen und sie nimmt überhaupt nicht zur Kenntnis, dass die sagt, 44 Prozent kriegen wir, 41 kriegen die anderen drei, die bereit sind, eine Koalition gegen die CSU zu machen, und dann kommt noch die Piraten-Aussage dazu von vor zwei, drei Tagen, man könne sich auch eine Tolerierung einer Ude-Regierung vorstellen. Das heißt im Klartext, dann geht die CSU in die Opposition, obwohl sie die stärkeren Bataillone im Land hat. Nur vor der Herausforderung kann man eigentlich diese ganze merkwürdige Strategie erklären.

    Müller: Meine Kollegin Bettina Klein im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.