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Politologe sieht in Bahrain Stellvertreterkrieg

In Bahrain werden mithilfe Saudi Arabiens zaghafte Proteste für mehr Demokratie blutig niedergeschlagen - ein drittes Land mit Anspruch auf Vormachtstellung sieht dem mit Argwohn zu: der Iran. Darin liege das Krisenpotenzial, sagt Michael Lüders.

17.03.2011
    Christoph Heinemann: Wenn zwei Menschen die Zerstörung Japans gelegen kommt, dann sind dies Muammar al-Gaddafi und der König von Bahrain. Der Machthaber in Tripolis kann in aller Ruhe seine Widersacher wegbomben. Für heute hat Gaddafi die entscheidende Schlacht um die von den Rebellen gehaltene Stadt Misurata angekündigt, das ist die drittgrößte Stadt Libyens. Der UN-Sicherheitsrat hat gestern einen Resolutionsentwurf ausgearbeitet, der eine Flugverbotszone über Libyen vorsieht; über diesen Entwurf muss aber noch abgestimmt werden. Mehrere Länder, darunter die UN-Vetomächte China und Russland, aber auch das nicht ständige Mitglied Deutschland, fürchten eine Verwicklung in einen Krieg.
    Auf diese Ängstlichkeit vertrauen offenbar auch die Herrscher am Golf. Nach osteuropäischem Vorbild haben die Herrscher in Bahrain den großen Bruder zur Hilfe gerufen, und dieser große Bruder, Saudi-Arabien, nicht gerade als Heimstatt von Demokratie und Menschenrechten bekannt, hat diesen Hilferuf gern erhört. – Darüber hat meine Kollegin Anne Raith mit dem Nahost-Experten Michael Lüders gesprochen und ihn zuerst nach seiner Beurteilung der Lage in Bahrain gefragt.

    Michael Lüders: Nun, die Regierung hat die Lage in Bahrain unter Kontrolle, sie hat sich inspirieren lassen vom libyschen großen Bruder Gaddafi. Man glaubt in Bahrain wie auch in Libyen, dass man die Demonstrationsbewegung, den Aufstand im eigenen Land militärisch niederschlagen kann, und in der Tat scheint dieses Konzept aufzugehen in beiden Ländern, in Bahrain allerdings nur mit aktiver saudischer Unterstützung. Es ist die Übermacht von Tausend gut bewaffneten saudischen Soldaten, die in Bahrain dazu geführt hat, dass jetzt der Aufstand dort erst einmal zusammengebrochen ist.

    Anne Raith: Der FDP-Politiker Rainer Stinner fürchtet, dass der Konflikt in Bahrain zwischen Schiiten und Sunniten bedrohlicher sein könnte noch als der Bürgerkrieg in Libyen, eben auch wegen der Einmischung der Saudis, die Sie angesprochen haben. Teilen Sie diese Sorge?

    Lüders: Es ist auf jeden Fall so, dass in Bahrain auch ein Stellvertreterkrieg indirekt gefochten wird, nämlich zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Beide Länder beanspruchen für sich die Führung innerhalb der islamischen Welt. Bahrain ist ein Land, in dem es überwiegend schiitische Staatsangehörige gibt. Die Schiiten stellen etwa 70 Prozent der Bevölkerung, aber sie haben in der Politik so gut wie gar nichts zu sagen, sie sind Bürger zweiter Klasse. Die sunnitische Minderheit und das sunnitische Königshaus der al-Khalifa dominieren Politik und Wirtschaft in diesem kleinen Staat Bahrain, der wenig größer ist als das Saarland, und die große Gefahr ist natürlich, dass sich der Iran provoziert fühlt. Iran wird nicht auf die Idee kommen, militärisch zu intervenieren, allein deswegen nicht, weil die 5. US-Flotte in Bahrain stationiert ist, aber nichtsdestotrotz: Es ist ein Krisenpotenzial da, denn immer dort, wo Stellvertreterkriege ausgefochten werden, besteht die Gefahr, dass die vermeintlich unterlegene Seite, Iran in diesem Fall, an anderer Stelle in der Region versucht, den Druck im Kessel zu erhöhen.

    Raith: Das könnte wo sein, wenn Sie sagen, in Bahrain wird der Iran nicht eingreifen, nicht militärisch? Wie könnte er sich zur Wehr setzen oder eingreifen?

    Lüders: Zunächst einmal hat der Iran die Möglichkeit, sich als Sprachrohr der Enterbten und Entrechteten einmal mehr zu positionieren und sich anzubieten als ein Sachverwalter schiitischer Interessen. Das grundsätzliche Problem ist, dass zwar der Protest in Bahrain zunächst einmal unterdrückt worden ist, aber die Unzufriedenheit in der Bevölkerung bleibt ja. Es ist ein strukturelles Problem, dass die Schiiten unterdrückt werden, und sie sind nicht länger gewillt, diese Unterdrückung hinzunehmen, und die Saudis haben natürlich nicht aus Eigennutz gehandelt, indem sie ihren bahrainischen Glaubensbrüdern zur Hilfe eilten. Sie, die Saudis, haben natürlich die Befürchtung, dass die schiitische Bevölkerung im Osten Saudi-Arabiens sich diesem Aufstand in Bahrain anschließen könnte.

    Raith: Herr Lüders, was ist denn jetzt in diesem Konflikt von der internationalen Staatengemeinschaft zu erwarten, wenn man einerseits dem Iran nicht die Rolle des Unterstützers überlassen möchte, auf der anderen Seite aber gerade bei Saudi-Arabien in einem Dilemma steckt (durchs Öl)?

    Lüders: Na ja, ich würde grundsätzlich sagen, dass die westliche Staatengemeinschaft, dass Europa und die USA seit Beginn der arabischen Revolution in Tunesien komplett und auf ganzer Linie versagt haben. Man hat in Tunesien und in Ägypten nicht den Mut gehabt, sich rechtzeitig auf Seiten der Bevölkerung zu stellen, man war zögerlich, man mochte den langjährigen Partnern und Kollegen, den Herren Diktatoren Ben Ali und Mubarak gewissermaßen nicht in den Rücken stoßen. Nachdem dann die Revolution dort siegreich war, hat man ein Lobeslied auf die Demokratie angestoßen. In Libyen lässt man das Volk schändlich im Stich und glaubt, sich vornehm zurückhalten zu können. Man wird allerdings einen furchtbaren Preis noch bezahlen, nicht allein, weil Gaddafi seine Gegner massakrieren wird; er ist auch ein unberechenbarer Politiker und Psychopath, er wird massiven Druck ausüben auf die Europäische Union, die Isolation seines Clans zurückzunehmen, etwa indem er Flüchtlingsströme aus Afrika in Richtung Italien gezielt dirigiert. Dieses Zögern europäischer Politik, das nicht Eingreifen wollen, das Vertrauen auf überholte Strukturen, nämlich an Diktatoren zu glauben in der arabischen Welt, dieses Konzept hat sich überlebt, aber es gibt noch kein neues. Die Europäer sind weit davon entfernt, mit einer Stimme zu sprechen. Sie haben unterschiedliche Interessen und sie haben teilweise noch nicht einmal begriffen, worum es eigentlich bei dieser Revolution in der arabischen Welt geht.

    Raith: Unterschiedliche Interessen – Sie sprechen es an – hat die Europäische Union ja auch in Sachen Libyen, was die Flugverbotszone angeht. Jetzt gibt es aber auch Experten, die überhaupt den Erfolg eines Flugverbots bezweifeln. Wie schätzen Sie die Lage ein?

    Lüders: Jetzt kommt ein Flugverbot viel zu spät, ganz abgesehen davon, dass es noch lange dauert, bis es überhaupt eingeführt werden wird. Die Mühlen in der Politik mahlen langsam. Es wäre möglich gewesen, Gaddafi zu stürzen, zu Beginn des Aufstandes, als er wie ein gehetztes Reh aufgetreten ist, unvergessen die Bilder, wie er mit Regenschirm sich da aus seinem komischen Auto in die Öffentlichkeit bewegt, eine andere Rede, die er kurz darauf gehalten hat, wo er sein eigenes Volk beschimpft. Da war er in die Enge getrieben. Hätte man zu dem Zeitpunkt den Aufständischen Waffen gegeben, dann hätten sie die Möglichkeit gehabt, wirklich den Durchmarsch bis Tripolis zu schaffen.

    Raith: Dann hätte man sich allerdings, Herr Lüders, in einen Krieg eingemischt. So lautet die Argumentation.

    Lüders: Ja. Es gibt aber viele Möglichkeiten, indirekt zu unterstützen, in der Politik hinter den Kulissen, ohne offiziell Partei zu ergreifen, Unterstützung zu leisten. In diesem Fall wäre es Waffenhilfe gewesen.

    Raith: Pardon! In Libyen hat man ja lange Zeit gar nicht gewusst, an wen man sich genau wenden kann, wen man unterstützen soll.

    Lüders: Na ja, es gab in Bengasi eine aufständische Bevölkerung, durchaus schon mit politischen Strukturen. Es gab Kämpfer, es gab politische Kontakte, vor allem zwischen diesen Aufständischen und Ägypten. Es gab Geheimverhandlungen zwischen den USA und Saudi-Arabien, die darauf hinausliefen, dass Saudi-Arabien die Aufständischen in Libyen bewaffnen sollte, im Gegenzug stillschweigende Zustimmung Washingtons, wenn die Saudis sich in Bahrain engagieren. So war der Deal, aber er ist geplatzt, die Saudis haben diese Waffen an die libyschen Oppositionellen aus Gründen, die wir noch nicht kennen, nicht geliefert.

    Raith: Herr Lüders, während wir sprechen, sind Gaddafis Truppen weiter auf dem Vormarsch. Binnen 48 Stunden soll alles vorbei sein, ließ er wissen. Für wie geschwächt halten Sie die Aufständischen?

    Lüders: Sie sind geschwächt, entscheidend geschwächt. Ob es Gaddafis Truppen allerdings gelingt, ohne Weiteres Bengasi einzunehmen, bleibt abzuwarten. Bengasi ist die zweitgrößte libysche Stadt, hat über eine Million Einwohner, und Gaddafi wird keinen Wert darauf legen, vor laufenden Fernsehkameras ein Massaker anrichten zu wollen in Bengasi. Möglicherweise wird er die Stadt belagern, wird er versuchen, alle Straßen, die aus Bengasi hinausführen, Richtung Tobruk, Richtung ägyptische Grenze zu unterbrechen. Noch ist die entscheidende Schlacht nicht geschlagen, aber es ist klar: die Aufständischen stehen mit dem Rücken zur Wand und es steht zu befürchten, dass es wirklich eine furchtbare Rache geben wird von Gaddafis Clan, wenn dann die letzte Schlacht geschlagen sein sollte.

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