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Polizeigewalt im Fußball
Opfer: Fußballfan

Nicht nur Fans im Fußball sind gewalttätig. Auch durch die Polizei kommt es immer wieder zur rechtswidriger Körperverletzung. Eine Studie liefert nun erstmals Ergebnisse.

Von Thorsten Poppe | 11.07.2020
Polizeieinsatz beim "Risikospiel" Hamburger SV gegen Werder Bremen am 21. September 2013
Zwischen Fußballfans und Polizei kommt es im Stadion oft zu Auseinandersetzungen, (dpa / picture alliance / Axel Heimken)
Einen Tag vor dem Europa-League-Spiel Eintracht Frankfurt gegen Schachtar Donezk im Februar 2019 äußert sich der Präsident des Vereins, Peter Fischer, öffentlich zu der anstehenden Begegnung:
"Wir müssen mehr laufen. Wir müssen ein Tor mehr schießen idealerweise. Und was noch passieren muss: Das Stadion muss brennen! Und wenn ich sage, dass das Stadion morgen brennt, dann brennt das morgen. Und zwar so, dass ihr kaputt geht, weil ihr viel zu viel Licht habt und deshalb wird das Spiel vielleicht ein bisschen neblig für Euch!"
Diese Aussage sorgt am Spieltag noch vor Anpfiff für eine umstrittene Durchsuchung der Räumlichkeiten der Frankfurter Ultras im Stadion. Der hessische Innenminister Peter Beuth rechtfertigt kurz darauf diesen Einsatz: "Die Maßnahmen, die die Polizei durchgeführt hat, waren notwendig, und sie waren angemessen. Und sie sind auf Basis eines Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Frankfurt erfolgt."
7.000 Euro Schmerzensgeld für einen Lendenwirbelbruch
Nach der Durchsuchung ist es allerdings zu einem weiteren umstrittenen Polizeieinsatz in der Kurve gekommen, als Frankfurt-Fans ein Banner ausrollen, das sich gegen Innenminister Peter Beuth richtet. Als die Polizei in den Block geht, um das Plakat zu entfernen, will dies ein Frankfurter verhindern. Er wird von einem Polizisten mit einem Schubs daran in Richtung Werbebande gehindert. Der Fan bleibt dort ruhig stehen und hat auch keinen Zugriff mehr auf das Transparent.
Dennoch stoßen ihn kurze Zeit später zwei Polizeibeamte über die Werbebande, der Anhänger erleidet dabei einen Lendenwirbelbruch.
Ein Jahr später verurteilt das Landgericht Frankfurt wegen dieses Vorfalls das Land Hessen zu einer Zahlung von 7.000 Euro Schmerzensgeld an den Frankfurter Fan, weil die beiden Polizeibeamten ihre Amtspflichten verletzt haben:
"Von dem Kläger ging ab dem Zeitpunkt keine Gefahr mehr aus, als er nach dem Stoß des ersten Beamten an der Bande stand. Weder drohte der Kläger erneut den Abtransport des Banners zu behindern, noch Polizeibeamte anzugreifen", erklärte das Gericht.
Zwei Polizeibeamten überwachen die Ankunft von Bussen mit Fußballfans vor dem Spiel zwischen Fortuna Düsseldorf und dem MSV Duisburg in der ESPRIT-Arena in Düsseldorf am 20.11.2015.
Bundesliga - Geheime Datensammlungen der Polizei
In der Datei "Gewalttäter Sport" speichert die Polizei Daten über Fußballfans, gegen die im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen ein Strafverfahren eingeleitet worden ist. Daneben gibt es aber noch weitere Polizeidateien.
Das zivilgerichtliche Urteil, in dem der betroffene Fan als Kläger aufgetreten ist, ist seit kurzem rechtskräftig. Die Berufung zum Oberlandesgericht ist zurückgenommen worden. Strafrechtliche Konsequenzen für die Beamten sind noch nicht abzusehen. Auf Deutschlandfunk-Anfrage bestätigt die Staatsanwaltschaft Frankfurt, dass ihre Ermittlungen immer noch andauern.
Opfer: junge Männer Mitte 20 aus der aktiven Fanszen
Für Laila Abdul-Rahman vom Forschungsprojekt "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte" der Ruhr-Universität Bochum ein ideales Beispiel dafür, wie komplex die Situationen sind, in denen Fälle von Polizeigewalt auftreten:
"Wenn nämlich keine Gefahr mehr von der Person ausgeht, sowie es dann hier im späteren Verlauf der Fall war, ist natürlich ein Gewalteinsatz nicht mehr gerechtfertigt. Und das war juristisch betrachtet schon immer so. Aber problematisch ist häufig in diesen Fällen, dass die Beweislage für die Betroffenen schwierig ist. Und auch die Glaubwürdigkeit des Opfers in Frage gestellt wird. Allein schon dadurch, dass es eventuell vorher Widerstandshandlungen gegeben hat. Und hier in diesem Fall gab es hier ein Video, was dann die Vorwürfe letztendlich bestätigen konnte."
Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie hat Laila Abdul-Rahman sich mit anderen Forschern erstmals des Themas "Polizeigewalt" angenommen. Mehr als 3300 Menschen haben in einem Fragebogen angegeben, Erfahrungen mit - aus ihrer Sicht - rechtswidriger Polizeigewalt gemacht zu haben – ein bedeutender Anteil von ihnen beim Fußball.
"Fast ein Viertel der Befragten hat angegeben im Rahmen eines Fußballspiels mit rechtswidriger Polizeigewalt in Kontakt gekommen zu sein. Und dabei handelt es sich vor allen Dingen um junge Männer Mitte 20, die der aktiven Fanszene angehören."
40 Prozent der Befragten sagen, für sie sei nicht ersichtlich gewesen, warum die Polizei eingegriffen hat. So geht es auch Kevin. Vor einem Jahr ist der damals 15-Jährige beim Drittliga-Spiel Preußen Münster gegen den Karlsruher SC Balljunge. Durch einen Sieg macht Karlsruhe den Aufstieg perfekt. Die blau-weiß gekleideten KSC-Fans laufen nach dem Schlusspfiff auf den Platz, um mit ihrer Mannschaft zu feiern. Die Polizei bildet eine Kette - und ein Beamter schlägt Kevin unvermittelt ins Gesicht.
"Dann erschüttert das natürlich das Vertrauen in den Staat massiv"
Kevin versteht bis heute nicht, warum er als in rot gekleideter Balljunge von Preußen Münster bei der Jubelfeier von einem Polizisten geschlagen worden ist, wie er in der WDR-Sendung sport inside berichtet:
"Ich hatte eine rote Jacke an. So wie jeder Balljunge. Und dass fanden auch meine Eltern, meine Freunde verwirrend, warum der Polizist mich geschlagen hat. Es war ja komplett alles in Blau und Weiß, und ich als Einziger, der Rot an hatte. Ja, es ist einfach komisch von dem Polizisten."
Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen den Polizisten gegen eine Geldbuße* von 900 Euro letztlich ein. 450 Euro davon hat Balljunge Kevin bekommen. Zu einem Gerichtsprozess ist es also erst gar nicht gekommen.
Für die Forscher um Laila Abdul-Rahman ist es für einen Rechtsstaat essentiell, dass solche Verfehlungen von Polizisten entsprechend verfolgt und rechtlich bewertet werden – unabhängig von der Höhe der Strafe:
"Aus rechtsstaatlicher Perspektive ist es selbstverständlich äußerst wichtig, dass Fälle von rechtswidriger Polizeigewalt verfolgt werden. Aber diese Ermittlungen müssen natürlich entsprechend geführt werden. Das bedeutet, wenn Betroffene das Gefühl haben, dass ihnen von Anfang an nicht geglaubt wird, und ihre Angaben von vornerein in Frage gestellt werden, dann erschüttert das natürlich das Vertrauen in den Staat massiv."
Das Thema "Polizeigewalt" bleibt zudem aktuell. Wie die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf Anfrage bestätigt, führt sie zurzeit auch andere Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit der möglichen Verletzung von Fußballfans.
*Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes hieß es, das Verfahren gegen den Polizisten sei gegen eine "Geldstrafe" eingestellt worden. Da Geldstrafen nur von Gerichten ausgesprochen werden können, muss es aber korrekterweise "Geldbuße" heißen. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.