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Politologin: Politische Führung von Hamas vertritt gemäßigte Richtung

Die Politologin Helga Baumgarten hält es für möglich, dass sich die radikal-islamische Hamas in der Regierungsverantwortung zu einer gemäßigten Politik gegenüber Israel bekennen wird. Ihrer Meinung nach ist die Hamas der Forderung, das Existenzrecht Israels anzuerkennen, bereits nachgekommen.

Moderation: Hans-Joachim Wiese | 18.02.2006
    Hans-Joachim Wiese: Am Telefon in Jerusalem begrüße ich jetzt Helga Baumgarten, Sie ist Politikwissenschaftlerin und Dozentin an der palästinensischen Birzeit Universität, schönen guten Morgen.

    Helga Baumgarten: Einen schönen guten Morgen.

    Wiese: Frau Baumgarten, wie überraschend war der Wahlsieg der Hamas denn eigentlich wirklich?

    Baumgarten: Nun, ich denke, Hamas selbst und die palästinensische Bevölkerung haben erwartet, dass Hamas sehr gut abschneiden wird in den Wahlen, aber ich haben bisher noch niemanden getroffen, der wirklich damit gerechnet hat, dass Hamas die Wahlen gewinnen würde. Inzwischen erstaunt mich das Ganze nicht mehr so sehr, rückblickend zumindest, denn in privaten Gesprächen, also nicht repräsentativ, war ich doch sehr erstaunt, wie viele Leute, die keineswegs Hamas-Anhänger sind, Hamas gewählt haben. Nummer eins: Weil sie auf keinen Fall Fatah wählen wollen und Nummer zwei: Weil sie im palästinensischen Parlament eine starke und sich klar artikulierende Opposition gewollt haben.

    Wiese: Mit anderen Worten, die Menschen in Palästina haben vor allem die Hamas gewählt, um die Fatah los zu werden, die sie ja als korrupt empfunden haben, nicht unbedingt, weil sie mit dem Programm der Hamas einverstanden sind?

    Baumgarten: Ich denke, sicher mit vielen Aspekten des Programms von Hamas. Ich denke, was die Leute momentan zumindest wieder - das sind subjektive Eindrücke - an Hamas schätzen, ist eine klare Sprache gegen die israelische Besatzung über Palästina, eine klare Sprache im Hinblick auf Reformen innerhalb der palästinensischen Behörde, innerhalb der palästinensischen Autonomiebehörde. Was die Leute nicht wollen, ist, dass Hamas irgendwelche islamische Gesetzgebung innerhalb der palästinensischen Gesellschaft nun radikal versucht durchzusetzen.

    Wiese: Lässt sich die Hamas denn als eine monolithische Organisation beschreiben oder gibt es auch da unterschiedliche Kräfte und Strömungen?

    Baumgarten: Ich denke, man muss sich Hamas als eine politische Partei vorstellen und in jeder politischen Partei gibt es verschiedene Flügel, gibt es eher moderate, gibt es Leute, die eher in der Mitte stehen und gibt es eher radikale Leute und genau so sieht es in Hamas aus. Ich würde, nach meinem Eindruck, so sagen, dass wir momentan in einer Situation sind, in der die politische Führung von Hamas die gemäßigte Richtung vertritt und in der wir vor allem auf der Seite der Basis die radikalsten Elemente haben.

    Wiese: Nun drohen Israel und der Westen damit, der palästinensischen Autonomiebehörde den Geldhahn zuzudrehen, falls die Hamas die Regierung stellen sollte. Wen würde denn so ein Schritt vor allem treffen?

    Baumgarten: In allererster Linie würde dieser Schritt die palästinensische Bürokratie treffen und die besteht fast ausschließlich aus Fatah-Mitgliedern. Das heißt, man bestraft dann ein zweites Mal die Partei, die jetzt schon von der Bevölkerung bestraft worden ist, von Seiten des Westens, an dieser ganzen Bürokratie hängt natürlich fast ein Drittel der gesamten palästinensischen Gesellschaft, das heißt, man bestraft auch und vor allem die palästinensische Gesellschaft und bestraft sicher nicht Hamas. Das Kalkül ist ein ziemlich kurzsichtiges. Man meint, dass die palästinensische Bevölkerung sieht, dass Hamas nichts bringt, sondern das Leben nur schwierig macht, dass man damit den palästinensischen Präsidenten es ermöglicht Neuwahlen auszurufen und dass dann die Palästinenser reumütig zu Fatah zurückkehren.

    Wiese: Ist denn an dieser Überlegung etwas dran?

    Baumgarten: Meine subjektiven Eindrücke sind genau das Gegenteil. Viele Leute sagen: Dann werden wir erst recht Hamas wählen.

    Wiese: Es werden immer drei Bedingungen genannt, die die Hamas erfüllen muss, will sie als Gesprächspartnerin anerkannt werden: Erstens, das Existenzrecht Israels anzuerkennen; zweitens, der Gewalt abzuschwören und drittens, geschlossene Verträge einzuhalten. Wie stehen die Chancen, dass die Hamas dem nachkommt?

    Baumgarten: Ich denke, in der Richtung ist Hamas eigentlich diesen Forderungen schon nachgekommen. Wir haben verschiedene Formulierungen von Seiten der Fatah-Führung. Am weitesten gegangen ist der Chef des Politbüros von Hamas, Chaled Meschaal, der in einem Interview mit einer russischen Zeitung gesagt hat, wenn Israel ihre Bereitschaft erklärt, aus den besetzten Gebieten von 67 abzuziehen, werden wir Israel anerkennen. Wir haben gleich nach der Wahl auch von Chaled Meschaal Statements in der Richtung, dass Hamas mit der neuen Situation mit einem neuen Realismus - das war die Formulierung - umgehen würde, auf der Basis, abgeschlossener Verträge, zugefügt noch im Interesse der palästinensischen Gesellschaft und wir haben praktisch, wie der Korrespondent schon erwähnt hat, keine Gewaltanwendung von Seiten Hamas.

    Wiese: Halten Sie das also für möglich, dass sich die Hamas - einmal in der Regierungsverantwortung - unter dem Druck dieser Verantwortung mäßigt, ähnlich ja wie die PLO, die auch mal als Terrororganisation angefangen hat?

    Baumgarten: Das ist eine Geschichte, die meiner Ansicht nach nicht nur auf Hamas zutreffen wird. Das ist eine Sache, die wir bei der PLO beobachten konnten, das sehen wir in Irland, das sehen wir in vielen ehemaligen Konfliktregionen: In dem Moment, in dem eine politische Gruppierung in die Politik eingebunden wird, Verantwortung übernimmt, stellen sich viele Dinge anders dar. Allerdings sollten wir einen Punkt nicht übersehen: Die Hauptkritik der Palästinenser und ich denke, das ist auch die Hauptkritik der palästinensischen Wähler, die sich für Hamas entschieden haben, ist, dass man der Meinung ist, dass der Westen die Realität hier vor Ort nicht mehr sieht. Und die Realität für die Palästinenser ist eben, dass Israel die Palästinenser besetzt und nicht umgekehrt. Die Palästinenser wünschen sich, dass der Westen Druck ausübt auf Israel, auch die Palästinenser anzuerkennen und den ersten Schritt macht, nämlich Beendigung der Besatzung, die ja nun - und auch das wird oft vergessen - schon seit 1967 andauert.