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Politologe: Vernunftehe statt Freundschaft

Heinlein: Den Russen vergeben, die Deutschen ignorieren, die Franzosen bestrafen. Kurz und bündig hatte Condoleezza Rice, die Sicherheitsberaterin des US-Präsidenten, nach dem Irakkrieg die Richtung vorgegeben für den Umgang mit den widerspenstigen Partnern. Doch die Zeiten ändern sich. Die Zeit des Ignorierens ist vorbei. Zum ersten mal seit mehr als zwei Jahren empfängt George Bush heute Bundeskanzler Schröder im Weißen Haus. Ein symbolisches Treffen, über das ich heute morgen bereits mit Prof. Gebhard Schweigler vom National War College in Washington gesprochen habe. Ich habe ihn zunächst gefragt, ob es eine neue wunderbare Freundschaft zwischen Berlin und Washington gibt?

Moderator: Stefan Heinlein |
    Schweigler: Nein, das ist kaum zu erwarten. Die Eiszeit mag vorbei sein, aber völlig normal und vor allem völlig freundschaftlich ist das Verhältnis weder zwischen den beiden Präsidenten, wo die Chemie sicherlich nach wie vor nicht stimmt, aber sicherlich auch noch nicht zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika unter einem Präsidenten George W. Bush.

    Heinlein: Also eine reine Vernunftehe, eine Vernunftbeziehung, nur aus beiderseitigem Interesse? Das Urvertrauen ist weg, meinen Sie?

    Schweigler: Ja, da Urvertrauen ist weg. Aber wie gesagt, die Freundschaft, das Gefühl, dass man sich auf einander verlassen kann, gerade in schwierigen Zeiten, dass man sich versteht, dass man sich gegenseitig nicht, wie der amerikanische Präsident das ja meint, in den Rücken fällt. Ich glaube, da wird sich so schnell nichts verbessern lassen. Es ist eine Vernunftbeziehung. Der amerikanische Präsident hat zu spüren bekommen, dass man die Deutschen nicht ohne Gefahr ignoriert, dass man Hilfe braucht, nicht zuletzt im Irak, aber auch anderswo und dass man deshalb die Beziehungen nicht ganz einfrieren lassen kann. Aber sie völlig heiß wieder auflodern zu lassen, das ist im Augenblick auch nicht drin.

    Heinlein: Wer braucht denn den anderen dringender, Bush den Handschlag des Kanzlers, oder umgekehrt?

    Schweigler: In der gegenwärtigen Situation braucht der amerikanische Präsident wohl die Unterstützung der Europäer insgesamt mehr, als das möglicherweise die Europäer, und auch vor allem die Deutschen, brauchen. Es war ja im Vorfeld die Rede davon, dass der deutsche Bundeskanzler den amerikanischen Präsidenten aufmerksam darauf machen wollte, doch etwas vorsichtiger mit dem Dollar umzugehen. Da hat der Präsident wenig Einfluss darauf. Da müsste er schon eher mit dem Notenbankchef hier sprechen. Die Amerikaner brauchen Hilfe im Irak, gar keine Frage. Sie brauchen Hilfe über die UN, wegen dem Irak. Sie brauchen auch Hilfe anderswo in der Welt und da muss man einfach die Beziehungen wieder einigermaßen normalisieren.

    Heinlein: Der Irak ist das eine. Welche Rolle spielt denn der Wahlkampf? Hier ist Bush ja heftig ins Kreuzfeuer der Demokraten geraten, weil er angeblich mit seiner außenpolitischen Ignoranz das Verhältnis zu den europäischen Nachbarn nachhaltig zerstört hat.

    Schweigler: Ja, der Bundeskanzler hat in seinem Interview in der Financial Times sicherlich richtig gesagt, dass die Rolle des Bundeskanzlers im amerikanischen Wahlkampf kaum zu unterschätzen ist. Wie überhaupt der Besuch hier in der Öffentlichkeit bisher überhaupt keine Rolle spielt. Ich habe heute noch mal auch die großen Tageszeitungen nachgeschaut, ob da irgendwo berichtet wurde – kein Wort über den bevorstehenden Besuch – auch auf der Website des Weißen Hauses – kein Wort darüber. Ein Freitagslunch wird ohnehin hier wenig Aufmerksamkeit finden, weil Freitags auch hier die Aufmerksamkeit aufhört und man ins Wochenende geht. Dies ist ein Arbeitsbesuch, es ist ein Wiederaufnehmen von Beziehungen. Aber einen Einfluss auf den Wahlkampf wird das überhaupt nicht haben.

    Heinlein: Dennoch, aus deutscher, aus europäischer Sicht ist dieser Besuch sehr interessant und ihm wird große Aufmerksamkeit geschenkt. Und jetzt stellt sich die Frage, wie dauerhaft ist denn diese Annäherung? Könnte es etwa nach den Wahlen im November, wenn Bush vielleicht wieder fester im Sattel sitzt, wieder anders kommen, im Verhältnis zwischen Washington und Berlin, zwischen Washington und Brüssel?

    Schweigler: Möglicherweise, aber da müssen die Deutschen wahrscheinlich auch schon irgendwelche Vorleistungen erbringen. Dort wo die Amerikaner Unterstützung erwarten, da bleibt das große Stichwort Irak. Die absolute Verweigerung der deutschen Politik im Irak zu Hilfe zu kommen ist hier nicht unbedingt hilfreich. Man kann vielleicht auch darüber spekulieren, dass die beiden morgen beim Mittagessen auch darüber reden könnten, ob zum Beispiel die Bundesrepublik der französischen Aufforderung nach internationaler Hilfe für Haiti nach kommt und vielleicht hier den Amerikanern Hilfestellung leisten könnte.

    Heinlein: Glauben Sie denn, dass das dauerhaft möglich sein wird, deutsche Truppen aus dem Irak rauszuhalten? Oder wird der amerikanische Druck tatsächlich, wie Sie sagen, nach den Wahlen noch größer werden?

    Schweigler: Es ist ja nicht nur der amerikanische Druck, sondern es ist natürlich auch der Druck aus der Region selbst. Es kann ja nicht im Interesse der deutschen Politik liegen, dass die Verhältnisse im Nahen Osten insgesamt und im Irak insbesondere, sich weiter verschimmern sollten. Genauso wenig kann es im Interesse der Deutschen Politik liegen, dass die Amerikaner sich im Irak mehr als nur eine blutige Nase holen, unverrichteter Dinge dort wieder abziehen, die Region sich selbst überlassen und möglicherweise dann hier in die Isolation getrieben werden. Dass heißt, das nationale Interesse der Bundesrepublik im Augenblick ist einfach so, dass man dem Bündnispartner auf der einen Seite helfen will, andererseits aber auch im Nahen Osten nicht völlig unbeteiligt dabeistehen kann. Von daher denke ich, dass die Bundesrepublik noch aktiver werden muss.

    Heinlein: Sie haben gesagt, George Bush habe erkannt, dass man das alte Europa, die Europäer nicht vollständig ignorieren kann Aber hat Bush tatsächlich seine unilaterale Strategie der Terrorbekämpfung abgeschworen? Braucht er wirklich das alte Europa?

    Schweigler: Er braucht es, weil - das hat man im Irak gesehen – die amerikanischen Militärs zwar stark genug sind, einen Krieg zu gewinnen, aber danach nicht über genügend Kraft verfügen und vielleicht manchmal auch nicht über genügend Vernunft verfügen, die Situation dann so weit zu stabilisieren, als dass sich das eigentliche Ziel des Krieges tatsächlich erfüllt hätte. Da braucht man die Hilfe von Verbündeten, da braucht man auch den Sachverstand, man braucht die Sachhilfe von anderen. Da gibt es gar keine Frage

    Heinlein: Bleibt der Grunddissens zwischen europäischer und amerikanischer Außenpolitik bestehen? Bush mit seiner Präventivdoktrin für den Antiterrorkampf und die Europäer mit ihrem Primat der Politik, mit ihrem Primat der Diplomatie?

    Schweigler: Der Grunddissens bleibt möglicherweise zwischen den Hauptbefürwortern, den Hauptbeteiligten auf beiden Seiten bestehen. Aber in der breiteren Öffentlichkeit, wahrscheinlich aber auch in der weiteren außenpolitischen Elite des Landes, auch bei den dort betroffenen Bürokraten, hat sich, wenn es nicht schon vorher der Fall war, doch allmählich die Einsicht durchgesetzt, dass man im Alleingang und mit präventiven Maßnahmen nicht sehr viel weiter kommt und dass man vor allem auch die anderen Probleme der Weltpolitik, von Libyen über Iran bis nach Nordkorea, so nicht lösen kann. Hier zeigt sich auch in der Zwischenzeit, dass man die Zusammenarbeit gesucht hat, mit Erfolg. Libyen, Iran, Korea sind im Augenblick die Stichworte. Hier zeichnet sich ab, dass auch die amerikanische Politik nicht mehr vorwiegend auf Unilateralismus setzt, sondern tatsächlich wieder auf Multilateralismus.